Urteil vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 15 A 2584/86
Tenor
Das angefochtene Urteil wird geändert.
Es wird festgestellt, daß der als Verwaltungsakt ergangene Ablehnungsbescheid des Beklagten vom 20. Mai 1985 und der Widerspruchsbescheid vom 18. Oktober 1985 rechtswidrig waren.
Im übrigen mird die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt 5/6, der Beklagte 1/6 der Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand:
2Der Kläger ist ein von der Industrie- und Handelskammer zu
3gebildeter Prüfungsausschuß für den Ausbildungsberuf Lacklaborant. Durch Beschluß vom 26. April 1985 forderte er die Industrie- und Handelskammer auf, ihm zur Vorbereitung der für den 20./21. Mai 1985 vorgesehenen schriftlichen Abschlußprüfung 1985 die Prüfungsaufgaben zur Einsichtnahme und Beschlußfassung vorzulegen. Der Beklagte lehnte diesen Antrag durch ein - mit Rechtsmittelbelehrung versehenes - Schreiben vom 20. Mai 1985 ab und wies den Widerspruch des Klägers durch ein weiteres Schreiben vom 18. Oktober 1985 zurück.
4Mit der Klage hat der Kläger geltend gemacht: Nach dem Berufsbildungsgesetz seien die Prüfungsausschüsse als Organe der Industrie- und Handelskammern zuständig für die Abnahme der Abschlußprüfungen. Ihre Kompetenz in diesem Bereich sei umfassend. Dazu gehöre auch die Meinungsbildung über die schriftlichen Aufgaben. Daher stehe ihm vor Durchführung des Prüfungsverfahrens das Recht zu, Einsicht in die entsprechenden Unterlagen zu nehmen. Weder Text noch Entstehungsgeschichte des Berufsbildungsgesetzes gäben einen Hinweis darauf, daß nur der Beklagte für die Erstellung der schriftlichen Prüfungsaufgaben zuständig sei. Aus der paritätischen Besetzung der Prüfungsausschüsse mit Arbeitgebern, Arbeitnehmern und Lehrern sei vielmehr zu entnehmen, daß der Gesetzgeber dem Prüfungsausschuß eine autonome Funktion im Prüfungswesen der Kammern eingeräumt habe. Er, der Kläger, verfüge über spezielle Kenntnisse des jeweiligen Ausbildungsinhaltes und könne deshalb für den Fall, daß die überregional formulierten Aufgaben ungeeignet seien, regionale Besonderheiten berücksichtigen und gegebenenfalls sachgerechte Änderungen vornehmen, wenn ihm vor der jeweiligen Prüfung die Möglichkeit gegeben werde, die Prüfungsaufgaben einzusehen. Eine derartige Handhabung führe weder zu einer übermäßigen organisatorischen Belastung noch zu einer Gefährdung der Geheimhaltung des Prüfungsstoffes.
5Der Kläger hat beantragt
6festzustellen, daß ihm zur Vorbereitung schriftlicher Abschlußprüfungen die Prüfungsaufgaben zur Einsichtnahme und Beschlußfassung vorgelegt werden müssen und daß der ablehnende Bescheid vom 20. Mai 1985 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 18. Oktober 1985 rechtswidrig ist.
7Der Beklagte hat beantragt,
8die Klage abzuweisen.
9Er hat vorgetragen, § 36 des Berufsbildungsgesetzes beschränke den Aufgabenbereich der Prüfungsausschüsse auf die Abnahme der Prüfung. Zur Abnahme gehöre nicht das Stellen der schriftlichen Prüfungsaufgaben, sondern nur die Bewertung der eingereichten Arbeiten. Soweit die Prüfungsordnung vorsehe, daß der Kläger die Prüfungsaufgaben beschließe, müsse diese Vorschrift restriktiv ausgelegt werden, da die Prüfungsordnung nicht die Kompetenzverteilurig des Berufsbildungsgesetzes ändern dürfe. Das gesamte Prüfungsverfahren sei in die Hand der Kammerleitung gelegt. In deren Verantwortungsbereich werde unzulässig eingegriffen, wenn der Kläger die Möglichkeit erhalte, über die Frage einer zentralen oder örtlichen Aufgabenstellung selbst zu entscheiden oder über den Umweg einer Vorabinformation und Begutachtung auf die Aufgabenstellung Einfluß zu nehmen.
