Beschluss vom Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht (2. Zivilsenat) - 2 W 16/07

Tenor

Zum zuständigen Gericht wird das Amtsgericht Lichtenberg bestimmt.

Gründe

I.

1

Die Klägerin hat gegen die Beklagte mit einem Mahnbescheid des Amtsgerichts Hünfeld, der ihr am 22.12.2005 unter ihrem damaligen Wohnsitz im Bezirk des Amtsgerichts Reinbek zugestellt worden ist, eine Forderung aus Versicherungsvertrag in Höhe von 687,00 Euro nebst Zinsen geltend gemacht. Als Prozessgericht, an das im Falle des Widerspruchs das Verfahren abgegeben werden sollte, war im Mahnbescheid das Amtsgericht Reinbek benannt. Im September 2006 hat die Beklagte ihren Wohnsitz in Berlin im Bezirk des Amtsgericht Lichtenberg begründet. Die Akten sind nach Abgabe am 26.10.2006 beim Amtsgericht Reinbek eingegangen. Die Beklagte hat wegen ihres Wohnsitzwechsels dessen Zuständigkeit gerügt und "einer Abgabe des Rechtsstreits an das Amtsgericht Lichtenberg zugestimmt". Die Klägerin hat einer solchen Abgabe "zugestimmt, sofern das hier erkennende Gericht die dortige Zuständigkeit für gegeben halte". Das Amtsgericht Reinbek hat sich durch Beschluss vom 8.12.2006 für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit "antragsgemäß" an das Amtsgericht Lichtenberg verwiesen. Dieses hat die Parteien darauf hingewiesen, daß es im Hinblick auf den für das Amtsgericht Reinbek gegebenen besonderen Gerichtsstand des Erfüllungsortes nach § 29 ZPO nicht beabsichtige, den Rechtsstreit zu übernehmen. Es hat sich durch Beschluss vom 23.01.2007 für örtlich unzuständig erklärt und die Akten dem Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgericht in Schleswig zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.

II.

2

1. Die Vorlage ist nach §§ 36 Abs. 1 Nr. 3, 37 ZPO im Rahmen eines negativen Kompetenzkonflikts zulässig. Sie führt zur Bestimmung des Amtsgerichts Lichtenberg zum zuständigen Gericht.

3

2.a) Das Amtsgericht Reinbek ist - vorbehaltlich einer wirksamen Verweisung nach § 281 Abs. 1 ZPO (s.u. Buchst. c) - nach § 29 ZPO für die vorliegende Klage örtlich zuständig, weil die Klägerin aus abgetretenem Recht einen Anspruch aus einem Vertragsverhältnis geltend macht, der gegebenenfalls in seinem Bezirk zu erfüllen wäre. Erfüllungsort für diese Zahlungspflicht ist nach §§ 270 Abs. 1 und 4, 269 Abs. 1 BGB der Ort, an dem die Beklagte zur Zeit des Abschlusses des Versicherungsvertrages ihren Wohnsitz hatte, weil die Vertragsparteien - soweit ersichtlich - keinen anderen Erfüllungsort bestimmt hatten, und sich auch aus der Natur des Schuldverhältnisses kein anderer Erfüllungsort ergibt. Die Beklagte wohnte zum Zeitpunkt des Abschlusses des Versicherungsvertrages im Bezirk des Amtsgerichts Reinbek. Durch ihren späteren Wohnsitzwechsel im September 2006 wurde der Erfüllungsort nicht geändert.

4

b) Nach dem Wohnsitzwechsel trat neben den besonderen Gerichtsstand des Erfüllungsortes nach § 29 ZPO beim Amtsgericht Reinbek der allgemeine Gerichtsstand des Wohnsitzes nach §§ 12, 13 ZPO beim Amtsgericht Lichtenberg. Dem steht § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO - Fortdauer der Zuständigkeit des Prozessgerichts - schon deshalb nicht entgegen, weil im Mahnverfahrens für die vom Empfangsgericht vorzunehmende Zuständigkeitsprüfung der Zeitpunkt des Akteneingangs gemäß § 696 Abs. 1 Satz 4 ZPO maßgeblich ist (Zöller/Vollkommer, ZPO, 26. Aufl., § 696 Rn. 5 und 6 m.w.Nw.) und zur Zeit des Akteneingangs am 26.10.2006 beim Amtsgericht Reinbek die Beklagte bereits in Berlin wohnte. Die Zuständigkeit des Amtsgericht Lichtenberg lässt sich auch nicht mit der Begründung verneinen, dass die Klägerin durch die Angabe des Prozessgerichts im Mahnbescheidsantrag nach § 690 Abs. 1 Nr. 5 ZPO ihr Wahlrecht gemäß § 35 ZPO ausgeübt hätte und nach Zustellung des Mahnbescheids an diese Wahl - hier des Amtsgerichts Reinbek - unwiderruflich gebunden gewesen wäre (vgl. hierzu Zöller/Vollkommer a.a.O. § 35 Rn. 2). Die Ausübung dieser Wahl setzt nämlich voraus, dass mindestens zwei Gerichtsstände zur Verfügung gestanden hätten (BGH NJW 1993, 1273). Das war hier aber noch zur Zeit der Zustellung des Mahnbescheids nicht der Fall. Insoweit wird eine Bindung zum Beispiel auch dann nicht für gegeben erachtet, wenn dem Kläger an sich eine Wahl gar nicht möglich war, weil auf Grund einer Vereinbarung ein ausschließlicher Gerichtsstand vor einem anderen Gericht bestand (BGH NJW 1993, 2810), oder die Wahl fehlerhaft war (Senat, Beschluss vom 27.09.2005, 2 W 186/05).

5

c) Im Bestimmungsverfahren ist der Senat grundsätzlich an vorangegangene Verweisungsbeschlüsse gebunden (§ 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO). Dabei kann offenbleiben, ob die Verweisung vom 8.12.2006 vorliegend rechtswidrig war, weil § 281 Abs. 1 ZPO an sich die - hier nicht gegebene - Unzuständigkeit des verweisenden Gerichts voraussetzt und nach § 696 Abs. 1 Satz 1 ZPO die Abgabe an ein anderes als das bezeichnete Gericht auf übereinstimmenden Antrag der Parteien nur möglich ist, wenn dieser Antrag vor der Erstabgabe gestellt worden war. Ein Verweisungsbeschluss bindet ausnahmsweise nur dann nicht, wenn kein rechtliches Gehör gewährt worden ist - was hier nicht der Fall ist - oder wenn er auf Willkür beruht, weil ihm jede rechtliche Grundlage fehlt BGH NJW 2002, 3634, 3635 m.w.Nw.). Diese Voraussetzungen sind von der Rechtsprechung in ähnlichen Fällen bisher bejaht worden, wenn nach bindender Ausübung des Wahlrechts gemäß § 35 ZPO ein zuständiges Gericht die Verweisung ausgesprochen hat, weil dann das verweisenden Gericht die mit dem am 1.01.1992 in Kraft getretene Neufassung des § 690 Abs. 1 Nr. 5 ZPO, die gerade Weiterverweisungen ausschließen wollte, nicht zur Kenntnis genommen oder sich darüber hinweggesetzt hat (BGH NJW 2002, 3634, 3635; 1993, 1273; BayObLG NJW-RR 1994, 891; Senat in ständiger Rechtsprechung, z. B. Beschluss vom 31.08.2005, 2 W 159/05). So liegt es hier jedoch nicht, weil es - wie ausgeführt (s.o. Buchst. b) - an einem Wahlrecht, nach dessen Ausübung eine Bindung bestanden hätte, gefehlt hat. Ferner ist davon auszugehen, dass ersichtlich die Klägerin die Beklagte von vornherein im allgemeinen Gerichtsstand des Wohnsitzes verklagen wollte, was nunmehr im Ergebnis auch geschieht. Zwar hat das Amtsgericht seinen Beschluss nicht begründet. Ein Verweisungsbeschluss ist wegen dieses Mangels noch nicht offensichtlich gesetzwidrig, wenn die Entscheidung - wie vorliegend geschehen - im Einvernehmen mit beiden Parteien ergangen ist (BGH NJW 2003, 1201, 1202).

6

Nach allem ist der Verweisungsbeschluss vom 8.12.2005 jedenfalls nicht als willkürlich zu bezeichnen und deshalb bindend, so dass das Amtsgericht Lichtenberg schon deshalb zum örtlich zuständigen Gericht zu bestimmen ist.


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