Urteil vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 6 A 1026/69
Tenor
Die Berufung wird auf Kosten des Klägers
zurückgewiesen.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig voll‑
streckbar.
Die Revision wird zugelassen.
1
Der Kläger geboren im Januar 1903 erlangte im März 1920 die OberSekundareife. In der Zeit bis März 1922 arbeitete er 20 1/2 Monate "praktisch". Vom Sommersemester 1926 •bis zum Wintersemester 1932/33 studierte er an der Bauingenieurwesen. Am 28 November 1932 bestand er die Schlußprüfung in der Bauingenieurabteilung dieser Hochschule. Vom 8. Mai 1933 bis zum 31. Dezember 1936 stand er in einem Angestelltenverhältnis zur Stadt , anschließend bis zum 30. November 1938 zur Stadt .
2Im Oktober 1960 berief der Finanzminister des beklagten Landes - im Folgenden Beklagter genannt - den Kläger in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit. Im Mai 1962 bat der Kläger, seine Studienzeit als ruhegehaltfähige Dienstzeit anzuerkennen und die Gesamtzeit seiner ruhegehaltfähigen Dienstjahre anzugeben. Durch Verfügung vom 19. November 1962 genehmigte die Oberfinanzdirektion ., "das unter der Voraussetzung des Gleichbleibens der Rechtslage von Ihrer Studienzeit bei der Berechnung der Versorgungsbezüge die Zeit vom 1. April 1926 bis 31. März 1930 als Mindeststudienzeit und die Zeit vom 290 August bis 280 November 1932 als übliche Prüfungszeit und die Zeit vom 1. Oktober 1921 bis 31. März 1922 als Zeit einer erforderlichen praktischen Tätigkeit bei Eintritt des Versorgungsfalles gemäß § 124 LBG als ruhegehaltfähig berücksichtigt werden".
3Unter dem 22. Dezember 1962 schrieb sie dem Kläger:
4".... teile ich Ihnen mit, daß eine Berechnung, Ihrer ruhegehaltfähigen Dienstzeiten und Festsetzung Ihrer Pensionsbezüge erst bei Eintritt des Versorgungsfalles erfolgt.
5Nach einer überschläglichen Berechnung. haben Sie bei Berücksichtigung der jetzigen Rechtslage und Anrechnung Ihrer Studienzeiten zur Zeit einen Ruhe gehaltssatz von 70 v.H. erreicht".
6Im Oktober 1964 bat der Kläger die damalige Zentrale Besol dungs- und Versorgungsstelle im Geschäftsbereich. des Finanzministeriums Nordrhein-Westfalen ZBFIN - um "verbindlicher Angabe seiner ruhegehaltfähigen Dienstjahren. Unter dem 17. November 1964 schrieb die ZBFIN 'dem Kläger
7"Ihre ruhegehaltfähige Dienst2eit beträgt bis einschließlich 31. Dezember 1964 29 Jahre und 104 Tage; das entspricht einem Ruhegehaltssatz von 69 v.H. Die Dienstzeit berechnet sich wie folgt:
81. Oktober 1921 bis 31. März 1922 praktische Tätigkeit (§ 124 LBG) Jahre 182 Tage
91. April 1926 bis 31. März 1930 • Studienzeit (§ 124 LBG)
1029. August 1932 bis 28. November 1932 übliche Prüfungszeit
11(§ 124 LBG) 92 "
128. Mai 1933 bis 31. Dezember 1936 Angestellter bei der
13Stadtverwaltung 3 Jahre 238 Tage
14zur Hälfte (§ 122 Abs. 2 LBG) 1 Jahr 301,5 "
151. Januar 1937 bis 30. November 1938
16Angestellter bei der Stadtverwaltung 1 Jahr 334 Tage
17zur Hälfte Jahre 349,5 "
181. Dezember 1938 bis 80 Mai 1945. Beamter bei der Stadtverwal‑
19tung (§ 119 LBG) 6 Jahre 159 Tage
209. Mai 1945 bis 31. März 1951 Kriegsgefangenschaft und amtlose Zeit (§ 227 Abs. 3 LGB) 5 Jahre 327 Tage
211. August 1955 bis 31. Dezember 1964 im Dienste der Finanzverwaltung Nordrhein-Westfalen, bis 2. Oktober 1960 als Angestellter,
22ab 3. Oktober 1960 als Beamter (§§ 227 Abs.3 und 119 LBG)
23zusammen 25 Jahre 1.564 Tage
24oder 29 Jahre 104 Tage
25Bis zum Eintritt in den Ruhestand mit Ablauf des Monats, in. dem. Sie das 65. Lebensjahr vollenden, erhöht sich der Ruhegehaltssatz auf 72 v.H. der ruhegehaltfähigen Dienstbezüge.
