Beschluss vom Oberlandesgericht Stuttgart - 2 Ws 225/2003; 2 Ws 225/03

Tenor

Die sofortige und die einfache Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss des Landgerichts R. vom ... werden als unbegründet verworfen.

Der Beschwerdeführer trägt die Kosten seiner Rechtsmittel.

Gründe

 
Der Beschwerdeführer war vom Landgericht S. u.a. wegen Bestimmens eines Minderjährigen zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln zu der Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt worden. Seine Revision hat der Bundesgerichtshof als unbegründet verworfen.
Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Landgericht R. den Antrag des Beschwerdeführers auf Wiederaufnahme des Verfahrens als unzulässig verworfen.
Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Verurteilten bleibt in der Sache ohne Erfolg.
1. Der Wiederaufnahmeantrag ist auf § 359 Nr. 5 StPO gestützt und wendet sich gegen die Verurteilung wegen Bestimmens eines Minderjährigen zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln gem. § 30 a Abs. 2 Nr. 1 BtMG in zwei Fällen (jeweils tateinheitlich mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln).
Dieser Verurteilung hatte die Feststellung des Landgerichts S. zugrunde gelegen, der Beschwerdeführer habe zusammen mit dem Mitangeklagten H. E., dessen Bruder und weiteren Mitangeklagten H. B. E. (den Cousin des Beschwerdeführers) dazu gebracht, ihnen bei zwei von der Strafkammer festgestellten Heroingeschäften im Zeitraum Juli bzw. November 2001 zu helfen, obwohl sie gewusst hätten, dass H. B. E. damals erst 17 Jahre alt war. Die Strafkammer hatte nämlich festgestellt, H. B. E. sei am 2. März 1984 geboren.
Der Antrag auf Wiederaufnahme enthält keine neuen Tatsachen oder Beweismittel, die allein oder in Verbindung mit den früheren Beweisen geeignet wären, die Verurteilung hinsichtlich des Straftatbestands des § 30 a Abs. 2 Nr. 1 BtMG zu Fall zu bringen.
2. Als neue Tatsachen bringt der Beschwerdeführer vor, H. B. E. sei in Wahrheit am 14. Dezember 1979 geboren, türkischer Staatsangehöriger und in der Türkei als „A. B.“ amtlich gemeldet. Diese Tatsachen sind neu im Sinne des § 359 Nr. 5 StPO; wenngleich die Frage des Alters des früheren Mitangeklagten H. B. E. schon die Strafkammer des Landgerichts S. beschäftigt hatte, so ist doch der dezidierte Vortrag eines bestimmten abweichenden Geburtsdatums eine neue Tatsache.
Die angeblichen neuen Tatsachen müssen nach der gesetzlichen Regelung in § 359 Nr. 5 StPO geeignet sein, den Schuldspruch zu erschüttern; sie müssen ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Verurteilung in tatsächlicher Hinsicht zu begründen imstande sein. Nur soweit eine gedankliche Einfügung der als richtig zu unterstellenden Tatsachen in die Urteilsgründe die den Schuldspruch tragenden Feststellungen ernstlich erschüttert, kommt eine Wiederaufnahme in Betracht (vgl. OLG Düsseldorf in NStE Nr. 10 zu § 359 StPO = OLGSt StPO § 359 Nr. 4). Dies ist hinsichtlich des nunmehr behaupteten Geburtsdatums des H. B. E. der Fall. Demgegenüber sind sowohl die behauptete türkische Staatsangehörigkeit als auch der behauptete Umstand, dass der frühere Mitangeklagte unter einem abweichenden Namen in der Türkei gemeldet sei, weder für sich genommen noch als Indiztatsachen in Bezug auf das angebliche abweichende Geburtsdatum von Bedeutung. Hätte ein entsprechender Beweisantrag bereits in der erstinstanzlichen Hauptverhandlung vom erkennenden Gericht abgelehnt werden können, so fehlt es an der Geeignetheit (vgl. bereits OLG Stuttgart, Beschluss vom 13. Mai 1997 - 2 Ws 42/97 -). Vorliegend hätte das erkennende