Beschluss vom Oberlandesgericht Stuttgart - 4 HEs 59/2005; 4 HEs 59/05

Tenor

Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.

Die weitere Haftprüfung wird bis zum 13. Oktober 2005 dem nach den allgemeinen Vorschriften zuständigen Gericht übertragen.

Gründe

 
Der Beschuldigte befindet sich seit dem 11. Januar 2005 aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Heilbronn vom 21. Dezember 2004, der zwischenzeitlich durch den dem Verfahrensstand angepassten, erweiterten Haftbefehl des Amtsgerichts Stuttgart vom 24. Juni 2005 ersetzt wurde, in Untersuchungshaft.
Die gemäß §§ 121, 122 Abs. 1 StPO vorzunehmende Haftprüfung ergibt, dass die Untersuchungshaft auch über sechs Monate hinaus fortzudauern hat.
1. Der erweiterte Haftbefehl kann - im Umfang der Erweiterung - bei der vorliegenden Haftprüfung keine Berücksichtigung finden. Es fehlt an einer ordnungsgemäßen Verkündung gemäß § 115 StPO, da die Eröffnung eines Haftbefehls durch einen ersuchten Richter, hier des Amtsgerichts Schwäbisch Hall, nicht zulässig ist.
In Rechtsprechung und Literatur besteht Einigkeit, dass auf den erweiterten Haftbefehl § 115 StPO entsprechende Anwendung findet, da es sich in der Sache ... - im Umfang der Erweiterung - um einen neuen Haftbefehl handelt (vgl. OLG Hamm StV 1998, 273; KK-Boujong, StPO, 5. Aufl., § 115 Rdnr. 15; KMR, StPO, § 115 Rdnr. 12; Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl., §§ 114 Rdnr. 18 und 115 Rdnr. 12 jeweils m.w.N.). Zu diesem neuen Haftbefehl muss sich der Beschuldigte gegenüber dem für die Vernehmung nach § 115 StPO zuständigen Richter äußern können (vgl. BVerfG NStZ 2002, S. 158). Von dem Fall der Vernehmung durch einen beauftragten Richter abgesehen, ist es unzulässig, dass der zuständige Richter die Vernehmung nicht selbst vornimmt, sondern im Weg der Rechtshilfe den Richter des nächsten Amtsgerichts oder sonst ein Amtsgericht darum ersucht; das ergibt sich aus der gesetzlichen Regelung, mit der die zwei Richter, der zuständige und der des nächsten Amtsgerichts, für ausschließlich zuständig erklärt werden. Das in § 115 a Abs. 3 Satz 1 StPO dem Beschuldigten eingeräumte Recht zu verlangen, dass er dem zuständigen Richter vorgeführt werde, wäre wertlos, wenn der zuständige Richter seine Vernehmungsaufgabe auf einen anderen Richter übertragen könnte (vgl. LR-Hilger, StPO, 25.Aufl., § 115 Rdnr. 14, OLG Stuttgart, Beschluss vom 7. Juni 2005 - 4 HEs 47/05 -; ein entsprechendes Ersuchen ist daher unzulässig: vgl. Kissel/Mayer, GVG, 4. A., § 158 Rdnr. 10, OLG Frankfurt, NStZ 1988, S. 441; a.A. für den erweiterten Haftbefehl: OLG Karlsruhe, Justiz 1997, S. 140). Die Eröffnung des Haftbefehls ist nicht nur eine Formalität, bei es es allein um die Mitteilung des Haftbefehls und die Entgegennahme der Beschuldigtenerklärung geht; wegen des schwerwiegenden Eingriffs in die Freiheitsrechte des Inhaftierten muss der zuständige Richter dem Beschuldigten die Möglichkeit zu umfassender Erklärung geben; nur auf diese Weise bekommt das Gebot der mündlichen Anhörung das nötige substanzielle Gewicht (vgl. KMR, a.a.O.). Es handelt sich vorliegend auch nicht etwa um einen Fall des § 115 a StPO (vgl. OLG Hamm StV 1998, S. 273 und 555).
Nach allem fehlt es an einer ordnungsgemäßen Verkündung des erweiterten Haftbefehls, so dass dieser Haftbefehl - im Umfang seiner Erweiterung - der 6-Monats-Haftprüfung nicht zu Grunde gelegt werden darf (vgl. BVerfG NStZ 2002, 157). Die Haftprüfung beschränkt sich daher auf diejenigen Taten, die bereits ausreichend substantiiert in dem ursprünglichen Haftbefehl enthalten waren und die auch in dem erweiterten Haftbefehl enthalten sind (Taten 1, 2 und 4 des Haftbefehls vom 21. Dezember 2004, die den Taten 1, 3 und 4 des erweiterten Haftbefehls entsprechen).
