Beschluss vom Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht (9. Senat) - 9 LA 231/16

Gründe

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Der Antrag des Klägers, die Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil zuzulassen, hat keinen Erfolg, da die von ihm geltend gemachten Zulassungsgründe ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO), einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) und einer Divergenz (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) nicht hinreichend dargelegt worden sind bzw. nicht vorliegen.

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Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sind dargelegt, wenn aufgrund der Begründung des Zulassungsantrags gewichtige, gegen die Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts sprechende Gründe zu Tage treten. Das ist der Fall, wenn ein tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt worden ist. Dies ist dem Kläger mit seiner Begründung des Zulassungsantrags nicht gelungen.

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Entgegen der Auffassung des Klägers hat das Verwaltungsgericht zu Recht festgestellt, dass die Festsetzung des Straßenausbaubeitrags sowie die Anforderung des festgesetzten Beitrags in dem angefochtenen Bescheid vom 19. Oktober 2015 nicht deshalb rechtswidrig sind, weil zu diesem Zeitpunkt die „Satzung über die Erhebung von Beiträgen nach § 6 NKAG für straßenbauliche Maßnahmen in der Bergstadt Clausthal-Zellerfeld - Straßenausbaubeitragssatzung -“ vom 24. September 2009 durch den Beschluss des Rats der Beklagten vom 6. September 2011 bereits außer Kraft gesetzt worden war.

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Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 NKAG dürfen kommunale Abgaben nur aufgrund einer Satzung erhoben werden. Die Satzung soll den in § 2 Abs. 1 Satz 2 NKAG bezeichneten Inhalt aufweisen. Im Straßenausbaubeitragsrecht können demnach Beiträge nur erhoben werden, wenn der für die Entstehung der sachlichen Beitragspflicht maßgebende Zeitpunkt - das ist regelmäßig der Zeitpunkt, in dem nach Abschluss der technischen Ausbauarbeiten mit Eingang der letzten Unternehmerrechnung der Aufwand berechenbar ist - im zeitlichen Geltungsbereich einer Beitragssatzung liegt (OVG Lüneburg, Beschluss vom 1.2.1979 - 4 B 4/79 - dng 1979, 381, und Urteil vom 14.6.1983 - 9 OVG A 101/82 - dng 1983, 343). Die satzungsrechtlichen Voraussetzungen für das Erheben von Straßenausbaubeiträgen müssen danach aber auch nur im Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht vorliegen (so auch OVG Brandenburg, Urteil vom 23.11.2004 - 2 A 269/04 - Rn. 57 in juris; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 22.8.1995 - 15 A 3907/92 - 3. Leitsatz in juris; Rosenzweig/ Freese/von Waldthausen, NKAG, Kommentar, Stand: Februar 2016, § 6 Rn. 23). Das ist hier der Zeitpunkt des Eingangs der letzten Unternehmerrechnung bei der Beklagten im Monat März 2011. Sind die sachlichen Beitragspflichten auf der Grundlage einer wirksamen Satzung entstanden, erlischt der Anspruch der Kommune auf die Zahlung von Straßenausbaubeiträgen nicht deshalb, weil diese Satzung durch eine andere Satzung ersetzt oder - wie hier - mit Wirkung für die Zukunft außer Kraft gesetzt worden ist. Sie bleibt vielmehr maßgebend sowohl für die Beitragsfestsetzung als auch für das Leistungsgebot (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 18.5.2004 - 2 M 52/03 - 1. Leitsatz und Rn. 3 in juris; Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 9. Aufl. 2012, § 30 Rn. 14). Hier hat im Zeitpunkt der Entstehung der sachlichen Beitragspflicht im März 2011 eine wirksame Straßenausbaubeitragssatzung mit dem nach § 2 Abs. 1 Satz 2 NKAG grundsätzlich erforderlichen Inhalt vorgelegen, da die Satzung zur Aufhebung der Straßenausbaubeitragssatzung nach dem eindeutigen Wortlaut des Beschlusses des Rats der Beklagten vom 6. September 2011 lediglich „mit Wirkung ab dem Tage der Bekanntmachung“, also mit Wirkung für die Zukunft beschlossen worden ist.

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Aus dem vom Kläger angeführten Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 10. Dezember 1996 (- 23 B 93.3672 - juris) ergibt sich keine andere Beurteilung. Denn diese Entscheidung betrifft den anders gelagerten Fall, dass eine neue, rückwirkend in Kraft gesetzte Beitragssatzung größtenteils unwirksam ist, sich aus der in dieser Satzung enthaltenen - wirksamen - Regelung betreffend die Aufhebung der alten Satzung jedoch ergibt, dass das in der alten - ersetzten - Satzung enthaltene Recht in keinem Fall mehr angewendet werden soll (Rn. 23 in juris). Im vorliegenden Fall ist die Straßenausbaubeitragssatzung dagegen lediglich mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben worden.

