Urteil vom Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht (11. Senat) - 11 LB 167/12

Tatbestand

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Der Kläger begehrt die Befristung der Wirkungen seiner Ausweisung und die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis.

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Der 1975 geborene Kläger ist pakistanischer Staatsangehöriger. Er heiratete am 22. November 1999 in Dänemark die deutsche Staatsangehörige C. und beantragte am 25. November 1999 bei der deutschen Botschaft in Kopenhagen ein Visum zur Familienzusammenführung, mit dem er am 31. Januar 2000 in die Bundesrepublik Deutschland einreiste. Am 8. Februar 2000 erhielt er von der Beklagten einen Aufenthaltstitel nach § 23 AuslG, der bis zum 7. Februar 2002 verlängert wurde. Nachdem sich der Kläger und seine Ehefrau am 1. April 2002 getrennt hatten, wurde der Aufenthaltstitel des Klägers als eigenständiges Aufenthaltsrecht nach § 19 AuslG erstmals am 19. Juni 2002 sowie bis zum 21. Dezember 2006 regelmäßig weiter verlängert.

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Am 7. Juli 2005 heiratete der Kläger die deutsche Staatsangehörige D., die endgültige Trennung erfolgte nach wenigen Wochen. Die Ehe wurde am 2. November 2006 geschieden.

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Am 6. Oktober 2006 verurteilte das Landgericht E. den Kläger wegen schwerer Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren (2 KLs Js 41703/04 - 26/06). Das Urteil ist seit dem 30. Mai 2007 nach Maßgabe des Beschlusses des Bundesgerichtshofs vom 29. Mai 2007 (3 StR 190/07) rechtskräftig. Der Verurteilung lag zugrunde, dass der Kläger am 16. April 2003 einer fünfundzwanzigjährigen Frau in der Wohnung seines ebenfalls anwesenden Cousins eine Substanz in das Bier geschüttet hatte, durch die sie bewusstlos wurde, und anschließend an ihr sexuelle Handlungen vorgenommen und den Beischlaf ausgeführt hatte.

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Der Antrag des Klägers vom 9. Oktober 2006 auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis wurde von der Beklagten im Hinblick auf die Verurteilung wegen Vergewaltigung zunächst nicht beschieden.

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Am 30. November 2006 heiratete der Kläger in Dänemark die sich seit längerem rechtmäßig in Deutschland aufhaltende weißrussische Staatsangehörige F..

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Das Amtsgericht B. verurteilte den Kläger am 22. März 2007 wegen versuchter Strafvereitelung zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen.

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Am 26. Januar 2008 versuchte der Kläger, mit einem deutschen Personalausweis per Bus nach Frankreich auszureisen, wobei er angab, seine Schwester in England besuchen zu wollen. Er wurde von französischen Grenzbeamten angehalten und der Bundespolizei übergeben. Am 31. Januar 2008 trat der Kläger seine Haftstrafe aus dem Urteil des Landgerichts E. an.

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Am 25. Februar 2008 hörte die Beklagte den Kläger zu einer beabsichtigten Ausweisung an. Der Kläger verwies in seiner Stellungnahme vom 28. April 2008 darauf, dass die Vergewaltigung schon fünf Jahre zurück liege, er bis zum Haftantritt mit seiner Ehefrau und deren zwei Kindern zusammen gelebt habe und diese Lebensgemeinschaft nach der Haftentlassung wieder aufnehmen wolle. Die Beklagte teilte der Justizvollzugsanstalt G. mit Schreiben vom 18. Mai 2009 mit, dass vor weiteren ausländerrechtlichen Entscheidungen abgewartet werden solle, ob der Kläger die Vorgaben aus dem Vollzugsplan vom 24. Juli 2008 erfüllen werde. Ab dem 17. November 2009 befand sich der Kläger im offenen Vollzug. Die Justizvollzugsanstalt H. teilte der Beklagten mit Schreiben vom 23. Dezember 2009 mit, dass die Vorgaben der Vollzugsplanung erfüllt worden seien und eine vorzeitige Entlassung des Klägers befürwortet werde. Mit Beschluss des Amtsgerichts G. vom 4. Januar 2010 wurde die Vollstreckung der Reststrafe zur Bewährung ausgesetzt und die Bewährungszeit auf vier Jahre festgelegt. Der Kläger wurde am 28. Januar 2010 aus der Haft entlassen.

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Mit Bescheid vom 23. März 2010 verlängerte die Beklagte die ihm nach § 30 AufenthG erteilte Aufenthaltserlaubnis um ein Jahr. Am 1. April 2010 kam es zur Trennung des Klägers von Frau F.. Die Ehe ist inzwischen geschieden. Der Kläger lebt seitdem in eheähnlicher Lebensgemeinschaft mit der in Deutschland geborenen I., die zum damaligen Zeitpunkt die türkische Staatsangehörigkeit besaß und über eine Niederlassungserlaubnis verfügte. Inzwischen ist Frau I. deutsche Staatsangehörige.

