Urteil vom Oberlandesgericht Stuttgart - 6 U 177/09

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Grund- und Teil-Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 29.09.2009 - 35 O 141/08 KfH - wird zurückgewiesen.

2. Auf die Berufung der Beklagten wird das genannte Urteil teilweise abgeändert:

Neben der Widerklage wird auch die Klage in vollem Umfang abgewiesen.

Die weitergehende Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

3. Von den Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen tragen die Klägerin 91 %, die Beklagte 9 %.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Jede Partei kann eine Vollstreckung der Gegenseite durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die jeweils andere Seite zuvor Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

5. Die Revision wird nicht zugelassen.

Streitwerte:  

Berufung der Klägerin:

319.541,76 EUR

        

Berufung der Beklagten:

556.202,64 EUR

        

Berufungsverfahren insgesamt:  

875.744,40 EUR

Gründe

 
I.
1.
Zu den tatsächlichen Feststellungen und dem aus den jeweiligen Anträgen ersichtlichen Begehren beider Seiten zu Klage und Widerklage wird zunächst auf das angefochtene Grund- und Teil-Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 29.09.2009 verwiesen.
Folgende Daten aus dem Tatbestand des landgerichtlichen Urteils sind richtig zu stellen:
Die auf Seite 3 im zweiten Absatz erwähnte E-Mail K 16 stammt vom 12.09.2006 (nicht 2009); das Gespräch nebst Verhandlungsprotokoll K 9 (Absatz 4 auf Seite 3) fand am 09.07.2008 statt (nicht 2009), so dass es auch auf Seite 4 im vorletzten Absatz heißen muss „Besprechung vom 09.07.2008“. Beide Wertkontrakte vom 11.08.2008 wurden am 14.08.2008 (nicht 11.08.2008) von der Klägerin (nicht von der Beklagten) angenommen (Anlagen K 3 und 4).
Außerdem sind folgende Ergänzungen gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO veranlasst:
Der Klägerin lagen im Zeitpunkt der Vergabeverhandlungen die AfdN-Richtlinien der E... (Anlage B 8) sowie das technische Handbuch für Projektierung und Bauabwicklung der E... (Anlage B 7) vor.
Vor und nach dem Vertragsschluss fanden mehrere Verhandlungstermine zwischen den Parteien statt (27. Mai, 9. Juli, 22. [oder 26.] August, 28. August, 2. September und 9. September 2008). Dabei wurde die Klägerin mehrfach darauf hingewiesen, dass für Arbeiten unter Spannung (AuS) entsprechend qualifiziertes Personal notwendig sei. Sie wurde auch aufgefordert, die notwendigen Qualifikationen nachzuweisen.
Am 1. September 2008 übersandte die Klägerin an die Beklagte Qualifikationsnachweise für fünf Monteure (Anlage B 26). Die Beklagte antwortete am gleichen Tag und wies darauf hin, dass diese Nachweise nicht ausreichend seien (Anlage B 10, drittletzte Seite).
Mit Schreiben vom 5. September 2008 meldet die Klägerin H... S..., C... S... und H... D... zu einem ETZ-AuS-Seminar vom 16. September bis 17. September 2008 an (Anlage K 37).
Am 10. September 2008, um 15:36 Uhr gingen bei der Beklagten Qualifikationsnachweise für die Monteure F... D... und J... K... ein (Anlage B 10, Seite 1 bis 3), wobei die Klägerin zugleich erklärte, dass derzeit noch geprüft werde, ob der Nachweis der Mitarbeiter über AuS gültig sei.
10 
Mit Fax vom 10. September 2008, 16:04 Uhr, kündigte die Beklagte die Rahmenverträge (Anlage K 11). Die Klägerin reagiert mit Schreiben vom 11. September 2008 und kündigte ihrerseits die Wertkontrakte unter Hinweis auf die unwirksame Kündigung der Beklagten (Anlage K 12).
