Beschluss vom Oberlandesgericht Stuttgart - 5 Ws 81/05

Tenor

Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Landgerichts Stuttgart vom 13. Juni 2005 wird als unzulässig

v e r w o r f e n.

Der Beschwerdeführer trägt die Kosten seines Rechtsmittels.

Gründe

 
I.
Der Angeklagte wurde am 5. April 2005 vom Amtsgericht E. wegen einer exhibitionistischen Handlung zu einer Geldstrafe verurteilt. Im Ermittlungsverfahren und in der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht war Rechtsanwältin A. als vom Angeklagten gewählte Verteidigerin für diesen tätig. Für den Angeklagten legte sie auch rechtzeitig mit dem Ziel eines Freispruches Berufung ein und begründete das Rechtsmittel schriftsätzlich. Mit Verfügung vom 28. April 2005 bestimmte der Vorsitzende der Berufungsstrafkammer Termin zur Berufungsverhandlung - wie mit der Verteidigerin abgesprochen - auf den 29. Juni 2005. Die Ladung wurde dem Angeklagten am 2. Mai 2005 zugestellt.
Mit Schreiben vom 9. Juni 2005 legitimierte sich Rechtsanwalt S. als neuer Wahlverteidiger (Vollmacht vom 9. Juni) des Angeklagten, der das Mandatsverhältnis zu Rechtsanwältin A. gekündigt habe. Er beantragte Akteneinsicht und zugleich die Verlegung des anberaumten Termins zur Hauptverhandlung, weil er zur selben Zeit bereits einen umfangreichen Termin vor dem Schöffengericht E. wahrzunehmen habe und deshalb verhindert sei.
Mit Beschluss vom 13. Juni 2005 lehnte der Vorsitzende der Strafkammer eine Verlegung der Hauptverhandlung ab, weil bei angespannter Terminslage der Kammer mehrere Zeugen, die sich seit längerem auf den Termin eingerichtet hätten, geladen worden seien und die Urlaubszeit bevorstehe. Der Angeklagte hätte den ihm seit langem bekannten Verhandlungstermin jederzeit bei der Wahl eines neuen Verteidigers berücksichtigen können. Eine so kurzfristige Verlegung sei jedenfalls weder sachgerecht noch möglich.
Hiergegen hat der Angeklagte durch Schriftsatz seines Verteidigers vom 15. Juni 2005 Beschwerde eingelegt. In dieser wird ausgeführt, dass der Angeklagte wegen seiner psychischen Belastung durch das laufende Verfahren auf „rechtlichen“ (anwaltlichen) Beistand angewiesen sei, der derzeitige Verteidiger aber - was ausreichend dargelegt ist - zum anberaumten Termin verhindert sei; zu seiner bisherigen Verteidigerin habe der Angeklagte im Verlauf des Verfahrens das Vertrauen verloren und ihr deshalb gekündigt.
Der Vorsitzende der Strafkammer hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
II.
1. Die Frage, ob die Terminsbestimmung, insbesondere die Ablehnung eines Antrages auf Terminsverlegung mit der Beschwerde angefochten werden kann, ist umstritten (zum Streitstand vgl. Tolksdorf in KK StPO, 5. Aufl., Rn 6 zu §213; Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, 25. Aufl., Rn 16 zu § 213; Neuhaus StraFo 1998, 84 f., jeweils mit zahlreichen Nachweisen zur Rechtsprechung). Teils wird die Beschwerde im Hinblick auf § 305 Satz 1 StPO für generell unstatthaft gehalten (vgl. OLG Hamm, NStZ 1989, 133; OLG Celle, NStZ 1984, 282; OLG Stuttgart, MDR 1980, 954; OLG Karlsruhe StV 1982, 560). Dagegen lässt die inzwischen - soweit ersichtlich - überwiegende Auffassung die Beschwerde nach § 304 Abs. 1 StPO ausnahmsweise dann zu, wenn die Entscheidung des Vorsitzenden auf einer rechtsfehlerhaften Ermessensausübung beruht und den Antragsteller, was in der Regel der Fall sein wird, beschwert (vgl. OLG Frankfurt, StV 1995, 10, 1997, 403 und 2001, 157; OLG München, NStZ 1994, 451; OLG Bamberg, Strafo 1999, 237; OLG Dresden, NJW 2004, 3196; offengelassen in OLG Stuttgart, Die Justiz 2004, 127). Die Überprüfung ist indes auch nach dieser Ansicht auf Rechtsfehler, insbesondere bei der Ermessensausübung beschränkt, sie erstreckt sich nicht auf die Zweckmäßigkeit der Terminsbestimmung des Vorsitzenden.
