Beschluss vom Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht (13. Senat) - 13 ME 27/19

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes versagende Beschluss des Verwaltungsgerichts Oldenburg - 7. Kammer - vom 18. Januar 2019 einschließlich seiner Kostenentscheidung teilweise geändert.

Dem Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig untersagt, die von ihm ab dem 4. Februar 2019 geplante die Antragstellerin betreffende Veröffentlichung wegen Hygienemängeln auf der Internetplattform www.verstoesse.lebensmittel-futtermittel-sicherheit.niedersachsen.de in einem Zeitraum nach dem 30. April 2019 aufrechtzuerhalten.

Im Übrigen wird die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Oldenburg - 7. Kammer - vom 18. Januar 2019 zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen tragen die Beteiligten jeweils zur Hälfte.

Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Mit der Entscheidung über die Beschwerde im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes erledigt sich der mit Schriftsatz vom 1. Februar 2019 gestellte erneute Antrag der Antragstellerin auf Anordnung vorläufiger Sicherungsmaßnahmen.

Gründe

1

I. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Oldenburg vom 18. Januar 2019 hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.

2

Zwar hat es das Verwaltungsgericht mit dem angefochtenen Beschluss zu Recht abgelehnt, dem Antragsgegner die beabsichtigte Veröffentlichung wegen Hygienemängeln in der Betriebstätte C. der Antragstellerin auf der Internetplattform www.verstoesse.lebensmittel-futtermittel-sicherheit.niedersachsen.de ab dem 4. Februar 2019 überhaupt und dem konkreten Inhalt nach zu untersagen (1.). Jedoch stößt die vom Antragsgegner beabsichtigte Dauer der Aufrechterhaltung der Veröffentlichung (sechs Monate) teilweise auf rechtliche Grenzen, die mit dem Eilrechtsschutzbegehren der Antragstellerin, das eine vorläufige Regelung bis zu einer zeitlich noch nicht absehbaren Entscheidung in einem Hauptsacheverfahren erstrebt, geltend gemacht und mit der Beschwerdebegründung gemäß § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO dargelegt worden sind; (nur) in diesem Umfang war die angefochtene Entscheidung unter Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes im Sinne der Antragstellerin zu ändern (2.).

3

1. Die von der Antragstellerin gegen den angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichts mit Bezug auf das „Ob“ und das „Was“ der konkret beabsichtigten Veröffentlichung (vgl. Bl. 172/172R der GA) dargelegten Beschwerdegründe, auf deren Prüfung sich der Senat im Beschwerdeverfahren gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu beschränken hat, führen nicht dazu, dass dem Antragsgegner die Veröffentlichung im Wege einer einstweiligen (Sicherungs-)Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO untersagt werden müsste.

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Nach dieser Norm kann das Gericht, wie hier auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts der Antragstellerin vereitelt oder wesentlich erschwerte werden könnte. Die besondere Dringlichkeit der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (ein Anordnungsgrund) sowie das Bestehen des in der Hauptsache geltend gemachten Rechts (ein Anordnungsanspruch) sind gemäß § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO glaubhaft zu machen. Wie der Senat bereits in seinem den Beteiligten bekannten „negativen Hängebeschluss“ vom 28. Januar 2019 - 13 ME 27/19 - ausgeführt hat, liegt ein Anordnungsgrund mit Blick auf die bereits für den 4. Februar 2019 geplante Veröffentlichung auf der Hand. Indessen ist es der Antragstellerin auch mit der Beschwerdebegründung vom 1. Februar 2019 nicht gelungen, einen Anordnungsanspruch auf Unterlassung der geplanten Veröffentlichung gegen den Antragsgegner glaubhaft zu machen. Die im Einzelnen dargelegten Beschwerdegründe greifen nicht durch. Vielmehr steht der Veröffentlichung, einem schlicht hoheitlichen Informationshandeln (Realakt) des Antragsgegners mit Dauerwirkung, gemessen an § 40 Abs. 1a Nr. 2 LFGB in Verbindung mit den vom Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 21. März 2018 - 1 BvF 1/13 -, juris Rn. 64 f., zur Anwendung dieser von ihm für verfassungswidrig gehaltenen, aber nicht für nichtig erklärten Norm in einer Übergangszeit bis zum 30. April 2019 formulierten Maßgaben keiner dieser Gründe entgegen.

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a) Soweit die Antragstellerin geltend macht, die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Norm lägen nicht vor, vermag der Senat dem nicht zu folgen.

