Beschluss vom Oberlandesgericht Rostock (Senat für Bußgeldsachen) - 21 Ss OWi 200/17 (Z)

Tenor

1.

Der mitunterzeichnende Einzelrichter lässt die Rechtsbeschwerde zu und überträgt die Sache dem Senat in der Besetzung mit drei Richtern, weil es geboten ist, das Urteil zur Fortbildung des Rechts nachzuprüfen (§§ 80 Abs. 2, 80a Abs. 3 OWiG).

2.

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts R. vom 22.05.2017 aufgehoben und der Betroffene freigesprochen.

3.

Die Staatskasse trägt die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Betroffenen.

Gründe

I.

1

Das Amtsgericht R. hat den Betroffenen am 22.05.2017 wegen vorsätzlicher Belästigung der Allgemeinheit zu einer Geldbuße von 100,00 € verurteilt, weil dieser mit den gesondert Verfolgten G. und E. auf der Südtribüne des O-stadions ein ca. 2 x 2 m großes Banner aufgehängt hat. Auf dem Banner mit hellem Untergrund sind zwei Polizeibeamte im grünen Dienstoverall zu sehen, die gemeinsam auf einer auf dem Bauch liegenden männlichen Person knien, deren Arme auf dem Rücken verschränkt sind. Mittig auf dem Transparent ist gut lesbar die Abkürzung „A.C.A.B.“ in weißer Schrift aufgebracht (S. 2 UA). Mit seinem Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde rügt der Betroffenen die Verletzung materiellen Rechts.

II.

2

Die durch Beschluss des Einzelrichters zur Fortbildung des Rechts zugelassene Rechtsbeschwerde ist zulässig und auch begründet. Die Feststellungen des Amtsgerichts tragen eine Verurteilung des Betroffenen wegen vorsätzlicher Belästigung der Allgemeinheit gemäß § 118 OWiG nicht (1), das Bußgeldverfahren ist auch nicht in ein Strafverfahren überzuleiten (2).

1.

3

Gemäß § 118 Abs. 1 OWiG handelt ordnungswidrig, wer eine grob ungehörige Handlung vornimmt, die geeignet ist, die Allgemeinheit zu belästigen oder zu gefährden und die öffentliche Ordnung zu beeinträchtigen. Bloße Meinungsäußerungen, die - wie hier - in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG fallen (a), können nicht nach dieser Norm geahndet werden, weil es sich bei ihr bei verfassungskonform einschränkender Auslegung um kein Gesetz im Sinne vor Art. 5 Abs. 2 GG handelt, das eine Beschränkung der Meinungsfreiheit zulässt (b). Diese Bußgeldnorm kann deshalb nicht als Auffangtatbestand für abfälligen Äußerungen herhalten, die keinen Straftatbestand erfüllen.

a)

4

Das Aufhängen des Banners fällt in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. Meinungen sind im Unterschied zu Tatsachenbehauptungen durch die subjektive Einstellung des sich Äußernden zum Gegenstand der Äußerung gekennzeichnet. Sie enthalten ein Urteil über Sachverhalte, Ideen oder Personen. Sie genießen den Schutz der Meinungsfreiheit, ohne dass es darauf ankommt, ob die Äußerung begründet oder grundlos, emotional oder rational ist, als wertvoll oder wertlos, gefährlich oder harmlos eingeschätzt wird (BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 17.05.2016 - 1 BvR 2150/14 -, Rn. 11, juris). Das Amtsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Aufdruck „A.C.A.B.“ für die englische Parole „all cops are bastards“ steht. Mit dem Banner und dem darauf wiedergegebenen Bild wollte der Betroffene, den die Polizei nach den Feststellungen des Amtsgerichts der gewaltbereiten Rostocker Fußballszene zurechnet (UA S. 2), seine feindselige Haltung gegenüber den Beamten bekunden. Diese Parole ist nicht von vornherein offensichtlich inhaltslos, sondern bringt noch eine allgemeine Ablehnung der Polizei und ein Abgrenzungsbedürfnis gegenüber der staatlichen Ordnungsmacht zum Ausdruck (vgl. dazu: BVerfG, a.a.O., Rn. 12).

b)

5

§ 118 OWiG ist kein allgemeines Gesetz, das gemäß Art. 5 Abs. 2 GG der freien Meinungsäußerung Schranken setzen kann (Göhler, OWiG, 17. Auflg., § 118 Rn. 9 a.E.). Zur Abwehr von kommunikativen Angriffen auf Schutzgüter der Verfassung hat der Gesetzgeber besondere Strafrechtsnormen geschaffen. Die darin vorgesehenen Beschränkungen von Meinungsäußerungen sind dort abschließend geregelt. Der Gesetzgeber hat durch die enge Fassung der Straftatbestände zum Ausdruck gebracht, im Übrigen keinen Vorrang des Rechtsgüterschutzes gegenüber der Meinungsäußerung anzuerkennen (BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 24.03.2001 - BvQ 13/01, Rn. 26, juris). Eine gemäß § 185 StGB straflose Kollektivbeleidigung, die in den Geltungsbereich des Art. 5 Abs. 1 GG fällt, kann daher entgegen der Auffassung des Amtsgerichts (UA S. 5) auch nicht nach § 118 OWiG geahndet werden.

2.