2. Der Beschuldigte, der bislang keine Angaben zur Sache gemacht hat, ist der genannten Taten dringend verdächtig:
Der dringende Tatverdacht hinsichtlich Ziffer 1 (Darlehen über insgesamt 3,35 Mio. DM) ergibt sich insbesondere aus den sichergestellten Kreditunterlagen nebst den von dem Beschuldigten eingereichten Anlagen (Lebenslauf, Selbstauskunft, Gehaltsbestätigung, Empfangsbestätigung der Eheleute), den Angaben der Zeugen und, Mitarbeiter der Kreissparkasse, sowie den Angaben der Zeugen zum fehlenden Eigenkapital.
Der dringende Verdacht, dass der Beschuldigte von Anfang an vorhatte, die gekaufte Firma (und dadurch auch die Sicherheiten) durch zahlreiche Entnahmen - beginnend unmittelbar nach Übernahme - „auszuhöhlen“, ergibt sich insbesondere aus den Angaben der Zeuginnen und, Buchhalterinnen der Firma, dem Bericht des Insolvenzverwalters, Rechtsanwalt, und dem vorläufigen Gutachten des Sachverständigen vom 22. Juni 2005. Zudem hat der Beschuldigte in den letzten Jahren bereits mehrere Firmen auch durch hohe Entnahmen in die Insolvenz geführt (vgl. Akten des Amtsgerichts - Schöffengericht - Sigmaringen, BeiO Bd.1).
Von den Sicherheiten war daher einzig die Bürgschaft der werthaltig. Ob zu erwartende Einwendungen die Realisierbarkeit zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses erschwert haben, ist noch zu klären. In Betracht kommt insoweit auch ein (tateinheitlicher) Betrug zum Nachteil der, deren Vertreter bereits ab April 2001 in die Verhandlungen einbezogen waren, da auch eine Bankbürgschaft eine Kreditgewährung ist (vgl. Müller-Gugenberger/Bieneck-Nack, Wirtschaftsstrafrecht, 3.A., § 50 Rdnr. 84).
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Der dringende Tatverdacht hinsichtlich Ziffer 2 / Ziffer 3 (Darlehen über insgesamt 1 Mio. EUR) beruht insbesondere auf den manipulierten Kontennachweisen, die der Beschuldigte der Kreissparkasse - zur Weiterleitung an die - per Telefax vom 22. Januar 2003 übermittelte, in denen seine Entnahmen viel zu gering angegeben waren; die Manipulationen ergeben sich aus verschiedenen, den gleichen Zeitraum betreffenden, gleichwohl inhaltlich unterschiedlichen sichergestellten Saldenlisten, ausgewertet im vorläufigen Gutachten des Dipl.Kfm. Kurz, sowie den Angaben des Zeugen Aufgrund dieser buchhalterischen Manipulationen ist auch das Gutachten der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft vom 06. Februar 2003 zur Ergebnissituation, das von dem Gesamtvorstand vor Bewilligung der Kredite gefordert wurde, nicht geeignet, den dringenden Tatverdacht zu entkräften, zumal dieses von unrichtigen Anknüpfungstatsachen ausging. Hinsichtlich der Sicherheiten gilt das vorstehend a. Ausgeführte entsprechend.
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Der dringende Tatverdacht hinsichtlich Ziffer 4 (Vereinbarung über sale-and-lease-back) ergibt sich aus dem Ergebnis der Ermittlungen bei der angeblichen Lieferfirma des Leasing-Gegenstandes, der Firma GmbH, den Angaben des Zeugen sowie dem Ergebnis der Bankanfragen hinsichtlich der von dem Beschuldigten an die Leasinggeberin, die Leasinggesellschaft der, vorgelegten Schecks.
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In rechtlicher Hinsicht handelt es sich um drei Vergehen des Betruges in einem besonders schweren Fall gemäß §§ 263 Abs. 1, Abs. 3 S.1 und S. 2 Nr. 1 Alt. 1 und Nr. 2 Alt. 1, 53 StGB. Der vorgelagerte Kreditbetrug gemäß § 265 b StGB tritt hinter § 263 StGB zurück (vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 52.A., § 265 b Rdnr. 3 m.w.N.).
