Beschluss vom Hamburgisches Oberverwaltungsgericht (1. Senat) - 1 So 47/15
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers werden der Vergütungsfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 24. April 2015 (10 K 2545/11) sowie der Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 22. Mai 2015 (10 KO 2734/15) über die Erinnerung des Antragstellers aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung über den Vergütungsfestsetzungsantrag des Antragstellers an die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Verwaltungsgerichts zurückverwiesen.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Erinnerungs- und Beschwerdeverfahrens. Gerichtsgebühren werden nicht erhoben. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
I.
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Der Antragsteller begehrt gegenüber seinem früheren Mandanten, dem Antragsgegner, die Festsetzung seiner Vergütung für ein gerichtliches Verfahren, in dem es um die Erteilung einer Erlaubnis zur Ausübung einer Beschäftigung ging. Der hierauf gerichtete Antrag wurde bei der Ausländerbehörde (wohl) am 1. Juni 2011 gestellt, die Klage wurde am 18. Oktober 2011 erhoben. Der Antragsgegner wandte gegen die zur Festsetzung angemeldete Forderung ein, er habe diese bereits durch Zahlung ausgeglichen, und legte hierzu Quittungen über Zahlungen an den Antragsteller in Höhe von insgesamt 850 Euro aus der Zeit zwischen dem 16. August 2006 und dem 27. Dezember 2008 vor. Außerdem seien die im einschlägigen Vorverfahren angefallenen Kosten auch nicht teilweise auf die Verfahrensgebühr für das gerichtliche Verfahren angerechnet worden.
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Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Verwaltungsgerichts lehnte daraufhin mit Beschluss vom 24. April 2015 den Antrag auf Festsetzung der Vergütung gemäß § 11 Abs. 5 Satz 1 RVG ab, da der Antragsgegner Einwendungen erhoben habe, die nicht im Gebührenrecht ihren Grund hätten. Die hiergegen erhobene Erinnerung wies das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 22. Mai 2015 zurück. Der Vergütungsfestsetzungsantrag sei zu Recht abgelehnt worden. Der Antragsgegner habe nicht-gebührenrechtliche Einwendungen erhoben; diese bräuchten nicht näher inhaltlich substantiiert oder gar schlüssig dargelegt zu werden. Der vom Antragsgegner letztlich geltend gemachte Aufrechnungseinwand sei auch nicht haltlos oder völlig aus der Luft gegriffen.
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Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit seiner Beschwerde.
II.
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1. Über die Beschwerde gegen den nach § 165 Satz 2 i.V.m. § 151 VwGO ergangenen Beschluss des Verwaltungsgerichts entscheidet der Senat in der regulären Besetzung mit drei Berufsrichtern (§ 9 Abs. 3 Satz 1, 1. Hs. VwGO i.V.m. § 3 Satz 2 HmbAGVwGO), da eine spezialgesetzliche Regelung, die die Entscheidungszuständigkeit eines Mitglieds des Senats als Einzelrichter begründet, hierfür nicht besteht (OVG Hamburg, Beschl. v. 8.11. 2013, 1 So 131/13; Beschl. v. 13.6.2013, 1 So 59/13; OVG Münster, Beschl. v. 5.6.2013, 19 E 228/12, juris Rn. 3; OVG Bautzen, Beschl. v. 29.12.2011, 1 E 123/10, juris Rn. 1).
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2. Die gemäß § 146 Abs. 1 VwGO statthafte Beschwerde des Antragstellers ist fristgerecht (§ 147 Abs. 1 Satz 1 VwGO) erhoben worden. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 22. Mai 2015, mit dem seine Erinnerung zurückgewiesen wurde, ist ihm am 29. Mai 2015 zugestellt worden. Zwar wurde am 7. Juni 2015 nur die erste Seite des Beschwerdeschriftsatzes per Telefax an das Verwaltungsgericht übermittelt, doch ging der vollständige Beschwerdeschriftsatz samt Anlagen am 10. Juni 2015 und damit innerhalb der Zweiwochenfrist beim Verwaltungsgericht ein. Der Beschwerdewert (§ 146 Abs. 3 VwGO) ist überschritten.
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3. Die somit zulässige Beschwerde ist auch begründet; der Vergütungsfestsetzungsantrag hätte hier nicht nach § 11 Abs. 5 Satz 1 RVG abgelehnt werden dürfen.
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a) Nach § 11 Abs. 5 Satz 1 RVG ist eine durch einen Rechtsanwalt beantragte Kostenfestsetzung abzulehnen, wenn dagegen Einwendungen oder Einreden erhoben werden, die nicht im Gebührenrecht ihren Grund haben. Eine solche Einrede muss inhaltlich grundsätzlich nicht näher substantiiert oder gar schlüssig dargelegt werden.