Gericht in der erstinstanzlichen Hauptverhandlung entsprechende Beweisanträge mangels Bedeutung der behaupteten Tatsachen für die Entscheidung abgelehnt. Der vom Beschwerdeführer aus den behaupteten Tatsachen gezogene Schluss auf ein anderes als das vom Landgericht S. festgestellte Geburtsdatum des H. B. E. folgt nämlich nicht zwingend aus der Behauptung, dieser sei Türke - nicht Iraker - und in der Türkei mit anderen Personendaten gemeldet. Die Staatsangehörigkeit steht in keinerlei erkennbarem Bezug zum Geburtsdatum, und die Meldeverhältnisse können die tatsächlichen Gegebenheiten widerspiegeln, müssen dies aber nicht. Gliedert man diese beiden angeblichen Tatsachen in die bisherige Beweiskette ein, bliebe es gleichwohl bei der Feststellung, dass H. B. E. zum Tatzeitpunkt unter achtzehn Jahren alt war. Nicht nur er selbst hatte sich so eingelassen, vielmehr standen seine Einlassungen zu den Personalien im völligen Einklang mit denen seines mitangeklagten Bruders und waren zudem in eine ausführlich geschilderte Familiengeschichte eingebettet. Die bei überwachten Telefonaten verwendeten Namen passen zudem auch nicht zu den angeblichen türkischen Meldedaten.
Eine andere als die vom Mitangeklagten H. B. E. angegebene Identität hat auch der Beschwerdeführer als sein Cousin früher offensichtlich nie behauptet.
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3. Allein die schlichte Behauptung der neuen Tatsache, H. B. E. sei tatsächlich am 14. Dezember 1979 geboren, genügt den Anforderungen an einen zulässigen Wiederaufnahmeantrag nicht. Vielmehr muss die Tatsache „beigebracht“ sein, das heißt, es müssen zum Nachweis der behaupteten Tatsache auch geeignete Beweismittel angeführt werden (vgl. BGHSt 39, 75).
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Im Wiederaufnahmeantrag werden als Beweismittel angeführt:
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Ein türkischer Personalausweis auf den Namen A. B., ein angeblicher Auszug aus dem Familienbuch der Familie des H. B. E. (jedoch auf die Namen H., M. und A. B.), die einzuholende Auskunft des zuständigen Meldeamts in der Türkei, die einzuholende Auskunft der irakischen Botschaft, die einzuholende Auskunft der türkischen Botschaft, sowie das Zeugnis von S. K., M. M., A. Y., G. D., Ö. Ö., H. Z. und des früheren Mitangeklagten H. B. E.
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(Dabei handelt es sich bei den Auskünften ausländischer Behörden dem Wesen nach ebenfalls um Zeugenbeweisantritte.)
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Damit das zur Entscheidung über die Zulässigkeit eines Wiederaufnahmeantrags berufene Gericht in die Lage versetzt wird, die Eignung der vom Antragsteller beigebrachten Beweismittel zur Erreichung des Wiederaufnahmezieles zu prüfen, müssen - sofern die Eignung nicht offensichtlich ist - die dazu notwendigen Umstände dargelegt werden. Daran fehlt es in mehrfacher Hinsicht:
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Auch insoweit hätten entsprechende Beweisantritte bereits in der erstinstanzlichen Hauptverhandlung bezüglich der Mehrzahl der angebotenen Zeugenbeweise, nämlich S. K., M. M., A. Y., G. D., Ö. Ö., H. Z., abgelehnt werden können, weil schon nicht vorgetragen ist, über welche angeblichen Wahrnehmungen die betreffenden Personen Angaben machen sollten. Gegenstand des Zeugenbeweises können aber nur die Wahrnehmungen der betreffenden Person sein. Zur Wirksamkeit eines Antrags auf Erhebung eines Zeugenbeweises ist daher der Vortrag erforderlich, welche angebliche Wahrnehmungen der betreffende Zeuge gemacht habe (vgl. BGHSt 39 251; 43, 321). Welche