Urteil vom Oberlandesgericht Stuttgart - 2 U 85/18

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 17. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart vom 27. März 2018 (Az.: 17 O 221/16) wird

zurückgewiesen.

II. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.

III. Dieses Urteil und das in Ziffer I. genannte landgerichtliche Urteil sind vorläufig vollstreckbar.

Der Klägerin wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 120% des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, sofern nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120% des beizutreibenden Betrages leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert für beide Rechtszüge wird festgesetzt auf 250.000,- EUR.

Gründe

 
I.
Die Klägerin verlangt von der Beklagten Unterlassung aus Markenrecht.
Wegen des Sachverhalts wird Bezug genommen auf die Feststellungen im Urteil der 17. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart vom 27. März 2018 (Az.: 17 O 221/16).
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und hierzu ausgeführt:
Es fehle bereits an einer markenmäßigen Verwendung des umstrittenen Zeichens durch die Beklagte. Es gelte ein Erfahrungssatz dahin, dass eine Gattungsbezeichnung vom Verkehr dem allgemeinen Sprachgebrauch entsprechend nur als Sachhinweis zur Unterrichtung des Publikums und nicht als Herstellerangabe verstanden werde (BGH, Urteile vom 20.12.2001 - I ZR 135/99 - FRÜHSTÜCKS-DRINK II; und vom 18. Juni 1998 - I ZR 25/96 - Tour de culture). Die Kammer gehe davon aus, dass der Vertrieb des streitgegenständlichen Produkts nur auf einen russisch sprechenden, kyrillische Schriftzeichen verstehenden Kundenkreis ausgerichtet sei. Die für den Kunden sichtbare Verpackungsvorderseite sei nur in kyrillischer Schrift bedruckt, was für andere Kunden nicht lesbar sei. Auch die Inhaltsstoffe seien nur in kyrillischer Schrift bezeichnet. Wer nicht Russisch spreche, wisse gar nicht, was er kaufe. Daher kaufe er die Ware, von unerheblichen Ausnahmefällen abgesehen, nicht.
Hinzu komme, dass die streitgegenständlichen Tortenböden unstreitig in Filialen der Supermarktkette „M." verkauft würden, die vor allem von russischstämmigen Verbrauchern frequentiert würden (vgl. die Kundenbefragung B 1). Dass diese Supermarktkette auch Werbeanzeigen in deutscher Sprache schalte, stehe diesem Schluss nicht entgegen. Die Anzeige K 10 zeige viele Produkte mit kyrillischer Aufschrift. Dass diese Märkte auch langjährige deutsche Kunden hätten, ändere nichts an der Ausrichtung des Produktes.
Das abgedruckte Zeichen werde nur beschreibend, nämlich als Hinweis auf eine bestimmte Art von Torte, eine Honigtorte, verstanden, nicht als Herkunfthinweis. Bereits aus dem von der Klägerseite als Anlage K 18 vorgelegten Gutachten ergebe sich, dass der streitgegenständliche Begriff im Russischen unter anderem als Bezeichnung für eine Torte verwendet werde. Frau Dr. F. führe dort aus, dass er in einem entsprechenden Kontext als Hinweis auf einen rot-braunen Kuchen verstanden werde. Dass daneben andere Bedeutungen bestünden, ändere daran nichts.
Zudem sei § 23 Nr. 2 MarkenG einschlägig.
Dass es sich um ein fremdsprachiges Zeichen handele, sei unerheblich, da das Verständnis des angesprochenen Verkehrskreises maßgebend sei. Das Produkt sei auf russischsprachige Kunden zugeschnitten.
Ob eine bösgläubige Markenanmeldung vorliege, könne daher dahinstehen.
10 
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin form- und fristgerecht Berufung eingelegt und ihr Rechtsmittel prozessordnungsgemäß begründet.
11 
Sie trägt vor:
12 
Das Produkt sei nicht nur, bzw. nicht im Wesentlichen auf russischsprachige Konsumenten ausgerichtet. Es wende sich auch an deutschsprachige Verbraucher. Es werde nicht ausschließlich in M. verkauft. In M. kauften auch deutschsprachige Verbraucher ein.