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aa) Ihr Einwand, es bestehe kein durch Tatsachen hinreichend begründeter Verdacht, dass gegen sonstige (andere als Grenzwerte, Höchstgehalte oder Höchstmengen, § 40 Abs. 1a Nr. 1 LFGB) betreffende) Vorschriften im Anwendungsbereich des LFGB, die der Einhaltung der hygienischen Anforderungen dienen, verstoßen worden ist, verfängt im Ergebnis nicht. § 40 Abs. 1a Nr. 2 LFGB differenziert wegen der erforderlichen tatsächlichen Grundlage des Verdachts in Anlehnung an eine unionsrechtliche Terminologie gerade zwischen „Tatsachen“ und „Proben“. „Tatsachen“ als gewichtige Anhaltspunkte für nicht unerhebliche und wiederholte Verstöße gegen insbesondere in den Hygiene-Verordnungen (EG) Nrn. 852 bis 854/2004 geregelte Anforderungen, die an Hersteller von Lebensmitteln tierischen Ursprungs gestellt werden, liegen hier, wie das Verwaltungsgericht nicht zuletzt mit Blick auf die in den Beiakten befindlichen Lichtbilder der Routinekontrolle vom 18. September 2018 sowie der Nachkontrollen vom 23. Oktober 2018, 7. und 21. November 2018 sowie die textliche Beschreibung der von den Bediensteten des Veterinär- und Verbraucherschutzamtes des Antragsgegners getroffenen Feststellungen zu Verunreinigungen, Beschädigungen, Funktionsunfähigkeiten verschiedener Elemente der Produktionsapparaturen des Werks in C. ausgeführt hat, in jedem Fall vor. Die Monita der Antragstellerin beziehen sich bei Lichte besehen ausschließlich auf die Gewinnung aussagekräftiger Ergebnisse aus „Proben“ und sind daher nicht entscheidungserheblich. Soweit die Antragstellerin behauptet, der Senat habe die Norm des § 40 Abs. 1a Nr. 2 LFGB in seinem Beschluss vom 14. Juni 2013 - 13 ME 18/13 -, juris Rn. 11, dahin ausgelegt, dass die den Verdacht begründenden Tatsachen generell aufgrund unabhängiger Untersuchungen durch zwei verschiedene Stellen (Labore pp.) nach Art. 12 Abs. 2 der VO (EG) Nr. 882/2004 - Kontrollverordnung - gewonnen werden müssten, trifft dies nicht zu. Diese vom Senat formulierte Anforderung bezieht sich ausschließlich auf die in § 40 Abs. 1a LFGB geregelte Variante „Proben“. Vor diesem Hintergrund ist weder relevant, dass die Untersuchungen der Proben auf bestimmte Keime hier allein durch ein und dasselbe Labor des Nds. Landesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (LAVES) vorgenommen worden sind, noch dass (nur) die Probe vom 18. September 2018 mit Blick auf die hohe Transportzeit und die mit 7°C erhöhte Eingangstemperatur mit Blick auf den Umfang des damals festgestellten Keimwachstums Bedenken unterliegen könnte.

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bb) Soweit die Antragstellerin gegen das weitere Tatbestandsmerkmal des § 40 Abs. 1a Nr. 2 LFGB, wegen der Verstöße gegen Hygieneanforderungen sei ein Bußgeld von mindestens 350 EUR zu erwarten, einwendet, mit Blick auf die Unschuldsvermutung aus Art. 6 Abs. 2 EMRK verstoße eine Information der Öffentlichkeit wegen der Preisgabe von Daten aus Ordnungswidrigkeitenverfahren gegen § 46 Abs. 1 OWiG, § 475 StPO, ist dem nicht zu folgen. Es handelt sich vorliegend um eine präventiv-polizeiliche Sanktion der Verstöße und nicht um eine repressiv-polizeiliche. § 40 Abs. 1a Nr. 2 LFGB stellt insoweit eine lex specialis dar. Die Einbeziehung von Verdachtsfällen in diese Informationsregelung ist vom Bundesverfassungsgericht (vgl. Beschl. v. 21.3.2018, a.a.O., Rn. 43) im Grundsatz nicht beanstandet worden. Soweit es für die Anwendung in Rn. 44 ff., 65 seiner Entscheidung hohe Anforderungen an die Tatsachengrundlage postuliert hat, sind diese bei summarischer Prüfung durch den Senat im vorliegenden Fall erfüllt.

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b) Auch auf der Rechtsfolgenseite begegnet das „Ob“ und das „Was“ der Veröffentlichung ab dem 4. Februar 2019 entgegen der Auffassung der Antragstellerin keinen Bedenken.

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aa) Der Umstand, dass die am 23. Oktober 2018 festgestellten Hygienemängel am 23. November 2018 bereits beseitigt worden sind, macht die Veröffentlichung nicht unverhältnismäßig, insbesondere nicht „nicht erforderlich“. Im Gegenteil beruht die Aufnahme des Hinweises in die geplante Veröffentlichung, dass und wann Mängel beseitigt worden sind, gerade auf verfassungsrechtlichen Vorgaben (vgl. BVerfG, Beschl. v. 21.3.2018, a.a.O., juris Rn. 40 ff.). Das Bundesverfassungsgericht hat in diesem Zusammenhang betont, diese Informationen stellten einen notwendigen Inhalt der mündigen Verbraucherentscheidung dar, die § 40 Abs. 1a LFGB mit ermöglichen will (a.a.O., Rn. 40 a.E.). Die Tatsache, dass im vorliegenden Fall nicht nur ein Teil der ursprünglich festgestellten Mängel, sondern diese allesamt behoben wurden, stellt nur eine mengenmäßige Dimension dar und macht weder den Verstoß ungeschehen noch die Veröffentlichung überflüssig, wie es die Antragstellerin offenbar meint.

