Beschluss vom Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht (8. Senat) - 8 LA 152/15

Tenor

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stade - 1. Kammer - vom 5. August 2015 wird abgelehnt.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens mit Ausnahme etwaiger außergerichtlicher Kosten der Beigeladenen, die nicht erstattungsfähig sind.

Der Streitwert des Berufungszulassungsverfahrens wird auf 5.000 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der Kläger begehrt die Genehmigung zur Umbettung seines verstorbenen Vaters vor Ablauf der Mindestruhezeit.

2

Im Oktober 2013 verstarb der Vater des Klägers und Ehemann der Beigeladenen. Er wurde auf dem Friedhof "C. " in D. in einer Wahlgrabstätte beigesetzt, an der er 2006 ein Nutzungsrecht erworben hatte. Die Beigeladene erklärte unter dem 19. November 2013, dass sie das Nutzungsrecht an der Wahlgrabstätte nicht von dem Verstorbenen übernehmen werde. Hierauf erklärte der Kläger unter dem 29. Dezember 2013 die Übernahme dieses Nutzungsrechts.

3

Am 7. Januar 2014 beantragte der Kläger bei dem Beklagten die Genehmigung zur Umbettung seines verstorbenen Vaters. Dieser solle in der Familiengrabstätte beigesetzt werden, die sich ebenfalls auf dem Friedhof "C. " in D. befinde und in der bereits seine Schwester, seine Mutter und frühere Ehefrau seines verstorbenen Vaters sowie deren Eltern und Großeltern bestattet worden seien. Den Wunsch zur Beisetzung an dieser Stelle habe der Verstorbene bereits früher gehabt und nur im Hinblick auf die erneute Eheschließung und den Wunsch nach einer gemeinsamen Bestattung mit seiner neuen Ehefrau, der Beigeladenen, in einer neuen Grabstätte zurückgestellt. Die Beigeladene habe sich diesem Wunsch nunmehr aber verweigert. Es sei für ihn - den Kläger - emotional nicht zu bewältigen und sehr belastend, dass sein Vater nun auf alle Zeiten völlig alleine von seiner Familie bestattet bleiben solle.

4

Der Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 6. Februar 2014 ab und verwies zur Begründung auf eine fehlende Antragsberechtigung des Klägers. Die hierauf erhobene Klage auf Verpflichtung des Beklagten, die beantragte Umbettung zu genehmigen, hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 5. August 2015 abgewiesen, weil der hierfür erforderliche wichtige Grund fehle. Hiergegen richtet sich der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung.

II.

5

Der Antrag des Klägers bleibt ohne Erfolg. Der von ihm geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegt nicht vor.

6

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung im Sinne der genannten Bestimmung sind zu bejahen, wenn der Rechtsmittelführer einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage stellt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 8.12.2009 - 2 BvR 758/07 -, BVerfGE 125, 104, 140). Die Richtigkeitszweifel müssen sich dabei auch auf das Ergebnis der Entscheidung beziehen; es muss also mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass die Berufung zu einer Änderung der angefochtenen Entscheidung führen wird (vgl. BVerwG, Beschl. v. 10.3.2004 - BVerwG 7 AV 4.03 -, NVwZ-RR 2004, 542, 543). Eine den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügende Darlegung dieses Zulassungsgrundes erfordert, dass im Einzelnen unter konkreter Auseinandersetzung mit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung ausgeführt wird, dass und warum Zweifel an der Richtigkeit der Auffassung des erkennenden Verwaltungsgerichts bestehen sollen. Hierzu bedarf es regelmäßig qualifizierter, ins Einzelne gehender, fallbezogener und aus sich heraus verständlicher Ausführungen, die sich mit der angefochtenen Entscheidung auf der Grundlage einer eigenständigen Sichtung und Durchdringung des Prozessstoffes auseinandersetzen (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 3.4.2013 - 13 LA 34/13 -, juris Rn. 2; Beschl. v. 24.3.2009 - 10 LA 377/08 -, juris Rn. 2; Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 124a Rn. 100 (Stand: September 2004)).

7

Der Kläger wendet gegen die Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung ein, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht das Vorliegen eines wichtigen Grundes für die begehrte Umbettung verneint.

8

Der Verstorbene habe das Nutzungsrecht an der Wahlgrabstätte nur deshalb erworben, um dort selbst und zwar neben seiner zweiten Ehefrau, der Beigeladenen, bestattet zu werden. Bei dieser Entscheidung habe der Verstorbene nicht berücksichtigen können, dass sich die Beigeladene bereits kurz nach seinem Ableben gegen eine gemeinsame Bestattung in der Wahlgrabstätte entscheiden würde. Hätte er diesen Umstand vor seinem Ableben gekannt, hätte er sich gegen die Bestattung in der Wahlgrabstätte und für eine Bestattung in der Familiengrabstätte entschieden. Dieser mutmaßliche Wille des Verstorbenen überwiege den Schutz der Totenruhe. Soweit das Verwaltungsgericht demgegenüber auf den erheblichen Altersunterschied zwischen dem Verstorbenen und der Beigeladenen sowie die mangelnde berechtigte Erwartung des Verstorbenen, in Kürze neben der Beigeladenen bestattet zu sein, abstelle, gehe es fehl und verkenne, dass die letzte Ruhe ewig sei. Auch sei es lebensfremd, die tatsächliche Willensbekundung eines Verstorbenen zu einer möglichen Umbettung zu fordern. Das Verwaltungsgericht habe auch nicht hinreichend berücksichtigt, dass der Verstorbene erkennbar neben einem von ihm geliebten Menschen bestattet sein wollte. Dieser Wille könne nach der Weigerung der Beigeladenen durch eine Bestattung in der Familiengrabstätte, insbesondere an der Seite der Tochter des Verstorbenen, verwirklicht werden. Dass der Verstorbene nun allein in einer Grabstätte bestattet sei, widerspreche jedenfalls erkennbar seinem Willen.