26Beide Prozentangaben gehen von der Annahme aus, daßdie Zeiten. vom 8. Mai 1933 bis 310 Dezember 1936 und vom
2710. Januar 1937 bis 30. November 1938 bei der Rentenberechnung der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte als" versicherungspflichtige Zeiten angerechnet werden.
28Im übrigen weise ich auf das›Schreiben der Oberfinanzdirektion . vom 22. Dezember 1962 ... hin."
29Mit Ablauf des Monats Oktober 1965 versetzte der Finanzminister des Beklagten den Kläger in den Ruhestand. Durch Bescheid vom 22. September 1965 setzte das Landesamt für Besoldung und Versorgung NW die Versorgungsbezüge des Klägers fest. Dabei berücksichtigte es u.a. die Zeiten
30vom 1. Oktober. 1921 bis zum März 1922 (praktische Tätigkeit),
31vom 1. April 1926 bis zum 31. März 1930 (Mindeststudienzeit) und.
32vom 29. August.1932 bis zum 28. November 1932 (übliche Prüfungszeit)
338. Mai 1933 bis zum 31. Dezember 1936
34(Stadtverwaltung und vom 1. Januar 1937 bis zum 30. November 1938 (Stadtverwaltung )
35als ruhegehaltfähige Dienstzeit. Daraus ergaben sich 33 volle Dienstjahre und damit gemäß § 126 LBG ein Ruhegehaltssatz von 73 v.H. Diesem Bescheid entsprechend wurde in der Folgezeit das Ruhegehalt an den Kläger gezahlt.
36Seit Februar 1968 bezieht der Kläger ein Altersruhegeld aus der Angestelltenversicherung. Dessen Höhe ergab sich zunächst aus einem Bescheid:der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte vom 6..Februar1968. Dieser Bescheid und zwei Änderungsbescheide wurden aufgehoben. Maßgebend ist jetzt ein Bescheid der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte vom 13. Januar 1969. Danach hat die Rente des Klägers für den Monat Februar 1968 - vor Abzug des Krankenversicherungsbeitrages - 410,50 DM betragen. Von diesem Betrag beruht ein Teil von 5,24 DM monatlich auf einer Höherversicherung des Klägers. Die verbleibende Rente berechnet sich nach Werteinheiten. DieSumme der Werteinheiten für freiwillige Beiträge Pflichtbeltrege, Ersatzzeiten und Ausfallzeiten beträgt 3.499,72 , die Summe der Werteinheiten für freiwillige Beiträge 479,31.
37Durch einen "berichtigten Bescheid" vom 7. März 1968 setzte das Landesamt für Besoldung und Versorgung die Versorgungsbezüge des Klägers für die Zeit ab 1. Februar 1968 neu fest. Dabei berücksichtigte es vor dem 8. Mai 1933 liegende Zeiten nicht mehr. Insgesamt ergaben sich 25 volle Dienstjahre und damit ein Ruhegehaltssatz von. 65 v.H. Dazu führte das Landesamt aus Der Wegfall der vor dem 8. Mai 1933 liegenden Zeiten ergebe sich aus Richtlinie. 7 zu § 124 LBG iVm Richtlinie 302 zu § 123 LBC die Gesamtversorgung des Klägers (seine beamtenrechtliche Versorgung und seine bereinigte Rente aus der Angestelltenversicherung) übersteige auch ohne Berücksichtigung der bisher berücksichtigten, vor dem 8. Mai 1933 liegenden Zeiten die fiktive Höchstgrenze im Sinne der Richtlinie 302 zu § 123 LBG.