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Nach Anhörung des Klägers wies die Beklagte ihn mit Bescheid vom 9. Juli 2010 aus der Bundesrepublik Deutschland aus. Zur Begründung führte sie aus, dass der Kläger durch die Verurteilung zu einer dreijährigen Freiheitsstrafe den zwingenden Ausweisungsgrund nach § 53 Nr. 1 AufenthG verwirklicht habe. Der Grund, weshalb man zunächst von einer Ausweisung abgesehen und die Aufenthaltserlaubnis verlängert habe - die Rücksicht auf die eheliche Lebensgemeinschaft mit Frau F. -, sei nun entfallen. Es sei nicht zu erwarten, dass der Kläger sich zukünftig straffrei verhalten werde. Der Vaterschaft für das Kind, das seine neue Lebensgefährtin erwarte, könne erst nach der Geburt im Rahmen des Befristungsverfahrens Rechnung getragen werden.

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Die von dem Kläger gegen seine Ausweisung erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 27. Oktober 2010 ab (11 A 2062/10). Der Antrag auf Zulassung der Berufung blieb ebenfalls ohne Erfolg (Senatsbeschl. v. 7.1.2011 - 11 LA 503/10 -).

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Am 19. Januar 2011 brachte die Lebensgefährtin des Klägers, Frau I., einen Sohn zur Welt, für den der Kläger die Vaterschaft anerkannt hat und zusammen mit Frau I. das Sorgerecht ausübt. Der Sohn J. besitzt aufgrund des Aufenthaltsstatus seiner Mutter die deutsche Staatsangehörigkeit.

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Mit Schreiben vom 10. Februar 2011 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG und die Befristung der Sperrwirkung der Ausweisung auf den 19. Januar 2011 ohne vorherige Ausreise. Er lebe mit dem Kind und der Mutter zusammen und übe gemeinsam mit ihr das Sorgerecht aus. Dies sei im Vergleich zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidungen über die Ausweisung eine neue Sachlage. Es sei ihm als Vater eines deutschen Kleinkindes nicht zumutbar, auch nur für kurze Zeit auszureisen. Dies gelte insbesondere angesichts der schlechten Sicherheitslage in Pakistan.

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Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 6. April 2011 den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG ab (Ziffer I.1) und befristete die Sperrwirkung der Ausweisung auf den 19. Dezember 2011, sofern die Ausreise innerhalb eines Monats nach Zustellung des Bescheides erfolgt (Ziffer I.2). Zur Begründung führte sie aus, dass durch die Geburt des Kindes weder ein tatsächliches noch ein rechtliches Ausreisehindernis i.S.d. § 25 Abs. 5 AufenthG eingetreten sei. Aufenthaltserlaubnisse aus diesem Grund könnten nur nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG erteilt werden, was hier jedoch wegen § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG nicht möglich sei. Ferner müsse berücksichtigt werden, dass schon die letzte Ehefrau des Klägers vergeblich darauf vertraut habe, dass er sich wie ein guter Vater um ihre Kinder kümmern werde. Gefahren im Sinne des § 60 AufenthG seien für den Kläger in Pakistan nicht ersichtlich. Mit der Befristung auf den 19. Dezember 2011 werde dem Kläger die Möglichkeit eröffnet, noch vor dem ersten Geburtstag seines Kindes ein Visum für die Wiedereinreise zu beantragen. Ein nachhaltiger Schaden für das Kindeswohl sei bei einer Trennung bis dahin nicht zu befürchten.

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Der Kläger hat am 4. Mai 2011 Klage erhoben. Er hat geltend gemacht, dass angesichts seiner Rolle als sorgeberechtigter Vater eines deutschen Kindes in seiner Person ein Ausreisehindernis aus Art. 6 GG bestehe. In diesen Fällen müsse entweder die Wirkung der Ausweisung ohne Ausreise befristet werden oder es sei eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG zu erteilen. Schon wegen der labilen Sicherheitslage in Pakistan sei ihm eine Ausreise dorthin nicht zumutbar.

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Der Kläger hat beantragt,

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den Bescheid der Beklagten vom 6. April 2011 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG zu erteilen sowie die Sperrwirkung seiner Ausweisung auf den 19. Januar 2011 zu befristen.

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Die Beklagte hat beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie hat vorgetragen, das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung überwiege nach wie vor das private Interesse des Klägers an einem Verbleib im Bundesgebiet. Dies ergebe sich auch aus den gerichtlichen Entscheidungen über die Ausweisung. Das Interesse an der Aufrechterhaltung der familiären Lebensgemeinschaft mit dem deutschen Kind habe nicht automatisch Vorrang vor dem öffentlichen Interesse an dem Vollzug der Ausweisung. Es bedürfe vielmehr einer einzelfallbezogenen Abwägung aller Belange. Diese sei im angefochtenen Bescheid erfolgt. Ferner habe der Kläger keine konkreten Gründe dafür vorgetragen, wieso ihm in Pakistan Gefahren i.S.d. § 60 Abs. 7 AufenthG drohen sollten.