13 
Auch nur deutschsprachige Verbraucher kauften in fremdländischen Läden ein. Die Anlage B1 lasse nicht erkennen, wo Kunden befragt worden seien.
14 
Betroffen seien der russischsprachige und der deutschsprachige Verkehrskreis. Für den deutschsprachigen stelle die Bezeichnung aufgrund der konkreten Verwendung auf der Vorderseite in großer Aufmachung eine markenmäßige Benutzung dar. Das Zeichen sei dominierend und hervorstechend. Es werde für den Verbraucher blickfangmäßig als Marke verwendet. Eine Gattungsbezeichnung würde nicht so prominent und allenfalls in üblicher Schrift gesetzt, nicht - wie hier - grafisch aufgemacht. Und auch für den russischsprachigen Verbraucher sei eine markenmäßige Benutzung gegeben.
15 
Das vorliegende Zeichen sei keine Gattungsbezeichnung mit rein beschreibendem Inhalt. Die Klägerin habe Sachverständigengutachten dafür angeboten, dass die umstrittene Bezeichnung vom Verkehrskreis nicht als Hinweis auf einen Kuchen erkannt werde.
16 
Unterlassen worden sei auch mit Anlage K 6 ein entsprechender Nachweis der Übersetzung, die nicht streitig sei. Daraus ergebe sich, dass es sich nicht um eine Torte handele. Dies sei nicht berücksichtigt worden.
17 
Ein mehrschichtiges Gebäck, das eine rot-braune Farbe aufweist und unter Zugabe von Honig hergestellt wird, sei keine klare und deutliche Gattungsbezeichnung. Mehrfach sei darauf hingewiesen worden, dass diesbezüglich der Vortrag der Beklagten widersprüchlich bzw. nicht klar sei. Es sei bestritten, dass das Rezept bis ins 18. Jahrhundert zurückreiche. Die Beklagte verwende unterschiedliche Bezeichnungen und räume ein, dass es mehrere Varianten von dieser angeblichen Honigtorte gebe. Sie trage aber nicht vor, welche bestimmte Honigtorte gemeint sei. Die Inhaltsstoffe seien nicht vorgetragen. Eine reine Ähnlichkeit oder irgendetwas, wozu gedanklich eine Verbindung hergestellt wird, könne nicht gleichgesetzt werden mit einer Gattungsbezeichnung.
18 
Die Anlage K 11 ergebe, dass es sich hier um einen Pilz handele, nämlich den sogenannten Reizker. Es sei Sachverständigengutachten angeboten worden; dem sei das Landgericht nicht nachgekommen. Dies wäre aber erforderlich, um feststellen zu lassen, was tatsächlich unter dem Begriff verstanden werde.
19 
Auch der gesamte Vortrag in Bezug auf die Firma S. sei nicht nachgewiesen bzw. habe sich als falsch herausgestellt.
20 
Die Beklagte habe keinen anderen Hersteller benannt, der die streitgegenständliche Torte mit genau dieser Bezeichnung vertreibe. Die Klägerin rüge, dass hier Sachverständigenbeweis durch das Landgericht „abgestritten“ worden sei. Nehme das Gericht eine Gattungsbezeichnung aus einem fremdsprachigen Verkehrskreis an, so müsse ein Sachverständigengutachten eingeholt werden.
21 
Die Klägerin habe zudem die Anlagen K 15 bis K 17 vorgelegt. Es gebe „einen Gost betreffend der Bezeichnung“, „jedoch mit einem ganz bestimmten Inhalt“. Dieser Inhalt sei aber hier nicht gegeben. (Erläuterung des Senats zu GOST: offizielle Bestätigung, dass die Produkte den nationalen russischen Qualitäts- und Sicherheitsanforderungen entsprechen: Государственный Стандарт; ГОСТ)
22 
K 15 belege, dass das Zeichen in Russland geschützt sei. Es gebe auch nur einen Hersteller dieses Kuchens. Wäre es so, wie die Beklagte meine, müsste es eine Vielzahl geben. K 22 belege einen Schutz der Bezeichnung in Russland für eine Vielzahl von Artikeln.