2.
11 
Die Klägerin trägt u.a. vor:
12 
Am 27. Mai 2008 sei über Arbeiten unter Spannung nicht gesprochen worden.
13 
Am 9. Juli 2008 habe sie nicht angegeben, dass sie zwei bis vier eigene Mitarbeiter habe, die die Bewerbungsvoraussetzungen für das Arbeiten unter Spannung erfüllen würden.
14 
Das von der Beklagten vorgetragene Gespräch am 22. August 2008 habe am 26. August 2008 stattgefunden.
15 
Am 28. August 2008 sei der Klägerin keine Frist zur Vorlage der erforderlichen Bescheinigungen gesetzt worden.
16 
Am 1. September 2008 sei die Zedentin nicht auf einem Abrufkontingent unbearbeiteter Aufträge gesessen.
17 
Der von der Beklagten vorgetragene Baustellenvorfall am 8./9. September 2008 habe sich anders abgespielt. Die Baustelle sei ordnungsgemäß abgesichert worden, das defekte Kabel sei abgeschaltet gewesen und die Baggerzahnspuren seien nicht direkt neben dem Kabel vorhanden gewesen. Ein Hinweis an Herrn C... von der Klägerin bezüglich der Abzweigmuffe sei nicht erfolgt.
18 
Am 9. September 2008 sei die Klägerin nur aufgefordert worden, einer Zurückstufung zum B-Lieferanten zuzustimmen.
19 
Die Firma N... GmbH, die in dem anderen Bezirk von der Beklagten beauftragt worden sei, hätte zum Zeitpunkt des Vertragsbeginns noch keine AuS-Nachweise gehabt.
20 
Die Klägerin beantragt im Berufungsverfahren:
21 
1. Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
22 
2. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart - Az. 35 O 141/08 KfH vom 29.09.2009 abgeändert und wie folgt neu gefasst:
23 
Der mit der Klage geltend gemachte Anspruch wird dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt.
3.
24 
Die Beklagte beantragt im Berufungsverfahren:
25 
I. Das Urteil des Landgerichts Stuttgart - 35 O 141/08 KfH - vom 29.09.2009 wird teilweise aufgehoben und wie folgt geändert:
26 
1. Die Klage wird abgewiesen.
27 
2. Auf die Widerklage der Beklagten wird die Klägerin verurteilt, an die Beklagte 76.890 EUR nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.
28 
II. Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.
29 
Die Beklagte trägt u.a. vor:
30 
Schon am 27. Mai 2008 habe Herr C... von der Klägerin erklärt, die Klägerin könne Elektrofachkräfte für Arbeiten unter Spannung stellen.
31 
Bei dem Verhandlungstermin am 9. Juli 2008 habe die Klägerin angegeben, sie habe 2 bis 4 eigene Mitarbeiter, welche die Bewerbungsvoraussetzungen für das Arbeiten unter Spannung erfüllen würden.
32 
Am 22. August 2008 sei die Klägerin aufgefordert worden, die AuS-Zertifikate vorzulegen. Die Klägerin habe sich dazu bereit erklärt und habe bestätigt, dass sie die technischen Handbücher, die Montageanweisungen, die AuS-Pässe und die AfdN-Richtlinien kennen würde und diese ihr auch vorliegen würden.
33 
Am 26. August 2008 habe ein weiteres Gespräch mit der Klägerin stattgefunden, in welchem diese aufgefordert worden sei, die AuS-Zertifizierungen vorzulegen.
34 
Am 28. August 2008 sei die Klägerin aufgefordert worden, bis spätestens 29. August 2008 die notwendigen Unterlagen vorzulegen. Herr W... von der Klägerin habe noch einmal bestätigt, dass der Klägerin die notwendigen AuS-Qualifikationsnachweise vorliegen würden.
35 
Am 1. September 2008 habe ein Abrufkontingent mit mehreren unbearbeiteten Aufträgen vorgelegen (Anlage B 31).
36 
Bei dem Treffen am 2. September 2008 sei die Klägerin ultimativ zur Vorlage der Qualifikationsnachweise innerhalb von 2 Tagen aufgefordert worden. 38 Nachweise hätten gefehlt, kein einziger der von der Klägerin benannten Mitarbeiter habe die erforderlichen AuS-Zertifikate gehabt.
