Beschluss vom Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken - 5 W 18/07 - 7

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Landgerichts Saarbrücken vom 02.01.2007 (12 O 40/06) dahingehend abgeändert, dass die Worte „- zu den Bedingungen eines ortsansässigen Rechtsanwalts –„ gestrichen werden.

Gründe

I.

Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 03.02.2006 Klage erhoben und Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von RA. G., , beantragt.

Mit dem angefochtenen Beschluss vom 02.01.2007 (Bl. 257 d. A.) hat das Landgericht (Einzelrichterin) dem Kläger Prozesskostenhilfe gewährt und Rechtsanwalt G. zu den Bedingungen eines ortsansässigen Rechtsanwalts beigeordnet.

Hiergegen hat der Kläger mit Schriftsatz vom 10.01.2007 (Bl. 244 d. A.) sofortige Beschwerde eingelegt und beantragt, Rechtsanwalt G. ohne die Beschränkung auf die Bedingungen eines ortsansässigen Anwalts beizuordnen. Zur Begründung führt der Kläger aus, eine zusätzliche Gebühr wäre auch angefallen, wenn RA. G. als Verkehrsanwalt und ein örtlicher Anwalt als Hauptbevollmächtigter beigeordnet worden wären. Wenigstens in dieser Höhe hätte Prozesskostenhilfe bewilligt werden müssen. Der Kläger habe außerdem Anspruch darauf, das Verfahren mit dem Anwalt seiner Wahl durchzuführen.

Das Landgericht hat der sofortigen Beschwerde mit Beschluss vom 12.01.2007 (Bl. 248 d. A.) nicht abgeholfen und die Sache dem Saarländischen Oberlandesgericht vorgelegt.

II.

Die sofortige Beschwerde ist zulässig, insbesondere statthaft gemäß § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO. Die sofortige Beschwerde ist auch innerhalb der Zweiwochenfrist des § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO eingelegt worden. Zwar findet sich kein Zustellungsnachweis bei den Akten. Jedoch ist die Beschwerdeschrift bereits am 12.01.2007, also nur 10 Tage nach dem Erlass des angefochtenen Beschlusses eingegangen, so dass die Frist in jedem Fall gewahrt ist.

Die sofortige Beschwerde ist auch begründet.

1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH, Beschl. v. 23.06.2004 – XII ZB 61/04, NJW 2004, 2749-2751, juris Rdnr. 6 ff), der sich bereits der 2. Zivilsenat des Saarländischen Oberlandesgerichts angeschlossen hat (vgl. SaarlOLG – 2. Zivilsenat, Beschl. v. 05.10.2005 – 2 WF 13/05, OLGR Saarbrücken 2006, 364- 366, juris Rdnr. 4 ff), ist zunächst davon auszugehen, dass im Rahmen der bewilligten Prozesskostenhilfe nach § 121 Abs. 1 u. 3 ZPO in der Regel ein bei dem Prozessgericht niedergelassener Rechtsanwalt beizuordnen ist und ein nicht bei dem Prozessgericht niedergelassener Rechtsanwalt nur dann beigeordnet werden kann, wenn dadurch keine weiteren Kosten entstehen.

Hiervon macht jedoch § 121 Abs. 4 ZPO insofern eine Ausnahme, als ein weiterer Rechtsanwalt zur Wahrnehmung eines Termins zur Beweisaufnahme vor dem ersuchten Richter oder zur Vermittlung des Verkehrs mit dem Prozessbevollmächtigten beigeordnet werden kann, wenn besondere Umstände dies erfordern. Denn wenn der Partei - wie es dem Regelfall des § 121 Abs. 1 u. 3 ZPO entspricht - ein Rechtsanwalt am Ort des Prozessgerichts beigeordnet wurde, kann es in besonders gelagerten Einzelfällen erforderlich sein, ihr einen zusätzlichen Rechtsanwalt zur Wahrnehmung eines auswärtigen Termins zur Beweisaufnahme (§ 362 ZPO) oder zur Vermittlung des Verkehrs mit dem Hauptbevollmächtigten beizuordnen. Wurde hingegen ein nicht am Ort des Prozessgerichts niedergelassener Rechtsanwalt als Hauptbevollmächtigter beigeordnet, besteht kein Bedarf für die Beiordnung eines weiteren Verkehrsanwalts; dafür ist der auswärtige Rechtsanwalt aber grundsätzlich berechtigt, seine Reisekosten nach § 46 RVG abzurechnen (vgl. BGH, Beschl. v. 23.06.2004 – XII ZB 61/04, NJW 2004, 2749-2751, juris Rdnr. 8; SaarlOLG – 2. Zivilsenat, Beschl. v. 05.10.2005 – 2 WF 13/05, OLGR Saarbrücken 2006, 364- 366, juris Rdnr. 6; OLG Koblenz, NJW-RR 2002, 420, OLGR Frankfurt 2002, 340 und KGR 2004, 17; a.A. OLGR Naumburg 2001, 486).

