Beschluss vom Hamburgisches Oberverwaltungsgericht (1. Senat) - 1 So 1/18

Tenor

Die Beschwerde der Vollstreckungsschuldnerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 20. Dezember 2017 wird zurückgewiesen.

Die Vollstreckungsschuldnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

I.

1

Die Vollstreckungsschuldnerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Festsetzung von Zwangsgeld in Höhe von 2.000 Euro durch Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 20. Dezember 2017.

2

Mit Vergleich gemäß § 106 VwGO vom 25. Juni 2015 wurde zur endgültigen Erledigung des Rechtsstreits 2 K 4859/14 mit Wirkung zwischen der Vollstreckungsschuldnerin (Beklagte des Verfahrens 2 K 4859/14) und dem Vollstreckungsgläubiger (Kläger des Verfahrens 2 K 4859/14) u.a. folgendes vereinbart:

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„1. Mit Wirkung ab Unterrichtsbeginn nach den großen Ferien besucht der Kläger die Lerngruppe für Schülerinnen und Schüler mit Autismus-Spektrum-Störungen am J....-Gymnasium bis zum Erwerb des ersten allgemeinen und nach Möglichkeit des mittleren Schulabschlusses.

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2. Für diesen Zeitraum ist ... weiterhin der Stammschule L... zugeordnet.“

5

Mit Schreiben vom 16. Oktober 2017, auf das wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, kündigte die Vollstreckungsschuldnerin den Vergleich unter Berufung auf § 60 HmbVwVfG und führte aus, dass sich die Verhältnisse, die dem Vergleichsabschluss zugrunde gelegen hätten, wesentlich geändert hätten. Eine optimale Förderung des Vollstreckungsschuldners sei – entgegen den Erwartungen – in der Lerngruppe nicht möglich; er habe hohe Fehlzeiten und sein Leistungsstand habe sich kaum verbessert. Eine feste Lerngruppe bestehe zudem nicht mehr, da alle Schüler der Lerngruppe weitgehend in die Regelklassen hätten integriert werden können. Lediglich bei drei Schülerinnen und Schülern bestehe punktuell Hilfebedarf außerhalb der Regelklasse, der in den Räumen der bisherigen Lerngruppe nach fachlicher Vorgabe der die Regelklasse unterrichtenden Lehrer erfolge. Ein Festhalten an dem Vergleich könne der Vollstreckungsschuldnerin nicht zugemutet werden. Auch eine Anpassung des Vergleichs sei nicht möglich.

6

Mit Beschluss vom 22. November 2017 (2 V 8965/17) drohte das Verwaltungsgericht der Vollstreckungsschuldnerin auf Antrag des Vollstreckungsgläubigers ein Zwangsgeld in Höhe von 2.000 Euro für den Fall an, dass die Vollstreckungsschuldnerin ihren Verpflichtungen aus Ziffer 1. und 2. des Vergleichs vom 25. Juni 2015 nicht binnen 3 Wochen nach Zustellung des Beschlusses nachkomme. Der Beschluss wurde der Vollstreckungsschuldnerin am 27. November 2017 zugestellt. Eine Beschwerde hiergegen erhob sie nicht.

