Urteil vom Oberlandesgericht Stuttgart - 19 U 5/06

Tenor

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Einzelrichters der 18. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart vom 07.12.2005 - Az.: 18 O 346/05 - wie folgt

a b g e ä n d e r t :

Der Beklagte wird verurteilt, wegen der vollstreckbaren Forderung der Klägerin in Höhe von verbleibenden 59.163,69 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 06.06.2005 sowie ausgerechneter Zinsen in Höhe von 170,63 EUR für den Zeitraum vom 01.10.2001 bis 05.06.2005 gemäß Vergleich vor dem Oberlandesgericht Stuttgart vom 07.05.2003 (Az.: OLG Stuttgart 9 U 16/03 - LG Stuttgart 9 O 585/01) die Zwangsvollstreckung in die Grundstücke, eingetragen im Grundbuch des AG L.,

a) Gemarkung W., Heft 1075, Abt. I Nr. 1 und 2, 150/1000 Miteigentumsanteil an dem Grundstück/Flurstück 989/3, R. Str. 5, Gebäude und Freifläche, verbunden mit dem Sondereigentum an der Wohnung im Dachgeschoss, Aufteilungsplan Nr. 4, Flurstück 989/12 R. Straße, Gebäude und Freifläche 15 m²,

b) Gemarkung W., Heft 262, Abt. I Nr. 1, Flurstück 1194, H..., Grünland 1412 m²,

zu dulden.

II. Die Berufung des Beklagten wird zurückgewiesen.

III. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Dem Beklagten wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung des vollstreckbaren Betrages zuzüglich eines Aufschlages von 10 % abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrages zuzüglich eines Aufschlages von 10 % leistet.