10Das Verwaltungsgericht hat der Klage durch das angefochtene Urteil, auf dessen Gründe Bezug genommen wird, stattgegeben.
11Hiergegen richtet sich die Berufung des Beklagten, mit der dieser erneut seine Zuständigkeit für das gesamte Prüfungsverfahren, abgesehen von der Abnahme der Prüfung, hervorhebt. Angesichts dieser umfassenden Zuständigkeit tendiere der Begriff "Abnahme" zu einem engen Anwendungsbereich, der auch durch die Prüfungsordnung nicht ausgeweitet werden könne. § 14 Abs. 2 der Prüfungsordnung sehe ausdrücklich vor, daß der Kläger gehalten sei, überregional erstellte Prüfungsaufgaben zu übernehmen. Da diese Aufgaben bereits von paritätisch besetzten Gremien ausgewählt worden seien, sei für einen gesonderten Beschluß des Klägers kein Raum mehr, so daß auch eine Einsichtsbefugnis nicht bestehe. Die gesetzliche Kompetenzverteilung habe auch nicht etwa durch den Berufsbildungsausschuß, der als Organ der Industrie- und Handelskammer die Prüfungsordnung erlassen habe, zu Lasten der Geschäftsleitung und zugunsten des Klägers verändert werden dürfen. Sollten der Kläger und andere Prüfungsausschüsse Gelegenheit erhalten, vor der jeweiligen Prüfung Einsicht in die Prüfungsaufgaben zu nehmen, so würde dies schon wegen der Vielzahl der zu beteiligenden Prüfungsausschußmitglieder das Ende des bisherigen zentralen Prüfungssystems bedeuten.
12Der Beklagte beantragt,
13das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.
14Der Kläger beantragt,
15die Berufung zurückzuweisen.
16Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und wiederholt seine Auffassung, er könne die ihm übertragene Aufgabe, Prüfungen abzunehmen, sachgerecht nur wahrnehmen, wenn er hinsichtlich der schriftlichen Prüfungsaufgaben ein Recht auf Einsichtnahme und Beschlußfassung habe.
17Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.
18Entscheidungsgründe:
19Die Berufung des Beklagten hat überwiegend Erfolg. Das angefochtene Urteil ist zu ändern; denn die Klage ist nur insoweit begründet, als die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Bescheide vom 20. Mai und 18. Oktober 1985 begehrt wird; in der Sache selbst ist sie unbegründet.
20Die Klage ist hinsichtlich der erstrebten Feststellung von Kompetenzen des Klägers als Feststellungsklage gemäß § 43 Abs. 1 VwGo zulässig. Die Beteiligten streiten über das Bestehen eines Rechtsverhältnisses im Sinne dieser Vorschrift, das sich auch aus der Anwendung von Normen des Innenrechts ergeben kann,
21vgl. Urteil des Senats vom 30. August 1985 - 15 A 706/82, NVwZ 1986, 851, 852.
22Der Kläger nimmt organschaftliche Befugnisse in Anspruch, die er aus seiner Stellung als Ausschuß der Industrie- und Handelskammer herleitet; der Beklagte stellt das Bestehen solcher Befugnisse in Abrede und hat sich in der Vergangenheit - über den hier streitigen Vorgang hinaus - mehrfach geweigert, dem Verlangen des Klägers auf Einsichtnahme in die Prüfungsaufgaben zum Zwecke der Beschlußfassung vor der Prüfung nachzukommen. Der Streit bezieht sich folglich - ungeachtet gelegentlich generalisierender schriftsätzlicher Ausführungen der Beteiligten - auf einen konkreten Sachverhalt und nicht nur auf eine abstrakte Rechtsfrage. Der Kläger hat ein berechtigtes Interesse an einer baldigen Feststellung, da erneute rechtliche Auseinandersetzungen zu befürchten sind. Er kann seine Rechte auch nicht ebenso gut mit einer Leistungsklage verfolgen (.5 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO); denn hierbei würde sein Begehren jeweils auf Einzelfälle beschränkt sein und alsbald eine Erledigung der Hauptsache durch Zeitablauf eintreten.
23Soweit es um die Ablehnungsbescheide geht, ist die Klage als Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO ebenfalls zulässig, weil sich die Bescheide erledigt haben und der Kläger im Hinblick auf eine ihm drohende Wiederholung der Ablehnung ein berechtigtes Interesse an der Feststellung hat. Der Senat entnimmt der Formulierung im Tenor des angefochtenen Urteils "entgegen der im ablehnenden Bescheid vertretenen Rechtsauffassung", daß das Verwaltungsgericht auch diesen Teil der Klage beschieden hat. Er ist demgemäß auch Gegenstand der vom Beklagten uneingeschränkt eingelegten Berufung.