38Mit seinem Widerspruch rügte der Kläger die Nichtberücksichtigung der bisher berücksichtigten vor dem 8. Mai 1933 liegenden Zeiten. Durch Bescheid vom 7. Januar 1969 wies das Landesamt den Widerspruch zurück.
39Mit der Klage hat der Kläger beantragt,
401. den Bescheid des Landesamtes vom 7. März 1968 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Januar 1969 insoweit aufzuheben, als darin seine (des Klägers) Vordienstzeiten im. Sinne des § 124 LBG nicht mehr als ruhegehaltfähige Dienstzeit berücksichtigt werden,
412. den Beklagten für verpflichtet zu erklären, die Zeit vom 1. Oktober 1921 bis zum 31. März 1922, vom 1. April 1926 bis zum 31. März 1930 und vom 29. August 1932 bis zum 280 November 1932 als ruhegehaltfähige Dienstzeit zu berücksichtigen.
42Der Beklagte hat, beantragt,
43die Klage abzuweisen.
44Durch Urteil vom 2. Juli 1969 hat das Verwaltungsgericht in Düsseldorf den Besdleid vom 7. März 1968 und den Widerspruchsbescheid insoweit aufgehoben, als sie sich auf die Zeit vor dem 1. April 1968 erstrecken und. Versorgungsbezüge für die Monate Februar und März 1968 einbehalten; im übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung der Klageabweisung hat es dargetan:
45Soweit das LBV im Bescheid vom 7. März 1968 vor dem 8. Mai 1933 liegende Zeiten nicht mehr als ruhegehaltfähige Dienstzeiten berücksichtige, liege in diesem Bescheid die Rücknahme (der Wiederruf) der Bescheide vom 19. November 1962 und vom 22. September 1965. Diese beiden, Bescheide stellten begünstigende Verwaltungsakte dar. Dem Bescheid vom 19. November 1962 liege eine rechtsbegründende Ermessensentscheidung nach § 124 LBG zugrunde die, von der Festsetzung des Ruhegehalts zu trennen sei. Soweit der Bescheid vom 22. September 1965 auf dem Bescheid vom 19. Jahuar 1962 beruhe, komme ihm also lediglich feststellende Bedeutung zu. Gleichwohl sei der Bescheid vorn 22. September 1965 als begünstigender Verwaltungsakt anzusehen, weil er den Versorgungsanspruch des Klägers konkretisiere. Der Widerruf dieser begünstigenden Verwaltungsakte mit Wirkung für die, Zukunft sei zulässig.. Zwar könne sich der Beklagte auf den Vorbehalt des Gleichbleibens der Rechtslage (§ 165 Abs. 2 Satz 2 LBG) nicht berufen, weil § 124 LBG seit November 1962 keine Änderung erfahren habe. Doch seien die Bescheide Vom 19. November 1962 und vom 22 September 1965 ohne den Vorbehalt ergangen, der ihnen nach den einschlägigen Vorschriften (den Verwaltungsvorschriften und Richtlinien zu dem versorgungsrechtlichen Teil des Landesbeamtengesetzes sowohl in der Fassung vom 27. August 1962, MBl NW 1539, als auch in der Neufassung vom 17. August 1967, MBl NW1483) hätte beigefügt werden müssen. Beide Bescheide seien daher insoweit ermessenäfehlerhaft:und rechtswidrig. Sie könnten deshalb für die Zukunft zurückgenommen werden, obwohl sie unanfechtbar geworden seien..Das Interesse des Klägers an ihrer Aufrechterhaltung müsse gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Wiederherstellung des gesetzmäßigen Zustandes zurücktreten.