Ordnet das Gericht der Partei im Rahmen der bewilligten Prozesskostenhilfe ausnahmsweise einen nicht in seinem Bezirk niedergelassenen Rechtsanwalt bei, und sieht es von der Beiordnung eines weiteren Verkehrsanwalts nach § 121 Abs. 4 ZPO ab, kann es dem Prozessbevollmächtigten deswegen nicht stets durch die beschränkte Beiordnung „zu den Bedingungen eines ortsansässigen Rechtsanwalts" zugleich die Möglichkeit der Erstattung von Reisekosten nach § 46 RVG nehmen. Eine solche Beiordnung ist vielmehr nur dann möglich, wenn auch sonst lediglich Kosten eines am Prozessgericht niedergelassenen Rechtsanwalts entstehen könnten, weil „besondere Umstände" im Sinne von § 121 Abs. 4 ZPO nicht vorliegen. Bei der Entscheidung über die Beiordnung eines nicht am Prozessgericht niedergelassenen Rechtsanwalts hat das Gericht also immer auch zu prüfen, ob die Voraussetzungen des § 121 Abs. 4 ZPO erfüllt sind. Nur wenn dieses nicht der Fall ist, darf es einen von der Partei nach § 121 Abs. 1 ZPO gewählten auswärtigen Prozessbevollmächtigten „zu den Bedingungen eines ortsansässigen Rechtsanwalts" mit der Folge, dass eine Erstattung von Reisekosten im Allgemeinen entfällt, beiordnen (vgl. BGH, Beschl. v. 23.06.2004 – XII ZB 61/04, NJW 2004, 2749-2751, juris Rdnr. 9; SaarlOLG – 2. Zivilsenat, Beschl. v. 05.10.2005 – 2 WF 13/05, OLGR Saarbrücken 2006, 364- 366, juris Rdnr. 6).

Bei der Prüfung, ob die Beiordnung eines weiteren Verkehrsanwalts nach § 121 Abs. 4 ZPO wegen besonderer Umstände erforderlich wäre, ist auf die rechtlichen und tatsächlichen Schwierigkeiten des Rechtsstreits und die subjektiven Fähigkeiten der Parteien abzustellen (vgl. Zöller-Philippi, Zivilprozessordnung, 26. Aufl., § 121 ZPO, Rdn. 18). Solche besonderen Umstände können etwa dann vorliegen, wenn die Partei schreibungewandt ist und ihr auch eine Informationsreise zu ihrem Rechtsanwalt am Sitz des Prozessgerichts nicht zugemutet werden kann (vgl. OLG Naumburg, FamRZ 2003, 107; OLG Zweibrücken, FamRZ 2002, 107). Gleiches ist der Fall, wenn der Partei eine schriftliche Information wegen des Umfangs, der Schwierigkeit oder der Bedeutung der Sache nicht zuzumuten ist und eine mündliche Information unverhältnismäßigen Aufwand verursachen würde (vgl. OLG Brandenburg, FamRZ 2002, 107 und FamRZ 2001, 1533). Dabei ist im Rahmen der verfassungsgemäßen Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der besonderen Umstände eine zusätzliche Beiordnung nach § 121 Abs. 4 ZPO auch dann geboten, wenn die Kosten des weiter beizuordnenden Rechtsanwalts die sonst entstehenden Reisekosten des nicht am Prozessgericht zugelassenen Hauptbevollmächtigten nicht wesentlich übersteigen. Im Rahmen der durch Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem allgemeinen Rechtsstaatsprinzip gebotenen weitgehenden Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung ihres Rechtsschutzes (vgl. BVerfG, NJW 2004, 1789) ist bei der Auslegung auch die neuere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Erstattung der Kosten für Verkehrsanwälte zu beachten. Danach ist im Falle der Bevollmächtigung eines Rechtsanwalts am Sitz des Gerichts auch die Zuziehung eines am Wohn- oder Geschäftsort der auswärtigen Partei ansässigen Verkehrsanwalts regelmäßig als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig im Sinne von § 91 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbs. ZPO anzusehen (vgl. BGH, Beschl. v. 23.06.2004 – XII ZB 61/04, NJW 2004, 2749-2751, juris Rdnr. 10; BGH, NJW-RR 2004, 430; BGH, FamRZ 2003, 441; SaarlOLG – 2. Zivilsenat, Beschl. v. 05.10.2005 – 2 WF 13/05, OLGR Saarbrücken 2006, 364- 366, juris Rdnr. 7).

2. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze konnte der Kläger hier nicht darauf verwiesen werden, aus Gründen der Kostenersparnis einen am Gerichtsort ansässigen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen zu beauftragen und andernfalls etwaige Mehrkosten selbst zu tragen.

Es handelt sich vorliegend um einen Rechtsstreit um Ansprüche auf Grund einer Krankenhaustagegeldversicherung. Umstritten war dabei, ob und wie lange der Kläger arbeitsunfähig war, wobei der Arbeitsunfähigkeit nach der Klagebegründung ein depressives Syndrom sowie eine Alkoholabhängigkeit zu Grunde lagen. Diesbezüglich waren bereits vorgerichtlich ein rechtsmedizinisches (Bl. 9 d. A.) sowie ein psychiatrisches Gutachten (Bl. 23 d. A.) eingeholt worden. Die Beklagte hat sich im Wesentlichen damit verteidigt, dass der Kläger nicht mehr arbeitsunfähig sei, sondern inzwischen Berufsunfähigkeit eingetreten sei (Bl. 59 ff d. A.).

Der Rechtsstreit war also sowohl rechtlich als auch tatsächlich kompliziert. Es war eine Abgrenzung zwischen Arbeitsunfähigkeit als vorübergehender Unfähigkeit, den Beruf auszuüben, und Berufsunfähigkeit als entsprechendem dauerhaftem Zustand vorzunehmen. Dabei spielten neben der nicht ganz einfachen rechtlichen Abgrenzung komplizierte medizinische Erwägungen und Zukunftsprognosen eine entscheidende Rolle, die nicht ohne sachverständige Hilfe geklärt werden konnten. Die zugrunde liegende psychische Erkrankung bzw. Alkoholerkrankung betrifft zudem einen sensiblen, höchstpersönlichen Bereich.

Bei einem solchen Sachverhalt aber ist es einer Partei, die überdies an gesundheitlichen Problemen leidet, nicht zuzumuten, einen am Gerichtsort tätigen Anwalt schriftlich oder fernmündlich zu informieren. Vielmehr besteht sowohl wegen der rechtlichen und tatsächlichen Komplexität als auch wegen des höchstpersönlichen Charakters der Angelegenheit ein anerkennenswertes Bedürfnis des Klägers, einen Rechtsanwalt persönlich zu konsultieren, sich von diesem umfassend beraten zu lassen und dessen eventuelle Rückfragen jederzeit ohne große Verzögerungen beantworten zu können.

Daher hätte dem Kläger im Falle der Beiordnung eines Rechtsanwalts im Bezirk des Landgerichts Saarbrücken zusätzlich jedenfalls ein nahe seines Wohnorts ansässiger Verkehrsanwalt beigeordnet werden müssen. Da der Kläger indes einen an seinem Wohnort tätigen Anwalt beauftragt hat, der ihn auch bereits als Anzeiger im Rahmen eines mit seiner Erkrankung in Zusammenhang stehenden Strafverfahrens vertreten hatte (Bl. 7 d. A.) und daher in die Sache eingearbeitet war, sind die Reisekosten dieses Anwalts im Rahmen der Prozesskostenhilfe zu erstatten.

Die Beschränkung auf die Bedingungen eines ortsansässigen Anwalts war daher in dem angefochtenen Beschluss zu streichen.

Eine Kostenentscheidung ist im Hinblick auf § 127 Abs. 4 ZPO nicht veranlasst.

Die Rechtsbeschwerde war nicht zuzulassen, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts nicht erfordert (§ 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1 u. 2 ZPO).

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