7

Am 30. November 2017 erhob die Vollstreckungsschuldnerin Vollstreckungsabwehrklage (2 K 9597/17). Den zugleich beantragten vorläufigen Vollstreckungsschutz (2 E 9598/17) lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 14. Dezember 2017 ab. Dem Antrag auf Aussetzung der Vollstreckung (§ 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 767, 769 ZPO) sei nicht zu entsprechen, da die Vollstreckungsabwehrklage voraussichtlich erfolglos bleiben werde. Der Prozessvergleich vom 25. Juni 2015 sei durch die Vollstreckungsschuldnerin nicht wirksam gekündigt worden; eine wesentliche Änderung der dem Vergleich zugrunde liegenden Umstände liege nicht vor. Der Wechsel der Schüler der Lerngruppe in die Regelklassen sei in dem Konzept der Lerngruppe bereits bei Vergleichsschluss angelegt gewesen. Das weitere Risiko der Entwicklung der Lerngruppe habe daher bei Vergleichsschluss die Vollstreckungsschuldnerin übernommen. Dem Vergleich liege wohl nicht die Vorstellung zugrunde, dass der Vollstreckungsgläubiger in der Lerngruppe „optimal“ gefördert werden könne und bis zum Ende der Jahrgangsstufe 9 den ESA erreichen werde. Selbst wenn aber die Erwartung einer optimalen Förderung Vertragsgrundlage geworden sei, so könne sich die Vollstreckungsschuldnerin nicht darauf berufen, dass sich diese Erwartung nicht erfüllt habe, weil sie es in der Vergangenheit versäumt habe, sonderpädagogische Förderpläne für den Vollstreckungsgläubiger zu erstellen und damit eine wesentliche Grundlage für eine optimale Förderung nicht geschaffen habe. Zudem sei die Erfüllung des Vergleichs nicht deshalb objektiv unmöglich geworden, weil eine solche Lerngruppe in der ursprünglichen Form nicht mehr bestehe. Die Lerngruppe sei von Anfang an darauf angelegt gewesen, dass dem Vollstreckungsschuldner zeitweise auch Einzelunterricht zu erteilen gewesen sei. Die Erfüllung dieser Pflicht sei nicht unmöglich geworden. Auch sei es nicht von vorneherein vollkommen ausgeschlossen, dass der Vollstreckungsschuldner jedenfalls zeitweise mit weiteren Schülerinnen und Schülern unterrichtet werde. Dass die Leistung möglicherweise in grobem Missverhältnis zu dem Aufwand stehe, den die Vollstreckungsschuldnerin für die Erbringung der Leistung tätigen müsse, sei weder vorgetragen noch ersichtlich. Die von der Vollstreckungsschuldnerin angebotene Einzelbeschulung des Vollstreckungsgläubigers dürfte mit entsprechend hohem finanziellem Aufwand verbunden sein. Der unanfechtbare Beschluss ist der Vollstreckungsgläubigerin am 18. Dezember 2017, einem Montag, zugestellt worden.

8

Mit Beschluss vom 20. Dezember 2017 setzte das Verwaltungsgericht ein Zwangsgeld in Höhe von 2.000 Euro entsprechend der mit Beschluss vom 22. November 2017 erfolgten Zwangsgeldandrohung fest. Die in diesem Beschluss festgesetzte Frist von drei Wochen nach Zustellung des Beschlusses sei am 18. Dezember 2017 abgelaufen. Dennoch erfülle die Vollstreckungsschuldnerin ihre Verpflichtungen aus Ziffer 1. und 2. des Vergleichs nicht. Dass die gegen die Vollstreckung vorgebrachten Argumente nicht zum Wegfall der Verpflichtung führten, habe die Kammer im Beschluss vom 14. Dezember 2017 festgestellt.

9

Gegen den ihr am 21. Dezember 2017 zugestellten Beschluss hat die Vollstreckungsschuldnerin am 4. Januar 2018 die vorliegende Beschwerde erhoben. Zur Begründung macht sie geltend, ihre Verpflichtung aus dem Vergleich könne nicht erzwungen werden, weil der Vergleich wirksam gekündigt worden und die Umsetzung des Vergleichs unmöglich geworden sei. Zur weiteren Begründung nimmt sie auf ihre Schriftsätze im Verfahren 2 E 9676/17 Bezug, in welchem es um die Aufstellung des Förderplans für den Vollstreckungsgläubiger geht und in diesem Zusammenhang u.a. auch um die dort erfolgte Festlegung des Lernortes in den Räumen des ReBBZ Bergedorf. Eine Anpassung des Vergleichs dahingehend, dass der Vollstreckungsschuldner Einzelunterricht am J.....-Gymnasium erhalte, sei nicht möglich.

II.

10

Die zulässige Beschwerde der Vollstreckungsschuldnerin hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat in dem angefochtenen Beschluss zutreffend ein Zwangsgeld in Höhe von 2.000 Euro gegen die Vollstreckungsschuldnerin festgesetzt.

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Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Zwangsvollstreckung aus dem gerichtlichen Vergleich vom 25. Juni 2015 gemäß § 172 VwGO erfolgt. Es ist weiter zutreffend davon ausgegangen, dass der gerichtliche Vergleich gemäß § 168 Abs. 1 Nr. 3 VwGO ein vollstreckungsfähiger Titel ist, es einer Vollstreckungsklausel nicht bedarf, und die nach § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 750 ZPO notwendige Zustellung des gerichtlichen Vergleichs an die Vollstreckungsschuldnerin gemeinsam mit dem Beschluss vom 22. November 2017 (2 V 8965/17) am 27. November 2017 erfolgte. Zudem lag eine grundlose Säumnis (vgl. BVerwG, Beschl. v. 30.12.1968, I WB 31.68, BVerwGE 33, 230) vor.