46Mit der Berufung gegen.dieses Urteil bringt der Kläger vor:
47Nach den "Richtlinien" dürfe die Berücksichtigung der in §-124 LBG aufgezählten Zeiten nicht dazu führen, daß die Gesamtversorgung des Beamten höher sei als die Versorgung, die er erhalten würde, wenn er die für die Berechnung der Rente aus der Rentenversicherung maßgebenden Zeiten, soweit sie nach Vollendung des 17. Lebensjahres abgeleistet worden sind, bereits im Beamtenverhältnis zurückgelegt hätte. Die streitigen Zeiten vom 1. Oktober 1921 bis zum 31. März 1922, vom 1. April 1926 bis zum 31. März 1930 und vom 29. August 1932 bis zum 28. November 1932 seien aber für die Berechnung seines Altersruhegeld aus der Angestelltenversicherung nicht maßgebend. Diese Zeiten würden bei der Bemessung seines Altersruhegeldes nicht angerechnet. Sein Altersruhegeld würde genauso hoch sein, wenn er die genannten Zeiten bereits im Beamtenverhältnis zurückgelegt hätte. Die Richtlinien wollten aber ausschließlich verhindern, daß bestimmte Zeiten sowohl bei. der Berechnung der Sozialrente als auch bei der Bemessung des Ruhegehalts berücksichtigt würden.
48Die Bescheide vom 19. November 1962 und vom 22. September 1965 seien nicht deshalb rechtswidrig, weil sie ohne. den Vorbehält ergangen seien, der ihnen nach den einschlägigen Verwaltungsvorschriften hätte beigefügt werden müssen, Diese Verwaltungsvorschriften hätten gegenüber dem Bürger nur insoweit Bedeutung, als sie diese begünstigten. Dadurch, daß die Behörden des Beklagten sie im Falle des Klägers nicht angewendet hätten, sei Art. 3 des Grundgesetzes nicht verletzt. Die Grundsätze des allgemeinen Verwaltungsrechts über die Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte gestatteten nur die Rücknahme.gesetzwidriger Verwaltungsakte, nicht auch die Rücknahme von Verwaltungsakten, die nicht gegen irgendeine Rechtsnorm verstießen, bei deren Erlaß die Behörde vielmehr nur gegen sie bindende Verwaltungsvorschriften verstoßen habe. Die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung verlange deshalb die Rübknahme der Bescheide vom 19. Januar.1962 und 22. September 1965 nicht. Rechtssicherheit und Vertrauensschutz verböten vielmehr die Rücknahme dieser Verwaltungsakte. Hätte er gewußt, daß sein Ruhegehalt von 1968 ab nur 65 v.H0 betragen würde, hätte er nicht seine vorzeitige Versetzung in den Ruhestand erbeten, sondern wäre er bis zum 31. Januar 1968 im Dienst geblieben.
49Der Kläger beantragt,
50unter teilweiser Änderung des angefochtenen Urteils seinen Klageanträgen im ersten Rechtszug in vollem Umfang stattzugeben.
51Der Beklagte beantragt,
52die Berufung zurückzuweisen.
53Er führt aus
54Die einschlägigen Verwaltungsvorschriften hätten nicht den engen Sinn, den der Kläger ihnen beilege. Sie bezweckten vielmehr, einen Beamten, der ® wie der Kläger - eine zeitraubende Vorbildung oder eine besondere praktische Tätigkeit nachweisen müsse, nicht schlechter zu stellen als einen Beamten, der sich von Beginn seiner beruflidhen Tätigkeit an im Beamtenverhältnis befunden habe. Daraus ergebe sich, daß eine Anrechnung von Vordienstzeiten nicht möglich sei,- wenn sie zu einer Überschreitung des Höchstsatzes der Versorgung von 75 v.H. führen würde. Darauf, ob die in Rede stehenden Zeiten bei der Berechnung der Sozialrente berücksichtigt worden seien, komme es deshalb.nicht an. Es werde auch bestritten, daß diese Zeiten bei der Berechnung der Sozialrente nicht berücksichtigt worden seien.
55Rechtswidrig sei ein Verwaltungsakt auch dann, wenn eine: im Ermessen der Behörde stehende Entscheidung nicht ermessensfehlerfrei getroffen worden sei. Eine Entscheidung gemäß §•124 LBG, die im Ermesben der Behörde stehe, dürfe nur in dem Rahmen bleiben, der den Anrechnungsbestimmungen unausgesprochen zugrundeliege. Zu diesem Rahmen gehöre der Grundsatz; daß eine Doppelversorgung vermieden werden müsse.