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Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 8. Juli 2011 den Bescheid der Beklagten vom 6. April 2011 zu Ziffer I.2 aufgehoben und diese verpflichtet, den Antrag des Klägers auf Befristung der Wirkungen seiner Ausweisung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass der Kläger aufgrund der nach Ablauf der Umsetzungsfrist unmittelbar anwendbaren Richtlinie 2008/115/EG (Rückführungsrichtlinie) einen Anspruch auf Befristung der Wirkungen seiner Ausweisung habe. Die Beklagte habe in dem angefochtenen Bescheid eine Befristung aber nur ausgesprochen, sofern die Ausreise innerhalb eines Monats nach Zustellung des Bescheides erfolge, und somit die Befristungsentscheidung mit einer aufschiebenden Bedingung versehen. Eine solche Nebenbestimmung dürfe in einen Verwaltungsakt, auf den ein Anspruch bestehe, nur aufgenommen werden, wenn sie durch Rechtsvorschrift zugelassen sei oder sicherstellen solle, dass die gesetzlichen Voraussetzungen des Verwaltungsaktes erfüllt werden. Dies sei hier nicht der Fall. Da die aufschiebende Bedingung nicht mehr eintreten könne, stehe der Kläger so, als wäre überhaupt keine Befristung erfolgt. Die Beklagte müsse daher über den Antrag auf Befristung der Wirkungen der Ausweisung neu und unbedingt entscheiden. Die Festsetzung der Länge der Sperrfrist stehe im Ermessen der Ausländerbehörde. Dabei sei maßgeblich, wann der durch die jeweilige Ausweisung vorgegebene Ausweisungszweck erreicht sein werde. Hierbei seien alle wesentlichen Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen und unter Beachtung der gesetzlichen Grenzen des behördlichen Ermessens, des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und der Schutzwirkungen des Art. 6 GG und Art. 8 EMRK sachgerecht abzuwägen. Der Kläger sei zwar sorgeberechtigter Vater eines deutschen Kleinkindes. Allerdings habe er mit einer schweren Vergewaltigung ein sehr schwerwiegendes Verbrechen gegen die sexuelle Selbstbestimmung begangen. Ferner bestehe nach wie vor eine nicht zu vernachlässigende Wiederholungsgefahr, wie sich aus den Ausführungen des Verwaltungsgerichts in seinem Urteil vom 27. Oktober 2010 (11 A 2062/10) über die Ausweisung des Klägers ergebe. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass die erst vor einem knappen halben Jahr erfolgte Geburt seines Sohnes eine Zäsur in seinem Leben darstelle. Der bisherige Lebenswandel des Klägers spreche gegen die Annahme, dass er familiäre bzw. eheliche Verantwortung ernst nehme und sich dadurch von der Begehung von Straftaten abhalten lasse. Angesichts der Schwere der vom Kläger begangenen Straftat und der sich aus seiner allgemeinen Neigung zur Missachtung der Rechtsordnung ergebenden Wiederholungsgefahr überwiege das öffentliche Interesse an einer Ausreise sein privates Interesse an einem weiteren Zusammenleben mit seinem Kind in Deutschland. Für die Neubemessung der Frist werde darauf hingewiesen, dass die von der Beklagten vorgesehene Frist in rechtswidriger Weise zu kurz bemessen sei. Die Beklagte habe ihr Ermessen bei der Fristbestimmung in Anlehnung an die ermessenslenkende Allgemeine Verwaltungsvorschrift (AVV) zum AufenthG des Bundesministeriums des Innern vom 26. Oktober 2009 auszuüben und dürfe danach die Sperrfrist nicht unter sieben Jahren ansetzen. Ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen nach § 25 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 6 GG bzw. Art. 8 EMRK bestehe nicht, weil der Kläger eine außergewöhnlich schwerwiegende Straftat begangen habe und sein bisheriges Verhalten darauf schließen lasse, dass er auch seine familiäre Verantwortung nicht ernst genug nehme, um sich dauerhaft von weiteren Straftaten abhalten zu lassen.

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Gegen das ihm am 13. Juli 2011 zugestellte Urteil des Verwaltungsgerichts hat der Kläger am 5. August 2011 die Zulassung der Berufung beantragt, soweit die Klage abgewiesen worden ist. Mit Beschluss vom 27. Juni 2012 (11 LA 247/11) hat der Senat die Berufung wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils zugelassen.

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Zur Begründung der Berufung verweist der Kläger auf seinen Schriftsatz vom 12. September 2012, mit dem er seinen Zulassungsantrag begründet hat, sowie auf den Senatsbeschluss vom 27. Juni 2012.

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Der Kläger beantragt,

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das Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg - Einzelrichter der 11. Kammer - vom 8. Juli 2011 zu ändern und die Beklagte zu verpflichten, ihm eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG zu erteilen sowie die Sperrwirkung seiner Ausweisung auf den 19. Januar 2011 zu befristen.

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Die Beklagte beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Sie tritt dem Vorbringen des Klägers entgegen und macht geltend, sie verkenne nicht, dass der Kläger die Verbindung zu seinem deutschen Kind seit dessen Geburt aufrechterhalte. Diesem Interesse habe sie durch eine Befristung der Wirkungen der Ausweisung auf sieben Monate Rechnung getragen.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die Beiakten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

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Die Berufung des Klägers hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet.

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1. Der Antrag des Klägers, die Beklagte zu verpflichten, die Wirkungen seiner Ausweisung auf den 19. Januar 2011 zu befristen, ist nur teilweise begründet.

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Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des Befristungsbegehrens des Klägers ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung durch den Senat. Rechtsgrundlage ist daher § 11 AufenthG in der durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex vom 22. November 2011 geänderten Fassung (BGBl. I S. 2258 - Richtlinienumsetzungsgesetz 2011 -).