2. Der Senat schließt sich der zuletzt genannten Auffassung mit der Maßgabe an, dass nur gewichtige und evidente Fehler der Ermessensentscheidung des Vorsitzenden eine Ausnahme von dem grundsätzlichen Ausschluss der Beschwerde durch § 305 Satz 1 StPO rechtfertigen.
Nach dem Grundgedanken des § 305 Satz 1 StPO können solche richterlichen Entscheidungen nicht selbständig angefochten werden, die in einem „inneren“ Zusammengang mit dem späteren Urteil stehen, dieses lediglich vorbereiten und keine eigenständige Verfahrenswirkung haben; eine Anfechtung findet nur im Rahmen des Rechtsmittels gegen das Urteil selbst statt (vgl. OLG Karlsruhe, StV 1982, 560). Diese Vorschrift ist für ein geordnetes und effektives Strafverfahren von hoher Bedeutung. Sie dient der Prozessbeschleunigung und -konzentration. Sie soll sicherstellen, dass eine anstehende oder laufende Hauptverhandlung nicht durch isolierte Rechtsmittel und deren Bescheidung durch das Beschwerdegericht verzögert oder in Frage gestellt wird (OLG Hamm, StraFo 1999, 237).
Dies gilt gerade auch für Terminsverfügungen, sei es als Terminsbestimmung oder Ablehnung einer Terminsverlegung, die der beschleunigten Durchführung des Verfahrens und damit der Vorbereitung des Urteils dienen. Das Gesetz hat in § 213 StPO aus gutem Grund die „Terminshoheit“ dem Vorsitzenden zugewiesen. Dieser vermag am besten die Belastung des Spruchkörpers, die Bedeutung, Eilbedürftigkeit und den erforderlichen Aufwand einer Sache einzuschätzen und im pflichtgemäßen Ermessen mit den Belangen der Verfahrensbeteiligten, besonders dem Recht des Angeklagten auf Beistand durch einen Verteidiger seines Vertrauens, abzuwägen.
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Gegen Terminsverfügungen in größerem Umfang die Beschwerde zu eröffnen, hieße die „Terminshoheit“ des Vorsitzenden entscheidend zu schwächen, ihm ein planvolles Terminieren unmöglich zu machen (so schon OLG Stuttgart, NJW 1976, 1647).
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Zudem ist zu beobachten, dass Terminsverlegungsanträge häufig erst kurz vor dem Termin oder in Bezug auf Fortsetzungstermine gestellt werden. Unterlägen die Antragsablehnungen der Beschwerde, müssten die Akten dem Beschwerdegericht vorgelegt werden, was die Durchführung und den Fortgang der Hauptverhandlung zumindest verzögern, wenn nicht gefährden kann.
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Wegen der dargelegten großen Bedeutung der Regelung in § 305 Satz 1 StPO für ein geordnetes und angemessen beschleunigtes Verfahren muss es beim grundsätzlichen Ausschluss der Beschwerde gegen Terminsverfügungen des Vorsitzenden bleiben. Aus demselben Grund hält es der Senat für geboten, den Bereich, in dem die - wie geschildert - inzwischen vorherrschende Meinung ausnahmsweise die Beschwerde für zulässig erachtet, durch das Erfordernis gewichtiger und evidenter Rechtsfehler zu begrenzen. Könnte die Beschwerde auf jeden weniger gravierenden Mangel etwa hinsichtlich einer Ermessensunterschreitung, der einzelnen Abwägungsvorgänge oder sogar ihrer Darlegung in den Gründen der die Terminsverlegung ablehnenden Entscheidung gestützt werden, würde sich die Ausnahme alsbald in ihr Gegenteil verkehren.
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In den nach Auffassung des Senats wenigen verbleibenden Fällen erscheint die ausnahmsweise Zulässigkeit der Beschwerde sachgerecht. Gravierend und evident rechtsfehlerhaften Terminsentscheidungen des Vorsitzenden zeitnah zu begegnen, statt auf die Anfechtung des nachfolgenden Urteils mit der Folge der Aufhebung und Neuverhandlung der Sache zu verweisen, gebietet bereits die Prozessökonomie. Bei derartig klaren Rechtsverstößen wiegt zudem das Interesse des beschwerten Verfahrensbeteiligten an ihrer alsbaldigen Behebung auf einem auch für ihn - im Vergleich etwa zur Revision mit ihren strengen formalen Anforderungen und den sie erst eröffnenden Anträgen in der Hauptverhandlung - überschaubaren Weg besonders schwer.