6

Dass der Rat der Beklagten gemäß dem Sitzungsprotokoll vom 6. September 2011 in Folge der Aufhebung der Straßenausbaubeitragssatzung einen Einnahmeausfall in Höhe von 1,5 Millionen EUR und auch die Verwaltung der Beklagten nach den Sitzungsvorlagen vom 23. Januar 2012 und vom 10. Januar 2013 einen durch die Anhebung der Grundsteuer B zu kompensierenden Einnahmeausfall in Höhe von 1.313.000 EUR erwartet hat, ändert entgegen der Ansicht des Klägers nichts daran, dass zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entstehung der sachlichen Beitragspflicht eine wirksame Satzung vorgelegen hat. Denn selbst wenn der Rat der Beklagten die Absicht gehabt haben sollte, dass die aufgehobene Straßenausbaubeitragssatzung nicht mehr für eine Beitragserhebung für bereits abgeschlossene Straßenausbaumaßnahmen herangezogen werden soll, wäre dieser Wille in dem Ratsbeschluss vom 6. September 2011 nicht zum Ausdruck gekommen bzw. nicht umgesetzt worden. Denn nach dessen klarem Wortlaut ist die Straßenausbaubeitragssatzung der Beklagten lediglich mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben worden.

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Im Übrigen ergeben sich aus den von dem Kläger vorgelegten Protokollen und Sitzungsvorlagen aber auch keine Anhaltspunkte für einen dahingehenden Willen des Rats der Beklagten. Denn wenn es in der Sitzungsvorlage vom 10. Januar 2013 heißt, dass ausgehend davon, „dass auch künftig Straßenbaumaßnahmen erfolgen“, es „für geboten gehalten“ wird, „die Anhebung der Grundsteuer B - sofern weiterhin keine Straßenausbaubeiträge erhoben werden - ohne Befristung fortgelten zu lassen“, so lässt sich dem nur entnehmen, dass künftige Einnahmeausfälle durch die Anhebung der Grundsteuer B ausgeglichen werden sollten, sofern die Straßenausbaubeitragssatzung nicht wieder eingeführt wird, was von der Kommunalaufsicht als Alternative zur Anhebung der Grundsteuer B vorgeschlagen worden war (Protokoll vom 24. Januar 2012). Auch der Sitzungsvorlage vom 23. Januar 2012 und dem Protokoll der Ratssitzung vom 6. September 2011 lassen sich keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass der Rat der Beklagten Einnahmeausfälle bezüglich der vor der Aufhebung der Straßenausbaubeitragssatzung abgeschlossenen Straßenausbaumaßnahmen durch die Anhebung der Grundsteuer B ausgleichen wollte. Auch die von dem Kläger ferner angeführte Nummer 3 des Ratsbeschlusses vom 6. September 2011 - Aufhebung des sogenannten „10-Jahresprogramms“ - betrifft allein „zukünftig zu beschließende Straßenausbaumaßnahmen“.

8

Die Befugnis, den Beitrag durch Verwaltungsakt festzusetzen und von dem Beitragspflichtigen anzufordern, ergibt sich im Übrigen unabhängig von der zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Bescheids bereits aufgehobenen Satzung auch direkt aus § 6 Abs. 1 Satz 1 NKAG und § 11 Abs. 1 Nr. 4 b) NKAG i.V.m. § 155 Abs. 1 Satz 1 AO.

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Entgegen der Auffassung des Klägers hat das Verwaltungsgericht im Ergebnis auch zu Recht festgestellt, dass die vierjährige Festsetzungsfrist gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 4 b) NKAG in der bis zum 31. März 2017 gültigen Fassung i.V.m. § 169 AO zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Bescheids vom 19. Oktober 2015 nicht abgelaufen gewesen ist. Dabei kann dahin stehen, ob als letzte Unternehmerrechnung die bei der Beklagten am 15. März 2011 eingegangene Rechnung des Abwasserbetriebs Samtgemeinde B. anzusehen ist, was im Hinblick darauf, dass es sich hierbei um einen Eigenbetrieb der Beklagten handelt, möglicherweise fraglich sein könnte. Denn jedenfalls ist die letzte, als „Nachberechnung zur Schlussrechnung“ bezeichnete Rechnung der den Straßenausbau (Los 1) und den Kanalbau (Los 2) ausführenden Firma St. vom 28. Februar 2011 betreffend den Kanalbau (Los 2) auch erst im März 2011 bei der Beklagten eingegangen. Hierbei handelt es sich entgegen der Meinung des Klägers nicht um eine die Schlussrechnung dieser Firma vom 30. August 2010 lediglich bestätigende Nachberechnung, da darin unter der Positionsnummer 90000001 ein jahreszeitlich bedingt später erfolgter Mehreinbau von Asphaltbeton von 24,817 t zum Preis von 2.729,87 EUR erstmals geltend gemacht worden ist. Die Firma ist auch nicht durch eine vorbehaltlose Annahme der Schlusszahlung der Beklagten gemäß § 16 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B an der nachträglichen Geltendmachung dieser Rechnungsposition gehindert gewesen, da sie ausweislich der „Nachberechnung zur Schlussrechnung“ vom 28. Februar 2011 am 22. Dezember 2010 einen “Einspruch“ eingelegt und damit offenbar einen Vorbehalt gegen die Schlusszahlung der Beklagten (die Schlusszahlung zum Los 1 ist nach dem Akteninhalt am 26.11.2010 veranlasst worden) erklärt hat. Zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Bescheids der Beklagten vom 19. Oktober 2015 ist die vierjährige Festsetzungsfrist, die gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 4 b) NKAG a. F. i.V.m. § 170 Abs. 1 AO mit Ablauf des Jahres 2011 begonnen hat, daher noch nicht abgelaufen gewesen.