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Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG darf ein Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, nicht erneut in das Bundesgebiet einreisen und sich darin aufhalten. Ihm wird gemäß Satz 2 der Vorschrift auch bei Vorliegen der Voraussetzungen eines Anspruchs nach diesem Gesetz kein Aufenthaltstitel erteilt. Satz 3 der Vorschrift bestimmt, dass die in den Sätzen 1 und 2 bezeichneten Wirkungen auf Antrag befristet werden. Die Frist ist nach Satz 4 der Vorschrift unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls festzusetzen und darf fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht. Bei der Bemessung der Länge der Frist wird berücksichtigt, ob der Ausländer rechtzeitig und freiwillig ausgereist ist (Satz 5). Die Frist beginnt mit der Ausreise (Satz 6).

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Seit Inkrafttreten der Änderung des § 11 Abs. 1 AufenthG haben Ausländer einen Anspruch darauf, dass die Ausländerbehörde mit Erlass der Ausweisung zugleich deren in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG genannte Wirkungen befristet (BVerwG, Urt. v. 13.12.2012 - BVerwG 1 C 14.12 -, juris, Rn. 11, und Urt. v. 10.7.2012 - BVerwG 1 C 19.11 -, InfAuslR 2012, 397, juris, Rn. 30 ff.). Dieser Anspruch ist auch hinsichtlich der Dauer der Befristung gerichtlich voll überprüfbar (BVerwG, Urt. v. 14.2.2012 - BVerwG 1 C 7.11 -, NVwZ 2012, 1558, juris, Rn. 31). Hat eine Ausländerbehörde eine zu lange Frist gesetzt oder fehlt eine behördliche Befristungsentscheidung, hat das Gericht über die konkrete Dauer einer angemessenen Frist selbst zu befinden und die Ausländerbehörde zu einer entsprechenden Befristung der Ausweisung zu verpflichten (BVerwG, Urt. v. 10.7.2012 - BVerwG 1 C 19.11 -, a.a.O., juris, Rn. 40).

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Hier ist der Kläger bereits mit bestandskräftigem Bescheid vom 9. Juli 2010 aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen worden, so dass Streitgegenstand nur der Anspruch des Klägers auf Befristung der Wirkungen dieser Ausweisung ist, über den die Beklagte mit dem angefochtenen Bescheid entschieden hat.

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Wie das Verwaltungsgericht zutreffend dargelegt hat, ist die Entscheidung der Beklagten, die Sperrwirkung auf den 19. Dezember 2011 zu befristen, wenn die Ausreise binnen eines Monats nach Zustellung des Bescheides erfolgt, rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Die Beklagte hat zwar eine Befristung ausgesprochen, diese aber mit einer aufschiebenden Bedingung im Sinne des § 36 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG verknüpft. Eine solche Nebenbestimmung darf nach § 36 Abs. 1 VwVfG nur dann in einen Verwaltungsakt, auf den - wie hier - ein Anspruch besteht, aufgenommen werden, wenn sie durch Rechtsvorschrift zugelassen ist oder sicherstellen soll, dass die gesetzlichen Voraussetzungen des Verwaltungsaktes erfüllt werden. Davon ist hier nicht auszugehen.

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Die für den Befristungsanspruch maßgebliche Rechtsgrundlage des § 11 AufenthG enthält keine Regelung über die Zulässigkeit von Nebenbestimmungen. Die Ausreise des Ausländers innerhalb einer bestimmten Frist ist auch keine Voraussetzung für den Erlass einer Befristungsentscheidung.

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Wie das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 10. Juli 2012 (- BVerwG 1 C 19.11 -, a.a.O., juris, Rn. 36 f.) ausgeführt hat, verdeutlicht die Begründung des Gesetzentwurfs zum Richtlinienumsetzungsgesetz 2011, dass sich der Gesetzgeber mit der Neufassung des § 11 AufenthG auch hinsichtlich der in Absatz 1 Satz 1 und 2 der Vorschrift genannten gesetzlichen Folgen der Ausweisung und deren Befristung an den unionsrechtlichen Vorgaben für eine Rückkehrentscheidung orientiert hat. Im Regelungsmodell der Richtlinie ist das Einreiseverbot jedoch als antragsunabhängige, mit einer Rück-kehrentscheidung von Amts wegen einhergehende Einzelfallentscheidung ausgestaltet, in der die Dauer der befristeten Untersagung des Aufenthalts in Anbetracht der jeweiligen Umstände des Einzelfalls festgesetzt wird (Art. 3 Nr. 6 i.V.m. Art. 11 Abs. 1 und 2 Satz 1 der Richtlinie). Aus der Absicht des Gesetzgebers, dieses Modell trotz der beibehaltenen systematischen Trennung von Ausweisung und Befristung nachzuvollziehen, ergeben sich zwei Konsequenzen: Zum einen gebietet § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG den gleichzeitigen Erlass von Ausweisung und Befristung. Zum anderen genügt für den in dieser Vorschrift vorgesehenen Antrag jede Form der Willensbekundung des Betroffenen, mit der dieser sich gegen eine Ausweisung wendet (so auch BVerwG, Urt. v. 13.12.2012 - BVerwG 1 C 14.12 -, juris, Rn. 11). Somit setzt der Befristungsanspruch nach § 11 AufenthG nicht voraus, dass der Ausländer innerhalb einer bestimmten Frist ausgereist ist.

