Beschluss vom Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht (7. Zivilsenat) - 7 W 29/17

Tenor

Die sofortige Beschwerde des Antragstellers vom 24.07.2017 gegen den Prozesskostenhilfe versagenden Beschluss der Einzelrichterin der 3. Zivilkammer des Landgerichts Lübeck vom 05.07.2017 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die gerichtlichen Kosten der sofortigen Beschwerde; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

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Die sofortige Beschwerde des Antragstellers ist gemäß §§ 127 Abs. 2 Satz 2, 567 ff. ZPO zulässig. Die Beschwerdefrist gemäß § 127 Abs. 2 Satz 3 ZPO (1 Monat) ist eingehalten.

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Die sofortige Beschwerde ist jedoch unbegründet. Die beabsichtigte Klage bietet im Sinne von § 114 Abs. 1 ZPO keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Ergänzend wird auf folgendes hingewiesen:

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1. Eine Haftung des Amtes O. Mitte kommt bereits deshalb nicht in Betracht, weil die Verkehrssicherungspflicht und die Schneeräumpflicht für Gemeindestraßen (§ 13 StrWG SH) sowie für Ortsdurchfahrten einschließlich zusammenhängend bebauter Anliegergrundstücke außerhalb geschlossener Ortslage (§ 45 StrWG SH) den Gemeinden obliegt.

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2. Die Gemeinde S. wird in einem gerichtlichen Verfahren nicht durch ihren - in der Regel ehrenamtlich tätigen - Bürgermeister, sondern gemäß § 3 Abs. 1 S. 5 Amtsordnung Schleswig-Holstein durch das zuständige Amt vertreten. Gemäß § 56 Abs. 1 ZPO ist die Legitimation eines gesetzlichen Vertreters von Amts wegen zu prüfen, d. h. es ist Sache des Gerichts, durch geeignete Hinweise auf die Mängelbeseitigung hinzuwirken. Das Rubrum ist deshalb von Amts wegen entsprechend berichtigt worden.

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3. Unstreitig ereignete sich der Verkehrsunfall am Mittwoch, den 4. Januar 2017 gegen 20:15 Uhr auf der Gemeindestraße „...“ zwischen dem Wohnort des Antragstellers und dem Ort B. Nach eigenen Angaben befand sich der Antragsteller zum Unfallzeitpunkt als Mitarbeiter der Firma G. GmbH mit seinem eigenen Privat-Pkw bei auf einer Kontrollfahrt im Rahmen des Winterdienstes. Diese Kontrollfahrt will der Antragsteller im Auftrag der Gemeinde S. durchgeführt haben. Er war gegen 20.06 Uhr losgefahren, weil sich der Bürgermeister bis dahin immer noch nicht bei ihm gemeldet hatte. Zum Unfallzeitpunkt hatte es ununterbrochen geschneit. Die benachbarten Streudienste sollen -nach Angaben des Antragstellers - bereits seit ca. 18.30 Uhr im Einsatz gewesen sein.

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Die Voraussetzungen für eine Verletzung der Räum- und Streupflicht in Form der hoheitlich ausgestalteten kommunalen Winterdienstpflicht gemäß §§ 10 Abs. 4, 13, 45 StrWG SH und damit für einen Amtshaftungsanspruch nach §§ 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG liegen nicht vor. Die Antragsgegnerin zu 2) war zum konkreten Unfallzeitpunkt - abends gegen 20:15 Uhr - nicht mehr räum- und streupflichtig.