56Wegen der weiteren Einzelheiten des .Sachverhalts und des Vorbringens der. Parteien wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und den Von dem Beklagten vorgelegten, die Versorgung und die Personalien des Klägers betreffenden Vorgänge Bezug genommen. •
57Die Parteien haben erklärt, sie seien damit-einverstanden, daß ohne. mündliche Verhandlung entschieden werde.
58Entscheidungsgründe:
59Die Berufung ist unbegründet, weil der Kläger keinen Rechtsanspruch darauf hat, daß die im Klageantrag genannten Zeiten auch für die Zeit seit April 1968 als ruhegehaltfähige Dienstzeit berücksichtigt werden (I), und der Bescheid vom 7. März 1968 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides auch nicht aus anderen Gründen rechtswidrig ist (II).
60I.
61Ein geschriebener Rechtssatz, der den genannten Anspruch begründet, ist nicht ersichtlich. Er wird auch vom Kläger nicht bezeichnet. Die Bescheide vom 19. November 1962 und vom 22. September 1965, die früher den genannten Anspruch begründet, haben mögen, rechtfertigen ihn jedenfalls deshalb nicht mehr, weil sie durch den Bescheid vom 7. März 1968 bzw. durch den Widerspruchsbescheid mit Wirkung vom 1. April 1968
62aufgehoben worden sind. Allerdings ist zweifelhaft, ob der Bescheid vom 19. November 1962 bereits durch den streitigen Bescheid des Landesamtes. vom 7. März 1968 aufgehoben worden ist. Dieser Bescheid erwähnt den. Bescheid vom 19. November 1962 nicht. Er stellt die Sach- und Rechtslage so dar, wie es auch geschehen wäre, wenn es den.Bescheid vom 19."Dezember 1962 nicht gäbe. Diese Zweifelsfrage kann jedoch dahinstehen, weil man in den folgenden Ausführungen des Widerspruchsbescheides vom 7. Januar 1969 die Änderung des Bescheides vom 19. November 1962 mit Wirkung vom 1. April 1968 sehen muß:
63"Mit Bescheid vom-19. November 1962 erfolgte die Voranerkennung der Zeiten im Sihne des § 124 LBG. Dieser Bescheid ist nach Ablauf eines Jahres gem. § 58 VwGO unanfechtbar geworden. Es muß daher geprüft werden, ob dieser Bescheid von der Verwaltung abgeändert werden kann. Diese Frage wird durch die Fassung der Verwaltungsrichtlinien zu § 124 LBG eindeutig bejaht. Die Richtlinien zu § 124 LBG stellen auch materielles Recht dar, weil sie die "Kann"- Vorschrift des § 124 LBG auslegen. Die darin angeordneten Sachentscheidungen wären für ein Gericht nur insoweit nicht bindend, als ein Ermessensmißbrauch des Verordnungsgebers nachgewiesen würde. Davon kann jedoch keine Rede sein.
64Da die Richtlinien zu § 124 LBG materiell-rechtlich Bestandteil des § 124 LBG selbst sind, steht der Voranerkennungsbescheid, auch wenn es nicht, ausdrücklich gesagt wird, unter dem Vorbehalt der nach RL 7 zu § 124 LBG zu berücksichtigenden Verhältnisse. Eine Änderung dieses Bescheides ist daher auch insoweit möglich, als die in RL 7 zu § 124 LBG iVm RL 3.2 zu § 123 LBG genannten Tatbestände eintreten."
65Die Aufhebung des Bescheides vom 22. September 1965 wird in dem streitigen Bescheid vom 7. März 1968 ausdrücklich auch nicht ausgesprochen. Die entsprechende Änderung des Bescheides vom 22. September 1965 ergibt sich jedoch aus der Überschrift des Bescheides vom 7. März 1968 ("Berichtigter Bescheid"), aus dem in ihm enthaltenen Satz "Der Wegfall der Zeiten gem. § 124 LBG ergibt sich aus RL 7 zu § .124 LBG iVm mit RL 3.2 zu § 123 LBG" sowie daraus, daß der Bescheid vom 7. März 19'68 zu dem Bescheid vom 22. September 1965 in Widerspruch steht.