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Eine andere Auslegung ergibt sich auch nicht aus § 11 Abs. 1 Satz 5 AufenthG. Danach ist bei der Bemessung der Fristlänge zu berücksichtigen, ob der Ausländer rechtzeitig und freiwillig ausgereist ist. Zwar sind bei einem gleichzeitigen Erlass von Ausweisung und Befristung diese Umstände noch nicht bekannt. Gleichwohl läuft diese Vorschrift nicht leer, sondern kann als zusätzlicher Gesichtspunkt bei einer nachträglich beantragten Verkürzung der Frist eine Rolle spielen. Da die Entscheidung über die Länge der Frist nicht mehr im Ermessen der Ausländerbehörde steht, sondern gerichtlich voll überprüfbar ist, ist die rechtzeitige und freiwillige Ausreise zudem bei der gerichtlichen Überprüfung der Befristungsentscheidung zu berücksichtigen (vgl. zum Vorstehenden: BVerwG, Urt. v. 10.7.2012 - BVerwG 1 C 19.11 -, a.a.O., juris, Rn. 38).

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Die Rechtswidrigkeit der beigefügten aufschiebenden Bedingung führt dazu, dass die Befristungsentscheidung insgesamt rechtswidrig und aufzuheben ist. Abgesehen davon, dass der Kläger die Entscheidung der Beklagten zur Befristung in vollem Umfang und nicht nur hinsichtlich der rechtswidrigen Nebenbestimmung angefochten hat, wäre eine isolierte Anfechtung und Teilaufhebung nur der aufschiebenden Bedingung auch nicht möglich. Denn wegen der Befristung auf den 19. Dezember 2011 und damit auf einen bereits vergangenen Zeitpunkt würde dies im Ergebnis dazu führen, dass die Sperrwirkungen der Ausweisung sofort, d.h. ohne vorherige Ausreise des Klägers, entfallen würden und somit deren zeitliche Dauer mit Null zu bemessen wäre. Wie sich aus den folgenden Ausführungen ergibt, liegen die dafür erforderlichen Voraussetzungen aber nicht vor.

42

Da die Befristungsentscheidung der Beklagten rechtswidrig ist, hat der Senat über die konkrete Dauer einer angemessenen Frist selbst zu entscheiden und die Beklagte zu einer entsprechenden Befristung der Wirkungen der Ausweisung zu verpflichten. Eine Verpflichtung der Beklagten zur Neubescheidung, wie sie das Verwaltungsgericht ausgesprochen hat, ist ausgeschlossen.

43

Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, die Sperrwirkungen der Ausweisung auf den 19. Januar 2011 und damit der Sache nach auf sofort zu befristen. Im vorliegenden Fall ist vielmehr eine Frist von einem Jahr angemessen, wobei die Frist nach § 11 Abs. 1 Satz 6 AufenthG mit der Ausreise beginnt.

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Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom 13. Dezember 2012 (- BVerwG 1 C 14.12 -, juris, Rn. 14 f.) zu der Frage, wie die Frist zu bemessen ist, folgende Ausführungen gemacht:

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„Die allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzende Frist ist gemäß § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu bestimmen und darf fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht (zu der zuletzt genannten Voraussetzung vgl. Art. 11 Abs. 2 Satz 2 der Richtlinie 2008/115/EG). Bei der Bemessung der Frist sind in einem ersten Schritt das Gewicht des Ausweisungsgrundes und der mit der Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Es bedarf der prognostischen Einschätzung im jeweiligen Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das der zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Selbst wenn die Voraussetzungen für ein Überschreiten der zeitlichen Grenze von fünf Jahren gemäß § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG vorliegen, geht der Senat davon aus, dass in der Regel ein Zeitraum von maximal 10 Jahren den Zeithorizont darstellt, für den eine Prognose realistischerweise noch gestellt werden kann. Weiter in die Zukunft lässt sich die Persönlichkeitsentwicklung - insbesondere jüngerer Menschen - kaum abschätzen, ohne spekulativ zu werden. Leitet sich diese regelmäßige Höchstdauer für die Befristung von 10 Jahren aus dem Umstand ab, dass mit zunehmender Zeit die Fähigkeit zur Vorhersage zukünftiger persönlicher Entwicklungen abnimmt, bedeutet ihr Ablauf nicht, dass bei einem Fortbestehen des Ausweisungsgrundes oder der Verwirklichung neuer Ausweisungsgründe eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden müsste (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG).

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Die auf diese Weise ermittelte Frist muss sich aber an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) sowie den Vorgaben aus Art. 7 GRCh, Art. 8 EMRK, messen lassen und ist daher ggf. in einem zweiten Schritt zu relativieren. Dieses normative Korrektiv bietet der Ausländerbehörde und den Verwaltungsgerichten ein rechtsstaatliches Mittel, um die fortwirkenden einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen sowie ggf. seiner engeren Familienangehörigen zu begrenzen (vgl. Urteile vom 11. August 2000 - BVerwG 1 C 5.00 - BVerwGE 111, 369 <373> und vom 4. September 2007 - BVerwG 1 C 21.07 - BVerwGE 129, 243 Rn. 19 ff.). Dabei sind insbesondere die in § 55 Abs. 3 Nr. 1 und 2 AufenthG genannten schutzwürdigen Belange des Ausländers in den Blick zu nehmen. Die Abwägung ist nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalles im Zeitpunkt der Behördenentscheidung vorzunehmen bzw. von den Verwaltungsgerichten zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bzw. Entscheidung des Gerichts vollumfänglich zu überprüfen. Fehlt - wie hier - die behördliche Befristungsentscheidung, ist sie vom Gericht durch eine eigene Abwägung als Grundlage des Verpflichtungsausspruchs zu ersetzen (vgl. Urteil vom 10. Juli 2012 a.a.O. Rn. 42 f.).“

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Danach ist zunächst die nach präventiven Gesichtspunkten maßgebende Frist zu ermitteln. Dabei bedarf es der prognostischen Einschätzung, wie lange das Verhalten des Klägers, das seiner zu spezial- und generalpräventiven Zwecken verfügten Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Da der Kläger aufgrund einer Straftat ausgewiesen worden ist, kommt die in § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG enthaltene Fristgrenze von fünf Jahren nicht zur Anwendung, so dass nach der vorstehenden Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts grundsätzlich ein Zeitraum von bis zu maximal 10 Jahren in Betracht zu ziehen ist.