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3. Ein Rechtsfehler, der nach Maßgabe der vorstehenden Erwägungen zur Zulässigkeit der Beschwerde führen könnte, ist hier nicht ersichtlich.
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Die recht knappe Begründung der angefochtenen Entscheidung lässt noch ausreichend deutlich erkennen, dass der Vorsitzende innerhalb des ihm zustehenden weiten Ermessensspielraumes neben der Bedeutung der Sache sowohl die Geschäftslage der Kammer als auch die Belange der Beteiligten und Betroffenen, einschließlich der geladenen Zeugen, bedacht und abgewogen hat. Das grundsätzliche Recht des Angeklagten auf Beistand eines Verteidigers seiner Wahl und seines Vertrauens hat der Vorsitzende nicht verkannt.
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Dieses in § 137 Abs. 1 StPO, Art. 6 Abs. 3 lit. c MRK niedergelegte, sich auch bereits aus dem verfassungsmäßig verbürgten Anspruch auf eine faires Verfahren ergebende Recht, enthebt den Angeklagten aber nicht der Pflicht, selbst dafür zu sorgen, dass ihm, soweit er es wünscht, in der Hauptverhandlung ein Verteidiger zur Seite steht (vgl. Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, 25. Aufl. Rn 19 zu § 228 StPO). Es ist - wenn kein Fall der notwendigen Verteidigung vorliegt - allein seine Sache, einen Verteidiger zu wählen, der bereit und in der Lage ist, ihn in der Hauptverhandlung zu vertreten. Die Verhinderung des gewählten Verteidigers für sich allein führt nicht ohne weiteres zu einem Anspruch auf Verlegung der Hauptverhandlung. Dies ergibt sich schon aus der Regelung des § 228 Abs. 2 StPO, nach der die Verhinderung des Wahlverteidigers dem rechtzeitig geladenen Angeklagten kein Recht gibt, die Aussetzung der Verhandlung zu verlangen. Vielmehr wird es bei der Ermessensentscheidung über den Antrag auf Aussetzung oder - wie hier - Terminsverlegung unter Beachtung des Grundsatzes eines fairen Verfahrens auf die Umstände des Einzelfalles ankommen.
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Dabei drängt sich in vorliegender Sache der Umstand auf, dass die derzeitige Situation des Angeklagten hinsichtlich seiner Verteidigungsverhältnisse nicht auf eine Maßnahme des Gerichts, etwa eine zu kurzfristige Terminierung, oder auf für ihn unvorhersehbare Ereignisse, wie etwa Tod, Erkrankung oder unerwartete Mandatsniederlegung der bisherigen Verteidigerin zurückzuführen ist. Auch eine tiefgreifende Erschütterung des Vertrauensverhältnisses zu der in die Sache eingearbeiteten, für den Angeklagten im bisherigen Verfahren tätigen Wahlverteidigerin ist nicht vorgetragen, geschweige denn durch Tatsachen belegt. Wenn sich nun der Angeklagte - und dies relativ kurzfristig vor dem anberaumten, ihm bekannten Verhandlungstermin - in freier Entscheidung dazu entschließt, einen neuen, bisher mit der Sache nicht vertrauten Verteidiger zu wählen, dann ist ihm grundsätzlich zuzumuten, sicherzustellen, dass dieser Verteidiger den Termin auch wahrnehmen kann; ebenso wie dieser Verteidiger bei der Übernahme des Mandats die offenliegende Terminskollision zu bedenken haben wird. Wenn in einer solchen Situation der Vorsitzende des Gerichts den Belangen der ordnungsgemäßen, zügigen Erledigung des Verfahrens wie auch der Gesamtbelastung der Strafkammer den Vorrang gibt, ist dies rechtlich nicht zu beanstanden.
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Da auch kein anderer Rechtsfehler im Sinne der obigen Ausführungen des Senats (II. 2.) vorliegt, ist die Beschwerde unzulässig.

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