23 
Unbestrittenermaßen, durch K 20 belegt und durch Umsatzzahlen untermauert, würden entsprechende Artikel eigenständig von der Klägerin in der Ukraine hergestellt.
24 
Der von Frau Dr. F. erläuterte, für das Verständnis notwendige Bezug zu einem bestimmten Kuchen bestehe hier nicht.
25 
Die Klägerin beantragt:
26 
Unter Aufhebung des Urteils des Landgerichts Stuttgart, 17 0 221/16, vom 06.03.2018 wird die Beklagte verurteilt, es im geschäftlichen Verkehr zu unterlassen, im Zusammenhang mit Tortenböden die Bezeichnung „Rыжик“ in der Bundesrepublik Deutschland zu benutzen, insbesondere diese Bezeichnung auf Tortenböden, ihrer Aufmachung oder Verpackung anzubringen, oder unter dieser Bezeichnung Tortenböden anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu diesem Zweck zu besitzen, unter dieser Bezeichnung Tortenböden einzuführen und auszuführen oder als Bezeichnung im Geschäftsverkehr oder in der Werbung Tortenböden zu benutzen, insbesondere wie nachfolgend ersichtlich:
27 
Der Beklagten wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld bis zu 250.000,00 EUR, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten angedroht, wobei die Ordnungshaft an ihrem jeweiligen gesetzlichen Vertreter zu vollziehen ist und insgesamt zwei Jahre nicht übersteigen darf.
28 
Nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist repliziert die Klägerin, ihren Vortrag teils wiederholend:
29 
Die beklagtenseits zitierte Entscheidung des Oberlandesgerichts München sei zu einem ganz anderen Zeichen ergangen und nur deshalb, weil die Klägerin - anders als vorliegend - nicht bereit gewesen sei, ein Sachverständigengutachten einholen zu lassen.
30 
Da die Marke in Russland schutzfähig sei, müsse dies auch in Deutschland gelten.
31 
Die Beklagte beantragt,
32 
die Berufung zurückzuweisen. („Die Berufung wird abgewiesen“.)
33 
Sie verteidigt das angegriffene Urteil unter Hinweis auf OLG München, Urteil vom 15.03.2018 -
34 
6 U 2253/17:
35 
Entscheidend sei nicht, dass auch deutschsprachige Kunden in den M. einkauften, sondern dass das Sortiment dort auf das fremdsprachige Publikum abgestimmt sei. Die angegriffenen Tortenböden würden ausschließlich in der Supermarkt-Kette M. angeboten, deren Kundschaft zu 73% aus russischsprachigen Verbrauchern bestehe (B 1).
36 
Durch eine Vielzahl an Beweismaterialien (B 17) sei nachgewiesen und durch die Vorlage der linguistischen Gutachten von beiden Seiten verfestigt, dass die streitige Bezeichnung für eine Torte stehe. Ein Gerichtsgutachten sei dazu nicht geboten gewesen. Die Verwendung des Begriffs sei daher notwendig gewesen, um auf die Produkteigenschaft hinzuweisen und verschiedene Tortenböden voneinander zu unterscheiden.
37 
Die Anlagen K 22 seien unerheblich, ihre Vorlage verspätet.
38 
Auch der nicht russischsprachige Verbraucher verstehe den angegriffenen Begriff nicht als Marke. Das Produkt zeige mehrere ungefähr gleich große farbige Aufschriften, so dass es für diese Kunden nicht möglich sei, eine konkrete Bezeichnung als Marke zu entziffern. Die streitgegenständliche Bezeichnung stehe nicht allein, sondern als Teil eines Wort-Bild-Zeichens (eines Emblems).