66Ein Anspruch auf Berücksichtigung der im Klageantrag aufgeführten Zeiten als ruhegehaltfähige Dienstzeit steht dem Kläger für die Zeit seit April 1968 aber auch nicht deshalb zu, weil sich seine Rechtsstellung, die sich im Hinblick auf § 124 LBG ergibt, zu einem Rechtsanspruch verdichtet hätte, jede andere Entscheidung als die nach dieser Vorschrift mögliche Berücksichtigung der streitigen Zeiten ermessensfehlerhaft wäre..
67§ 124 LBG lautet:
68"Die nach Vollendung des siebzehnten Lebensjahres liegende Zeit
691. einer für die Ablegung der ersten Staats- oder Hochschulprüfung erforderlichen praktischen Tätigkeit oder eines Studiums an einer Hochschule oder
702. einer für die Ablegung der Abschlußprüfung an einer Fachschule erforderlichen praktischen Tätigkeit oder eines Besuchs dieser Schulen
71kann im Rahmen der vorgeschriebenen Mindestzeit als ruhegehaltfähige Dienstzeit, berücksichtigt werden, wenn diese Vorbildung erfolgreich abgeschlossen ist und für die Wahrnehmung des dem Beamten übertragenen Amtes gefordert wird. Die Zeit einer praktischen Tätigkeit nach Vollendung des siebzehnten Lebensjahres und nach Abschluß. der Vorbildung kann als ruhegehaltfähige Dienstzeit berücksichtigt werden, soweit sie. in Rechts- oder Verwaltungsvorschriften für die Berufung in das Beamtenverhältnis gefordert wird oder an die Stelle des Vorbereitungsdienstes tritt oder auf Vorbereitungsdienst angerechnet worden ist."
72Zweck der den Dienstherrn durch diese Regelung erteilten Ermächtigung ist offenbar die Berücksichtigung dann zu ermöglichen, wenn sie angemessen ist, und sie dann zu verhindern, wenn die Berücksichtigung nicht angemessen ist.
73Zur Handhabung des § 124 LBG haben der. Finanz.und der: .Innenminister des Beklagten Richtlinien erlassen (Verwaltungsvorschriften und Richtlinien zu dem versorgungsrechtlichen Teil des Landesbeamtengesetzes vom 27. August 1962 MBl. NW/ 1539). Diese Richtlinien haben unter dem 17. August 1967 eine Neufassung erhalten (MBl NW 1483) von der hier auszugehen ist.
74Die Richtlinie 7 zu § 124 LBG bestimmt:
75"Die RL 3.2 zu § 123 gelten entsprechend." Die Richtlinie 3.2 zu § 123 LBG lautet:
76"Die. Berücksichtigung darf nicht dazu führen, daß die Gesamtversorgung (beamtenrechtliche Versorgung,
77Rente aus den gesetzlichen Rentenversicherungen oder einer zusätzlichen Alters- und Hinterbliebenenversorgung) des Beamten oder der Hinterbliebenen höher ist als die Versorgung, die sie erhalten würden, wenn der Beamte die für die Berechnung der Rente aus der Rentenversicherung maßgebenden Zeiten, soweit sie nach Vollendung des siebzehnten Lebensjahres abgeleistet worden sind, bereits im Beamtenverhältnis zurückgelegt hätte. Diesem Grundsatz ist durch teilweise Berücksichtigung oder durch Nichtberücksichtigung der Vordienstzeit Rechnung zu tragen. Renten und Rententeile im Sinne des § 170 a Abs. 3 u. 4 bleiben bei der Gegenüberstellung unberücksichtigt. Die vorgenommene Anrechnung der Vordienstzeit.ist zu überprüfen, wenn eine Rente wegen Berufsunfähigkeit in eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit oder in Altersruhegeld umgewandelt wird, oder wenn eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit in eine Rente wegen Berufsunfähigkeit umgewandelt wird. Die auf Grund der Vergleichsberechnung bei der Versorgung des Ruhestandsbeamten vorgenommene Anrechnung der Vordienstzeit bleibt auch für die spätere Hinterbliebenenversorgung maßgebend.