48

Der Kläger ist wegen einer schweren Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und somit wegen einer äußerst schwerwiegenden Straftat ausgewiesen worden. Den durch eine solche Straftat verletzten Rechtsgütern von Leib und Leben kommt ein sehr hohes Gewicht zu. Zudem sind gegen ihn zwei Strafverfahren wegen gefährlicher Körperverletzung geführt worden, die im Hinblick auf die genannte Verurteilung wegen Vergewaltigung nach § 154 StPO eingestellt worden sind. In Bezug auf die Begehung gleichartiger Delikte besteht bei dem Kläger auch zum jetzigen Zeitpunkt noch ein Gefahrenpotential. Dieses ist aber nicht mehr als hoch einzustufen. Dafür spricht bereits das im Strafverfahren eingeholte Prognosegutachten des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. K. vom 15. Mai 2009, in dem die Rückfallgefahr sowohl für Gewalttaten als auch für sexuell motivierte Straftaten als sehr gering eingeschätzt worden ist. Der Gutachter führt dazu aus, dies liege weniger daran, dass der Kläger seine Straftaten aufgearbeitet habe, sondern dass die Inhaftierung bei ihm deutliche Hemmnisfaktoren hinsichtlich einer erneuten Strafhaft aufgebaut habe. Dabei wies der Gutachter allerdings auch darauf hin, dass dem Kläger eine Tataufarbeitung nur in engen Grenzen möglich sein werde und nicht davon auszugehen sei, dass er differenziert berichten werde, wie es zu der Tat gekommen sei und was genau in der Wohnung passiert sei. Der Annahme einer hohen Wiederholungsgefahr steht außerdem entgegen, dass seit der Begehung der Straftaten in den Jahren 2003 und 2004 ein längerer Zeitraum vergangen ist, in dem der Kläger nicht mehr in vergleichbarer Weise straffällig geworden ist. Allerdings befand sich der Kläger vom 31. Januar 2008 bis zum 28. Januar 2010 in Strafhaft und stand im Übrigen seitdem unter dem Druck einer ihm drohenden Ausweisung. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass der Kläger zwar bereits seit drei Jahren aus der Strafhaft entlassen ist, die Vollstreckung der Reststrafe aber zur Bewährung ausgesetzt worden ist und die Bewährungszeit noch etwa ein Jahr läuft. Dass der Kläger nach Wegfall des Drucks der Bewährungszeit und damit über die ersten Jahre hinaus straffrei bleiben wird, kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht mit der erforderlichen Sicherheit prognostiziert werden. Dies gilt auch im Hinblick darauf, dass gegen ihn im November 2012 ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen sexueller Beleidigung eingeleitet worden ist. Dieses Ermittlungsverfahren ist, wie sich aus dem vom Kläger eingereichten Schreiben der Staatsanwaltschaft Oldenburg vom 14. Februar 2013 ergibt, nur deshalb eingestellt worden, weil die Anzeigeerstatterin ihre Strafanzeige zurückgenommen hat.

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Soweit der Gutachter als prognostisch günstig angesehen hat, dass sich die dritte Ehe anders darstellte als die vorhergehenden, hat sich dies nach der Haftentlassung nicht bestätigt. Denn der Kläger hat sich bereits kurze Zeit nach seiner Entlassung und nur wenige Tage nach Erteilung der Aufenthaltserlaubnis von seiner dritten Ehefrau getrennt und ist zu seiner neuen Lebensgefährtin gezogen, mit der er seit dem 1. April 2010 zusammenlebt. Ob es sich dabei um eine Beziehung handelt, die dauerhafter ist als seine drei Ehen und zudem einen stabilisierenden Einfluss auf ihn ausübt, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht hinreichend sicher beurteilen. Dafür könnte sprechen, dass aus dieser Beziehung ein Kind hervorgegangen ist, der Kläger zusammen mit seiner Lebensgefährtin das Sorgerecht für das Kind ausübt und mit beiden eine familiäre Lebensgemeinschaft führt. Allerdings ist der Zeitraum seit der Geburt des Kindes noch zu kurz, um beurteilen zu können, ob hierdurch eine Zäsur in der Lebensführung eingetreten ist, die ihn dauerhaft von der Begehung von Straftaten abhält.

50

Angesichts der Schwere des Ausweisungsgrundes und der noch bestehenden Wiederholungsgefahr kann erst nach Ablauf der Bewährungszeit und eines weiteren Zeitraums, in dem der Kläger nicht mehr unter Bewährung steht und straflos bleibt, davon ausgegangen werden, dass der spezialpräventive Zweck der Ausweisung erreicht ist, so dass zum jetzigen Zeitpunkt unter präventiven Gesichtspunkten eine Frist von mindestens drei Jahren festzusetzen wäre.