39 
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivortrages in zweiter Instanz wird auf die im Berufungsrechtszug beim Oberlandesgericht Stuttgart eingereichten Schriftsätze und die Sitzungsniederschrift vom 20.12.2018 Bezug genommen. Der Schriftsatz der Klägervertreter vom 08.01.2019 gibt keinen Grund, die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen.
II.
40 
Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet. Die Beklagte vermag mit ihren Angriffen das nicht an von Amts wegen zu beachtenden Verfahrensfehlern leidende landgerichtliche Urteil nicht zu erschüttern. Der Senat, der bereits in früheren Verfahren mit einer vergleichbaren Rechtsproblematik befasst war, in OLG Stuttgart, Urteil vom 22. Februar 2018 - 2 U 124/17, im Sinne der nachfolgend wiedergegebenen Rechtsauslegung entschieden hat und an den dortigen Ausführungen festhält, nimmt auf die Gründe des landgerichtlichen Urteils zustimmend Bezug, um Wiederholungen zu vermeiden. Ergänzend ist auf die Berufungsangriffe auszuführen:
1.
41 
Zurecht und mit zutreffender Begründung hat das Landgericht eine markenmäßige Verwendung des angegriffenen Begriffes „Rыжик“ verneint. Aus dem Vortrag der für eine markenmäßige Verwendung darlegungs- und beweisbelasteten Klägerin ist nichts anderes festzustellen; einer Beweisaufnahme bedarf es nicht.
a)
42 
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union kann der Inhaber einer Marke der Benutzung eines geschützten Zeichens nur widersprechen, wenn diese Benutzung eine der Funktionen der Marke beeinträchtigen kann. Die Hauptfunktion der Marke ist die Gewährleistung der Herkunft der Ware oder Dienstleistung (vgl. EuGH, Urteile vom 17. März 2005 - C-228/03, Slg. 2005, I-2337, GRUR 2005, 509, Tz. 26 - Gillette Company/LA-Laboratories; und vom 08. Juli 2010 - C-558/08, Slg. 2010, I-6959, GRUR 2010, 841, Tz. 29 f. - Portakabin/Primakabin, m.w.N.; BGH, Urteil vom 15. Februar 2018 - I ZR 138/16, GRUR 2018, 924, Tz. 25 - ORTLIEB, m.w.N.). Diese vorliegend einzig in Rede stehende Funktion der Marke ist beeinträchtigt, wenn für den angesprochenen Verkehr nicht oder nur schwer zu erkennen ist, ob die angebotenen Waren oder Dienstleistungen vom Inhaber der Marke oder einem mit ihm wirtschaftlich verbundenen Unternehmen oder vielmehr von einem Dritten stammen (vgl. BGH, Urteil vom 17. Oktober 2018 - I ZR 136/17, bei juris Rz. 20, m.w.N.). Maßgegend ist in erster Linie das Verständnis der angesprochenen Verkehrskreise in der Situation, in der ihnen das Zeichen gegenübertritt. Dabei handelt es sich hier um die mutmaßliche Wahrnehmung eines durchschnittlich informierten, situationsadäquat aufmerksamen, verständigen Durchschnittsverbrauchers der fraglichen Waren oder Dienstleistungen (vgl. EuGH, Urteil vom 12. Februar 2004 - C-218/01, Slg. 2004, I-1737, GRUR 2004, 428, Tz. 50 - Henkel; BGH, Urteil vom 17. Oktober 2018 - I ZR 136/17, bei juris Rz. 21, m.w.N.).
b)
43 
Der angesprochene Verkehr erkennt in der angegriffenen Verwendung des Zeichens „Rыжик“ keinen Herkunfthinweis, sondern den Bezug auf einen traditionellen russischen Kuchen.