24Die Klage ist jedoch nur in dem eingangs genannten Umfang begründet.
25Zugunsten des Klägers ist festzustellen, daß die Bescheide vom 20. Mai und 18. Oktober 1985 rechtswidrig waren. Denn der Beklagte hatte die Ablehnung der Anträge - wie die Rechtsmittelbelehrung zeigt - in die Gestalt von Verwaltungsakten gekleidet, die die Rechtsfolge einer möglichen Bestandskraft in Anspruch nahmen. Dafür ist beim Streit zwischen Organen um Kompetenzen im innerorganisatorischen Bereich schon mangels einer unmittelbaren Rechtswirkung nach außen (vgl. § 35 VwVfG) kein Raum.
26Weitergehende Feststellungen kann der Kläger nicht beanspruchen, denn eine Befugnis zur Einsichtnahme in überregional erstellte Prüfungsaufgaben und zur Beschlußfassung darüber steht ihm nach geltendem Recht nicht zu. Weder das Berufsbildungsgesetz noch die Prüfungsordnung der vom Beklagten vertretenen Industrie- und Handelskammer enthalten eine entsprechende, im innerorganisatorischen Bereich unverzichtbare Kompetenzzuweisung.
27Das Berufsbildungsgesetz institutionalisiert zwar im Vierten Abschnitt die Prüfungsausschüsse, regelt aber - mit einer hier nicht interessierenden Ausnahme in § 39 Abs. 2 Satz 2 BBiG - nicht deren Kompetenzen. Das gilt auch für § 36 Satz 1 BBiG. Danach errichtet die zuständige Stelle für die Abnahme der Abschlußprüfung Prüfungsausschüsse. Die neutrale Bezeichnung "Abnahme" besagt lediglich, daß, nicht jedoch in welchem Umfang die Prüfungsausschüsse tätig werden sollen. Ein Unterschied zu dem an anderer Stelle verwandten Begriff "durchzuführen" (vgl. § 34 Abs. 1 Satz 1 BBiG) ist nicht zu erkennen. Die Fassung des § 36 BBiG stützt daher weder die vom Beklagten vertretene Auffassung, bereits das Berufsbildungsgesetz beschränke die Zuständigkeit der Prüfungsausschüsse auf die Prüfungsabschnitte "Bewerten der Prüfungsleistung und Feststellung des Prüfungsergebnisses" und schon deshalb sei deren Mitwirkung an den Prüfungsaufgaben ausgeschlossen
28vgl. Knopp/Kraegeloh, Berufsbildungsgesetz, Komm., 2. Aufl. 1982, Erl. 3 zu § 36; Hurlebaus, Gewerkschaftliche Bildungspolitik 1984, 44 ff; Herkert, Berufsbildungsgesetz, Komm., Stand März 1989, Rdn. 9 und 10 zu § 36 -,
29noch die Annahme des Klägers, der Prüfungsausschuß sei als allein zur Abnahme der Prüfung berufenes Gremium für alle die Abschlußprüfung betreffenden Fragen zuständig,
30vgl. Walter/Hausmann, Gewerkschaftliche Bildungspolitik 1984, 40, 43; Düring/Wohlgemuth, DB 1986, Beil. 28, S. 10; Hamb. OVG, Urteil vom 22. Dezember 1977- Bf II 93/76 -, Hamb JVB1 1978, 37.
31Der zuletzt genannten Auslegung stünde im übrigen die Systematik des Berufsbildungsgesetzes entgegen.