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3. Es besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr.2 StPO).
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Der Beschuldigte hat angesichts seines Vorlebens, der hohen kriminellen Energie, der Höhe der verursachten Schäden und des bestehenden dringenden Tatverdachts auch hinsichtlich weiterer im Haftbefehl vom 24. Juni 2005 aufgeführter Taten mit einer Verurteilung zu mehrjährigen Gesamtfreiheitsstrafen zu rechnen. Die Straferwartung erhöht sich, weil die 110 Einzelstrafen aus dem (teilweise) gesamtstrafenfähigen Urteil des Amtsgerichts - Schöffengericht - Sigmaringen vom 16. Mai 2002 einzubeziehen sind bzw. hinsichtlich der danach begangenen einschlägigen Taten die Bewährung aus diesem Urteil gebrochen wurde. Zudem ist die wirtschaftliche Existenz des Beschuldigten im Inland vernichtet. Aus den Straftaten resultieren hohe Verbindlichkeiten, allein die Kreissparkasse beziffert ihre Gesamtforderung auf 3,7 Mio. EUR; die Finanzermittlungen ergaben demgegenüber ein pfändbares Vermögen von 1.860 EUR. Dem dadurch geschaffenen starken Fluchtanreiz stehen keine ausreichend starken familiären und sozialen Bindungen gegenüber; die Ehefrau des Beschuldigten, die die eheliche Wohnung inzwischen aufgegeben hat, ist nicht erwerbstätig. Bei dieser Sachlage steht nicht zu erwarten, dass sich der Beschuldigte im Falle seiner Freilassung dem weiteren Verfahren stellen wird.
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4. Angesichts der Schwere der dem Beschuldigten zur Last gelegten Straftaten sind Anordnung und Vollzug der Untersuchungshaft verhältnismäßig. Mildere Maßnahmen scheiden aus.
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5. Der Umfang des Strafverfahrens ließ ein Urteil bislang nicht zu (§ 121 Abs. 1 StPO).
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Sowohl die Kriminalpolizei als auch die Landespolizeidirektion - nach Übernahme des Verfahrens durch die Schwerpunktstaatsanwaltschaft - haben die Ermittlungen zügig geführt; der Ablaufkalender der Landespolizeidirektion belegt, dass keine zeitlichen Lücken in der Bearbeitung auftraten, dass vielmehr bereits am 07. Februar 2005 die Einbindung eines zweiten polizeilichen Sachbearbeiters erfolgte, um dem Beschleunigungsgebot in Haftsachen Rechnung zu tragen. Die Ermittlungen gestalteten sich überaus umfangreich und schwierig, zumal der Beschuldigte keine Angaben macht, weshalb es erforderlich war, die Zahlungsflüsse zwischen der Co. KG und dem Beschuldigten bzw. weiteren Unternehmen, mit denen er verflochten ist, vom Beginn der Übernahme bis zur Insolvenz im einzelnen - unter Auswertung sämtlicher Bankkonten - zu rekonstruieren und mittels Sachverständigengutachten rechtlich zu bewerten. Zudem war die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens zur Frage des Zeitpunkts der Überschuldung der Firma erforderlich. Aufwendig gestaltete sich schließlich auch die Rekonstruktion von Geschäftsunterlagen, die der Beschuldigte planmäßig aus der Firma entfernt hatte; hierfür waren zahlreiche Durchsuchungen bei Dritten erforderlich.
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Die Ermittlungen stehen unmittelbar vor dem Abschluss. Die Staatsanwaltschaft beabsichtigt, noch diesen Monat Anklage zu erheben.

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