aa)
44 
Ein gespaltenes Verkehrsverständnis scheidet zwar innerhalb eines einheitlichen Adressatenkreises aus, kommt aber in Betracht, wenn verschiedene, voneinander klar zu trennende Verkehrskreise angesprochen werden, seien es Fachkreise und Verbraucher (vgl. zur Fachkreiswerbung BGH, Beschluss vom 01. Juni 2011 - I ZB 52/09, GRUR 2012, 64, Rn. 9; BGH, Urteil vom 27. März 2013 - I ZR 100/11, MDR 2013, 735, bei juris Rz. 64, m.w.N. - Amarula/Marulablu) oder Verbraucher verschiedener Sprachkreise. In einem solchen Fall reicht es für die Bejahung eines Verletzungstatbestands aus, wenn Verwechslungsgefahr bei einem der angesprochenen Verkehrskreise besteht (BGH, Urteil vom 01. April 2004 - I ZR 23/02, GRUR 2004, 947, 948 - Gazoz; BGH, Beschluss vom 01. Juni 2011 - I ZB 52/09, GRUR 2012, 64, Rn. 9 - Maalox/Melox-GRY; BGH, Urteil vom 27. März 2013 - I ZR 100/11, bei juris Rz. 64 - Amarula/Marulablu; zu Art. 8 Abs. 1 Buchst. b GMV EuGH, Urteil vom 26. April 2007 - C412/05, Slg. 2007, I3569, GRUR Int. 2007, 718 - TRAVATAN/TRIVASTAN). Jedoch setzt eine Verwechslungsgefahr dann voraus, dass die getäuschte Gruppe im Verhältnis zu allen Angesprochenen von erheblicher zahlenmäßiger Bedeutung ist. Anderenfalls führte die Verkehrskreisaufspaltung zu einem sachlich nicht gerechtfertigten Bruch in der Rechtsanwendung.
bb)
45 
Zurecht hat das Landgericht nur auf den russischsprachigen Kundenkreis abgestellt. Darauf kommt es indes nicht an, weil auch der nicht russischsprachige (deutschsprachige) die umstrittene Bezeichnung nicht als Herkunfthinweis versteht.
(1)
46 
Nur unsubstantiiert und letztlich sogar in sich widersprüchlich behauptet die Klägerin, das angegriffene Produkt sei nicht nur, bzw. nicht im Wesentlichen auf russischsprachige Konsumenten ausgerichtet. Obschon die Feststellungen des Landgerichts (Tatbestand LGU 2) die Möglichkeit anderer Vertriebswege als den über die M. offen lassen, fehlt es an Vortrag der hierzu darlegungsbelasteten Klägerin zu anderen Vertriebswegen und dazu, ob diese sich nicht ebenfalls überwiegend an russischsprachige Kunden richten.
47 
Dass in M. auch deutschsprachige Kunden einkaufen, ist senatsbekannt; dies trägt im Übrigen selbst die Beklagte vor, die den russischsprachigen Kundenanteil dort mit 73% angibt. Die nicht Russischsprachigen sind dort aber eine Minderheit.
48 
Die Kundengruppe, die nur Deutsch spricht, wird jedoch, wie vom Landgericht ausgeführt, durch das Produkt nicht angesprochen, weil dessen Verpackung ausschließlich in russischer Sprache, also in kyrillischer Schrift, bedruckt ist.
(2)
49 
Relevanz des deutschsprachigen Verkehrskreises unterstellt, scheiterte eine Verwechslungsgefahr bei diesem Verbraucherkreis schon daran, dass derjenige, der nicht des kyrillischen Alphabetes und des Russischen mächtig ist, nicht erkennt, dass in der Bezeichnung der Beklagten mit dem Bestandteil „Pыжик“ ein Herkunfthinweis enthalten sein könnte.
(2.1)
50 
Ihm tritt das Produkt regelmäßig im Warenregal eines Ladens entgegen, die angegriffene Bezeichnung also schriftbildlich. Er versteht die Aufschrift nicht.
51 
Auf klangliche Aspekte kommt es in dieser Situation nicht an. Selbst wenn er ausnahmsweise - etwa von Verkaufspersonal - mit dem Wort „Pыжик“ konfrontiert wird, entnimmt er daraus keinen Hinweis auf ein Unternehmen. Denn er kann mit diesem Begriff nichts anfangen und daher aus dem Klang keine Vorstellung über eine Zuordnung des Produktes zu einem Unternehmen bilden; das Wort ist im deutschen Sprachraum auch klanglich, wie der Senat aus eigener Sprachkenntnis beurteilen kann, nicht bekannt. Inwieweit der Klang bei einer Bildmarke überhaupt Bedeutung genießt, kann von daher dahinstehen.