9

Diese Einwände setzen nach dem eingangs dargestellten Maßstab die Feststellung des Verwaltungsgerichts, es fehle an einem die Umbettung vor Ablauf der Mindestruhezeit ausnahmsweise gestattenden wichtigen Grundes im Sinne des § 15 Satz 2 des Gesetzes über das Leichen-, Bestattungs- und Friedhofswesen - BestattG - vom 8. Dezember 2005 (Nds. GVBl. S. 381), ernstlichen Richtigkeitszweifeln nicht aus.

10

Die Anforderungen an das Vorliegen eines die Umbettung vor Ablauf der in § 14 Satz 1 BestattG bestimmten Mindestruhezeit ausnahmsweise gestattenden wichtigen Grundes sind in Abhängigkeit von dem mit der Ruhezeit verfolgten Zweck zu bestimmen. Die Mindestruhezeit soll bei Erdbestattungen eine ausreichende Verwesung der Leiche gewährleisten und sowohl bei der Erd- als auch bei der Feuerbestattung eine angemessene Totenehrung ermöglichen (vgl. Senatsbeschl. v. 6.7.2012 - 8 LA 111/11 -, Umdruck S. 5; v. 9.6.2010 - 8 ME 125/10 -, juris Rn. 11; Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU und FDP, Gesetz über das Leichen-, Bestattungs- und Friedhofswesen, LT-Drs. 15/1150, S. 18; Barthel, Bestattungsgesetz Niedersachsen, 2. Aufl., § 14 Anm. 1; Horn, Niedersächsisches Bestattungsgesetz, § 14 Anm. 2). Letztgenannter Zweck dient nicht nur der Achtung der kollektiven Ehrfurcht vor dem Tod und der Achtung des sittlichen Empfindens der Allgemeinheit (vgl. § 1 BestattG), sondern maßgeblich auch dem - durch das individuelle postmortale Persönlichkeitsrecht und die Menschenwürde des Verstorbenen verfassungsrechtlich geforderten - Schutz der Totenruhe (vgl. BVerfG, Beschl. v. 5.4.2001 - 1 BvR 932/94 -, NJW 2001, 2957, 2958 f.; BVerwG, Urt. v. 26.6.1974 - BVerwG VII C 36.72 -, BVerwGE 45, 224, 230; Senatsbeschl. v. 15.11.2006 - 8 LA 128/06 -, NdsVBl. 2007, 108; OVG Brandenburg, Beschl. v. 25.9.2002 - 1 A 196/00.Z -, juris Rn. 3; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 10.11.1998 - 19 A 1320/98 -, NVwZ 2000, 217, 218; Hessischer VGH, Urt. v. 7.9.1993 - 11 UE 1118/92 -, NVwZ-RR 1994, 335, 339 jeweils m.w.N.).

11

Ein Grund ist daher nur dann "wichtig", wenn das ihn tragende Interesse den Schutz der Totenruhe überwiegt (vgl. OVG Brandenburg, Beschl. v. 25.9.2002, a.a.O.). Dies kann angesichts der dargestellten verfassungsrechtlichen Verortung des Schutzes der Totenruhe nur in Ausnahmefällen angenommen werden (vgl. Senatsbeschl. v. 6.7.2012, a.a.O.; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 28.11.1991 - 19 A 1925/90 -, NWVBl. 1992, 261, 262 m.w.N.), etwa wenn die Umbettung die Würde des Verstorbenen besser wahrt und seinem Willen besser Rechnung trägt (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 29.4.2008 - 19 A 2896/07 -, NWVBl. 2008, 471), sei es, dass der Verstorbene zu Lebzeiten sein ausdrückliches Einverständnis mit der Umbettung erklärt hat oder zumindest Tatsachen und Umstände gegeben sind, aus denen ein dahingehender Wille des Verstorbenen mit hinreichender Sicherheit gefolgert werden kann (vgl. Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU und FDP, a.a.O., S. 19 (zu § 13); BGH, Urt. v. 26.2.1992 - XII ZR 58/91 -, juris Rn. 9; Urt. v. 26.10.1977 - IV ZR 151/76 -, MDR 1978, 299; OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 12.12.2012 - 19 A 2207/11 -, juris Rn. 47 f.; Beschl. v. 28.11.1991, a.a.O.; OVG Brandenburg, Beschl. v. 25.9.2002, a.a.O., Rn. 4), wenn der Ehepartner des Verstorbenen wünscht, in der gleichen Grabstelle beigesetzt zu werden (vgl. Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU und FDP, a.a.O., S. 19 (zu § 13)), und dieser Wunsch nur durch eine Umbettung des Verstorbenen realisiert werden kann (vgl. RG, Urt. v. 5.7.1923 - IV 1308/22 -, RGZ 108, 217, 220; OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 4.10.1994 - 7 A 11102/94 -, NVwZ 1995, 510, 512), oder wenn den Angehörigen des Verstorbenen aufgrund zwingender persönlicher und auf einer atypischen, völlig unerwarteten Entwicklung ihrer Lebensumstände beruhenden und nicht zum allgemeinen Lebensrisiko jedes Angehörigen eines Verstorbenen gehörenden Umstände die Totenfürsorge in unzumutbarer Weise erschwert oder gar unmöglich gemacht wird (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 30.7.2009 - 19 A 957/09 -, NVwZ-RR 2010, 281, 282 f.; VG Stade, Urt. v. 3.9.2008 - 1 A 1560/07 -, juris Rn. 15).