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Der Einwand des Antragsgegners, er habe die Vergütungsforderung bereits erfüllt, ist im Grundsatz ein nicht-gebührenrechtlicher Einwand; bei unstreitiger (Teil-)Erfüllung wäre der zur Festsetzung angemeldete Anspruch allerdings entsprechend zu kürzen oder ganz zu versagen, wie sich aus § 11 Abs. 1 Satz 2 RVG ergibt.
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Allerdings stehen ungeachtet des Wortlauts von § 11 Abs. 5 Satz 1 RVG Einwendungen oder Einreden, die nicht im Gebührenrecht ihren Grund haben, einer Festsetzung dann nicht entgegen, wenn sie "aus der Luft gegriffen" bzw. "halt- oder substanzlos" oder "offensichtlich unbegründet" sind (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 19.1.2009, 5 So 212/08, NVwZ-RR 2009, 452, juris Rn. 5; OVG Bautzen, Beschl. v. 12.4.2013, 5 C 8/12, AGS 2013, 237, juris Rn. 11 f.; VGH München, Beschl. v. 23.8.2012, 22 C 12.1418, BayVBl. 2013, 639, 640, juris Rn. 20 ff.; OVG Münster, Beschl. v. 6.4.2010, 17 E 145/10, juris Rn. 8, jeweils m.w.N.; Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, RVG, 21. Aufl. 2013, § 11 RVG Rn. 144). Die dem zugrunde liegenden Überlegungen hat der VGH München (Beschl. v. 23.8.2012, a.a.O., Rn. 21) wie folgt zutreffend zusammengefasst:
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"Bei der näheren Konkretisierung der Voraussetzungen, unter denen ein außerhalb des Gebührenrechts liegender Einwand unbeachtlich ist, muss zum einen berücksichtigt werden, dass auch Vergütungsfestsetzungsbeschlüsse nach § 11 RVG umfassend in materielle Rechtskraft erwachsen können. Dies hat zur Folge, dass sowohl gebühren- als auch nichtgebührenrechtliche Einwände, die bereits vor dem nach § 767 Abs. 2 ZPO maßgeblichen Zeitpunkt entstanden sind, wegen der sich aus dieser Vorschrift ergebenden Präklusionswirkung auch mit einer Vollstreckungsabwehrklage nicht mehr geltend gemacht werden können (...). Mit der staatlichen Justizgewährungspflicht vereinbar ist diese Rechtsfolge nur, wenn der potenzielle Schuldner des anwaltlichen Vergütungsanspruchs alle Möglichkeiten besitzt, um sich umfassend gegen seine Inanspruchnahme zu verteidigen (er z.B. seine Sicht der Sach- und Rechtslage in einer mündlichen Verhandlung vortragen und er eine Beweiserhebung über seiner Auffassung nach aufklärungsbedürftige Gesichtspunkte verlangen kann). Das Vergütungsfestsetzungsverfahren bietet – auch unter Berücksichtigung der Möglichkeit, gegen Entscheidungen des Rechtspflegers (vgl. § 21 Nr. 2 RPflG) bzw. Urkundsbeamten (vgl. § 11 Abs. 3 RVG) das Gericht anzurufen – keine vergleichbaren verfahrensrechtlichen Gewährleistungen. Auf der anderen Seite darf der Umstand, dass das Gesetz dem Anspruchsgegner im Festsetzungsverfahren die Rechtsmacht einräumt, durch die bloße Berufung auf nichtgebührenrechtliche Gesichtspunkte das Erwirken eines Titels im vereinfachten Verfahren nach § 11 RVG auszuschließen (…), nicht dazu führen, dass der in § 11 RVG zum Ausdruck gelangende Wille des Gesetzgebers, Rechtsanwälten die Möglichkeit zu eröffnen, wegen ihrer Entgeltforderungen einen vollstreckbaren Titel in einem vereinfachten Verfahren zu erlangen und die Gerichte von Vergütungsklagen zu entlasten (…), in ungerechtfertigter Weise entwertet wird."
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Die Fallgestaltungen, wonach auch nicht-gebührenrechtliche Einwendungen einer Vergütungsfeststellung nicht entgegenstehen, müssen dabei auf solche Ausnahmefälle beschränkt bleiben, in denen zweifelsfrei feststeht, dass die erhobenen Einwendungen offensichtlich unbegründet sind (vgl. Klos in Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, 1. Aufl. 2014 [NK-GK], § 11 RVG Rn. 33 m.w.N.). Ob dies vorliegend schon dann der Fall wäre, wenn der Antragsgegner ohne jegliche Spezifizierung eingewandt hätte, er habe die Forderung bereits erfüllt (vgl. hierzu OLG Hamburg, Beschl. v. 22.11.1994, 2 WF 96/03, JurBüro 1995, 426, in juris nur Leitsatz), kann hier dahinstehen. Immerhin wäre zu berücksichtigen, dass der Antragsgegner auch schon früher vom Antragsteller anwaltlich vertreten wurde, so dass es zumindest fraglich sein könnte, auf welche Gebührenforderungen die Zahlungen geleistet bzw. verrechnet wurden.