78Beispiel .......;
79Daß unter den Voraussetzungen des Satzes 1 dieser Richtlinien die Nichtberücksichtigung der in § 124 LBG aufgeführten Zeiten angemessen ist, liegt auf der Hand.
80Der Fall, den die Richtlinie 3.2 zu § 123 LBG verhindern will ist hier gegeben.
81Die ruhegehaltfähigen Dienstbezüge des Klägers - bezogen auf den Monat Februar 1968 - betragen 2.226,- DM. Das Höchstruhegehalt beträgt demnach 75 vom Hundert von 2226,- DM 1669,50 DM. Diesen Betrag würde der Kläger höchstens als Versorgung erhalten, wenn er "die für die Berechnung der Rente aus der Rentenversicherung maßgebenden Zeiten bereits im Beamtenverhältnis zurückgelegt hätte". Höher als dieser Betrag darf also die Summe der Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung und des Ruhegehalts nicht sein.
82Die Rente für den Monat Februar 1968 hat - vor Abzug des Krankenversicherungsbeitrages - 410,50 DM betragen (BA 9 Bl. 87) Nach Satz 3 der Richtlinien 3.2 zu § 123 LBG bleiben bei der Gegenüberstellung Rententeile im Sinne des § 170 a Abs. 4 LBG unberücksichtigt. Das sind die Teile der Rente die
831. wenn sich - wie hier - die Rente nach Werteinheiten berechnet, dem Verhältnis der Werteinheiten für freiwillige Beiträge zu der Summe der Werteinheiten für freiwillige Beiträge, Pflichtbeiträge, Ersatzzeiten und Ausfallzeiten entsprechen,
842. auf einer Höherversicherung beruhen.
85Auf der Höherversicherung des Klägers beruht ein Betrag von 62,81 DM jährlich (BA 9 Bl. 86) = 5,24 DM monatlich. Die monatliche Rente des Klägers ohne die Leistung der Höherversicherung beträgt also 405,26 DM.
86Die Summe der Werteinheiten für freiwillige Beiträge, Pflichtbeiträge, Ersatzzeiten und Ausfallzeiten beträgt 3.499,72 (BA 9 Bl. 85), die Summe der Werteinheiten für freiwillige Beiträge 479,31 (BA 9 Bl. 85). Der Teil der Rente, der dem Verhältnis der Werteinheiten für freiwillige Beiträge zu der Summe der Werteinheiten überhaupt entspricht, ergibt sich anhand folgender Formel.
87Rente x Werteinheiten -
88für freiwillige Beiträge =
89Summe 405 26 x 479, 31 = 55,50 DM.
90Summe aller Werteinheiten = 3.499,72
91Die bereinigte Rente beträgt also (405,26 - 55,50 DM =) 349,76 DM. (Das Landesamt für Besoldung und Versorgung geht in seiner Vergleichsberechnung BA 1 Bl. 31 von für den Kläger günstigeren Zahlen, im Ergebnis yon 314,34 DM monatliche Rente aus.)
92Die Summe aus Rente (349,76 DM) und Ruhegehalt ohne Berücksichtigung der streitigen Zeiten, d.h. auf Grund einer ruhegehaltfähigen Dienstzeit von 65 Vom Hundert(1.446,90 DM) übersteigt somit das Höchstruhegehalt von 1.669,50 DM. Die Nichtberücksichtigung der streitigen Zeiten entspricht deshalb der Vorschrift in Satz 2 der Richtlinien 302 zu § 123 LBG, ist also nicht ermessensfehlerhaft.
93II.
94Der streitige 'Bescheid des Landesamtes vom 7. März 1968 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides ist auch nicht deshalb rechtswidrig, weil die Bescheide vom 19. November 1962 und vom 22. September 1965 zu Unrecht aufgehoben worden wären.
951. Als begünstigender Verwaltungsakt darf der Bescheid vom 19. November 1962 nur widerrufen werden, wenn
96a) er rechtswidrig ist,
97b) das öffentliche Interesse daran, daß der rechtmäßige Zustand hergestellt wird, stärker ist als das Interesse des Klägers an der Aufrechterhaltung des Bescheides.
