Urteil vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 2 A 181/84
Tenor
Die Berufung wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand:
2Durch Grundsteuer- und Gebührenbescheid vom 17. Januar 1983 zog der Beklagte den Kläger u.a. zu kommunalen Entwässerungsgebühren in Höhe von 74,16 DM heran. Die nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhobene Klage mit dem Antrag,
3den Bescheid vom 17. Januar 1983 und den Widerspruchsbescheid vom 6. Mai 1983, soweit er Abwassergebühren betrifft, aufzuheben,
4hat das Verwaltungsgericht durch Gerichtsbescheid vom 16. Dezember 1983, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird, abgewiesen.
5Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers mit der er (sinngemäß) beantragt,
6das angefochtene Urteil zu ändern und nach dem in erster Instanz gestellten Klageantrag zu erkennen.
7Zur Begründung vertieft der Kläger sein erstinstanzliches Vorbringen und macht geltend, die Form der angefochtenen Entscheidung (Gerichtsbescheid statt Urteil aufgrund einer mündlichen Verhandlung) verletze seinen Anspruch auf rechtliches Gehör. Die streitige Heranziehung verstoße gegen Art. 6 Grundgesetz (GG), weil diese Verfassungsbestimmung eine Begünstigung von kinderreichen Familien in sämtlichen Bereichen, somit auch auf dem Gebiet des Abgabenrechts, gebiete. Daher habe er wegen seiner Familie einen Anspruch auf Herabsetzung der Entwässerungsgebühr. Statt einer Gebührendregression für Kinderreiche würden entgegen dem Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) Landwirten und anderen Gruppen Subventionen zugebilligt. Es verstoße gegen den verfassungsmäßigen Grundsatz des sozialen Rechtsstaates, wenn beispielsweise die Stadt ... 90 % der Kosten für das staatliche Opern- und Schauspielhaus subventioniere, somit zu Gunsten finanziell gut gestellter Bevölkerungskreise öffentliche Mittel aufbringe, während nach ihm vorliegenden statistischen Erhebungen 85 % der Kosten kommunaler Entwässerungseinrichtungen durch deren Benutzer finanziert werden müßten.
8Der Beklagte beantragt,
9die Berufung zurückzuweisen.
10Sämtliche Beteiligte haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
11Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.
12Entscheidungsgründe:
13Im Einverständnis der Parteien ergeht das Urteil ohne mündliche Verhandlung (§101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -).
14Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat durch den mit der Berufung angefochtenen Gerichtsbescheid die Klage zu Recht abgewiesen, weil die in Höhe von 74,16 DM streitige Heranziehung zu kommunalen Entwässerungsgebühren rechtmäßig ist.
15Die angefochtene Entscheidung beruht entgegen der Ansicht des Kläger nicht auf einer Verletzung rechtlichen Gehörs durch das Verwaltungsgericht, unter welchen Voraussetzungen statt eines Urteils ein Gerichtsbescheid ergehen darf, ist vom Gesetzgeber in Art. 2 §1 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit vom 31. März 1978, BGBl. I S. 446, jetzt gültig in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 22. Dezember 1983, BGBl. I S. 1515 (Entlastungsgesetz - EntlG -) geregelt. Indem der Berichterstatter des Verwaltungsgerichts die Parteien durch Schreiben vom 21. Oktober 1983 darauf hingewiesen hatte, daß über die vorliegende Streitsache durch Gerichtsbescheid entschieden werden könne, war den aus Art. 2 §1 Satz 3 EntlG sich ergebenden Anforderungen an das Gewähren rechtlichen Gehörs entsprochen. Kläger und Beklagter konnten sich zu dieser Verfahrensfrage vor Ergehen des Gerichtsbescheides äußern; ihres Einverständnisses mit dieser Form der Entscheidung bedurfte es nicht.
16Wie das Verwaltungsgericht zu Recht ausführt, bestehen keine Anhaltspunkte dafür, daß das der streitigen Heranziehung zugrundeliegende Ortsrecht, die Abwassergebührensatzung der Stadt ... vom 9. Dezember 1980 in der Fassung der Zweiten Änderungssatzung vom 17. Dezember 1982, nicht wirksam zustandegekommen oder in ihren hier anzuwendenden Bestimmungen materiell ungültig wäre.
17Die Anwendung dieser Vorschriften verstößt auch nicht gegen Art. 6 Abs. 1 GG. Entgegen der Ansicht des Klägers hat diese Verfassungsbestimmung nicht zur Folge, daß eine Ermäßigung der Entwässerungsgebühr für Grundstückseigentümer mit kinderreicher Familie geboten wäre. Dies ist vom Verwaltungsgericht unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zutreffend ausgeführt worden, worauf verwiesen wird. Im Hinblick auf das Vorbringen des Klägers im Berufungsverfahren wird hinzugefügt:
18Der in Art. 6 Abs. 1 GG verankerte besondere Schutz der staatlichen Ordnung für die Familie beinhaltet zwar nicht nur das Verbot, die Familie zu beeinträchtigen, sondern auch das Gebot an den Staat, sie durch geeignete Maßnahmen zu fördern. Auf welche Weise er diesen ihm vom Grundgesetz aufgegebenen besonderen Schutz verwirklichen, d.h., die Familie fördern will, hat aber der jeweilige Gesetzgeber im Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit selbst zu bestimmen. Daher ist es auch eine dem Ermessen des Gesetzgebers anheimgegebene Entscheidung, ob und in welcher Weise diese Förderung etwa durch Maßnahmen auf dem Gebiet des Abgabenrechts erfolgen soll.
19Vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluß vom 13. Dezember 1966 - 1 BvR 512/65 -, Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE) 21, 1 (6).
20Hierbei muß er allerdings ihm durch die Verfassung gezogene Schranken beachten, insbesondere den Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG), der es für den Bereich des Gebührenrechts gebietet, die Gebührenmaßstäbe und Gebührensätze so zu wählen und zu staffeln, daß sie unterschiedlichen Ausmaßen in der erbrachten Leistung Rechnung tragen.
21Vgl. BVerfG, Beschluß vom 6. Februar 1979 - 2 BvL 5/76 - BVerfGE 50, 217 (226 f.)
22Wie das Bundesverfassungsgericht in dieser Entscheidung zu Recht bemerkt, unterscheidet sich die Gebühr von der Steuer dadurch, daß durch sie Einnahmen erzielt werden sollen, um die Kosten der individuell zurechenbaren Leistung zu decken. Art. 3 Abs. 1 GG habe zur Folge, daß bei gleichartig beschaffenen Leistungen, die rechnerisch in Leistungseinheiten erfaßt werden könnten, die Gebührensätze so zu staffeln seien, daß sie unterschiedliche Ausmaße in der Leistung berücksichtigten, am die verhältnismäßige Gleichheit unter den Gebührenschuldnern zu wahren (BVerfG a.a.O.).
23Dieser Rechtslage entspricht es, daß das der Heranziehung des Klägers zugrundeliegende Ortsrecht keine Ermäßigung für Benutzer der städtischen Entwässerungsanlage vorsieht, die auf ihrem zu Wohnzwecken genutzten Grundstück mit ihrer kinderreichen Familie leben. Dies entspricht des weiteren den den Ortsgesetzgeber bindenden Anforderungen der landesrechtlichen Ermächtigungsnorm an den Inhalt einer solchen ortsrechtlichen Benutzungsgebührenregelung. Hiernach ist bei der ortsrechtlichen Gebührensatzung nicht auf die finanzielle Leistungsfähigkeit des Benutzers, sondern auf den Umfang der Inanspruchnahme durch den Benutzer abzustellen (§6 Abs. 3 Satz 1 und 2 Kommunalabgabengesetz NW (KAG)). Eine Staffelung der Gebühr nach der finanziellen Leistungsfähigkeit des Benutzers wäre mit diesen grundlegenden, den Ortsgesetzgeber bindenden Gebührenprinzipien unvereinbar. Die in §6 Abs. 3 Satz 1 und 2 KAG enthaltene Regelung ist Ausdruck des Bundesrechtlichen Äquivalenzprinzips, welches besagt, daß die Gebühr nicht in einem Mißverhältnis zu der von der Verwaltung erbrachten Leistung stehen darf; sie muß leistungsbezogen sein. In Verbindung mit dem Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) gebietet dieses Prinzip, die ortsrechtliche Benutzungsgebührenregelung so auszugestalten, daß bei gleicher Inanspruchnahme der öffentlichen Einrichtung etwa gleich hohe Gebühren und bei unterschiedlicher Benutzung diesen Unterschieden in etwa angemessene Gebühren gezahlt werden.
24Vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 16. September 1981 - 8 C 48.81 -, Die öffentliche Verwaltung (DÖV) 1982, 154 (155) = Kommunale Steuer-Zeitschrift (KStZ) 1982, 69 (71); OVG NW, Beschluß vom 18. November 1983 - 2 B 2037/83 - Der Gemeindehaushalt (Gemht) 1984, 12 = KStZ 1984, 78; Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluß vom 28. September 1976 - V N 3/75 -, Deutsches Verwaltungsblatt (DVBl) 1977, 216 = Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 1977, 452.
25Insoweit ist das Benutzungsgebührenrecht nicht vergleichbar mit anderen Bereichen des Abgabenrechts wie etwa der Einkommensteuer, bei der die Steuerprogression ein zulässiger Nebenzweck ist, um eine Entlastung von sozial schwächeren oder finanziell stark belasteten Bevölkerungsgruppen zu erreichen.
26Das schließt nicht aus, eine Gebührenermäßigung vorzunehmen, wenn das Erheben der vollen Gebühr im Einzelfall eine das Übermaßverbot verletzende Unbilligkeit zur Folge hätte. Dann besteht auch bei kommunalen Benutzungsgebühren die Möglichkeit einer Gebührenermäßigung gemäß §12 Abs. 1 Nr. 4 b und 5 a KAG in Verbindung mit §§163, 227 Abgabenordnung 1977 (AO) wegen persönlicher Unbilligkeit. Hierdurch entstehende Gebührenausfälle sind jedoch aus allgemeinen Haushaltsmitteln und nicht durch die übrigen Benutzer der kommunalen Einrichtung zu finanzieren. Daß im vorliegenden Fall das Vorliegen einer solchen persönlichen Unbilligkeit in Betracht zu ziehen wäre, ist schon in Anbetracht der geringen Höhe der streitigen Gebühr zu verneinen.
27Die Berufung war daher mit der sich aus §154 Abs. 2 VwGO ergebenden Kostenentscheidung zurückzuweisen.
28Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen hierfür nach §132 Abs. 2, §137 Abs. 1 VwGO nicht vorliegen.
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