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Zwar bestehen grundsätzlich auch auf Gemeindestraßen außerhalb geschlossener Ortslage Räum- und Streupflichten. Voraussetzung einer Streu- und Räumpflicht ist eine allgemeine Glättebildung und nicht nur das Vorhandensein vereinzelter Glättestellen (vgl. BGH vom 12.06.2012, VI ZR 138/11). Allein der Nachweis der Existenz einer Glättestelle am Unfallort genügt nicht (OLG München, Beschluss vom 19.11.2012, VersR 2013, 375-376, juris Rn. 4). Für die Verpflichtung zum Räumen und Streuen sind Art und Wichtigkeit des Verkehrsweges ebenso zu berücksichtigen wie seine Gefährlichkeit und die Stärke des zu erwartenden Verkehrs. Zu den wichtigen Verkehrsflächen in dem vorgenannten Sinne zählen verkehrsreiche Durchgangsstraßen sowie vielbefahrene, innerörtliche Hauptverkehrsstraßen (BGHZ 40, 379, 380). Die Räum- und Streupflichten bestehen regelmäßig zur Gewährleistung eines sicheren Hauptberufsverkehrs und an Feiertagen nur für die Zeit des normalen Tagesverkehrs, d. h. werktags in der Regel ab 7:00 Uhr bzw. sonn- und feiertags ab 9:00 Uhr und tagsüber bis 20:00 Uhr (BGH vom 02.10.1984, VI ZR 125/83 - NJW 1985, 270-271; OLG Jena, Beschluss vom 10.11.2008, NZV 2009, 599-600, juris Rn. 4 m. w. N.). Bei extremen Wetterverhältnissen - etwa bei starkem Schneefall, Eisregen oder ständig überfrierender Nässe - besteht eine Räum-/Streupflicht sogar erst ab dem Zeitpunkt, ab dem sich das Wetter wieder beruhigt hat. Ein völlig sinnloses Handeln kann von der streupflichtigen Gemeinde nicht verlangt werden (OLG Jena, Beschluss vom 21.01.2009, 4 U 341/08, OLGR Jena, 2009, 414-415; Zimmerling in Herberg/Martinek/Rüßmann u. a., jurisPK BGB, 8. Aufl. 2017, § 839, Rn. 480 m. w. N.). Eine vorbeugende Streupflicht zur Verhinderung von Glättebildung an bestimmten Stellen in den Nachtstunden ist nur ausnahmsweise erforderlich, wenn nämlich mit einem entsprechenden Verkehr gerechnet werden muss (BGH vom 11.08.2009, VI ZR 163/08, WuM 2009, 677-678).

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Unter Beachtung der vorgenannten Grundsätze bestand zur Unfallzeit keine Räum- und Streupflicht der Antragsgegnerin zu 2). Der Unfall ereignete sich auf einer wenig befahrenen Gemeindestraße außerhalb der üblichen Streupflicht. Soweit in den Nachbargemeinden in der Praxis tatsächlich umfangreicher Räum- und Streudienst geleistet worden ist, ist dies aus rechtlicher Sicht überobligatorisch und damit unerheblich. Im Übrigen sind bei extremen Wetterverhältnissen - hier bei andauernd starkem Schneefall und extremer Straßenglätte - keine Streu- und Räumdienste erforderlich. Unstreitig konnte die Polizei den Unfallort wegen starken Schneefalls und extremer Straßenglätte nämlich erst nach 25 Minuten erreichen (vgl. Polizeiliche Unfallaufnahme, Polizeistation Grömitz, vom 05.01.2017, Vg 8970/2017). Wer nach Ablauf der streupflichtigen Tageszeit zu Schaden kommt, muss darlegen und beweisen, dass sich der Unfall bei Erfüllung der Streupflicht in der vorgeschriebenen Zeit nicht ereignet hätte. Entsprechende Darlegungen sind jedoch nicht erfolgt. Es ist auch nicht nachvollziehbar dargelegt, weshalb der Antragsteller verpflichtet gewesen sein soll, gegen 20:06 Uhr - trotz ununterbrochenen Schneefalls - mit seinem privaten PKW zu der abendlichen Kontrollfahrt aufzubrechen.

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Die Beschwerde ist nach alledem unbegründet.

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Gemäß KG 1812 der Anlage 1 zum GKG trägt der Antragsteller die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens. Außergerichtliche Kosten werden nach § 127 Abs. 4 ZPO nicht erstattet.

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Röttger
Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht


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