Beschluss vom Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht (1. Senat) - 1 LA 114/19

Tenor

Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Lüneburg - 2. Kammer (Einzelrichter) - vom 1. Juli 2019 wird abgelehnt.

Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind erstattungsfähig.

Der Wert des Streitgegenstandes für das Zulassungsverfahren wird auf 15.000 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Kläger wenden sich gegen eine dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für ein grenzständiges Nebengebäude und fordern dessen Abriss; in der Sache streiten die Beteiligten darum, ob das Gebäude Aufenthaltsräume enthält.

2

Die Kläger und der Beigeladene sind Eigentümer benachbarter Wohngrundstücke. Unter dem 2.2.2018 erteilte der Beklagte dem Beigeladenen die Baugenehmigung für ein durch Grüneintrag als „Neubau Nebengebäude (Abstellen/Gartengeräte)“ bezeichnetes Vorhaben. Das Gebäude soll nach den Bauvorlagen eine Länge von 9 m an der gemeinsamen Grundstücksgrenze und eine Höhe von maximal 3 m aufweisen und einen Raum umfassen. Die Nettonutzfläche beträgt 35,07 m², die Gebäudehöhe im Inneren maximal 2,34 m. Das nicht gedämmte Gebäude soll ein Pultdach und zur grenzabgewandten Seite zwei Holztore sowie ein ca. 2 m² großes Fenster erhalten.

3

Die nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhobene Klage mit den Anträgen, die Baugenehmigung aufzuheben und den Beklagten zum Erlass einer Beseitigungsanordnung zu verpflichten, hat das Verwaltungsgericht mit der Begründung abgelehnt, das Vorhaben verletze keine drittschützenden Normen, insbesondere nicht die Abstandsvorschriften. Es dürfe nach § 5 Abs. 8 Satz 2 Nr. 1 NBauO ohne Grenzabstand errichtet werden, da es sich um ein Gebäude ohne Aufenthaltsräume handele. Aufenthaltsräume seien nach § 2 Abs. 8 NBauO solche, die zum nicht nur vorübergehenden Aufenthalt von Menschen bestimmt oder geeignet seien. Nicht nur vorübergehend sei ein Aufenthalt, wenn er sich regelmäßig über mehrere Stunden erstrecke. Welchem Nutzungszweck der Raum nach dem Willen des Bauherrn dienen solle, sei unerheblich; es genüge die objektive Eignung als Aufenthaltsraum, die sich maßgeblich danach beurteile, ob der Raum „aufenthaltsverdächtig“ sei. Entscheidend sei etwa, ob er die Anforderungen des § 43 NBauO erfülle und innerhalb der wärmegedämmten Gebäudehülle liege. Bastelräume (Hobby-Räume) seien keine Aufenthaltsräume, soweit sie nur für einen kurzfristigen Aufenthalt bestimmt und geeignet seien. Gemessen daran umfasse das Vorhaben keinen Aufenthaltsraum. Der angegebene Nutzungszweck „Abstellen/Gartengeräte“ beinhalte keinen dauerhaften Aufenthalt. Das Gebäude sei auch nicht „aufenthaltsraumverdächtig“. Weder die Höhe von unter 2,40 m in einem Raum, der nicht oberstes Geschoss i.S.d. § 43 Abs. 2 NBauO sei, noch die Fenstergröße - die Möglichkeit, die Holztore zu öffnen, sei nicht ausreichend - genügten den Anforderungen des § 43 NBauO an Aufenthaltsräume. Hinzu komme, dass die Herrichtung des Nebengebäudes zu einem Aufenthaltsraum nur unter unvertretbaren Kosten möglich sei. Die bloße Möglichkeit, den ungedämmten und unbeheizten Raum als Werk- oder Hobbyraum zu nutzen, genüge nicht, da diese Möglichkeit in jedem Nebengebäude i.S.d. § 5 Abs. 8 Nr. 2 NBauO bestehe. Verletze die Genehmigung keine Nachbarrechte, bestehe auch kein Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten.

II.

4

Der dagegen gerichtete, auf den Zulassungsgrund ernstlicher Zweifel (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

5

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils sind dann dargelegt, wenn es dem Rechtsmittelführer gelingt, mit seinem - fristgerechten - Vortrag wenigstens einen tragenden Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit plausiblen Gegenargumenten derart in Frage zu stellen, dass sich dadurch am Entscheidungsergebnis etwas ändern könnte; überwiegende Erfolgsaussichten sind nicht erforderlich. Ist die Entscheidung selbständig tragend auf mehrere Gründe gestützt, so muss hinsichtlich eines jeden dieser Gründe ein Zulassungsgrund vorgetragen sein und vorliegen.

6

Daran fehlt es hier. Innerhalb der Frist zur Darlegung der Zulassungsgründe (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) haben die Kläger lediglich die Bewertung des Verwaltungsgerichts angegriffen, der Innenraum des umstrittenen Nebengebäudes sei kein Aufenthaltsraum i.S.d. § 2 Abs. 8 VwGO. Die erstmals mit Schriftsatz vom 13. August 2020 vorgetragenen Bedenken gegen die Vereinbarkeit des Vorhabens mit brandschutzrechtlichen Vorgaben und der erstmals mit Schriftsatz vom 30. September 2020 vorgetragenen Einwand das (vorhandene) Gebäude überschreite die zulässige Gesamtgebäudelänge von 9 m, sind verfristet und daher im Zulassungsverfahren unbeachtlich.

