Beschluss vom Hamburgisches Oberverwaltungsgericht (4. Senat) - 4 Bf 146/15.Z

Tenor

Der Antrag der Klägerin, die Berufung gegen das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 20. Juli 2015 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg zuzulassen, wird abgelehnt.

Die Klägerin trägt die Kosten des Antragsverfahrens; Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.

1

Die Klägerin wendet sich gegen die Erhebung eines Säumniszuschlags wegen der verspäteten Entrichtung einer Ausgleichsabgabe.

2

Die Klägerin betreibt ein Glas- und Gebäudereinigungsunternehmen. Da sie nicht die vorgeschriebene Zahl schwerbehinderter Menschen beschäftigt, entrichtet sie seit Jahren Ausgleichsabgaben nach § 77 SGB IX. Für das Jahr 2011 erstattete sie die in § 80 Abs. 2 SGB IX vorgeschriebene Anzeige eingehend bei der Agentur für Arbeit am 23. Mai 2012. In dieser Anzeige wurde die für das Jahr 2011 zu leistende Ausgleichsabgabe mit 26.780,-- Euro beziffert. Die Zahlung dieses Betrages an die Beklagte erfolgte jedoch nicht. Mit Bescheid vom 28. Mai 2013 stellte die Beklagte einen rückständigen Betrag in Höhe von 26.780,-- Euro fest und forderte die Klägerin zur Überweisung dieser Summe bis zum 17. Juni 2013 auf. Am 17. Juni 2013 ging der von der Klägerin geschuldete Betrag bei der Beklagten ein.

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Mit Bescheid vom 25. Juni 2013 erhob die Beklagte gegenüber der Klägerin einen Säumniszuschlag in Höhe von 4.012,50 Euro: Die Ausgleichsabgabe für das Jahr 2011 sei am 31. März 2012 fällig gewesen, jedoch verspätet bei ihr eingegangen. Den Widerspruch der Klägerin hiergegen wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 23. April 2014 zurück.

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Die daraufhin erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht Hamburg mit Urteil aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 20. Juli 2015 abgewiesen: Zu Recht habe die Beklagte auf der Grundlage von § 77 Abs. 4 Satz 3 SGB IX i.V.m. § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB IV Säumniszuschläge erhoben. Die Klägerin sei im Sinne dieser Vorschriften säumig gewesen, da sie die Ausgleichsabgabe für das Jahr 2011 nicht bis zum 31. März 2012 entrichtet habe. Eines förmlichen Bescheides habe es hierfür nicht bedurft. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Säumniszuschläge bestünden nicht. Ihrer Erhebung stehe auch nicht entgegen, dass die Beklagte den in § 77 Abs. 4 Satz 2 SGB IX vorgesehenen Feststellungsbescheid über die rückständigen Beträge nicht nach Ablauf von drei Monaten nach deren Fälligkeit, sondern erst später erlassen habe. Die Erhebung von Säumniszuschlägen sei auch nicht nach § 77 Abs. 4 Satz 4 SGB IX wegen eines begründeten Ausnahmefalls ausgeschlossen gewesen. Die rechnerische Ermittlung der Säumniszuschläge begegne keinen rechtlichen Bedenken.

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Hiergegen richtet sich der Antrag der Klägerin, mit dem sie begehrt, die Berufung zuzulassen.

II.

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Der zulässige Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

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1. Aus den Darlegungen der Klägerin im Zulassungsantrag, auf die die Prüfung im Zulassungsverfahren grundsätzlich beschränkt ist (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO), ergeben sich nicht die von ihr geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung i.S.v. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.

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Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit eines Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sind dann begründet, wenn gegen dessen Richtigkeit angesichts der Begründung des Zulassungsantrags gewichtige Gesichtspunkte sprechen. Hiervon ist immer schon dann auszugehen, wenn durch die Begründung des Zulassungsantrags ein einzelner tragender Rechtssatz – sei es ein abstrakter Obersatz, sei es die Subsumtion des konkreten Sachverhalts unter einen solchen Obersatz – oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt werden (vgl. BVerfG, Beschl. v. 23.6.2000, NVwZ 2000, 1163, juris Rn. 15; BVerwG, Beschl. v. 10.3.2004, Buchholz 310 § 124 VwGO Nr. 33 S. 7, juris Rn. 8 f.). So liegt es hier nicht.