Beweisbehauptung gewollt ist, wird - wo möglich - durch Auslegung ermittelt. In einfachen Sachverhalten kann es genügen, wenn nicht die konkrete Wahrnehmung eines Zeugen, sondern das angebliche wahrzunehmende Geschehen genannt wird. Bei Sachverhalten, die Folgerungen voraus setzen, die nicht auf der Hand liegen, ist hingegen die Angabe dessen unverzichtbar, was genau der Zeuge wahrgenommen haben soll. Soweit die angeführten Zeugen dafür aufgeboten werden, dass das angebliche tatsächliche Geburtsdatum des H. B. E. der 14. Dezember 1979 sei, fehlt diese Darlegung. Hinsichtlich des genauen Geburtsdatums eines Menschen haben an der Geburt nicht beteiligte Dritte in der Regel nämlich keine unmittelbaren eigenen Erkenntnisse. Sollten die Zeugen ihr Wissen auf Hörensagen stützen, so sind die Quellen mitzuteilen, die Aufschluss über die Verlässlichkeit der Auskünfte geben könnten (KG NJW 1992, 450).
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Darüber hinaus besteht im Wiederaufnahmeverfahren eine erweiterte Darlegungspflicht, wenn Zeugen benannt werden, die im Ursprungsverfahren Angaben gemacht haben, die den im Wiederaufnahmeantrag behaupteten Tatsachen widersprechen (zum Ganzen vgl. BGH NJW 1977, 59; KG Beschluss vom 20. Oktober 1989 - Kart 1/87 -; OLG München NJW 1981, 593; OLG Hamm MDR 1981, 425; außerdem je zu § 359 StPO: KK-Schmidt, StPO, 5. Aufl., Rn 22; Gössel in Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Aufl., Rn 65, 164; Meyer-Goßner, StPO, 46. Aufl., Rn 46, 47). So hat der nunmehr als Zeuge aufgebotene H. B. E. als Mitangeklagter die vom Landgericht S. im angegriffenen Urteil festgestellten Personalien selbst angegeben. Die Zeuginnen A. Y. und G. D. gaben jedenfalls im Ermittlungsverfahren an, zu den Gebrüdern E. keinen näheren Kontakt gehabt zu haben (in der Hauptverhandlung berief die Zeugin A. Y. sich letztlich auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht als Verlobte des Beschwerdeführers). In einem solchen Fall ist dezidiert darzulegen, wieso der benannte Zeuge nunmehr zu anderen Bekundungen kommen sollte. Erscheint die Begründung für einen Wechsel im Aussageverhalten haltlos oder fehlt sie - wie hier - völlig, so ist der Wiederaufnahmeantrag nach § 368 Abs. 1 StPO als unzulässig zu verwerfen.
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Auch die Eignung der beigebrachten Dokumente und einzuholenden Auskünfte zum Beweis des Geburtsdatums des H. B. E. liegt weder auf der Hand, noch auch nur nahe. Der angeblich echte türkische Personalausweis lautet auf einen völlig anderen Namen; ebenso der Auszug aus dem angeblichen Familienbuch. Es ist nicht ersichtlich, woraus zu entnehmen sein soll, dass es sich um dieselbe Person handelt, die unter dem Namen H. B. E. verurteilt wurde. Hierzu wäre ein substantiierter Vortrag notwendig gewesen, nachdem im erstinstanzlichen Verfahren nicht nur der Mitangeklagte H. B. E. selbst Gegenteiliges bekundete, sondern auch sein Bruder H. E. Angaben zu seiner eigenen Person, der des H. und ihrer Familie im Irak machte, die mit den Personalien aus den beigebrachten Papieren schlechterdings nicht in Einklang zu bringen sind. Ohne eine nachvollziehbare Darlegung zur Erklärung dieser Widersprüche ist die Feststellung der Geeignetheit der Beweismittel, allein oder in Verbindung mit den früheren Beweisen die Verurteilung hinsichtlich des Straftatbestands des § 30 a Abs. 2 Nr. 1 BtMG zu Fall zu bringen, nicht zu treffen. Die benannten amtlichen Stellen können, soweit ohne weitere Darlegung ersichtlich, hierzu ebenfalls nichts beitragen.

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