Beschluss vom Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht (2. Senat) - 2 LA 626/07
Gründe
I.
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Der Kläger studierte seit dem Wintersemester 2003/2004 bei der Beklagten im Diplom-Studiengang Wirtschaftswissenschaften. Er bestand die am 19. Juli 2005 erstmalig und am 15. März 2006 als Wiederholer geschriebene Klausur „Volkswirtschaftslehre I“ nicht, weil er mit der ihm erteilten Bewertung jeweils die vorgeschriebene Mindestnote 4 (ausreichend) nicht erreicht hatte. Daraufhin teilte ihm die Beklagte mit Bescheid vom 7. April 2006 mit, er habe aufgrund des erneuten Nichtbestehens der Prüfungsleistung die Diplomvorprüfung endgültig nicht bestanden. Hiergegen legte er erfolglos Widerspruch ein und erhob am 31. August 2006 Klage mit dem Ziel, den Bescheid der Beklagten vom 7. April 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Juli 2006 aufzuheben. Mit Urteil vom 15. März 2007 - dem Kläger zugestellt am 30. März 2007 - wies das Verwaltungsgericht die Klage ab. Gegen dieses Urteil stellte der Kläger innerhalb der Rechtsmittelfrist keinen Antrag auf Zulassung der Berufung.
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Unter dem 4. Oktober 2007 veröffentlichte die Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der Beklagten auf ihrer Homepage im Internet einen Beschluss des Prüfungsausschusses für die Diplomstudiengänge und des Studiendekans, wonach bei allen Studierenden, die sich im laufenden Prüfungsverfahren der Diplom- oder Bachelorprüfung befänden und die in den “multiple choice“ Klausuren eine „nicht ausreichende“ Prüfungsleistung erzielt hätten, diese nicht bestandene Prüfungsleistung von Amts wegen annulliert werde. Gleiches gelte für die Studierenden im laufenden Prüfungsverfahren, die die genannten Klausuren zwar bestanden hätten, sich aber durch das Ergebnis belastet fühlten. Grund hierfür war, dass aus Sicht des Justiziariats der Beklagten Klausuren, deren Anteil an “multiple choice“ Fragen 50 v. H. oder mehr der Gesamtklausur ausmache, nicht in Einklang mit den gegenwärtig geltenden Bachelor- und Diplomprüfungsordnungen der Fakultät stünden.
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Daraufhin hat der Kläger mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 10. Oktober 2007 - bei dem Verwaltungsgericht am 24. Oktober 2007 eingegangen - einen Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 15. März 2007 und zugleich einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Rechtsmittelfrist gestellt. Zur Begründung führt er an, dass er im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG von dem Beschluss des Prüfungsausschusses profitieren würde, wenn er sich noch im laufenden Prüfungsverfahren befinden würde. Da die Annullierung der genannten Klausuren erst am 4. Oktober 2007 bekannt gegeben worden sei und er mit dieser Annullierung nicht habe rechnen müssen, sei er unverschuldet daran gehindert gewesen, die Rechtsmittelfrist einzuhalten, zumal auch das Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Urteil eine entsprechende Überprüfung in der Sache nicht vorgenommen habe. Es sei aufgrund der schnellen Terminierung des Verwaltungsgerichts in seiner Sache nur vom Zufall abhängig gewesen, dass er sich nicht mehr im laufenden Prüfungsverfahren befinde und bei der von Amts wegen vorgenommenen Annullierung der Klausuren nicht berücksichtigt werde. In der Sache trägt er vor, es bestünden ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils.
II.
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Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 15. März 2007 ist als unzulässig zu verwerfen. Der Kläger hat die einmonatige Antragsfrist des § 124 a Abs. 4 Satz 1 VwGO nicht eingehalten; dies stellt er auch nicht in Abrede.
