Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern (2. Senat) - 2 L 208/06

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Greifswald - 6. Kammer - vom 04.05.2006 geändert.

Die Entlassungsverfügung des Grenzschutzpräsidiums Nord vom 01.03.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.07.2004 wird aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird für die zweite Instanz auf 12.879,88 Euro festgesetzt.

Gründe

1

Der Kläger ist Polizeibeamter und wendet sich gegen seine Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Probe. Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch Urteil vom 04.05.2006 abgewiesen. In den Gründen heißt es u.a., die angefochtenen Bescheide seien rechtmäßig auf der Grundlage von § 31 Abs. 1 Nr. 1 BBG, wonach ein Beamter auf Probe entlassen werden könne, wenn ein Verhalten vorliege, das bei einem Beamten auf Lebenszeit mindestens eine Kürzung der Dienstbezüge zur Folge hätte. Diese Voraussetzungen lägen hier vor. Der Kläger habe am 23.04.2002 an einer Tankstelle einen (außerdienstlichen) Betrug begangen.

2

Dem dagegen gerichteten Antrag auf Zulassung der Berufung hat der Senat durch Beschluss vom 09.02.2007 entsprochen.

3

Die Berufung hat Erfolg. Über sie entscheidet der Senat gemäß § 130a VwGO nach Anhörung der Beteiligten (vgl. §§ 130a Satz 2, 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO) durch Beschluss, da er sie einstimmig für begründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.

4

Die Entlassung des Klägers ist rechtswidrig und verletzt ihn in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

5

Die angefochtenen Bescheide lassen sich nicht auf § 31 Abs. 1 Nr. 1 BBG stützen. Nach dieser Vorschrift kann ein Beamter auf Probe entlassen werden, wenn ein Verhalten vorliegt, das bei einem Beamten auf Lebenszeit mindestens eine Kürzung der Dienstbezüge hätte.

6

Um die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen für die Entlassung nach dieser Vorschrift bejahen zu können, ist ein Dienstvergehen erforderlich, das bei einem Beamten auf Lebenszeit mindestens mit einer Kürzung der Dienstbezüge geahndet worden wäre. Der Beamte begeht ein Dienstvergehen, wenn er schuldhaft die ihm obliegenden Pflichten verletzt (§ 77 Abs. 1 Satz 1 BBG). Ein Verhalten des Beamten außerhalb des Dienstes ist ein Dienstvergehen, wenn es nach den Umständen des Einzelfalles im besonderen Maße geeignet ist, Achtung und Vertrauen in einer für sein Amt oder das Ansehen des Beamtentums bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen (§ 77 Abs. 1 Satz 2 BBG).

7

Nach der Rechtsprechung des Senats ist auch ein außerdienstlich begangener Betrug jedenfalls im Allgemeinen als Dienstvergehen zu bewerten; ob in besonderen Fällen (etwa bei Bagatelldelikten) auch eine andere Bewertung in Betracht kommt, hat der Senat bislang offen gelassen (vgl. Beschluss vom 07.09.1998 - 2 M 76/98 -). Auch nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gibt es für außerdienstliche Zueignungs- und/oder Vermögensdelikte keinen einheitlichen Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen, weil sich solche Verfehlungen nach ihren Modalitäten sowie ihrer kriminellen Intensität, nach der Schuld des Täters sowie den Folgen der Tat und damit nach ihrem disziplinaren Gewicht so erheblich voneinander unterscheiden können, dass von keiner Regelmaßnahme ausgegangen werden kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 21.01.1997 - 2 WD 38.96 -, E 113, 45).

8

Die Anwendung dieser Maßstäbe führt hier zu dem Ergebnis, dass kein Dienstvergehen vorliegt, das bei einem Beamten auf Lebenszeit mindestens mit einer Kürzung der Dienstbezüge geahndet worden wäre.