7

Die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, das Vorhaben beinhalte keinen Aufenthaltsraum, haben die Kläger nicht schlüssig in Frage zu stellen vermocht. Das gilt zunächst, soweit das Verwaltungsgericht in Übereinstimmung mit der Kommentarliteratur (Mann, in: Große-Suchsdorf, Nds. Bauordnung, 10. Aufl. 2020, § 2 Rn. 111) den nicht nur vorübergehenden Aufenthalt als einen Aufenthalt definiert, der sich regelmäßig über mehrere Stunden erstreckt. Angesichts der Tatsache, dass Begriff „vorübergehend“ grammatikalisch in Abgrenzung zu „dauerhaft“ verwendet wird, ist diese Definition schon sprachlich überzeugend; das Argument, für sie ergebe sich aus dem Gesetzeswortlaut kein Anhaltspunkt, greift daher nicht. Im Übrigen rechtfertigen sich auch die Anforderungen an Aufenthaltsräume in § 43 NBauO nur, wenn damit Räume gemeint sind, an denen sich Menschen - und zwar nicht nur gelegentlich - mehrere Stunden am Tag aufhalten.

8

Zutreffend ist auch die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, der streitgegenständliche Raum sei weder zum nicht nur vorübergehenden Aufenthalt bestimmt noch geeignet. Für ersteres stellt das Verwaltungsgericht zu Recht auf die Nutzungsumschreibung in der Baugenehmigung „Abstellen/Gartengeräte“ ab, die einen mehr als vorübergehenden Aufenthalt nicht erfordert. Soweit die Kläger darauf verweisen, der Beigeladene habe selbst angegeben, in dem Raum auch gelegentlich Reparaturen an seinen Fahrrädern, Möbeln u.ä. durchführen zu wollen, ergibt sich daraus nichts Anderes. Wie dargelegt, macht auch ein mehrstündiger Aufenthalt einen Raum nicht zum Aufenthaltsraum, sofern er - wie dies bei den genannten häuslichen Reparaturarbeiten zu erwarten ist - auf gelegentliche Tätigkeiten beschränkt bleibt. Eine regelmäßige Nutzung der Räume für längere Reparaturarbeiten wäre von der Baugenehmigung nicht abgedeckt; die Aussagen des Beigeladenen im bisherigen Verfahren bieten auch keinen Anhaltspunkt dafür, dass er eine solche beabsichtigt. Auch eine objektive Eignung des Raums zum nicht nur vorübergehenden Aufenthalt hat das Verwaltungsgericht überzeugend verneint. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass die bloße abstrakte Möglichkeit, sich in einem Raum mehr als nur vorübergehend physisch aufzuhalten, für diese Eignung nicht genügt, da anderenfalls praktisch jeder Raum ein Aufenthaltsraum wäre. Vor dem Hintergrund, dass das Kriterium der Eignung Missbrauch vorbeugen soll (Mann, in: Große-Suchsdorf, Nds. Bauordnung, 10. Aufl. 2020, § 2 Rn. 112), ist erforderlich, dass die Nutzung nicht nur abstrakt möglich ist, sondern nach seiner Beschaffenheit auch konkret naheliegt. Insoweit hat das Verwaltungsgericht richtigerweise maßgeblich darauf abgestellt, dass der Raum gleich mehrere Voraussetzungen des § 43 NBauO nicht erfüllt; denn in dieser Norm, die entgegen dem Verständnis der Kläger für alle Aufenthaltsräume i.S.d. § 2 Abs. 8 NBauO gilt, hat der Gesetzgeber seine Einschätzung zum Ausdruck gebracht, unter welchen - kumulativ, nicht alternativ zu erfüllenden - Mindestvoraussetzungen ein nicht nur gelegentlicher längerer Aufenthalt in Räumen als physisch und psychisch akzeptabel angesehen wird. Fehlt es an diesen Voraussetzungen und kann das Defizit auch nicht mit einfachen Mitteln beseitigt werden, so liegt es im Regelfall auch fern, dass eine solche Nutzung tatsächlich erfolgen wird. Das gilt jedenfalls, wenn nicht andere Indizien gleichwohl eine Nutzung zum mehr als vorübergehenden Aufenthalt nahelegen; solche Indizien haben die Kläger indes nicht überzeugend benannt. Der Umstand, dass das einzige, seiner Größe nach zur Belichtung und Belüftung des Raums unzureichende Fenster „in Arbeitshöhe“ angebracht sei, genügt insoweit nicht.

9

Die Würdigung des Verwaltungsgerichts, dass der Innenraum des Vorhabens weder hinsichtlich seiner lichten Höhe, noch hinsichtlich der vorhandenen Fensterfläche den Anforderungen des § 43 NBauO genügt, ist zutreffend und wird von den Klägern nicht plausibel in Frage gestellt. Der diesbezügliche Vortrag der Kläger ist nicht ohne weiteres verständlich. Dass der Raum hinsichtlich seiner Grundfläche den Anforderungen nach § 43 Abs. 1 Satz 1, 1. Var. NBauO i.V.m. § 28 DVO-NBauO genügt, bedeutet nicht, dass auch die kumulativ geltenden Anforderungen an die lichte Höhe nach § 43 Abs. 1 Satz 1, 2. Var., Abs. 2 NBauO und an notwendige Fenster (§ 43 Abs. 3 NBauO i.V.m. § 20 Abs. 1 DVO-NBauO) erfüllt wären. Hierzu hat das Verwaltungsgericht das Nötige gesagt.

10

Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

11

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 159 Satz 1, 162 Abs. 3 VwGO, 100 Abs. 1 ZPO, die Streitwertfestsetzung auf §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 GKG.

12

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

 


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