6

Der Senat hat nicht übersehen, dass das Bußgeldverfahren auch im Rechtsbeschwerdeverfahren noch in ein Strafverfahren übergeleitet werden kann (BGH, Beschluss vom 19.05.1988 - 1 StR 600/87 -, Rn. 17, juris), wobei das Verschlechterungsverbot dann nur noch eine Berichtigung des Schuldspruchs zuließe (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 24.02.1987, - 5 Ss (OWi) 450/86, juris).

a)

7

Eine Strafbarkeit des Betroffenen nach § 185 Abs. 1 StGB wegen Beleidigung kommt vorliegend jedoch schon deshalb nicht in Betracht, weil der Akte nicht zu entnehmen ist, dass der dafür gemäß § 194 Abs. 1 Satz 1 StGB erforderliche Strafantrag gestellt wurde. Die Antragsfrist ist abgelaufen. Unabhängig davon geht das Amtsgericht zu Recht davon aus, dass seine Feststellungen eine Verurteilung wegen Beleidigung nicht tragen. Entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft wäre selbst dann noch von einer straflosen Kollektivbeleidigung auszugehen, wenn der Betroffene tatsächlich mit dem Banner nur die im Stadion anwesenden Polizeibeamten ansprechen wollte. Denn die bloße Präsentation des Banners im Stadion im Bewusstsein, dass die Polizei vor Ort ist, genügt den verfassungsrechtlichen Vorgaben an eine Individualisierung gegen bestimmte Beamte nicht (BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 17.05.2016 - 1 BvR 257/14 -, Rn. 17, juris).

b)

8

Zu denken wäre noch an eine Strafbarkeit gemäß § 125 Abs. 1, 3. Alt. StGB wegen aufwieglerischen Landfriedensbruchs. Danach wird auch derjenige bestraft, der auf eine Menschenmenge einwirkt, um ihre Bereitschaft zu fördern, sich als Täter oder Teilnehmer an Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder Bedrohungen von Menschen mit Gewalttätigkeiten, die aus einer Menschenmenge in einer die öffentliche Sicherheit gefährdenden Weise mit vereinten Kräften begangen werden, zu beteiligen. Eine solche Einwirkung auf eine Menschenmenge kann auch durch das Zeigen von Parolen auf Spruchbändern erfolgen (MüKo/Schäfer, StGB, 3. Auflg., § 125 Rn. 34; LK/Krauß, 12. Auflg., § 125 Rn. 85).

9

Vorliegend liegt eine solche Absicht des Betroffenen nicht völlig fern. Die Polizei rechnet ihn der gewaltbereiten Rostocker Fußballszene zu (UA S. 2). Der Betroffene verwendete zum Befestigen des Banners das Klebeband der „Subtras“ und hielt sich nach dem im amtsgerichtlichen Urteil in Bezug genommenen Lichtbild in vorderster Reihe des Fanblocks auf, was auf seine Rädelsführerschaft innerhalb dieser Gruppierung hindeuten könnte.

10

Gerichtsbekannt ist die R.‘er Fußballszene der sogenannten „Subtras“ sehr gewaltbereit und hat sich im Umfeld von Heim- und Auswärtsspielen des Vereins bereits wiederholt heftige verbale und tätliche Auseinandersetzungen mit der Polizei geleistet und die eingesetzten Beamten dabei jedenfalls zum Teil auch gezielt provoziert.

11

Indes reichen die bislang getroffenen Feststellungen für eine Verurteilung des Betroffenen wegen Landfriedensbruchs nicht aus. Der Senat hält es mit Blick auf den Zeitablauf auch für unwahrscheinlich, dass diese zumindest in subjektiver Hinsicht in vorliegender Sache noch mit der erforderlichen Sicherheit getroffenen werden können.

12

Für künftige vergleichbare Fälle könnte es sich indes anbieten, den Strukturen und Zielen der „Subtras“ und der Zugehörigkeit und jeweiligen Funktion von Einzelpersonen innerhalb dieser Gruppierung im Rahmen von präventiven und strafprozessualen Strukturermittlungen vorausschauend durch die gezielte Erhebung und Sammlung gerichtsverwertbarer Erkenntnisse verstärkt nachzugehen und dabei besonderes Augenmerk darauf zu richten, ob es im Umfeld von Fußballspielen des Vereins zu Auseinandersetzungen mit der Polizei kommt, die nach Art, Umfang und Ausführung sowie Ausstattung der daran teilnehmenden „Fans“ (z.B. Vermummung, einheitliche Kleidung, Kleiderwechsel, Bewaffnung, Mitführung von Pyrotechnik etc.) den Schluss zulassen, dass diese Konfrontation mit den eingesetzten Ordnungskräften nicht spontan erfolgte, sondern geplant, vorbereitet und dann gezielt gesucht wurde, und ob gerade im unmittelbaren Vorfeld solcher Tumulte durch das Zeigen von Bannern wie im vorliegenden Fall berechtigter Grund zu der Annahme besteht, dass damit auch zum gewalttätigen Vorgehen gegen die Polizei aufgerufen werden sollte.

III.

13

Der Betroffene war nach dem Vorgesagten unter Aufhebung des angefochtenen Urteils durch das Rechtsbeschwerdegericht freizusprechen (§ 79 Abs. 6, 1. Alt OWiG). 5

IV.

14

Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 467 Abs. 1 StPO. Gemäß § 80a Abs. 3 OWiG hat der Senat in der Besetzung mit drei Richtern entschieden.

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