V. Die Revision wird nicht zugelassen.

VI. Streitwert der Berufung: bis 59.400,00 EUR

Gründe

 
I.
Die Klägerin begehrt vom Beklagten wegen einer vollstreckbaren Restforderung in Höhe von 59.163,69 EUR die Duldung der Zwangsvollstreckung nach dem Anfechtungsgesetz in die im Tenor bezeichneten Grundstücke in L.- W..
Auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils wird Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).
Das Landgericht verurteilte den Beklagten zur Duldung der Zwangsvollstreckung aus dem Gesichtspunkt der Schenkungsanfechtung (§ 4 Abs. 1 AnfG) bis zu einem Höchstbetrag in Höhe von 34.000,00 EUR.
Eine Vorsatzanfechtung (§ 3 Abs. 1 AnfG) verneinte die erste Instanz, da der maßgebliche Zeitpunkt für das Vorliegen der Anfechtungsvoraussetzungen der Tag des notariellen Kaufvertrages zwischen dem Zeugen K. und dem Beklagten, mithin der 22.01.2003 sei und eine Kenntnis des Beklagten von einem etwaigen Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Zeugen K. bis zu diesem Tag nicht nachgewiesen sei.
Hiergegen wenden sich sowohl die Klägerin als auch die Beklagtenseite mit ihren Rechtsmitteln.
Die Klägerin verfolgt ihr erstinstanzliches Klagebegehren weiter.
Zum maßgeblichen Zeitpunkt, dem Tag der Auflassung (25.02.2003), hätten die Anfechtungsvoraussetzungen vorgelegen.
Die Klägerin beantragt,
wie erkannt.
10 
Der Beklagte hält das landgerichtliche Urteil für richtig, soweit es die Möglichkeit einer Absichtsanfechtung verneint.
11 
Mit seinem Rechtsmittel wendet er sich gegen das Durchgreifen der Schenkungsanfechtung und begehrt Klagabweisung.
12 
Der Beklagte beantragt unter Zurückweisung der Berufung der Klägerin,
13 
unter Abänderung des am 07.12.2005 verkündeten Urteils des Landgerichts Stuttgart die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
14 
Die Klägerin beantragt die Zurückweisung der Berufung des Beklagten.
15 
Wegen des weiteren Berufungsvorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
16 
Der Senat hat erneut die Zeugen K. und Sch. vernommen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 05.10.2006 verwiesen.
II.
17 
Die Rechtsmittel sind zulässig. Die Berufung der Klägerin hat Erfolg. Die Berufung des Beklagten ist unbegründet.
18 
1. Der Beklagte ist verpflichtet, die Zwangsvollstreckung in die im Tenor genannten Grundstücke wegen der vollstreckbaren Forderung der Klägerin gegen den Zeugen K. in Höhe von 59.163,69 EUR nebst den tenorierten Zinsen zu dulden.
19 
Die Klägerin kann das Grundstücksübertragungsgeschäft zwischen dem Zeugen K. und dem Beklagten gemäß § 3 Abs. 1 AnfG anfechten. Nach § 3 Abs. 1 S. 1 AnfG ist eine Rechtshandlung anfechtbar, die der Schuldner in den letzten 10 Jahren vor der Anfechtung mit dem Vorsatz, seine Gläubiger zu benachteiligen, vorgenommen hat, wenn der andere Teil zur Zeit der Handlung den Vorsatz des Schuldners kannte.
20 
Aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme ist der Senat der Überzeugung, dass der Zeuge K. in Gläubigerbenachteiligungsabsicht gehandelt hat und der Beklagte zum maßgeblichen Zeitpunkt Kenntnis hiervon hatte.
21 
Maßgeblicher Zeitpunkt für den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners und die entsprechende Kenntnis des Beklagten hiervon ist nicht der Tag der Vertragsunterzeichnung, sondern grundsätzlich der Eintritt der rechtlichen Wirkungen der Rechtshandlung, § 8 Abs. 1 AnfG, da die Gläubigeranfechtung die Wiedererschließung der vollstreckungsrechtlichen Zugriffslage bezweckt (Huber, Anfechtungsgesetz, 9. Aufl., § 1 Rn. 12, § 8 Rn. 7 m.w.N.).
22 
Nach § 8 Abs. 2 S. 2 AnfG wird dieser Zeitpunkt auf den Antrag auf Eintragung einer Vormerkung zur Sicherung des Anspruchs auf die Rechtsänderung vorverlagert, wenn die übrigen Voraussetzungen für das Wirksamwerden erfüllt sind und die Willenserklärung des Schuldners für ihn bindend geworden ist.
23 
Die Willenserklärung des Zeugen K. ist erst mit der Auflassung am 25.02.2003 für ihn bindend geworden, § 873 Abs. 2 BGB (vgl. auch Brandenburgisches Oberlandesgericht ZfIR 2003, 220). Damit ist die Rechtshandlung des Zeugen K. jedenfalls nicht vor dem 25.02.2003 nach dem Anfechtungsgesetz als vorgenommen anzusehen (vgl. auch Nerlich/Niehus, Anfechtungsgesetz 2000, § 8 Rz. 9).
24 
2. Der Zeuge K. handelte in Gläubigerbenachteiligungsabsicht.
25 
Hierfür genügt das Bewusstsein des Schuldners, seine Handlungsweise könnte sich zum Nachteil einzelner Gläubiger auswirken, wenn er diese Folge mit in Kauf nimmt (Huber a.a.O. § 3 Rz. 21). Vom Vorliegen dieser „inneren Tatsache“ ist der Senat aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme und folgender Beweisanzeichen überzeugt:
26 
a) Der Verkauf des streitgegenständlichen Grundeigentums erfolgte unter Marktwert. Der Verkehrswert beträgt nach den zu Grunde zu legenden Ausführungen der gerichtlichen Sachverständigen O.. 74.000,00 EUR, der Kaufpreis nur 40.000,00 EUR.
27 