(2.2)
52 
Eine Zuordnung zu einem Unternehmen aufgrund der grafischen Gestaltung
53 
findet nicht statt. Diese gibt ihm keinen Anhalt für die Annahme, dieses Wort bezeichne den Hersteller. Der umstrittene Begriff steht unmittelbar über einem weiteren Wort. Darüber hinaus sind auf derselben Seite der Verpackung höhenbezogen mittig und rechts sowie unten mittig weitere Schriften aufgebracht, die aufgrund ihrer Schriftgröße und ihrer grafischen Gestaltung ebenso als Hinweis auf den Hersteller der Ware erscheinen können; keiner der drei Texte drängt sich dafür auf, so dass auch in Betracht kommt, dass keiner von ihnen auf die Warenherkunft verweist.
cc)
54 
Auch der russischsprachige Verbraucher entnimmt der angegriffenen Bezeichnung keinen Hinweis auf eine Zuordnung des vor ihm liegenden Produktes zur Klägerin, sondern als produktspezifische Verwendungsangabe.
(1)
55 
Das angegriffene Wort ist eine beschreibende Angabe. Es ist unstreitig ein im Russischen vorkommendes Wort, das einerseits einen Pilz bezeichnet („echter Reizker“; vgl. auch Daum/Schenk, Wörterbuch Russisch Deutsch, 16. Aufl., Leipzig, 1985). Weiter steht es unstreitig für das deutsche Wort „Leindotter“. Und mit jenem Wort wird im russischen Kulturraum eine bestimmte Art von Kuchen, eine Honigtorte von rötlicher bis bräunlicher Farbe, bezeichnet. Dies folgt schon aus dem eigenen Vortrag der Klägerin (K 18). Ihr Angriff, das Landgericht habe weder die Inhaltsstoffe eines solchen Kuchens hinreichend genau bestimmt, noch sonst ausgeführt, wodurch er charakterisiert sei, bleibt (wie schon ein vergleichbarer Vortrag im Verfahren 2 U 124/17) ohne Erfolg. Er übergeht die vom Landgericht gegebene, eingehende Beschreibung derartiger Kuchen. Dass seine Ausführungen falsch seien, behauptet die Berufung nicht.
(2)
56 
Einer beschreibenden Angabe oder einer an eine solche angelehnten Angabe kann deshalb ein bestimmender Einfluss auf den Gesamteindruck einer aus mehreren Bestandteilen gebildeten Marke fehlen, weil der Verkehr beschreibende Angaben nach der Lebenserfahrung nicht als betrieblichen Herkunftshinweis, sondern lediglich als Sachhinweis versteht (vgl. BGH, Urteile vom 11. Mai 1995 - I ZR 111/93, GRUR 1995, 808, 810 - P3-plastoclin; und vom 25. März 2004 - I ZR 130/01, bei juris Rz. 19, m.w.N.; BGH, Beschluss vom 08. Juni 2000 - I ZB 12/98, GRUR 2000, 1031, 1032 - Carl Link). Gerade bei Wort-/Bildmarken ist ausgesprochen worden, dass ein Wortbestandteil, dem wegen der absoluten Schutzhindernisse des § 8 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 MarkenG jeglicher Markenschutz zu versagen ist, ohne - hier nicht gegebene - Verkehrsdurchsetzung den Gesamteindruck einer kombinierten Wort-/Bildmarke nicht prägen kann (vgl. BGH, Urteil vom 06. Dezember 2001 - I ZR 136/99, GRUR 2002, 814, 815 - Festspielhaus; GRUR 2003, 1040, 1043 - Kinder). Beschreibenden oder freizuhaltenden Bestandteilen kann jedenfalls für den Schutzumfang einer aus mehreren Bestandteilen gebildeten Marke nicht ein solcher Einfluss zukommen, dass eine Übereinstimmung (lediglich) in den schutzunfähigen Bestandteilen eine Verwechslungsgefahr begründen kann (vgl. BGH, Urteil vom 25. März 2004 - I ZR 130/01, juris Rz. 19, u.H. auf Fezer, Markenrecht, 3. Aufl., § 14 Rn. 210; u.a.).