51

Darüber hinaus ist die Ausweisung des Klägers auch mit generalpräventiven Zwecken begründet worden. Dass eine Abschreckungswirkung der Ausweisung inzwischen entfallen wäre, ist nicht ersichtlich. Die strafrechtliche Verurteilung des Klägers ist erst 2007 rechtskräftig geworden und die Ausweisungsverfügung erst 2011 ergangen. Insofern ist die Ausweisung des Klägers durchaus noch geeignet, andere Ausländer von der Begehung entsprechender schwerwiegender Straftaten abzuschrecken.

52

Die Frist muss sich aber u.a. an den verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 6 GG) messen lassen und ist hier im Hinblick auf Art. 6 GG wegen der familiären Beziehungen des Klägers zu seinem in Deutschland lebenden Sohn, der deutscher Staatsangehöriger ist, weiter zu verkürzen. Der sorgeberechtigte Kläger lebt nach seinen Angaben mit seinem Sohn und der Kindesmutter in familiärer Lebensgemeinschaft. Davon geht auch die Beklagte aus. Zwar hat der Kläger weder näher dargelegt, in welcher Weise er sich um seinen Sohn kümmert, noch liegt dazu eine Erklärung der Kindesmutter vor. Mangels anderer Anhaltspunkte ist zum jetzigen Zeitpunkt aber davon auszugehen, dass zwischen dem Kläger und seinem Sohn eine schützenswerte Beziehung besteht. Da der Sohn des Klägers erst gut zwei Jahre alt und damit in einem Alter ist, in dem die Entwicklung sehr schnell voranschreitet, ist bei der Fristbemessung zu berücksichtigen, dass auch eine relativ kurze Trennungszeit unzumutbar lang sein kann. Aus diesem Grund ist nach Abwägung aller Umstände nur ein Trennungszeitraum von einem Jahr als verhältnismäßig anzusehen.

53

Sonstige Aspekte, aus denen sich eine Verkürzung der Frist ergeben könnte, hat der Kläger nicht geltend gemacht. Sollten sich aus der Entwicklung nach der Berufungsverhandlung Anhaltspunkte für eine weitere Verkürzung der Frist ergeben, müsste die Beklagte dies auf einen Antrag des Klägers auf einer aktuellen Tatsachengrundlage prüfen.

54

2. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG. Denn seine Ausreise ist nicht im Sinne des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich.

55

Rechtlich unmöglich ist eine Ausreise des Ausländers aus dem Bundesgebiet dann, wenn ihr rechtliche Gründe entgegenstehen, welche die Ausreise ausschließen oder als unzumutbar erscheinen lassen. Derartige Hindernisse können sich u. a. aus Verfassungsrecht (z.B. aus Art. 6 Abs. 1 GG) oder Völkervertragsrecht (z.B. aus Art. 8 EMRK) ergeben (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.6.2006 - BVerwG 1 C 14.05 -, BVerwGE 126, 192 ff.). Ein solcher verfassungs- und konventionsrechtlicher Schutz ist grundsätzlich dann geboten, wenn es dem Ausländer nicht zuzumuten ist, seine familiären Bindungen durch Ausreise auch nur kurzfristig zu unterbrechen. Kann die Lebens- und Erziehungsgemeinschaft zwischen dem Ausländer und seinem Kind nur in der Bundesrepublik Deutschland verwirklicht werden, etwa weil das Kind die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt und ihm wegen der Beziehungen zu seiner Mutter das Verlassen der Bundesrepublik nicht zumutbar ist, so drängt die Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, einwanderungspolitische Belange regelmäßig zurück (vgl. zum Folgenden BVerfG, Beschl. v. 23.1.2006 - 2 BvR 1935/05 -, NVwZ 2006, 682, und v. 10.5.2008 - 2 BvR 588/08 -, InfAuslR 2008, 347, jeweils m.w.N.). Auf die Frage, ob die von einem Elternteil tatsächlich erbrachte Lebenshilfe auch von anderen Personen erbracht werden könnte, kommt es dabei nicht an. Denn bei einer gelebten Vater-Kind-Beziehung wird der spezifische Erziehungsbeitrag des Vaters nicht durch Betreuungsleistungen der Mutter oder dritter Personen entbehrlich, sondern besitzt eigenständige Bedeutung für die Entwicklung des Kindes. Seit der Stärkung der Rechtspositionen des Kindes und seiner Eltern sowohl hinsichtlich des gemeinsamen Sorgerechts als auch hinsichtlich des Umgangsrechts durch das Gesetz zur Reform des Kindschaftsrechts vom 16. Dezember 1997 (BGBl. I, S. 2942) ist maßgeblich auch auf die Sicht des Kindes abzustellen und im Einzelfall zu untersuchen, ob eine persönliche Verbundenheit besteht, auf deren Aufrechterhaltung das Kind zu seinem Wohl angewiesen ist. Dabei sind die Belange der Eltern und des Kindes im Einzelfall umfassend zu berücksichtigen und ist zu beachten, dass gerade bei einem kleinen Kind die Entwicklung sehr schnell voranschreitet, so dass selbst eine verhältnismäßig kurze Zeit der Trennung mit Blick auf Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG schon unzumutbar lang sein kann.