98Beide Voraussetzungen liegen vor. Zwar ist ein Verstoß gegen irgendeinen Satz des geschriebenen Rechts - abgesehen von dem sogleich zu erörternden Artikel 3 des Grundgesetzes (GG) - nicht zu erkennent Dagegen liegt ein Verstoß gegen 1.2 der Richtlinien zu § 124 LBG (Fassung der Richtlinien .vom 27. August 1962) vor. Diese Bestimmung lautet
99"Entscheidungen über die Berücksichtigung von Vordienstzeiten sind unter einem Vorbehalt im
100Sinne der Richtlinie 3.2 zu treffen."
101Ein solcher Vorbehalt fehlt im Bescheid vom 19. November 1962. Damit verstößt dieser Bescheid zunächst gegen die genannte Richtlinie. In dem Verstoß gegen diese Richtlinie liegt jedoch zugleich ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 GG, da anzunehmen ist, daß der Beklagte in ständiger Übung nach den genannten Richtlinien verfährt. Unter diesem Blickwinkel erscheint der Bescheid vom 19. November 1962 rechtswidrig.
102Vgl. die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) in dessen Urteil vom 27. Juni 1955 - III C 25.54 -, Entscheidungen deäundesverwaltungsgerichts (BVerwGE) 2, 163 (167 unten, 168 oben).
103Das öffentliche Interesse daran, daß der rechtmäßige Zustand wiederhergestellt wird, liegt auf der Hand. Das Interesse des Klägers ist demgegenüber weniger schutzwürdig. Dafür, daß er aus, irgendwelchen Gründen darauf angewiesen sei, daß Ruhegehalt in Höhe von 73 v.H. der ruhgehaltfähigen Dienstbezüge zuzüglich der Rente zu beziehen, daß er seinen Lebensstandard entsprechend eingerichtet habe, hat er nichts vorgetragen.
104Das gilt selbst dann, wenn der Kläger im Vertrauen auf die Richtigkeit des. Bescheides vom 19. November 1962 davon abgesehen haben sollte, bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres im Dienst zu bleiben. Dann ist zwar sein Vertrauen darauf enttäuscht, er werde vom Beginn des 66. Lebensjahres ab sein Ruhegehalt in Höhe von 73 v.H. in Höhe der ruhegehaltfähigen Dienstbezüge und eine Rente aus der Sozialversicherung erhalten. Auch dieses Vertrauen ist aber gegenüber dem Interesse an der Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustandes weniger schutzwürdig.
105Die Voraussetzungen für den Widerruf des Bescheides vom 19. November 1962 für die Zukunft liegen also vor. Oben ist
106ausgeführt, daß die Aufhebung des Bescheides vom 19. November 1962 erst durch den Widerspruchsbescheid vom 7. Januar 1969 erfolgt ist. Soweit der Widerruf den Zeitraum von April bis Dezember 1968-betrifft, handelt es sich also um einen Widerruf mit Rückwirkung. Dieser war zulässig, da der Kläger vor dem 1. April 1968 den Bescheid des Landesamtes vom 7. März 1968 und seither nur das diesem Bescheid entsprechende Ruhegehalt erhalten hat. Sein Interesse an der Aufrechterhaltung des Bescheides vom 19. November 1962 für die Zeit von April 1968 bis Dezember 1968 ist deshalb nicht sonderlich schutzwürdig, weil er für diese Zeit-auf den Weiterbestand des Bescheides. vom 19. November 1962 nicht mehr vertrauen durfte,
1072. Bezüglich des Widerrufs des Bescheides vom 22. September 1965 kann auf die Ausführungen. zu 1. verwiesen werden. Der Widerruf des Bescheides vom 22. September 1965 ist nach dem oben Gesagten jedoch in dem Bescheid des Landesamtes vom 7. März 1968 zu sehen. Einer besonderen Erörterung für der Zeitraum von April bis Dezember 1968 bedarf es also nicht.
108Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 154 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung vom 21. Januar 1960, BGBl I 17, (VwG0), die bezüglich der vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 167 VwGO, § 708 Nr. 7 ZPO.
109Die Revision mußte zugelassen werden, weil der Rechtstreit grundsätzliche Bedeutung hat (zu vgl. den Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. November 1970 - II B 42.70 -).
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