32Das Prüfungswesen in den anerkannten Ausbildungsberufen gehört zu den Selbstverwaltungsangelegenheiten der Industrie- und Handelskammer (vgl. § 1 Abs. 2 IHKG). Demgemäß führt sie die Prüfungen als eigene Angelegenheit aus,
33vgl. BVerwG, Urt. vom 20. Juli 1984 - 7 C 28.83 -, BVerwGE 70, 4, 7 = DVB1. 1985, 57, 58,
34hat dabei aber die bindenden Vorgaben des Vierten Abschnitts des Berufsbildungsgesetzes zu beachten. Danach ist ihr die Verpflichtung auferlegt, einen Prüfungsausschuß zu errichten und diesen am Prüfungsverfahren zu beteiligen. Ferner hat sie die Zusammensetzung und die Berufung des Ausschusses sowie Fragen des Vorsitzes, der Beschlußfähigkeit und der Abstimmung in Übereinstimmung mit §§ 37 und 38 BBiG zu regeln und muß dem Ausschuß gemäß § 39 Abs.2 Satz 2 BBiG die abschließende Entscheidung über die Prüfungszulassung einräumen. Ober diese Mindestregelung hinaus überläßt jedoch das Berufsbildungsgesetz die Ausgestaltung des Einsatzes des Prüfungsausschusses und damit auch die Abgrenzung seiner Kompetenzen der Regelung durch die Industrie- und Handelskammer in der Prüfungsordnung. Die weitreichende Gestaltungsermächtigung zugunsten der Industrie- und Handelskammer kommt etwa darin zum Ausdruck, daß ihr sogar die Festlegung der Bewertungsmaßstäbe in der Prüfungsordnung übertragen ist (vgl. § 41 Satz 2 BBiG).
35Vor diesem Hintergrund kann dem Hamburgischen Oberverwaltungsgericht (aa0) auch nicht darin gefolgt werden, daß die Prüfungsausschüsse die einzigen im Prüfungswesen zu bildenden Institutionen seien. Denn die Industrie- und Handelskammer kann, soweit sie nicht dem Prüfungsausschuß Funktionen zuweist, Aufgaben des Prüfungswesens auch durch ihren Hauptgeschäftsführer erfüllen lassen.
36Aufgrund der Ermächtigung hat der Berufsbildungsausschuß der vom Beklagten vertretenen Industrie- und Handelskammer die "Prüfungsordnung für die Durchführung von Abschlußprüfungen in anerkannten Ausbildungsberufen" (PrO) beschlossen. Diesem Ausschuß obliegt es als mit umfassender Regelungskompetenz ausgestattetem Organ der Kammer
37vgl. BVerfG, Beschluß vom 14. Mai 1986 2 BO_ 19/84 -, BVerfGE 72, 278, 291 f; Düring/Wohlgemuth, aa0, S. 3 ff -
38nach § 58 Abs. 2 BBiG, die aufgrund des Berufsbildungsgesetzes von der Kammer zu erlassenden Rechtsvorschriften für die Durchführung der Berufsbildung zu beschließen. Dazu zählen auch die Prüfungsordnungen
39vgl. Knopp/Kraegeloh, aa0, Erl. 2 zu § 58.
40Die hier maßgebliche Vorschrift der Prüfungsordnung lautet - in Obereinstimmung mit der Musterprüfungsordnung des Bundesausschusses für Berufsbildung,
41abgedruckt bei Knopp/Kraegeloh, aa0, Anh. III, Nr. 2, Anl. 1 a -
42wie folgt:
43§ 14 Prüfungsaufgaben
44(1) Der Prüfungsausschuß beschließt auf der Grundlage der Ausbildungsordnung die Prüfungsaufgaben.
45(2) Der Prüfungsausschuß ist gehalten, überregional erstellte Prüfungsaufgaben zu übernehmen, soweit diese von Gremien erstellt oder ausgewählt worden sind, die im Einvernehmen mit der beteiligten Stelle entsprechend § 37 Abs. 2 BBiG zusammengesetzt worden sind.
46Danach kann nur in den Fällen, in denen der Prüfungsausschuß selbst die Prüfungsaufgaben formuliert und "beschließt", dem Anliegen des Klägers Rechnung getragen werden; denn die Beschlußfassung erfordert, wenn sie sinnvoll sein soll, die Möglichkeit einer vorhergehenden umfassenden Beschäftigung des Ausschusses mit dem Prüfungsstoff. Die - im vorliegenden Falle allein streitige -Behandlung überregional erstellter oder ausgewählter Prüfungsaufgaben ist dagegen ausdrücklich (nur) in § 14 Abs. 2 PrO geregelt, der eine Beschlußfassung durch den Prüfungsausschuß nicht vorsieht. Damit entfällt auch das daran anknüpfende, die Beschlußfassung vorbereitende Einsichtsrecht.