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bb) An die Konkretheit des Produktbezugs sind im vorliegenden Einzelfall ohne Rücksicht darauf, dass § 40 Abs. 1a LFGB auf der Rechtsfolgenseite eine „Bezeichnung des Lebensmittels“ verlangt, keine besonders hohen Anforderungen zu stellen. In Rechnung stellend, dass im Werk C. die o.g. Mängel im Rahmen der Betriebskontrollen nahezu flächendeckend und zudem wiederholt mit Bezug auf die dortigen Apparaturen und Arbeitsabläufe festgestellt worden waren, handelt es sich um einen allgemeinen, übergreifenden Hygieneverstoß, der mit Nennung „sämtlicher im Betrieb [das heißt im Werk C.] hergestellter Produkte“ zureichend bedacht werden durfte. Da die Bezeichnung des Produktionsstandortes „C.“ auf Verpackungen der von der Antragstellerin hergestellten und verarbeiteten Fleischwaren im Handelsgeschehen vermerkt ist, kann die Verbraucherentscheidung auch mit einer solchen Sammelbezeichnung zureichend ermöglicht werden. Nicht dargelegt und auch nicht im Übrigen erkennbar ist, dass bestimmte einzelne Produkte aus C. von den benannten Hygienemängeln nicht betroffen gewesen seien. Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass die Nennung einzelner, durch den Verbraucher auf einen Blick identifizierbarer Produktbezeichnungen einen intensiveren Eingriff in die Rechtssphäre der Antragstellerin darstellen könnte. Zweifelhaft ist, ob der Verzicht des Antragsgegners auf diesen einschneidenderen Eingriff zulässigerweise gerügt werden kann.

11

2. Wie bereits ausgeführt, hat das Bundesverfassungsgericht (vgl. Beschl. v. 21.3.2018, a.a.O., Rn. 64) eine Anwendung des mangels geregelter zeitlicher Begrenzung der Veröffentlichung verfassungswidrigen § 40 Abs. 1a Nr. 2 LFGB selbst mit den von ihm formulierten Maßgaben längstens bis zum 30. April 2019 für zulässig erachtet. Die hier vom Antragsgegner geplante Veröffentlichung soll jedoch für sechs Monate erfolgen. Soweit für den Senat bislang absehbar, wird die Dauer der Veröffentlichung damit etwa drei Monate lang in einem Zeitraum liegen, in welchem es für eine Veröffentlichung oder ihre Aufrechterhaltung derzeit keine Rechtsgrundlage gibt. Das begegnet Bedenken im Hinblick auf das „Wie lange“ der Veröffentlichung. Allein auf die Verhältnisse am ersten Tag der Veröffentlichung (4.2.2019) kommt es insoweit nicht entscheidend an, weil es sich bei diesem Verwaltungshandeln, wie eingangs ausgeführt, um einen Dauer-Realakt handelt, deren Beibehaltung sich nach Art einer „wiederkehrenden Neuvornahme“ an jedem Tag der geplanten Dauer aufs Neue rechtfertigen lassen muss. Mit Ablauf des 30. April 2019 ist damit auch ein bereits jetzt absehbares Bestehen des nach § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO für den Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen die weitere Veröffentlichung erforderlichen Anordnungsanspruchs der Antragstellerin überwiegend wahrscheinlich und damit glaubhaft gemacht. Der von der Bundesregierung in den Deutschen Bundestag eingebrachte und dort bislang in erster Lesung behandelte Gesetzentwurf vom 4. Oktober 2018 (BT-Drs. 19/4726) zur Einfügung eines § 40 Abs. 4a LFGB, welcher nach Ablauf von sechs Monaten nach der Veröffentlichung im Sinne der Absätze 1a und 4 eine Löschungspflicht vorsieht, ändert hieran nichts, weil für den Senat derzeit nicht absehbar ist, dass ein Änderungsgesetz dieses Inhalts vor Ablauf des 30. April 2019 in Kraft treten wird und wie zuvor vorgenommene „Alt-Veröffentlichungen“ danach zu handhaben wären. Sollte eine Rechtsgrundlage bis zu diesem Zeitpunkt geschaffen worden sein und ein Bedürfnis nach abweichender vorläufiger Regelung noch bestehen, bliebe es dem Antragsgegner unbenommen, einen Abänderungsantrag nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO zu stellen.

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II. Die auf den gesamten Eilrechtsstreit bezogene Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO und entspricht dem Verhältnis des wechselseitigen Obsiegens und Unterliegens der Beteiligten in zeitlicher Hinsicht.

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III. Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren folgt aus §§ 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG und Nr. 1.5. Satz 2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (NordÖR 2014, 11).

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IV. Für die mit Schriftsatz vom 1. Februar 2019 neuerlich begehrte Anordnung vorläufiger Sicherungsmaßnahmen nach § 173 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 570 Abs. 3 ZPO bis zu einer Entscheidung des Senats über die Beschwerde 13 ME 27/19 besteht mit Blick auf die in Ziffer I. bereits getroffene Beschwerdeentscheidung kein Anlass mehr.

15

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

 


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