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Entgegen der Ansicht des Klägers weist die Rechtssache keine besonderen, d. h. überdurchschnittlichen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO auf.

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Die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.

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Grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine höchstrichterlich bzw. obergerichtlich noch nicht beantwortete Rechtsfrage oder eine obergerichtlich bislang ungeklärte Tatsachenfrage von allgemeiner Bedeutung aufwirft, die sich im Rechtsmittelverfahren stellen würde und im Interesse der Einheit der Rechtsprechung oder der Weiterentwicklung des Rechts einer fallübergreifenden Klärung durch das Berufungsgericht bedarf (Senatsbeschlüsse vom 24.2.2016 - 9 LA 192/15 - und vom 23.4.2015 - 9 LA 51/15 - m.w.N.). Daher ist die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache nur dann im Sinne des § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO dargelegt, wenn eine derartige Frage konkret bezeichnet und darüber hinaus erläutert worden ist, warum diese Frage im angestrebten Berufungsverfahren entscheidungserheblich und klärungsbedürftig wäre und aus welchen Gründen ihre Beantwortung über den konkreten Einzelfall hinaus dazu beitrüge, die Rechtsfortbildung zu fördern oder die Rechtseinheit zu wahren (Senatsbeschlüsse vom 24.2.2016 - 9 LA 192/15 - und vom 23.4.2015 - 9 LA 51/15 - m.w.N.). An der Klärungsbedürftigkeit der bezeichneten Frage fehlt es allerdings, wenn sich diese auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung und mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation ohne Weiteres beantworten lässt (Senatsbeschluss vom 15.4.2015 - 9 LA 75/14 -).

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Der Kläger hat die Frage, „ob als Ermächtigungsgrundlage auf eine aufgehobene Satzung noch zurückgegriffen werden kann“, als grundsätzlich klärungsbedürftig angesehen. Zur Beantwortung dieser Frage bedarf es jedoch nicht der Durchführung eines Berufungsverfahrens, da sie auf der Grundlage der oben wiedergegebenen obergerichtlichen Rechtsprechung unschwer bereits im Berufungszulassungsverfahren dahingehend beantwortet werden kann, dass die Aufhebung der Beitragssatzung der Festsetzung und Anforderung eines Straßenausbaubeitrags nicht entgegensteht, wenn zum Zeitpunkt der Entstehung der sachlichen Beitragspflicht eine wirksame Satzung vorhanden gewesen ist.

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Die von dem Kläger ferner angeführten Fragen, „ob die inhaltsgleiche Weiterberechnung durch einen rechtlich unselbstständigen Bestandteil der Beklagten erforderlich ist, um eine Berechenbarkeit für die Beklagte herzustellen, auch wenn ihr die entsprechenden Rechnungen bereits bekannt sind“, und „ob bei Vereinbarung eines Pauschalpreishonorars noch die Berechnung des Ingenieurbüros abgewartet werden muss, um zu einer Berechenbarkeit zu kommen“, wären im angestrebten Berufungsverfahren nicht entscheidungserheblich, da nach dem oben Gesagten die Festsetzungsfrist bereits deshalb nicht abgelaufen ist, weil die „Nachberechnung zur Schlussrechnung“ der Firma C. vom 28. Februar 2011 erst im März 2011 bei der Beklagten eingegangen ist.

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Die Berufung ist schließlich auch nicht wegen einer Divergenz im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO zuzulassen. Der Kläger hat zur Darlegung dieses Zulassungsgrunds angeführt, dass das Verwaltungsgericht vom Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 10. Dezember 1996 - 23 B 93.3672 - abgewichen sei. Abgesehen davon, dass das Verwaltungsgericht nach dem oben Gesagten keinen Rechtssatz aufgestellt hat, der von einem Rechtssatz in dieser Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs abweicht, kommt hier eine Divergenz aber auch deshalb nicht in Betracht, weil eine Abweichung von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts bzw. Verwaltungsgerichtshofs eines anderen Bundeslandes nicht von § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO erfasst wird. Denn danach begründen nur Abweichungen von Entscheidungen des im Instanzenzug übergeordneten Oberverwaltungsgerichts oder der weiteren dort genannten Gerichte eine Divergenz im Sinne dieser Vorschrift (Kopp/Schenke, VwGO, Kommentar, 23. Aufl. 2017, § 124 Rn. 12 m.w.N.).

16

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.

 


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