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Die Klägerin macht geltend, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht angenommen, dass § 77 Abs. 4 Satz 2 SGB IX hinsichtlich der Frage, wann der Feststellungsbescheid des Integrationsamtes zu ergehen habe, bewusst nach oben hin offen erscheine. Richtigerweise könne die vom Gesetzgeber gewählte Formulierung nur so verstanden werden, dass der Feststellungsbescheid unverzüglich zu erlassen sei, sobald ein Arbeitgeber mehr als drei Monate in Rückstand gerate. Der Beklagten sei kein Entschließungsermessen über die Frage eingeräumt, wann sie den Feststellungsbescheid erlassen könne. Würde dies nicht gelten, liefe dies in letzter Konsequenz auf eine zulässige Untätigkeit der Behörde hinaus. Denn wer eine vorgesehene Handlung nicht innerhalb einer bestimmten Frist vornehmen müsse, dem könne auch nicht entgegengehalten werden, dass er eine unbeschränkt lange Zeit untätig bleibe. Diese Überlegung sei keinesfalls nur theoretisch. Denn Tatsache sei, dass die Beklagte bis heute keinen Feststellungsbescheid gegen sie, die Klägerin, erlassen habe. Die Untätigkeit der Beklagten in Bezug auf den zu erlassenden Feststellungsbescheid stelle für sich genommen einen Ermessensfehlgebrauch dar, der sich im angefochtenen Bescheid über die Erhebung der Säumniszuschläge fortsetze. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts komme es nicht darauf an, ob § 77 Abs. 4 SGB IX ihr, der Klägerin, ein subjektives Recht auf pflichtgemäßes Verwaltungshandeln eröffne. Sie habe jedenfalls einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Bescheidung, den sie allein durch Anfechtung des Bescheides über die erhobenen Säumniszuschläge durchsetzen könne.

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Mit diesen Ausführungen wird die Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht ernsthaft in Zweifel gezogen. Die Argumentation der Klägerin fußt auf der Behauptung, dass die Beklagte den in § 77 Abs. 4 Satz 2 SGB IX vorgesehenen Feststellungsbescheid bis heute nicht gegen die Klägerin erlassen habe und somit ermessensfehlerhaft untätig geblieben sei. Diese Behauptung ist jedoch unrichtig. Die Beklagte hat den Feststellungsbescheid nach § 77 Abs. 4 Satz 2 SGB IX am 28. Mai 2013 erlassen und war somit nicht untätig. Deswegen kann auch nicht die Rede davon sein, dass sich ein „Ermessensfehlgebrauch“ im angefochtenen Bescheid über die Erhebung eines Säumniszuschlags vom 25. Juni 2013 fortgesetzt habe.