(3)
57 
Das Landgericht hat das Verkehrsverständnis dieses Verkehrskreises zum beschreibenden Charakter der Bezeichnung verfahrensfehlerfrei festgestellt. Weder das Landgericht war gehalten, ein Sachverständigengutachten einzuholen, noch ist es der Senat. Dies schon deshalb, weil der Vortrag der Klägerin diesbezüglich widersprüchlich war uns ist. Sie hat einerseits selbst das Gutachten (K 18) vorgelegt, auf das sich das Landgericht mit zutreffender Begründung gestützt hat (LGU 7). Daraus ist ersichtlich, dass der angegriffene Begriff vom russischsprachigen Verkehr bei einem Bezug auf Torten bzw. Kuchen als Hinweis auf eine Art derselben verstanden wird.
58 
Andererseits behauptet die Klägerin, der russischsprachige Verkehrskreis verstehe das umstrittene Wort im Kontext der Produktverpackung als Marke.
59 
Das Privatgutachten gilt als qualifizierter Parteivortrag. Trägt die Partei selbst vor, dass unter bestimmten Umständen ein gewisses Verkehrsverständnis entsteht, so ist ihr der Einwand abgeschnitten, das Gericht hätte gleichwohl ein Gerichtsgutachten einholen müssen, um festzustellen, dass der Verkehr genau dieses Verständnis nicht entwickele.
60 
Das Landgericht hat nur die Verkaufssituation, vor der der russischsprachige Verbraucher steht, mit dem von der Klägerin vorgelegten Gutachten zusammengeführt. Dass für den russischsprachigen Teil der Verbraucher ein Verwendungsbezug zu einem Kuchen gegeben ist, liegt auf der Hand. Er ist schon durch die beiden anderen Aufschriften hergestellt, aus denen sich ergibt, dass es sich um ein fladenähnliches Gebäck handelt, das für Torten bzw. Kuchen gedacht ist (Text im unteren Segment der Verpackungsfront). Er folgt aber auch daraus, dass ein Tortenboden typischerweise in einem Kuchen oder einer Torte verarbeitet wird. Der Hinweis auf einen bestimmten Kuchentypus ist für den Verbraucher, der ihn versteht, somit produktbeschreibender Verwendungshinweis und nicht Herkunftkennzeichen. Die Verkaufssituation konnte das Landgericht aus eigener Kenntnis beurteilen. Spezialwissens bedurfte es dazu nicht.
(4)
61 
Auch die anderen zu berücksichtigenden Aspekte führen in der gebotenen Gesamtschau nicht zu einer eine Zuordnung der Ware zur Klägerin über den Bestandteil „Pыжик“.
(4.1)
62 
Darauf ob noch ein anderer Hersteller die Torte unter derselben Bezeichnung anbiete, kommt es nicht entscheidend an. Gerade bei volkstümlichen Produkten, die traditionell zu Hause hergestellt werden, kommt es auf einen Vertrieb von Fertigprodukten auf einem Markt für das Verkehrsverständnis von der üblichen Bezeichnung nicht an; es besteht schon „von Hause aus“. Aber selbst bei üblicherweise industriell oder im Handwerk gefertigten Warengattungen ist eine genau gleiche Bezeichnung nicht erforderlich, um eine gedankliche Zuordnung vom Begriff auf die Gattung zu bewirken. Dass es keine Bezeichnungen am Markt gebe, die den umstrittenen Begriff mit Zusätzen enthält, wie anhand von Beispielen von der Beklagten vorgetragen, behauptet die Klägerin bezeichnenderweise nicht; darauf kommt es aber auch nicht an.