9

Im Hinblick auf den Vorfall am 23.04.2002 hat der Senat bereits durch Beschluss vom 12.08.2005 im Beschwerdeverfahren über die Prozesskostenhilfe für die erste Instanz (2 O 68/05) darauf hingewiesen, dass es sich nicht um den typischen Ablauf eines Tankstellenbetrugsdeliktes handelt, bei dem der Tankende ohne zu bezahlen davonfährt. Aus den vorliegenden Akten des gegen den Kläger durchgeführten Strafverfahrens (447 Js 23149/02; Staatsanwaltschaft Rostock) ergibt sich, dass der Kläger nach dem Tankvorgang zum Kassierer gegangen ist und mit einer Kreditkarte den Betrag von 74,00 Euro zu bezahlen versucht hat. Nachdem dies gescheitert war, hat er eine "Einzugsermächtigung" sowie eine "Schuldanerkennung" mit vollständigen und richtigen Angaben zu seiner Person ausgefüllt. Dem Kläger kann auch nicht vorgehalten werden, beim Tankvorgang bereits gewusst zu haben, dass die Bezahlung per Kreditkarte nicht möglich sein würde. Nach der von der Staatsanwaltschaft eingeholten Auskunft der Bank des Klägers ist dessen Kreditkarte erst im Mai 2002 gesperrt worden. Aus den von der Bank vorgelegten Buchungsvorgängen seines Kontos ist zu entnehmen, dass dieses zwar zwischen dem 02. und 29.04.2002 über das "Limit" von 4.800,00 Euro hinaus überzogen war. Dies hat aber nicht dazu geführt, dass der Kläger es nicht mehr hätte belasten können. Die Bank hat entsprechende Abbuchungsaufträge ersichtlich weiter ausgeführt. Dies trifft auch für höhere Beträge zu als den beim Tankvorgang am 23.04.2002 in Rede stehenden. Dass auch der Versuch eines Bankeinzugs offenbar nicht erfolgreich war, weist außerdem noch Züge von Zufälligkeit auf. Denn nach den nur für den Monat April 2002 vorliegenden Kontobewegungen wies das Konto des Klägers ab dem 29.04.2002 (aber möglicherweise nur für kurze Zeit) wieder Beträge innerhalb des "Limits" aus.

10

Soweit der angefochtene Bescheid darauf gestützt sind, dass der Kläger bei der Vorlage von Krankschreibungen seiner Gehorsamspflicht und außerdem privaten Zahlungsverpflichtungen nicht nachgekommen sei, ist dies auch in Verbindung mit dem Vorfall vom 23.04.2002 nicht als so gravierend anzusehen, dass deshalb mindestens eine Gehaltskürzung gerechtfertigt wäre. Hierbei ist zum einen zu berücksichtigen, dass es ersichtlich nicht um betrügerisches Schuldenmachen geht; Anhaltspunkte dafür sind von der Beklagten nicht vorgetragen worden oder sonst ersichtlich. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass der Kläger disziplinarrechtlich bisher nicht in Erscheinung getreten ist und auf Seiten der Beklagten offenbar zunächst beabsichtigt war, die hier in Rede stehenden Vorgänge einschließlich des Ereignisses vom 23.04.2002 zusammenfassend mit einem Verweis zu ahnden. Die entsprechende Disziplinarverfügung vom 23.04.2004 befindet sich bei den Akten, ist aber allem Anschein nach nicht abgesandt worden, obwohl dem Kläger bzw. seinem damaligen Bevollmächtigten durch formell zugestelltes Schreiben vom 07.05.2004 angekündigt worden ist, die Disziplinarverfügung vom 23.04.2004 aufzuheben.

11

Schließlich lässt sich die angefochtene Entlassung auch nicht auf § 31 Abs. 1 Nr. 3 BBG stützen, wonach der Beamte auf Probe wegen Dienstunfähigkeit entlassen werden kann, wenn er nicht nach § 46 BBG in den Ruhestand versetzt wird. Dass der Kläger dienstunfähig im Sinne von § 42 BBG ist, lässt sich nicht feststellen. Insofern kann auf die zutreffenden Ausführungen in der erstinstanzlichen Entscheidung Bezug genommen werden, denen die Beklagte im Berufungsverfahren nicht entgegengetreten ist.

12

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 167 VwGO, 708 Nr. 10, 711 ZPO; die Streitwertfestsetzung auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1 GKG.

13

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.

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