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Abgesehen hiervon erschüttern die Darlegungen der Klägerin auch nicht die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass es eines förmlichen Bescheides nicht bedurfte, um die Säumnis der Klägerin hinsichtlich der Ausgleichsabgabe für das Jahr 2011 herbeizuführen und in der Folge die Beklagte zu verpflichten, Säumniszuschläge nach § 77 Abs. 4 Satz 3 SGB IX i.V.m. § 24 Abs. 1 SGB IV zu erheben. Aus § 77 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 SGB IX ergibt sich, dass der Arbeitgeber die Ausgleichsabgabe für das vorangegangene Kalenderjahr spätestens am 31. März zahlen muss. Angesichts dieser kraft Gesetzes bestehenden Zahlungsfrist bedarf es keines zusätzlichen Verwaltungshandelns, um denjenigen Arbeitgeber, der die Ausgleichsabgabe am 1. April noch nicht entrichtet hat, säumig werden zu lassen. Die Säumnis tritt unabhängig von einem Feststellungsbescheid nach § 77 Abs. 4 Satz 2 SGB IX ein, und zwar zu einem Zeitpunkt (1. April), in welchem ein Feststellungsbescheid nach dieser Vorschrift noch gar nicht erlassen werden darf (dies ist erst nach dem 1. Juli möglich, wenn der Arbeitgeber mehr als drei Monate im Rückstand ist). Demzufolge ist es für die Säumnis des Arbeitgebers ohne Bedeutung, ob der Feststellungsbescheid nach § 77 Abs. 4 Satz 2 SGB IX zeitnah nach dem 1. Juli oder erst zu einem späteren Zeitpunkt (hier: am 28. Mai des Folgejahres) ergeht. Die Säumnis besteht kraft Gesetzes vom 1. April bis zu demjenigen Tag, an dem die Ausgleichsabgabe gezahlt wird. Die Folge der Säumnis ist die Verpflichtung des Arbeitgebers, nach Maßgabe von § 77 Abs. 4 Sätze 3 und 4 SGB IX i.V.m. § 24 Abs. 1 SGB IV Säumniszuschläge zu zahlen. Ein Ermessen der Beklagten, von der Erhebung von Säumniszuschlägen abzusehen, ist gemäß § 77 Abs. 4 Satz 4 SGB IX nur in begründeten Ausnahmefällen eröffnet. In allen anderen Fällen muss die Beklagte die Säumniszuschläge erheben. Dass im Fall der Klägerin ein begründeter Ausnahmefall im Sinne von § 77 Abs. 4 Satz 4 SGB IX gegeben ist, womit die Beklagte Ermessen auszuüben hatte und demzufolge der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch auf ermessensfehlerfreie Bescheidung verletzt sein könnte, legt diese nicht dar, denn sie setzt sich mit den Ausführungen des Verwaltungsgerichts, weshalb ein begründeter Ausnahmefall hier nicht gegeben ist, nicht auseinander.

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2. Aus den Darlegungen der Klägerin ergibt sich auch nicht, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).

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Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nur zu, wenn sie eine für die erstrebte Berufungsentscheidung erhebliche tatsächliche oder rechtliche Frage aufwirft, die im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts der Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis verlangt die Bezeichnung einer konkreten Frage, die für die Berufungsentscheidung erheblich sein wird, und einen Hinweis auf den Grund, der ihre Anerkennung als grundsätzlich bedeutsam rechtfertigen soll (vgl. BVerwG, Urt. v. 31.7.1984, BVerwGE 70, 24; Beschl. v. 14.5.1997, NVwZ-RR 1997, 621).

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Die Klägerin leitet die Grundsatzbedeutung daraus her, dass über die Auslegung des hier entscheidungserheblichen § 77 Abs. 4 SGB IX bisher noch nicht obergerichtlich entschieden worden sei. Das Verwaltungsgericht habe sich auf eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Augsburg gestützt. In ähnlicher Weise habe sich auch das Verwaltungsgericht Aachen geäußert. Weitere veröffentlichte Entscheidungen zu diesem Thema seien nicht bekannt, so dass eine obergerichtliche Entscheidung ausstehe.

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Diese Erwägungen werden den Anforderungen an die Darlegung einer grundsätzlich klärungsbedürftigen Frage nicht gerecht. Mit der alleinigen Bezugnahme auf die „Auslegung des hier entscheidungserheblichen § 77 Abs. 4 SGB IX“ fehlt es schon an der Bezeichnung einer sich im Zusammenhang mit dieser Vorschrift stellenden konkreten Frage. Im Übrigen legt die Klägerin nicht dar, dass eine für die Berufungsentscheidung erhebliche Rechtsfrage in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung unterschiedlich beurteilt wird und somit obergerichtlicher Klärung bedarf. Im Gegenteil führt die Klägerin aus, dass sich die rechtlichen Erwägungen des Verwaltungsgerichts Hamburg auf Judikate zweier anderer Verwaltungsgerichte (Augsburg und Aachen) stützen können und dass weitere – und damit möglicherweise entgegenstehende – verwaltungsgerichtliche Entscheidungen nicht bekannt seien.

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3. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 188 Satz 2 VwGO.

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