37 
Am 8./9. September 2008 habe es einen Baustellenvorfall gegeben, wobei eine Abzweigmuffe trotz gegenteiliger Anweisung voll ausgegraben worden sei. Aufgrund der vorhandenen Spannung habe Todesgefahr vorgelegen. Die Baustelle sei nicht ordnungsgemäß abgesichert gewesen.
38 
Die Kündigung vom 10. September 2008 sei erfolgt, da erneut die notwendigen Zertifizierungen trotz mehrfacher Abmahnungen nicht vorgelegt worden seien.
39 
Die Firma N... GmbH habe schon seit dem Jahr 2000 Personal, welches für Arbeiten unter Spannung qualifiziert und zertifiziert sei.
4.
40 
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie ergänzend auf die Sitzungsniederschrift des Senats vom 27. Juli 2010 Bezug genommen.
41 
Die Beklagte hat ein ihr darin eingeräumtes Schriftsatzrecht innerhalb der Frist wahrgenommen; die Klägerin hat unter dem 6.9.2010 einen weiteren Schriftsatz vorgelegt.
II.
42 
Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet (nachfolgend zu 1.).
43 
Auf die - ebenfalls zulässige - Berufung der Beklagten ist das landgerichtliche Urteil teilweise abzuändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen. Die weitergehende Berufung der Beklagten (bezüglich der Widerklageabweisung) ist zurückzuweisen (nachfolgend zu 2.).
1.
44 
Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Schadensersatzanspruch, da eine Pflichtverletzung der Beklagten durch die fristlose Kündigung vom 10. September 2008 nicht festzustellen ist. Diese Kündigung war begründet. Die Voraussetzungen einer außerordentlichen Kündigung gemäß §§ 314, 323 Abs. 2 BGB i.V.m. den Wertkontrakten waren gegeben.
45 
Gemäß § 314 Abs. 1 BGB liegt ein wichtiger Grund vor, wenn dem kündigenden Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zur vereinbarten Beendigung nicht zugemutet werden kann. Gemäß § 314 Abs. 2 BGB ist für den Fall, dass der wichtige Grund in der Verletzung einer Pflicht aus dem Vertrag besteht, die Kündigung erst nach erfolglosem Ablauf einer zur Abhilfe bestimmten Frist oder nach erfolgloser Abmahnung zulässig, wobei § 323 Abs. 2 BGB entsprechende Anwendung findet.
a)
46 
Die Klägerin hatte ihre vertraglichen Pflichten schuldhaft dadurch verletzt, dass sie zum Zeitpunkt des Vertragsbeginns am 1. September 2008 kein Personal einsatzbereit hatte, welches für Arbeiten unter Spannung qualifiziert und zertifiziert war.
aa)
47 
Zwischen den Parteien war vereinbart worden, dass die Klägerin Personal einsetzen musste, welches für Arbeiten unter Spannung qualifiziert sein und die entsprechende Zertifizierung haben musste.
48 
Das ergibt sich schon aus den schriftlichen Vereinbarungen.
49 
Schon in der Präqualifizierung hatte die Klägerin erklärt, dass ihr die technischen Regelwerke von E... vorliegen würden und sie in der Lage sei, die dort festgelegten Ausführungs- und Qualifikationsanforderungen zu erfüllen (Anl. K 7, S. 7, 8). In der Anl. 6 (Anl. K 7) führte die Klägerin zwar aus, dass ihr die technischen Regelwerke nicht vorliegen würden. Gleichzeitig erklärte sie jedoch, dass diese ihr allerdings im Rahmen ihrer Tätigkeit bei der G... S... GmbH bekannt seien. Deshalb sei die Klägerin in der Lage, die festgelegten Ausführungs- und Qualitätsanforderungen zu erfüllen. Zwar wird diese Aussage etwas relativiert, da die Klägerin zugleich erklärt hatte, dass sie keine Mitarbeiter mit der Befähigung zur Durchführung von Arbeiten unter Spannung nach DIN VDE 0105 beschäftige (Anl. K 7, S. 12). Da die Klägerin zugleich angegeben hatte, dass sie Subunternehmer einsetzen würde, konnte die Beklagte davon ausgehen, dass bei diesen Subunternehmern die entsprechenden qualifizierten Mitarbeiter vorhanden sein werden.
50 
Auch die vertraglichen Vereinbarungen sehen eine Qualifizierung der Klägerin (bzw. deren Subunternehmer) für Arbeiten unter Spannung nebst Zertifizierungen vor.
51 
In den Wertkontrakten vom 11. August 2008 werden die Allgemeinen Einkaufsbedingungen des E...-Konzerns und die Zusätzlichen Einkaufsbedingungen des E...-Konzerns für Arbeiten in den Netzen/für Hoch- und Tiefbauarbeiten in Bezug genommen. Auch in dem Verhandlungsprotokoll vom 9. Juli 2008 (Anl. K 9) ist festgehalten, dass Vertrags-/Bestellgrundlage das E...-Leistungsbuch für Arbeiten in den Netzen und die Allgemeinen sowie die Zusätzlichen Einkaufsbedingungen des E...-Konzerns gemäß LB203L00 sind. Aus der Ziff. 8.1 der Allgemeinen Einkaufsbedingungen des E...-Konzerns (Anl. K 1, S. 3) ergibt sich, dass der Auftragnehmer sämtliche Lieferungen und Leistungen nach dem Stand der Technik, der insbesondere in den technischen Regelwerken der E..., DIN EN oder DIN VDE niedergelegt ist, den einschlägigen rechtlichen Bestimmungen, Vorschriften und Richtlinien von Behörden, Berufsgenossenschaften und Fachverbänden sowie im Übrigen mit der verkehrsüblichen Sorgfalt erbringt. Auch in dem Leistungsbuch für Arbeiten in den Netzen der E... (Anl. B 3, S. 3 u. 8 sowie Anl. B 4, S. 4) wird bestimmt, dass der Auftragnehmer alle Arbeiten unter Einhaltung der Qualitätsgrundsätze auszuführen hat, die sich insbesondere aus den aktuellen technischen Vorschriften, den gesetzlichen Unfallverhütungsvorschriften, den technischen Regelwerken und Herstellervorgaben sowie der Kundenphilosophie der E... ergeben. Unter L 00.05.03 „Arbeiten unter Spannung“ ist geregelt, dass der Auftragnehmer grundsätzlich vor Beginn der Arbeiten unter Spannung alle erforderlichen Bedingungen (Vorschriften und Vorgaben) erfüllen muss. Der Auftragnehmer hat die Gültigkeit seiner Berechtigung für Arbeiten unter Spannung der E... gegenüber regelmäßig nachzuweisen. Unter L05 wird darauf hingewiesen, dass die Montagearbeiten nur von entsprechend zertifiziertem Fachpersonal ausgeführt werden dürfen.
52 
Auch aus dem technischen Handbuch für Projektierung und Bauabwicklung, den AfdN und dem technischen Handbuch für Arbeiten unter Spannung ergibt sich die Notwendigkeit, dass nur ausgebildetes und zertifiziertes Personal Arbeiten unter Spannung durchführen darf (Anl. B 7 - 9).
53 
Aus § 8 Nr. 2 der BGV A 3 (Berufsgenossenschaftliche Vorschrift für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit) ergibt sich, dass der Unternehmer bei Arbeiten unter Spannung nur Personen beauftragen darf, die für diese Arbeiten an unter Spannung stehenden aktiven Teilen fachlich geeignet sind (Anl. B 15). In der BGR A 3 (Berufsgenossenschaftliche Regeln für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit) werden die notwendigen Qualifizierungen angeführt.
54 
Nach der Ziff. 6.3 der DIN VDE 0105-100 (VDE 0150-100): 2005-06 (Anl. B 18) muss eine Anweisung durch eine verantwortliche Elektrofachkraft (s. DIN VDE 1000-10 [VDE 1000-10]) erfolgen. In Abhängigkeit von der Art der Arbeit dürfen Arbeiten unter Spannung nur von Elektrofachkräften oder elektrotechnisch unterwiesenen Personen ausgeführt werden. Beide Personengruppen müssen über eine entsprechende Spezialausbildung verfügen. Für einige bestimmte Arbeiten ist die Spezialausbildung nicht erforderlich. Nach erfolgreichem Abschluss der Spezialausbildung müssen die Teilnehmer einen Befähigungsnachweis zum Arbeiten unter Spannung erhalten.
55 
Aus den oben angeführten vertraglichen Grundlagen ergibt sich, dass die Klägerin nur solches Personal für Arbeiten unter Strom einsetzen darf, welches geschult ist und ein entsprechendes Zertifikat besitzt. Aus den im Vertrag ausdrücklich in Bezug genommenen Allgemeinen Einkaufsbedingungen des E...-Konzerns und den Zusätzlichen Einkaufsbedingungen des E...-Konzerns für Arbeiten in den Netzen/für Hoch- und Tiefbauarbeiten ergibt sich, dass die technischen Regelwerke der E... DIN EN oder DIN VDE, die einschlägigen rechtlichen Bestimmungen, Vorschriften und Richtlinien von Behörden und Berufsgenossenschaften im Vertrag mit einbezogen wurden. Soweit die Klägerin vorträgt, die berufsgenossenschaftlichen Vorschriften hätten keine Bedeutung, da sie keinen technischen Inhalt hätten, ist diese Annahme unzutreffend. Die BGV A 3 und BGR A 3 verpflichten den Unternehmer, nur fachlich geeignetes Personal einzusetzen. Die notwendigen Qualifizierungen ergeben sich aus den DIN-Vorschriften. Deshalb kommt es nicht darauf an, ob der Klägerin das technische Handbuch für Arbeiten unter Spannung (AuS) Mittel- und Niederspannung (Anlage B 9) vorgelegen hat, was diese bestreitet, da auch aus den sonstigen Unterlagen sich die Verpflichtung der Klägerin eindeutig ergibt. Dabei ist festzustellen, dass die Klägerin selbst vorgetragen hat, dass im Zeitpunkt der Vergabeverhandlungen ihr die AfdN-Richtlinien und das technische Handbuch für Projektierung und Bauabwicklung vorgelegen hätten (Schriftsatz vom 27. April 2009, Bl. 49 d. A.). In der Ziff. 3.5.2 der AfdN wird ausdrücklich auf das technische Handbuch „Arbeiten unter Spannung (AuS) MS u. NS“ Bezug genommen, wobei ein Intranet-Link mitgeteilt wird (Anl. B 8, letzte Seite).
56 
Im Übrigen wäre auch ohne die vorliegende konkrete vertragliche Regelung davon auszugehen, dass die Parteien bei der Gefährlichkeit der Arbeiten unter Spannung nur den Einsatz von qualifiziertem Personal konkludent vereinbart haben.
bb)
57 
Unstreitig ist, dass die Klägerin bei Vertragsschluss weder eigene noch Mitarbeiter eines Subunternehmers hatte, welche die entsprechenden Qualifizierungen besaßen. Sie trägt selbst vor, im ersten Gespräch am 26.[oder 22.] August 2008 sei festgestellt worden, dass die Mitarbeiter des Nachunternehmers der Klägerin nicht ausreichende Zertifikate besessen hätten (Bl. 48 d. A.).
58 
Die fünf Qualifikationsnachweise, welche die Klägerin am 1. September 2008 an die Beklagte versandt hatte, sind nicht ausreichend. Zwar hat die Klägerin vorgetragen, dass die Qualifikationsnachweise für die Mitarbeiter D... und K... ausreichend seien (Bl. 56 d. A., Anl. K 29 u. 30). Die Beklagte hat jedoch unter Vorlage der Anlage B 25 substantiiert dargelegt, welche Nachweise für die Mitarbeiter D... und K... fehlen würden. Dazu hat die Klägerin nicht hinreichend Stellung genommen. Soweit die Klägerin vorträgt, dass eine solche genaue und detaillierte Einteilung der Kabel und der erforderlichen Nachweise, wie sie in der Anl. B 25 ersichtlich ist, der Klägerin bis zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung nicht bekannt gewesen sei, wird dadurch die grundsätzliche Berechtigung dieser Einteilung nicht angegriffen und steht demzufolge fest. Wenn die Klägerin die erforderlichen technischen Unterlagen nicht einsieht und sich damit gewissermaßen „blind“ auf ein hochtechnisches Vertragsverhältnis einlässt, verbleibt es bei einer Pflichtverletzung ihrerseits.
59 
Demnach steht fest, dass die Klägerin am 1.9.2008 keine qualifizierten und zertifizierten Mitarbeiter zur Verfügung hatte, um diese für Arbeiten unter Spannung einzusetzen.
b)
60 
Eine Abmahnung war gemäß §§ 314 Abs. 2, 323 Abs. 2 BGB i.V.m. den vertraglichen Vereinbarungen nicht erforderlich.
61 
Zunächst sprechen schon die vertraglichen Vereinbarungen dafür, dass eine Abmahnung nicht notwendig war. In den Wertkontrakten vom 11. August 2008 wird bei den Gründen für eine außerordentliche Kündigung zwischen den Pflichtverletzungen differenziert: bei Verstößen gegen wesentliche Vertragspflichten, gegen sonstige gesetzliche Vorschriften und bei Nichtausführen von Aufträgen im Jahresbau ohne sachlich rechtfertigende Gründe ist für die Rechtfertigung einer außerordentlichen Kündigung ein wiederholter Verstoß vorgesehen. Beim Einsatz von nicht genehmigten, nicht präqualifizierten Subunternehmern, bei Verlust der Präqualifikation und bei dem Verlust erforderlicher DVGW- oder VDE-Zulassungen ist dagegen eine sofortige außerordentliche Kündigung möglich. Dies zeigt, dass in den vertraglichen Vereinbarungen die Zulassungen und Zertifizierungen eine herausragende Rolle spielen und eine Abmahnung als Voraussetzung für eine außerordentliche Kündigung nicht vorgesehen ist.
62 
Im Lichte dieser vertraglichen Vereinbarungen sind die Voraussetzungen des § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB zu bejahen. Zunächst ist festzustellen, dass eine gravierende Pflichtverletzung der Klägerin vorliegt. Wie oben dargestellt, war die Klägerin verpflichtet, qualifiziertes und zertifiziertes Personal zum 1. September 2008 zur Verfügung zu stellen. Das hat sie schuldhaft nicht getan, da sie zunächst die vertraglichen Vereinbarungen ignoriert oder nicht richtig beachtet hat. Obwohl sie am 26. (oder 22.) August und am 28. August 2008 zur Vorlage von Zertifizierungen aufgefordert wurde, hat sie keine ausreichenden Zertifizierungen bis 10. September 2008 vorgelegt, obwohl Vertragsbeginn der 1. September 2008 gewesen war. Erst mit Schreiben vom 5. September 2008 hatte die Klägerin drei Monteure für ein AuS-Seminar vom 16.9. bis 17.09.2008 angemeldet.
63 
Der Beklagten war nicht zuzumuten, die Klägerin abzumahnen oder ihr eine Frist zur Vorlage der Zertifizierungen zu setzen, da sie die Stromsicherheit zu gewährleisten hatte und der Vertragsbeginn vom 1. September 2008 schon deutlich überschritten war. Die Klägerin hatte diese für die Beklagte unzumutbare Situation schuldhaft verursacht, indem sie seit Beginn der Präqualifikation die technischen Notwendigkeiten ignoriert und den Vertrag mit der Beklagten geschlossen hat, obwohl sie die notwendigen Qualifikationen grob fahrlässig nicht kannte oder trotz Kenntnis sich das notwendige Personal nicht vertraglich sicherte und somit die Vertragsverletzung billigend in Kauf nahm. Wie oben dargelegt, war aus den vertraglichen Vereinbarungen eindeutig ersichtlich, dass nur qualifiziertes und zertifiziertes Personal für Arbeiten unter Spannung eingesetzt werden durfte. Wenn diese vertraglichen Grundlagen, deren Notwendigkeit jedermann einleuchtet, da es sich um gefahrgeneigte Arbeiten handelt, nicht zur Kenntnis genommen werden und die Klägerin die streitgegenständlichen technisch anspruchsvollen Verträge abschließt, handelt sie grob fahrlässig.
64 
Hinzu kommt, dass im Bereich der Arbeiten unter Spannung eine jederzeitige Gefahr der Körperverletzung und des Todes gegeben ist, die für die Beklagte bzw. die Zedentin auch strafrechtliche Implikationen beinhaltet. Ferner hatte sich inzwischen ein Arbeitsstau gebildet, der abgearbeitet werden musste. Zwar hat die Klägerin bestritten, dass die Zedentin am 1. September 2008 auf einem Abrufkontingent unbearbeiteter Aufträge gesessen sei (Bl. 198 d. A.). Die Beklagte hatte jedoch erstinstanzlich durch die Vorlage der Anlage B 31 nachgewiesen, dass tatsächlich ein Abrufkontingent vorgelegen hat. In der Anlage B 31 sind 21 verschiedene Störungsberichte vorgelegt worden, welche zwischen dem 21. Mai 2008 und dem 10. September 2008 festgestellt und zwischen dem 10. September 2008 und dem 29. November 2008 erledigt wurden. Da nicht absehbar war, ob und wann die Klägerin qualifiziertes Personal zur Verfügung stellen konnte, war der Klägerin nicht zuzumuten, weiter abzuwarten.
65 
Soweit die Klägerin erstmalig im Berufungsverfahren in dem Schriftsatz vom 16. Juli 2010 ausführt, die Firma N... GmbH, welche den anderen Bezirk von der Beklagten erhalten hatte, habe zu Vertragsbeginn keine Mitarbeiter einsatzfähig gehabt, welche AuS-Nachweise hätten vorweisen können (Bl. 197, 200 der Akten), ist dieser durch die Beklagte bestrittene Vortrag gemäß § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO nicht zu berücksichtigen. Dieser Vortrag hätte auch erstinstanzlich erfolgen können. Demzufolge kann offen bleiben, ob unter Zugrundelegung dieses Vorbringens der Klägerin die fristlose Kündigung der Beklagten vom 10. September 2008 unwirksam wäre.
c)
66 
Der Tatsachenvortrag der Klägerin in dem (nach Schluss der mündlichen Verhandlung vom 27. Juli 2010 bei Gericht eingegangen, nicht nachgelassenen) Schriftsatz vom 6. September 2010, dass ihr qualifiziertes Personal am 1. September 2008 deshalb zur Verfügung gestanden habe, weil die E...-Tochter T... Gesellschaft für anlagentechnische Dienste und kaufmännische Leistungen GmbH über entsprechendes Personal verfügt oder die Möglichkeit gehabt habe, solche Mitarbeiter einzusetzen, ist gem. §§ 525, 296 a ZPO nicht zu berücksichtigen.
67 
Eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung gem. § 156 ZPO war nicht veranlasst. Offensichtlich hat die Klägerin zum Vertragsbeginn am 1. September 2008 bei der E...-Tochter T... Gesellschaft für anlagetechnische Dienste und kaufmännische Leistungen GmbH nicht angefragt, ob qualifiziertes Personal gegeben war und dieses einsatzbereit gewesen wäre. Auch ist offen, ob dieses Vorbringen der Klägerin zutrifft. Im Falle der Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung und eines Bestreitens seitens der Beklagten wäre dieser Vortrag gem. § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO nicht zu berücksichtigen, da er auch erstinstanzlich hätte erfolgen können.
d)
68 
Auch unter Berücksichtigung der Rechtsausführungen der Klägerin in dem Schriftsatz vom 6. September 2010 zu der Erforderlichkeit einer Abhilfefrist oder einer Abmahnung verbleibt es bei der festgestellten Wirksamkeit der fristlosen Kündigung der Verträge durch die Beklagte [oben a) und b)].
69 
Damit erweist sich die Klage als insgesamt unbegründet. Die Berufung der Klägerin bleibt ohne Erfolg; auf die Berufung der Beklagten hin war das angefochtene Urteil - soweit es Grundurteil ist - dementsprechend abzuändern und die Klage - mangels eines sich noch anschließenden Betragsverfahrens nunmehr durch Endurteil - in vollem Umfang abzuweisen (Prütting/Gehrlein[PG]/Thole, ZPO 1. Aufl. 2010, § 304 Rn 1).
2.
70 
Die weitergehende, auf eine Verurteilung der Klägerin zur Widerklage zielende Berufung der Beklagten hat jedoch keinen Erfolg; die Widerklage ist vom Landgericht - wenn auch nur im Ergebnis zutreffend - als unbegründet abgewiesen worden.
a)
71 
Anders als vom Landgericht angenommen scheitert die Widerklage jedoch nicht daran, dass die Kündigung der Beklagten unberechtigt, die der Klägerin dagegen berechtigt war. Der Senat beurteilt dies genau umgekehrt; dazu wird auf die Ausführungen zur Erfolglosigkeit der Klage (oben II. 1 a) - d)) ausdrücklich Bezug genommen.
b)
72 
Die Widerklage bleibt jedoch erfolglos, weil die Beklagte - auch auf Nachfrage des Senats im Termin vom 27. Juli 2010 nochmals so bestätigt - ausdrücklich nur Schadensersatzansprüche der E... Regional AG (und nicht wenigstens hilfsweise auch eigene Ansprüche) geltend macht, welche von dieser an sie abgetreten wurden. Solche abgetretenen Schadensersatzansprüche stehen der E... Regional AG aber nicht zu, so dass die Widerklageforderung nicht gegeben ist.
73 
Zwischen der E... Regional AG und der Klägerin bestand nämlich kein Vertragsverhältnis, so dass Schadensersatzansprüche aufgrund von Pflichtverletzungen eines derartigen Vertragsverhältnisses ausscheiden. Aus den Wertkontrakten vom 11. August 2008 ergibt sich, dass allein die Beklagte Vertragspartnerin der Klägerin geworden ist, wovon das Landgericht zutreffend ausgegangen ist (Teil I. 1. der Entscheidungsgründe). Die Wertkontrakte tragen den Briefkopf der Beklagten, und auch über der Unterschrift ist die Beklagte angeführt. Aus der Erwähnung der E... Regional AG in den Wertkontrakten ist nicht ersichtlich, dass diese Vertragspartnerin werden sollte.
74 
Die erstmalig in dem Berufungsverfahren vorgelegten Unterlagen (Anl. B 33, Blatt 149-158 der Akten) führen zu keinem anderen Ergebnis. Zwar ist in der Rahmenvertrag-Ausschreibung die E... Regional AG mehrfach erwähnt. Es handelt sich jedoch erneut um den Briefkopf der Beklagten, und die Beklagte ist unter der Unterschrift angeführt. Soweit ausgeführt wird „Rahmenvertrag-Ausschreibung zum E... Leistungsbuch für die E... Regional AG“, ist dies nicht ausreichend eindeutig, um einen Vertragsschluss im Namen der E... Regional AG festzustellen, nachdem aus den Wertkontrakten sich eindeutig ergibt, dass die Beklagte Vertragspartnerin war.
75 
Dass die Beklagte als Einkaufsgesellschaft des E...-Konzerns den Verteilnetz-Betreiber verpflichten wollte, ist unbeachtlich. Gemäß § 164 Abs. 2 BGB kommt der Mangel des Willens, im eigenen Namen zu handeln, nicht in Betracht, wenn der Wille, in fremdem Namen zu handeln, nicht erkennbar hervortritt. Hier hat die Beklagte nicht ausreichend deutlich gemacht, dass sie im Namen der E... Regional AG handeln wollte.
3.
76 
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 1 ZPO.
77 
Die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
4.
78 
Die Revision ist nicht zuzulassen.
79 
Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung (§ 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO), noch ist die Zulassung der Revision zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).

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