12

Hieran gemessen liegt ein Ausnahmefall, in dem der Schutz der Totenruhe zur Wahrung der Würde und Durchsetzung des Willens des Verstorbenen zurückzutreten hat, nicht vor.

13

Dabei stellt der Senat nicht infrage, dass der Verstorbene in Kenntnis einer Entscheidung der Beigeladenen, nicht mehr neben ihm in der Wahlgrabstätte bestattet werden zu wollen, seinen bis dahin gebildeten Willen zur Auswahl einer Grabstätte wahrscheinlich überdacht und vielleicht auch geändert hätte.

14

Es fehlt entgegen der Auffassung des Klägers aber an Tatsachen und Umständen, aus denen ein Wille des Verstorbenen, nun in der Familiengrabstätte neben seiner Tochter, seiner geschiedenen Ehefrau und deren Eltern und Großeltern bestattet werden zu wollen, mit hinreichender Sicherheit gefolgert werden kann.

15

Einen dahingehenden Willen hat der Verstorbene entgegen einer ersten Darstellung des Klägers (vgl. Schriftsatz v. 23.4.2014, dort S. 2, Blatt 14 der Gerichtsakte) bis zuletzt nicht ersichtlich geäußert (vgl. Schriftsatz v. 22.9.2014, dort S. 1, Blatt 69 der Gerichtsakte). Dabei hätte dies, einen entsprechenden Willen des Verstorbenen unterstellt, nicht wirklich fern gelegen. Denn das Verhältnis zur Beigeladenen war auch seinerzeit nicht ungetrübt. Nach der unwidersprochenen Darstellung des Klägers war auch diese Ehe zerrüttet. Die Eheleute lebten bereits zeitweise getrennt und ein Scheidungsverfahren war angedacht (vgl. Schriftsatz v. 22.9.2014, dort S. 3, Blatt 71 der Gerichtsakte). Schließlich hat der Kläger die Beigeladene auch erbrechtlich nicht bedacht, sondern den Kläger als Alleinerben eingesetzt (vgl. Schriftsatz v. 23.4.2014, dort S. 2, Blatt 14 der Gerichtsakte).

16

Angesichts dieser Umstände fällt es umso schwerer, mit hinreichender Sicherheit auf einen mutmaßlichen Willen des Verstorbenen zu schließen, wonach dieser in Kenntnis der Entscheidung der Beigeladenen, nicht mehr neben ihm in der Wahlgrabstätte bestattet werden zu wollen, nunmehr in der Familiengrabstätte bestattet werden wollte. Jedenfalls kann allein aus einem Wunsch des Verstorbenen, nicht ewig allein in einer Grabstätte bestattet zu sein, noch nicht darauf geschlossen werden, dass er in der Familiengrabstätte bestattet werden wollte. In dieser liegt zwar bereits seine verstorbene Tochter, aber eben auch seine geschiedene Ehefrau und deren Eltern und Großeltern. Im Übrigen und ohne, dass es hierauf entscheidungserheblich ankäme, ist die Bestattung in dieser Familiengrabstätte auch nicht ersichtlich die einzige Möglichkeit, neben oder bei Familienangehörigen die letzte Ruhe zu finden. Denn nach der unwidersprochenen Einlassung der Beigeladenen sind die Eltern und Großeltern im nur circa zehn Kilometer entfernten E. beigesetzt (vgl. Schriftsatz v. 22.8.2014, dort S. 1, Blatt 67 der Gerichtsakte) und es sind keine Gründe ersichtlich, dass sich der Verstorbene nicht auch für eine Bestattung auf oder in der Nähe dieser Grabstätte hätte entscheiden können.

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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2 und 162 Abs. 3 VwGO. Etwaige außergerichtliche Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig, weil die Beigeladene im Berufungszulassungsverfahren einen eigenen Sachantrag nicht gestellt hat.

 


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