56

Der Schutz der Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG überlagert die öffentlichen Interessen aber nicht ausnahmslos (vgl. BVerfG, Beschl. v. 23.1.2006 - 2 BvR 1935/05 -, a.a.O., sowie Beschl. v. 22.8.2000 - 2 BvR 1363/00 -, juris; Bayr. VGH, Beschl. v. 22.10.2008 - 19 CE 08. 2354 - 2356 -, juris, m.w.N.). Im Einzelfall können Belange der Bundesrepublik Deutschland das durch Art. 6 Abs. 1 und 2 GG geschützte private Interesse des Ausländers und seines Kindes an der Aufrechterhaltung der zwischen ihnen bestehenden Lebensgemeinschaft überwiegen. Letzteres ist etwa dann der Fall, wenn der Ausländer nicht nur gegen aufenthaltsrechtliche Bestimmungen verstoßen, sondern schwerwiegende Straftaten begangen hat und keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine grundlegende Verhaltensänderung des Ausländers gegeben sind. Für den Ausländer günstige Umstände sind dabei ein langes Zurückliegen der Straftat, eine geringe Wiederholungsgefahr und eine positive Sozialprognose. Auch das nachträgliche Entstehen einer von Art. 6 Abs. 1 und 2 GG grundsätzlich geschützten Lebens- und Erziehungsgemeinschaft kann in der Lebensführung des Betroffenen einen Einschnitt bilden, der in Anbetracht aller Umstände erwarten lässt, dass er bei einem legalisierten Aufenthalt keine weiteren Straftaten mehr begehen wird. Andernfalls, d.h. bei einer fortbestehenden Gefahr der Begehung erneuter schwerwiegender Straftaten eines bereits ausgewiesenen Ausländers, tritt das Kindeswohl regelmäßig hinter die Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit zurück.

57

Hieran gemessen steht der Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG bzw. Art. 8 EMRK der Ausreise des Klägers nicht entgegen.

58

Im Hinblick auf die erhebliche Straffälligkeit des Klägers wegen schwerer Vergewaltigung sowie gefährlicher Körperverletzung und die darauf gestützte bestandskräftige Ausweisungsverfügung ist dem öffentlichen Interesse an einer zumindest vorübergehenden Ausreise derzeit Vorrang vor den privaten Interessen des Klägers und seines Sohnes an einem weiteren Verbleib des Klägers im Bundesgebiet einzuräumen. Die von ihm begangenen Straftaten wiegen besonders schwer, so dass ein dringendes Bedürfnis dafür besteht, sie über die strafrechtliche Sanktion hinaus zum Anlass für eine Ausweisung und Abschiebung zu nehmen, um andere Ausländer von der Begehung vergleichbarer Straftaten abzuschrecken. Dies gilt selbst dann, wenn es dem Sohn des Klägers aufgrund seiner deutschen Staatsangehörigkeit nicht zuzumuten ist, zumindest vorübergehend die familiäre Lebensgemeinschaft mit ihm in Pakistan herzustellen.

59

Auch gewichtige familiäre Belange setzen sich nicht stets gegenüber gegenläufigen öffentlichen Interessen durch. Wenn die Straftat besonders schwer wiegt, kann sogar die Ausweisung eines straffällig gewordenen Ausländers, der mit einer deutschen Frau verheiratet ist und mit ihr ein eheliches Kind hat, denen ein Verlassen Deutschlands zusammen mit dem Ausländer grundsätzlich nicht zuzumuten ist, allein aufgrund generalpräventiver Erwägungen mit Blick auf Art. 6 GG zulässig sein (vgl. BVerfG, Beschl. v. 18.7.1979 - 1 BvR 650/77 -, BVerfGE 51, 386). Dies gilt auch wegen des gesetzlich vorgesehenen Verfahrens auf Befristung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 1 AufenthG, bei dem die familiären Belange des Ausländers - ebenfalls - angemessen zu würdigen sind (vgl. BVerfG, Beschl. v. 23.1.2006 - 2 BvR 1935/05 -, a.a.O.).

60

Wie sich aus den Ausführungen zu 1. ergibt, wird den familiären Belangen des Klägers hier nach § 11 Abs. 1 AufenthG im Befristungsverfahren angemessen Rechnung getragen.

61

Der Kläger kann die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG auch nicht im Hinblick auf die von ihm geltend gemachte schwierige Sicherheitslage in Pakistan beanspruchen. Denn einer Ausreise des Klägers stehen keine zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbote im Sinne von § 60 Abs. 2, 3, 5 und 7 AufenthG entgegen. Nach dem hier allein in Betracht kommenden § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für ihn eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Pakistan eine derartige Gefahr konkret droht, hat er nicht näher dargelegt und ist auch sonst aufgrund der vorliegenden Erkenntnismittel zur Lage in Pakistan nicht ersichtlich (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 2. November 2012 - Stand: September 2012 -).

62

Aus sonstigen Gefahren im Zielstaat, die kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2, 3, 5 und 7 AufenthG begründen, kann der Kläger eine rechtliche Unmöglichkeit der Ausreise im Sinne des § 25 Abs. 5 AufenthG nicht herleiten. Weitergehende allgemeine Zumutbarkeitserwägungen, die etwa im Rahmen einer Härtefallklausel angestellt werden können, sind vom Begriff der Unmöglichkeit der Ausreise im Sinne des § 25 Abs. 5 AufenthG nicht umfasst (BVerwG, Urt. v. 27.6.2006 - BVerwG 1 C 14.05 -, NVwZ 2006, 1418, juris, Rn. 20).

 


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