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Entgegen seiner Ansicht ist dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 60 VwGO wegen Versäumung dieser Frist nicht zu gewähren. Der Kläger hat zwar die einmonatige Antragsfrist des § 60 Abs. 2 Satz 2 VwGO eingehalten und innerhalb dieser Frist die versäumte Rechtshandlung, das heißt hier den Zulassungsantrag, nachgeholt. Er war aber nicht ohne Verschulden verhindert, die einmonatige Frist des § 124 a Abs. 4 Satz 1 VwGO zur Stellung des Antrages auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts einzuhalten.
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Der Wiedereinsetzungsgrund der Verhinderung ohne Verschulden umfasst die zwei unterschiedlichen Tatbestandsmerkmale der Verhinderung und der unverschuldeten Fristversäumung. Ein Hinderungsgrund i. S. d. § 60 VwGO ist ein Ereignis oder ein Umstand, welches die Fristwahrung für den Betroffenen entweder schlechthin unmöglich macht oder unzumutbar erschwert. Als ein solches Hindernis kommen neben objektiven Umständen der Außenwelt - zum Beispiel Beförderungsmängel - auch subjektive Gründe - wie etwa Krankheit, die Unkenntnis über den Fristbeginn oder die Dauer der Frist -, in Betracht, die allein in der Person des Säumigen begründet liegen. Ein Hindernis in diesem Sinn liegt dagegen gerade nicht vor, wenn ein Beteiligter (wie hier der Kläger) es in Kenntnis aller für die Versäumung maßgeblichen Tatsachen unterlässt, einen Rechtsbehelf einzulegen, weil er - wenn auch irrig - von der Erfolglosigkeit desselben ausgeht (BVerwG, Beschl. v. 15.3.1989 - 7 B 40.89 -, NVwZ-RR 1989, 591 = Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 162; vgl. auch BVerwG, Beschl. v. 8.3.1984 - 9 B 15204.82 -, NVwZ 1984, 521; Czybulka, in: Sodan/Ziekow, VwGO, Kommentar, 2. Aufl. 2006, § 60 Rdnr. 37 m. w. N.). In diesem Fall liegt zudem eine vorsätzliche Fristversäumung vor, bei der eine Wiedereinsetzung grundsätzlich ausgeschlossen ist (Czybulka, in: Sodan/Ziekow, a. a. O., § 60 Rndr. 42 m. w. N.).
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Deshalb stellen ein Irrtum oder bestehende Zweifel über die Erfolgsaussicht eines Rechtsbehelfs keine Verhinderung an dessen rechtzeitiger Einlegung dar und vermögen eine Fristversäumung nicht zu entschuldigen. Folge hiervon ist, dass, wenn nach Fristablauf gerichtliche Entscheidungen veröffentlicht werden, aus denen sich für den Betroffenen günstigere Erfolgsaussichten ableiten lassen, sich hieraus ein Wiedereinsetzungsgrund für denjenigen, der in Unkenntnis dieser neuen Entwicklungen auf weitere gerichtliche Schritte verzichtet hat, nicht ableiten lässt (Czybulka, in: Sodan/Ziekow, a. a. O., § 60 Rdnr. 70 m. w. N.). Gleiches gilt für den hier gegebenen Fall, dass diese neuen Entwicklungen nicht auf gerichtlichen Entscheidungen, sondern auf einer aus späterer Erkenntnis resultierenden geänderten nachträglichen Praxis oder Einstellung des Prozessgegners beruhen. Einer derartigen auf Erkenntnisfortschritten beruhenden Änderung der Sachlage ist nicht durch das Rechtsinstitut der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 60 VwGO, sondern - wenn überhaupt - gegebenenfalls durch das Rechtsinstitut des Wiederaufgreifens des Verfahrens auf der Grundlage des § 51 VwVfG i. V. m. § 1 Abs. 1 Satz 1 NVwVfG (vgl. hierzu Kopp/Ramsauer, VwVfG, Kommentar, 9. Aufl. 2005, § 51 Rdnr. 29) zu begegnen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes folgt aus §§ 52 Abs. 2 GKG, wobei sich der Senat wie das Verwaltungsgericht an Ziffer II. 36.4 („sonstige Prüfungen“) des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit - Fassung 7/2004 (NVwZ 2004, 1327) orientiert.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
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