12

Die nach § 172 VwGO notwendigen weiteren Vollstreckungsvoraussetzungen liegen ebenfalls vor. Das Zwangsgeld ist der Vollstreckungsschuldnerin unter Fristsetzung durch inzwischen unanfechtbaren Beschluss vom 22. November 2017 angedroht worden. Die dort gesetzte Frist von drei Wochen ab Zustellung des Beschlusses, die am 18. Dezember 2017 ablief, ist verstrichen. Die Vollstreckungsschuldnerin war auch weiterhin grundlos säumig, da sie den Vollstreckungsgläubiger nicht entsprechend Ziffer 1. und 2. der von ihr im gerichtlichen Vergleich vom 25. Juni 2015 eingegangenen Verpflichtungen in der Lerngruppe des J.....-Gymnasiums beschult.

13

Die von der Vollstreckungsschuldnerin geltend gemachte Kündigung des gerichtlichen Vergleichs vom 25. Juni 2015 aufgrund wesentlicher Veränderungen der dem Vergleichsschluss zugrunde liegenden Umstände sowie die von ihr geltend gemachte Unmöglichkeit der Leistung sind Einwendungen gegen den titulierten Anspruch selbst. Diese Einwendungen kann der Vollstreckungsschuldner nach der Systematik des gemäß § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO zur Anwendung kommenden Vollstreckungsrechts der Zivilprozessordnung – abgesehen von den Fällen der Abänderungsklage gemäß § 323a ZPO – gemäß § 767 ZPO im Wege der Vollstreckungsgegenklage geltend machen. Auf Antrag kann das Vollstreckungsgericht gemäß § 769 ZPO anordnen, dass bis zum Erlass des Urteils über die in den §§ 767, 768 ZPO bezeichneten Einwendungen die Zwangsvollstreckung gegen oder ohne Sicherheitsleistung eingestellt oder nur gegen Sicherheitsleistung fortgesetzt werden kann. Dies ist für die Vollstreckung von Verpflichtungsurteilen (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.10.1984, 4 C 53/80, BVerwGE 70, 227) und im Grundsatz auch für die Vollstreckung aus Bescheidungsurteilen (BVerwG, Beschl. v. 21.12.2001, 2 AV 3/01, NVwZ-RR 2002, 314, juris Rn. 4; vgl. auch OVG Hamburg, Beschl. v. 12.3.1970, Bs I 100/69, HmbJVBl 1970, 56; offener: BVerwG, Beschl. v. 1.6.2007, 4 B 13.07, BauR 2007, 1709) anerkannt; in Bezug auf die Vollstreckung von Bescheidungsurteilen werden allerdings unterschiedliche Auffassungen dazu vertreten, in welchem Umfang die Behörde nach Erlass des Urteils eingetretene Änderungen der Sach- und Rechtslage bei der zu treffenden Ermessensentscheidung zu berücksichtigen hat (vgl. Bader in: Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/von Albedyll, VwGO, 6. Auflage 2014, § 167 Rn. 12 f.; Kraft in Eyermann, VwGO, 14. Auflage 2014, § 172 Rn. 13; Kopp/Schenke, VwGO, 23. Auflage 2017, § 172 Rn. 8). Nichts anderes kann in Bezug auf die Vollstreckung aus gerichtlichen Vergleichen gelten.

14

Diese Systematik verbietet es im Grundsatz, Einwendungen gegen das (Fort-)Bestehen einer titulierten Forderung - wie die von der Vollstreckungsschuldnerin hier vorgebrachte Kündigung des Vergleichs sowie die Unmöglichkeit der Erfüllung - im Rahmen der Zwangsvollstreckung zu berücksichtigen. Vielmehr sind hierdurch Erkenntnisverfahren und Vollstreckungsverfahren getrennt. Sie sind entsprechend ihren Funktionen unterschiedlich prozessual ausgestaltet; insbesondere ist das Vollstreckungsverfahren formalisiert ausgestaltet ist, um es effektiv zu gestalten, und sieht keine mündlichen Verhandlung vor (vgl. Pietzner/Möller in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Juni 2017, § 172 Rn. 54).