(4.2)
63 
Auf die Markeneintragung in Russland und auf die Marktverhältnisse dort kommt es gleichfalls nicht an. Erst recht geht das Argument fehl, weil ein Markenschutz in Russland bestehe, müsse er auch in Deutschland gewährt werden. Zudem hat die Klägerin hierzu Dokumente in Russisch vorgelegt, die nach § 184 GVG unbeachtlich bleiben müssen (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 25. Oktober 2018 - 2 U 48/18).
64 
Die Feststellung markenmäßiger Verwendung eines Zeichens ist außerdem vorrangig vor der Prüfung einer Verwechslungsgefahr. Auf die Folgen einer Markeneintragung für das Bestehen von Unterscheidungskraft kommt es für die Entscheidung darüber, ob im konkreten Fall eine markenmäßige Verwendung eines Begriffs vorliegt, nicht an.
(4.3)
65 
Nicht überzeugend ist auch der Ansatz der Berufung, eine gattungsmäßige Bezeichnung würde nicht so prominent auf der Verpackung platziert. Es gibt zahlreiche Produkte, bei denen hervorgehoben auf der Verpackung steht, was darin ist. Im Übrigen wird auf die obigen Ausführungen zur Produktgestaltung verwiesen.
66 
Schließlich blendet die Klägerin aus, dass der Herstellername auf dem angegriffenen Produkt direkt unter dem angegriffenen Wort steht, deutlich lesbar, wenngleich kleiner. Die Berufung setzt sich nicht damit auseinander, welche Bedeutung der angesprochene russischsprachige Verbraucher diesem Wort beimisst. Da es sich, anders als bei allen anderen aufgedruckten Wörtern, nicht um ein Wort der russischen Sprache handelt, liegt für ihn die Annahme nahe, dass dies der Name des Herstellers ist.
2.
67 
Unabhängig davon scheitert die Klage auch daran, dass die angegriffene Bezeichnung mit dem Wort „Rыжик“, die darauf abzielt, dem Interessenten aufzuzeigen, für welche Art von Kuchen der angebotene Tortenboden gedacht ist, jenseits der Schutzschranke des § 23 Nr. 2 MarkenG liegt (vgl. BGH, Urteil vom 12. März 2015 - I ZR 147/13, bei juris Rz. 19 ff., m.w.N. - Tuning), selbst wenn man annähme, der Verbraucher sähe in der Verwendung des Wortes „Rыжик“ einen Hinweis auf die Klägerin; sie beschreibt die Bestimmung der angebotenen Ware und dies in nicht als sittenwidrig anzusehender Art und Weise. Diesen Begriff kann die Klägerin nicht für sich „monopolisieren“.
III.
68 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
69 
Den Streitwert schätzt der Senat auf der Grundlage von § 51 GKG i.V. m. §§ 3 ff. ZPO. Der Streitwertansatz des Landgerichts von 50.000,- EUR ist deutlich untersetzt. Die Beklagte hatte bereits erstinstanzlich vorgetragen (s. LGU 4), sie habe von Februar 2006 bis Oktober 2015 insgesamt 963.060 Stück der streitgegenständlichen Tortenböden nach Deutschland geliefert und hier vertrieben, im Durchschnitt grob gerundet knapp 100.000 pro Jahr; nach unwidersprochener Angabe der Beklagtenvertreterin im Verhandlungstermin vor dem Senat beträgt der Einzelpreis rund drei Euro. Daraus wird ein erheblicher Umfang der von der Klägerin behaupteten Markenverletzung deutlich. Zudem wirft die Klägerin der Beklagten vor, Beweismittel gefälscht zu haben, was einen hohen Angriffsfaktor belegte. Der Senat schätzt das für die Streitwertfestsetzung maßgebende wirtschaftliche Interesse der Klägerin an ihrer Klage daher auf 250.000,- EUR. Ein Grund, die Revision zuzulassen (§ 543 Abs. 2 ZPO), besteht nicht.

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