Die Erklärung des Zeugen K., man habe sich bezüglich des Kaufpreises an den Wertvorstellungen des Mieters orientiert, der bei einer Bausparkasse mit Darlehen zu tun habe und als potenzieller Käufer in Betracht gekommen sei, ist unglaubwürdig und lebensfremd. Ein Verkäufer sucht in der Regel den tatsächlichen Wert über eine objektive Schätzstelle zu ermitteln. Die Wertfeststellung dem potenziellen Käufer zu überlassen, widerspricht jedem Verkäuferinteresse. Ein Mitarbeiter der Darlehensabteilung einer Bausparkasse verfügt darüber hinaus regelmäßig auch nicht über eine ausgewiesene Kompetenz auf dem Gebiet der Grundstücksschätzung.
28 
Die geringe Glaubhaftigkeit dieser Aussage folgt auch daraus, dass der Zeuge K. nach den Angaben des Beklagten in erster Instanz zunächst einen höheren Preis verlangt hatte.
29 
b) Der notarielle Kaufvertrag kam in großer Eile zu Stande. So wies der beurkundende Notar am Ende von § 1 darauf hin, dass die Beurkundung heute aufgrund einer telefonischen Grundbucherhebung beim zuständigen Grundbuchamt erfolge und trotz Belehrung über die damit verbundenen Gefahren die Vertragsparteien weiterhin auf der sofortigen Vornahme der Beurkundung bestünden. Der Notar wies in § 2 auch ausdrücklich auf die kurze Zahlungsfrist hin.
30 
c) Auffallend ist auch der Zeitpunkt des Vertragsschlusses:
31 
Am 10.12.2002 erwirkte die Klägerin ein Urteil gegen den Zeugen K., in dem dieser zur Zahlung von 161.382,30 EUR nebst Zinsen verurteilt worden war.
32 
Am 22.01.2003 kam der notarielle Kaufvertrag zu Stande.
33 
Der Kaufpreis wurde am 05.02.2003 bezahlt und an die Klägerin erst am 30.05. bzw. 06.06.2003 überwiesen, nachdem auch erst am 07.05.2003 ein Vergleich zustande gekommen war, der die Zahlung von Raten in Höhe von 40.000,00 EUR vorsah.
34 
Ausweislich des Gerichtsvollzieherprotokolls hat der Zeuge K. noch am 06.05.2003 nicht angegeben, Raten gemäß § 806 b ZPO auf die Forderung der Klägerin leisten zu können oder einen Anspruch gegen die Bank auf Auszahlung seines Guthabens in Höhe von 40.000,00 EUR zu besitzen.
35 
Der eilige Verkauf der Immobilien unter Marktwert nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils sowie der Einzug des Kaufpreises ohne dessen anschließende Offenlegung beim Vollstreckungsversuch der Klägerin am 06.05.2003 lässt bei lebensnaher Würdigung nur den Schluss zu, dass der Zeuge K. die Benachteiligung der Gläubiger zumindest als mutmaßliche Folge seiner Rechtshandlung erkannt und gebilligt hat.
36 
3. Spätestens zum 25.02.2003 hatte der Beklagte hiervon auch Kenntnis.
37 
Diese Kenntnis wird gemäß § 3 Abs. 1 S. 2 AnfG vermutet, wenn der andere Teil wusste, dass die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners drohte und dass die Handlung die Gläubiger benachteiligte. Der Schuldner droht zahlungsunfähig zu werden, wenn er voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, die bestehenden Zahlungspflichten im Zeitpunkt der Fälligkeit zu erfüllen (vgl. die Legaldefinition in § 18 Abs. 2 InsO).
38 
a) Die Kenntnis von der drohenden Zahlungsunfähigkeit des Zeugen K. hatte der Beklagte spätestens durch die Zustellung des vorläufigen Zahlungsverbotes und des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses am 11.02. bzw. 14.02.2003 in Verbindung mit seinem Wissen , dass der Zeuge K. dringend Geld benötigte.
39 
b) Spätestens bei der Auflassung am 25.02.2003 war sich der Beklagte auch über die Gläubigerbenachteiligung im Klaren.
40 
Hiervon ist der Senat aufgrund der vor und bei Vornahme der angefochtenen Rechtshandlung zu berücksichtigenden Begleitumstände überzeugt.
41 
Der Beklagte wusste schon bei Kaufvertragsabschluss, dass der Zeuge K. sehr schnell Geld benötigte und dass die Wohnung in Wahrheit mehr wert war (vgl. Protokoll vom 07.09.2005).
42 
In Verbindung mit dem vorläufigen Zahlungsverbot und dem Pfändungs- und Überweisungsbeschluss kannte der Beklagte folglich die Tatsachen, aus denen sich seine Begünstigung vor anderen Gläubigern ergab.
43 
Mit den Aussagen der Zeugen Sch. und K. ist es dem Beklagten nicht gelungen, die Vermutung seiner Kenntnis zu widerlegen. Beide Zeugen bekundeten im Gegenteil übereinstimmend, dass es nach der Zustellung des vorläufigen Zahlungsverbotes am 11.02.2003 eine heftige Aussprache gegeben habe, in deren Verlauf der Zeuge K. seinen Geldbedarf wegen eines Rechtsstreits mit der Klägerin einräumte.
44 
4. Die Zinsverpflichtung ergibt sich aus dem Vergleich vom 07.05.2003 in der Rechtssache 9 U 16/03 und wurde im Klagantrag erster Instanz ersichtlich versehentlich falsch gestellt. Der Miteigentumsanteil folgt aus der schriftlichen Ausarbeitung der Sachverständigen (Bl. 74 d.A.). Sowohl der notarielle Kaufvertrag als auch der Klagantrag und der Tenor erster Instanz enthalten die offensichtlich unrichtige Bezeichnung 15/1000 (falsa demonstratio). Der Beklagte erhob gegen diese Richtigstellung auch keine Einwände.
45 
5. Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
46 
6. Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht gegeben, § 543 Abs. 2 ZPO.

Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen