Beschluss vom Oberlandesgericht Stuttgart - 10 W 54/10

Tenor

1. Auf die Beschwerde des Klägers wird der Streitwertbeschluss des Landgerichts Stuttgart vom 21.10.2010, Az. 25 O 122/09, abgeändert und der Streitwert festgesetzt auf 7.780,54 EUR.

Im Übrigen wird die Beschwerde des Klägers zurückgewiesen.

2. Die Entscheidung ergeht gemäß § 68 Abs. 3 GKG gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

 
I.
Der Kläger wendet sich gegen die mit Beschluss des Landgerichts Stuttgart vom 21.10.2010 (Bl. 123 d.A.) erfolgte Festsetzung des Streitwerts auf 13.398,80 EUR.
In dem zu Grunde liegenden Verfahren hatte der Kläger restlichen Werklohn aus einem von den Beklagten gekündigten Werkvertrag in Höhe von 7.379,76 EUR für Leistungen an dem Haus der Beklagten geltend gemacht. Die Beklagten trugen in der Klagerwiderung vor, dass mangels Abnahme keine Fälligkeit vorliege und die Klage schon deshalb abzuweisen sei. In der Klagerwiderung wurde zudem der Anspruch der Höhe nach aus mehreren Gründen bestritten: Zum einen sei ein Abzug in Höhe von 1.134,57 EUR brutto wegen Abweichungen zwischen den Angebotspreisen und den in der Schlussrechnung aufgeführten Preisen vorzunehmen, weiter ein vereinbarter Abzug für Bauwasser, Baustrom und Bautoilette in Höhe von 240,70 EUR. Wegen nicht vollständig durchgeführter Arbeiten zu den Positionen 3.9, 4.56, 4.30 und 4.39 der Schlussrechnung sei ein weiterer Abzug von 837,40 EUR brutto gerechtfertigt, wegen nicht durchgeführter Montagearbeiten ein Abzug von 189,15 EUR brutto. Die Beklagten bestritten weiter die in den Positionen 1.28, 1.36, 1.44 und 4.1 der Schlussrechnung aufgeführten Mengen, wobei diese Positionen insgesamt einen geltend gemachten Werklohn von 11.388,44 EUR brutto betreffen. Darüber hinaus machten die Beklagten verschiedene Mängel geltend, deren Beseitigungskosten sie insgesamt mit 6.868,82 EUR angaben, die ebenfalls von der Klagforderung abzuziehen seien. Die Beklagten erklärten, die Abzüge würden in der vorgenannten Reihenfolge (entsprechend der Klagerwiderung) zum Abzug von der Klagforderung gestellt, so dass die Klage auch bei unterstellter Abnahme abzuweisen wäre (vgl. Klagerwiderung vom 31.09.2009, Bl. 46 ff. d.A.). In einem Schriftsatz vom 15.07.2010 erklärten die Beklagten ergänzend, dass sich offensichtlich ergebe, dass die Klagforderung durch die vorgenommenen Aufrechnungen bzw. Gegenforderungen übertroffen werde (Bl. 90 d.A.).
In der mündlichen Verhandlung vom 24.09.2009 erklärten die Beklagten, dass sie die Positionen 1.28, 1.36, 1.44, 4.1 und 4.56 der Schlussrechnung nicht weiter bestreiten (vgl. Protokoll vom 24.09.2009, Bl. 71, 72 d.A.). Streitig blieben mithin die Abzüge für Abweichungen zwischen Angebot und Schlussrechnung in Höhe von 1.134,57 EUR, die Abzüge für Bauwasser und Baustrom in Höhe von 240,70 EUR, die Abzüge wegen nicht durchgeführter Arbeiten zu den Positionen 3.9, 4.30 und 4.39 (insgesamt 197,08 EUR) sowie die geltend gemachten Mängel.
Das Landgericht Stuttgart hat hierzu Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens und ergänzende Anhörung des Sachverständigen (Gutachten vom 06.07.2010, Bl. 87 d.A., und Protokoll vom 07.10.2010, Bl. 104 ff. d.A.).
Mit Urteil vom 21.10.2010 (Bl. 112 d.A.) wies das Landgericht die Klage ab und erklärte, die Werklohnforderung sei nur in Höhe von 6.019,04 EUR begründet. Von dem geltend gemachten Werklohn in Höhe von 7.379,76 EUR seien 1.134,57 EUR wegen Abweichungen der Einheitspreise im Angebot von denen in der Schlussrechnung abzuziehen, weitere 37 EUR wegen fehlenden Leistungen zu Position 4.30 und 4.39 sowie 189,15 EUR wegen nicht vollständig abgeschlossener Montage. Die weiteren von den Beklagten geltend gemachten Abzugspositionen in Höhe von 400,78 EUR seien nicht gerechtfertigt. Die Beklagten hätten aber wirksam gegen diese Restwerklohnforderung wegen eines ihnen mindestens in Höhe der Klagforderung zustehenden Schadensersatzanspruches wegen Mängeln an der Isolierung der Solar-Rohrleitungen aufgerechnet, so dass die Klage insgesamt abzuweisen gewesen sei.
Mit Beschluss vom 21.10.2010 (Bl. 123 d.A.) setzte das Landgericht Stuttgart den Streitwert auf 13.398,80 EUR fest.
Hiergegen wendet sich die Beschwerde des Klägers vom 05.11.2010 (Bl. 124 d.A.). Der Kläger ist der Auffassung, dass der Streitwert nur 7.379,76 EUR betrage. § 45 Abs. 3 GKG sei nicht einschlägig, da nicht erkennbar sei, wann und inwiefern die Beklagten hilfsweise die Aufrechnung erklärt hätten.
Die Beklagten halten die Streitwertfestsetzung in ihrer Stellungnahme zu der Beschwerde für zutreffend, da das Gericht zunächst über die streitige Werklohnforderung in Höhe von 7.379,76 EUR entschieden habe und dann über die im Wege der Aufrechnung geltend gemachte Schadenersatzforderung der Beklagten. Die Aufrechnungserklärung ergebe sich aus den Gerichtsakten, insbesondere dem Schreiben des Beklagtenvertreters vom 15.07.2010.
Mit Beschluss vom 16.11.2010 (Bl. 131 d.A.) hat das Landgericht Stuttgart die Beschwerde ohne Abhilfe dem Oberlandesgericht Stuttgart zur Entscheidung vorgelegt. Der Streitwert setze sich gemäß § 48 Abs. 1 GKG i.V.m. § 3 ZPO aus der geltend gemachten Restwerklohnforderung in Höhe von 7.379,76 EUR sowie weiteren 6.019,04 EUR zusammen, weil in dieser Höhe eine der Rechtskraft fähige Entscheidung über die hilfsweise zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung ergangen sei.
II.
10 
Die Beschwerde ist zulässig und überwiegend begründet.
1.
11 
Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist nach § 68 Abs. 1 Satz 1 GKG statthaft. Die Frist des § 68 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 63 Abs. 3 Satz 2 GKG ist gewahrt.
2.
12 
Die Beschwerde hat in der Sache überwiegend Erfolg. Der Streitwert war auf 7.780,54 EUR festzusetzen.
13 
Nach § 45 Abs. 3 GKG erhöht sich der Streitwert bei einer Hilfsaufrechnung mit einer bestrittenen Gegenforderung um den Wert der Gegenforderung, soweit eine der Rechtskraft fähige Entscheidung über sie ergeht. Voraussetzung für eine Erhöhung des Streitwertes ist also zunächst, dass eine Aufrechnungserklärung vorliegt (hierzu unter a.), es sich um eine bestrittene Hilfsaufrechnung handelt, sowohl die Klagforderung als auch die zur Aufrechnung gestellte Forderung mithin bestritten werden (hierzu unter b.) und über die Gegenforderung eine der Rechtskraft fähige Entscheidung ergeht (hierzu unter c.). Diese Voraussetzungen liegen zwar vor. Eine Korrektur dieses Ergebnisses ist aber bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise geboten (hierzu unter d.).
14 
a. Eine Aufrechnungserklärung der Beklagten liegt vor. Die Erklärung der Beklagten in der Klagerwiderung, die Ansprüche wegen der Mängel werden zum Abzug von der Klagforderung gestellt, ist als Aufrechnungserklärung auszulegen.
15 
Stehen sich in einem Werkvertrag Ansprüche aufrechenbar gegenüber, kann kein Verrechnungsverhältnis angenommen werden, es sind vielmehr die Regelungen der Aufrechnung anwendbar (vgl. BGH Urt. v. 23.06.2005, VII ZR 197/03, NJW 2005, 2771; Kniffka/Jansen/v.Rintelen, ibr-online Kommentar Bauvertragsrecht, Stand 16.07.2010, § 631 RdNr. 622 f.). Fordert der Unternehmer Werklohn und macht der Besteller Mängelansprüche geltend, sind somit grundsätzlich die Regelungen über die Aufrechnung anzuwenden, so dass die Werklohnforderung nur durch Aufrechnung mit einem Schadenersatzanspruch, nicht aber durch Verrechnung hiermit zum Erlöschen gebracht werden kann.
16 
Vor diesem Hintergrund ist die Erklärung der Beklagten als Aufrechnung zu verstehen. Die Beklagten brachten eindeutig zum Ausdruck, dass sie die Klagforderung durch ihre Gegenforderungen zum Erlöschen bringen und nicht nur ein Zurückbehaltungsrecht wegen der Mängel oder eine Minderung geltend machen wollen. Sie zogen die ihnen ihrer Meinung nach zustehenden Forderungen von der Klagforderung ab und hielten die Klage deshalb für unbegründet. Das Ziel der Beklagten kann nur durch Aufrechnung erreicht werden. Auch die Beklagten gehen ausweislich des Schriftsatzes vom 15.07.2010 und der Stellungnahme zu der vorliegenden Beschwerde davon aus, dass sie die Aufrechnung erklärt haben. Zutreffend ist auch das Landgericht Stuttgart in dem Urteil vom 21.10.2010 von einer Aufrechnungserklärung durch die Beklagten ausgegangen.
17 
b. Es handelt sich um eine Hilfsaufrechnung. Abzustellen ist auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung: Nur die in diesem Zeitpunkt noch hilfsweise zur Aufrechnung gestellten Ansprüche können zu einer Streitwerterhöhung führen, da nur insoweit eine der Rechtskraft fähige Entscheidung ergehen kann. Dies gilt auch, wenn der Beklagte zunächst eine Hilfsaufrechnung geltend macht und erst im Laufe des Verfahrens zu einer Hauptaufrechnung übergeht (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 28.11.2001, 12 W 28/01, juris RdNr. 6 ff. m.w.N.; Münchener Kommentar ZPO/Wöstmann, 3. Aufl. 2008, § 5 RdNr. 10; a.A. Zöller/Herget, ZPO, 27. Aufl. 2009, § 3 RdNr. 16 Stichwort Aufrechnung).
18 
Die Beklagten haben bis zuletzt den Werklohnanspruch des Klägers vollumfänglich bestritten, so dass bis zuletzt eine Hilfsaufrechnung vorliegt. Zum einen machten sie die fehlende Abnahme und damit fehlende Fälligkeit geltend, zum anderen bestritten sie die Forderung der Höhe nach, zuletzt noch in Höhe von 1.761,50 EUR. In der mündlichen Verhandlung vom 24.09.2009 stellten sie die Forderung nicht insgesamt unstreitig, sondern hielten nur ihr Bestreiten der Höhe nach hinsichtlich eines Teilbetrags nicht weiter aufrecht.
19 
Der Kläger hat die zur Aufrechnung gestellte Schadensersatzforderung der Beklagten bestritten, da nach seiner Ansicht keine Mängel der Werkleistung vorliegen.
20 
c. Das Landgericht Stuttgart hat über die Schadensersatzforderung bezüglich der mangelhaften Isolierung der Solar-Rohrleitungen in Höhe von 6.019,04 EUR eine der Rechtskraft fähige Entscheidung getroffen. Es hat entschieden, dass den Beklagten mindestens in Höhe der offenen Werklohnforderung von 6.019,04 EUR ein Schadensersatzanspruch wegen mangelhafter Isolierung der Solar-Rohrleitungen zustand, der durch Aufrechnung der Beklagten gegen die Werklohnforderung erloschen ist. Die Entscheidung ist wegen § 322 Abs. 2 ZPO rechtskraftfähig.
21 
d. Die im Gebührenrecht gebotene wirtschaftliche Betrachtungsweise sowie Sinn und Zweck des § 45 Abs. 3 GKG gebieten es allerdings, im vorliegenden Fall teilweise von einer Streitwertaddition abzusehen.
22 
Eine Streitwertaddition hat nicht schon immer dann zu unterbleiben, wenn der Beklagte sich gegen eine Werklohnklage hilfsweise mit Schadensersatzansprüchen wegen Mängeln verteidigt (so auch Kniffka/Jansen/v. Rintelen, ibr-online-Kommentar Bauvertragsrecht, Stand 16.07.2010, § 631 RdNr. 643; anders wohl OLG Hamm Beschl. v. 30.11.2005, 17 W 42/05, NJW-RR 2006, 456; Hartmann, Kostengesetze, 40. Aufl. 2010, § 45 RdNr. 43, allerdings unter Berufung auf vor Aufgabe der Verrechnungstheorie durch den BGH ergangene Rechtsprechung; ebenso Meyer, Gerichtskostengesetz, 10. Aufl. 2008, § 45 RdNR. 28). Ein Absehen von der Streitwertaddition mit dem Argument, dass Forderung und Gegenforderung wirtschaftlich dasselbe Interesse betreffen und es sich bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise um Abzugspositionen handelt, führte dazu, dass die von dem BGH explizit aufgegebene Verrechnungstheorie (vgl. BGH Urt. v. 23.06.2005, VII ZR 197/03, NJW 2005, 2771) für das Gebührenrecht wieder angewandt wird. Werklohnforderung und Schadensersatzanspruch sind aber gerade keine unselbständigen Rechnungspositionen, sondern eigenständige Ansprüche, die sich zur Aufrechnung gegenüber stehen. Über den Schadensersatzanspruch ergeht anders als bei einer Verrechnung eine eigenständige Entscheidung, die auch der Rechtskraft fähig ist. Insofern ist die Entscheidung über eine hilfsweise zur Aufrechnung gestellte Schadensersatzforderung wegen Mängeln nicht vergleichbar mit der inzidenten Entscheidung über Zurückbehaltungsrechte, Minderungsansprüche oder über die wegen Mängeln verweigerte Abnahme, bei der eine Streitwertaddition jeweils unterbleibt.
23 
Von einer Streitwertaddition kann allerdings dann abgesehen werden, wenn ein Gleichlauf von Primärverteidigung und Hilfsaufrechnung vorliegt, so dass wirtschaftlich gesehen die Hilfsaufrechnung und die primäre Verteidigung als einheitliche Verteidigung gegen den Klaganspruch gewertet werden können. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn sich der Beklagte gegen eine Vergütungsforderung in erster Linie mit fehlender Abnahme wegen Mängeln verteidigt und hilfsweise mit dem Mängelanspruch wegen derselben Mängel aufrechnet (so die Konstellation in dem von dem OLG Hamm, a.a.O., entschiedenen Fall) oder in erster Linie Minderung und hilfsweise Schadenersatz wegen derselben Mängel geltend macht (vgl. Kniffka/Jansen/v. Rintelen, a.a.O., § 631 RdNr. 643; Kniffka/Koeble, Kompendium des Baurechts, 3. Aufl. 2008, 5. Teil, RdNr. 80; Kessen, Baurecht 2005, 1691, 1697). Nicht in allen Fällen, in denen der Beklagte hilfsweise gegen eine Werklohnforderung mit Mängelansprüchen aufrechnet, ist aber das Ziel und das Interesse des Beklagten betreffend die primäre Verteidigung zwingend identisch mit dem betreffend die Hilfsaufrechnung. Gleiches gilt für den Prüfungsumfang des Gerichts. Es ist deshalb nicht geboten, grundsätzlich von einer Streitwertaddition abzusehen, wenn der Beklagte hilfsweise Mängelansprüche im Wege der Aufrechnung geltend macht, vielmehr ist im Einzelfall zu prüfen, ob ein Gleichlauf von Primärverteidigung und Hilfsaufrechnung vorliegt, der es rechtfertigt, bei wirtschaftlicher Betrachtung von einer Streitwertaddition abzusehen.
24 
In der vorliegenden Konstellation ist zwischen dem Bestreiten der Forderungshöhe und dem Einwand der fehlenden Fälligkeit mangels Abnahme zu unterscheiden. Soweit die Beklagten die Forderungshöhe bestritten, liegt keine wirtschaftliche Identität mit der Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen wegen Mängeln vor. Insoweit ist deshalb eine Streitwertaddition vorzunehmen, soweit das Landgericht die Einwände für nicht begründet gehalten hat und deshalb über die Hilfsaufrechnung entschieden hat, mithin in Höhe von 400,78 EUR. Hinsichtlich der geltend gemachten fehlenden Abnahme liegt dagegen eine wirtschaftliche Identität zu der hilfsweise zur Aufrechnung gestellten Schadenersatzforderung wegen Mängeln vor, so dass insoweit keine weitere Erhöhung des Streitwerts zu erfolgen hat. Nach dem Vortrag der Beklagten liegen erhebliche Mängel vor, so dass keine Abnahmereife gegeben wäre und die Abnahme letztlich an den Mängeln scheitern würde, die mit der Hilfsaufrechnung im Wege des Schadenersatzes geltend gemacht werden. Insoweit liegt ein Gleichlauf zwischen Primärverteidigung und Hilfsaufrechnung vor. Ob die Berufung auf die fehlende Abnahme im Ergebnis Erfolg haben wird oder nicht ein Abrechnungsverhältnis eingetreten ist, das die Abnahme entbehrlich werden lässt, ist eine Frage der Begründetheit der Klage und nicht im Rahmen der Streitwertbeschwerde zu entscheiden.

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