15

Hinzu kommt vorliegend, dass die Vollstreckungsschuldnerin von den nach § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 767, 769 ZPO bestehenden Möglichkeiten Gebrauch gemacht hat. Gestützt auf die auch vorliegend vorgebrachten Einwendungen (Kündigung aufgrund wesentlicher Änderung der dem Vergleichsschluss zugrunde liegenden Umstände; Unmöglichkeit der Leistung) hat sie Vollstreckungsgegenklage erhoben (2 K 9597/17), über die noch nicht entschieden worden ist. Den Antrag der Vollstreckungsschuldnerin auf vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus dem gerichtlichen Vergleich vom 25. Juni 2015 hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 14. Dezember 2017 (2 E 9598/17) abgelehnt. Ein Rechtsmittel gegen einen Beschluss nach § 769 ZPO ist nicht vorgesehen. An diesen Beschluss ist demnach derzeit auch das Beschwerdegericht im Rahmen der Überprüfung von Maßnahmen der Zwangsvollstreckung gebunden.

16

Darüber hinausgehend wird vertreten, die Zwangsvollstreckung müsse eingestellt werden, wenn die Erfüllung unmöglich geworden sei (vgl. Heckmann in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Auflage 2014, § 172 Rn. 86; Schmidt-Kötters in Posser/Wolff, VwGO, 2. Auflage 2014, § 172 Rn. 30), etwa weil der Gläubiger an der Leistung kein Interesse mehr habe (OVG Berlin, Beschl. v. 4.11.1998, 3 S 15.98, NVwZ-RR 1999, 411) oder die herauszugebende Sache untergegangen sei (vgl. Pietzner/Möller in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Juni 2017, § 172 Rn. 51). Angesichts der aufgezeigten Systematik des Zwangsvollstreckungsrechts kann sich dies allenfalls auf eine offensichtliche Unmöglichkeit der Leistung oder andere offenkundige bzw. unstreitige Fallkonstellationen beziehen, die das Rechtsschutzinteresse an einer Durchsetzung im Wege der Zwangsvollstreckung entfallen lassen, mit keiner Rechtsverkürzung für den Vollstreckungsgläubiger einhergehen und die Effektivität des Zwangsvollstreckungsverfahrens nicht schmälern (vgl. zu § 888 ZPO: LAG Kassel, Beschl. v. 6.7.2016, 10 Ta 266/16, juris Rn. 27 ff.). Ein derartiger Fall der offensichtlichen Unmöglichkeit der Leistung ist vorliegend nicht gegeben, wie sich bereits aus dem entgegenstehenden Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 14. Dezember 2017 (2 E 9598/17) ergibt.

17

Soweit in der Literatur (vgl. Heckmann in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Auflage 2014, § 172 Rn. 87) ferner ganz allgemein die Auffassung vertreten wird, das Vollstreckungsgericht dürfe nicht „sehenden Auges“ eine Vollstreckung anordnen, die die Rechtsordnung schlechterdings für unzulässig halte, kann dies nach Auffassung des Beschwerdegerichts angesichts der aufgezeigten Systematik des Zwangsvollstreckungsrechts nicht über die aufgezeigten Fälle der Offenkundigkeit hinausgehen. Entsprechendes gilt auch, soweit in der Literatur geltend gemacht wird, das Vollstreckungsrecht verlange grundsätzlich die Identität des rechtskräftig festgestellten mit dem zu vollstreckenden Anspruch, der bei Wegfall der Geschäftsgrundlage bzw. Unmöglichkeit der Leistung nicht gegeben sei (vgl. Jacob, VBlBW 2012, 135, 136).

III.

18

Die Vollstreckungsschuldnerin hat als Unterlegene die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen, § 154 Abs. 2 VwGO. Eine Streitwertfestsetzung ist nicht veranlasst, da lediglich Gerichtsgebühren anfallen, die nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) streitwertunabhängig sind (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 15.6.2010, 13 E 201/10, juris Rn. 18).

19

Einer Entscheidung über den Antrag des Vollstreckungsgläubigers auf Gewährung von Prozesskostenhilfe bedarf es nicht mehr, da die Vollstreckungsschuldnerin mit ihrer Beschwerde unterlegen ist.

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