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b) Im vorliegenden Fall ist der Erfüllungseinwand des Antragsgegners jedoch wegen offensichtlicher Unbegründetheit unbeachtlich.
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Im zugrunde liegenden Verfahren wurde der Antrag auf Erteilung einer Arbeitserlaubnis laut dem im Klageverfahren 10 K 2545/11 als Anlage zur Klageschrift eingereichten Ablehnungsbescheid (GA Bl. 8) wohl am 1. Juni 2011 bei der Ausländerbehörde gestellt. Im Betreff des Bescheides vom 10. August 2011 wird auf "Ihre Anträge vom 01.06.2011 und 02.08.2011/jeweils Eingangsdatum" Bezug genommen. Auch der Antragsteller hat im Vergütungsfestsetzungsverfahren vorgetragen, er sei für dieses Begehren erst im Mai 2011 mandatiert worden. Wenn es im Tenor des genannten Bescheides heißt "Der Antrag vom 01.06.2010 … wird abgelehnt.", dürfte dies daher ein Versehen sein. Das Klageverfahren, für das vorliegend die Festsetzung der anwaltlichen Vergütung beantragt wurde, wurde erst am 18. Oktober 2011 eingeleitet. Vor diesem Hintergrund ist – selbst wenn der Antrag schon im Jahr 2010 gestellt worden sein sollte – der Erfüllungseinwand, der mit den vorgelegten Quittungen von 2006 bis Ende 2008 belegt werden soll, schon aus zeitlichen Gründen im o.g. Sinn offensichtlich unbegründet. Bei den Quittungen vom 16. August 2006 und vom 7. Juli 2008 wird dies zusätzlich noch durch die Zweckangabe "Asyl" untermauert; der Antragsteller hatte den Antragsgegner in der Tat in dessen Asylverfahren vertreten, welches mit Beschluss des Oberverwaltungsgerichts vom 30. April 2008 (Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung) endete. Es ist aber kein Grund ersichtlich, die durch die Quittungen belegten Zahlungen (zuletzt am 27. Dezember 2008) als bereits auf das Arbeitserlaubnisverfahren geleistet anzusehen, das erst im Mai/Juni 2011 in die Wege geleitet wurde. Die offensichtliche Unbegründetheit der Einwendung wird hier gerade durch die vom Antragsgegner eingereichten Quittungen belegt. Der Antragsgegner hat auf die entsprechende Erwiderung des Antragstellers in dessen Schriftsatz vom 17. April 2015 nicht mehr reagiert.
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4. Das Beschwerdegericht macht von der Möglichkeit Gebrauch, die Entscheidungen der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Verwaltungsgerichts vom 24. April 2015 und des Verwaltungsgerichts vom 22. Mai 2015 über die Erinnerung aufzuheben und die Sache zur erneuten Festsetzung des Vergütungsbetrags an die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Verwaltungsgerichts zurückverweisen (vgl. Neumann in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 165 Rn. 35 m.w.N.). Das rechtfertigt sich daraus, dass hier zum einen erst das Beschwerdegericht den Kostenansatz des Antragstellers dem Grunde nach für gerechtfertigt hält, zum anderen aber auch bisher noch nicht behandelte gebührenrechtliche Einwendungen zu prüfen sind. So hat der Antragsgegner auch den gebührenrechtlichen Einwand erhoben, dass gemäß dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz eine Anrechnung von Gebühren aus dem Vorverfahren stattfinden müsse (vgl. hierzu auch die Kostenrechnung des Antragstellers vom 28. Mai 2008 [GA 10 K 2545/11, Bl. 186]). Außerdem wird auch noch § 11 Abs. 2 Satz 5 RVG zu berücksichtigen sein.
III.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO und hinsichtlich der Gerichtsgebührenfreiheit für das Verfahren beim Verwaltungsgericht auf § 11 Abs. 2 Satz 4 RVG. Eine Gerichtsgebühr für das Beschwerdeverfahren fällt nicht an, da die Beschwerde des Antragstellers erfolgreich ist (siehe Nr. 5502 KV-GKG).
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Aus § 11 Abs. 2 Satz 6 RVG ergibt sich, dass eine Erstattung außergerichtlicher Kosten, abgesehen von § 11 Abs. 2 Satz 5 RVG nicht stattfindet (vgl. FG Hamburg, Beschl. v. 2.12.2010, 3 KO 194/10, NJW-RR 2011, 720, juris Rn. 34, 38 m.w.N.; KG Berlin, Beschl. v. 12.1.2011, 5 W 50/10, juris; Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, a.a.O., § 11 RVG Rn. 376 ff.).
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Referenzen
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- RVG § 11 Festsetzung der Vergütung 14x
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- VwGO § 146 2x
- VwGO § 147 1x
- ZPO § 767 Vollstreckungsabwehrklage 1x
- VwGO § 154 1x
- Urteil vom Verwaltungsgericht Münster - 10 K 2545/11 3x
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