47Die strikte Bindung des Prüfungsausschusses an überregional erstellte oder ausgewählte Aufgaben kommt in den Formulierungen "ist gehalten" und "übernehmen" zum Ausdruck. Beide Wendungen verdeutlichen, daß dem Prüfungsausschuß kein eigener Spielraum für die Entscheidung verbleibt, inwieweit die von der Prüfungsordnung intendierte Rechtsfolge, die Abnahme der Abschlußprüfung auf der Grundlage überregional erstellter Prüfungsaufgaben, eintreten soll. Das Wort "gehalten" bedeutet in diesem Zusammenhang dasselbe wie "verpflichtet",
48ebenso Hurlebaus, aa0, S. 46; a.A. ("Soll-Vorschrift") Eule, Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis 1982, 1, 4, und Walter/Hausmann, aa0, S. 41.
49Es handelt sich um die Partizipialform des heute nur noch wenig geläufigen Tätigkeitswortes "halten" im Sinne von "zu etwas anhalten". Allgemein wird es in der Verbindung "zu etwas gehalten sein" gleichgesetzt mit den Formulierungen "auferlegt bekommen haben; verpflichtet, gebunden oder verbunden sein",
50vgl. Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, Band 3, 1977; Grimm, Deutsches Wörterbuch, Nachdr. 1984, Band 5, S. 2319.
51Das Wort "übernehmen" verstärkt - gerade im Vergleich zu der in § 14 Abs. 1 PrO verwandten Wendung "beschließt" - die beabsichtigte Bindung des Prüfungsausschusses. Bei einer Verpflichtung zur Übernahme von Prüfungsaufgaben bleibt kein Raum für die Untersuchung, ob etwa ein atypischer Fall vorliegt, der abweichende Rechtsfolgen rechtfertigen könnte. Hätte der Berufsbildungsausschuß mit § 14 Abs. 2 PrO lediglich eine Richtlinie für typische Fälle geben wollen, von der "aus wichtigen Gründen" zur Fehlerkorrektur oder zum Ausgleich regionaler Besonderheiten abgewichen werden dürfte, so hätte er auf Formulierungen wie "soll" oder "in der Regel" zurückgreifen müssen, die in der Rechtssprache seit jeher für eine differenzierte Gebundenheit der Rechtsanwendung stehen,
52vgl. Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht I, 9. Aufl. 1974, § 31 II b.
53Im übrigen bedarf es zur Fehlerkorrektur keines Einsichtsrechts; denn der Prüfungsausschuß kann von ihm für fehlerhaft erachtete Aufgaben im Rahmen der allein ihm obliegenden Bewertung der Prüfungsleistungen berücksichtigen und ausgleichen.
54Angesichts des eindeutigen Wortlauts des § 14 Abs. 2 PrO können Zweckmäßigkeitserwägungen,
55vgl Düring/Wohlgemuth, aaO, S. 11: Beachtung regionaler Besonderheiten, Beseitigung möglicher Anfechtungsgründe im Vorfeld der Prüfung; vgl. ferner Berufsbildungspolitischer Ausschuß des DGB, Thesen zur Arbeit der Aufgabenerstellungsausschüsse, Gewerkschaftliche Bildungspolitik 1984, 44,
56entsprechende Befugnisse des Prüfungsausschusses nicht begründen,
57vgl. BVerwG, aaü, (DVB1. 1985, S. 58).
58Die von der Prüfungsordnung in übereinstimmuna mit dem Berufsbildungsgesetz versagte Kompetenz läßt sich auch nicht aus sonstigen Rechtsvorschriften herleiten.
59Es gibt insbesondere keinen allgemein anerkannten Grundsatz des Prüfungsrechts, nach dem ein Prüfungsausschuß neben der Leistungsbewertung auch die Aufgabenerstellung durchführen muß. Vielmehr ist das Prüfungswesen geprägt durch eine Vielzahl nebeneinander bestehender Prüfungssysteme, die sowohl eine eingeschränkte wie eine umfassende Mitwirkung des Prüfungsausschusses kennen. Im schriftlichen Prüfungsverfahren überwiegen jedoch die Fallgestaltungen, in denen die Erarbeitung der Prüfungsfragen und die Bewertung der Lösung - wie hier - durch verschiedene Personen erfolgt.
60Auch der Grundsatz der Chancengleichheit im Prüfungswesen gebietet eine Einsichtnahme und eine Beschlußfassung durch den Prüfungsausschuß nicht. Es dient vielmehr in besonderem Maße der Chancengleichheit, wenn die Aufgaben und damit der Schwierigkeitsgrad der Prüfungsanforderungen für alle Prüflinge möglichst gleich sind. Denn die Abschlußprüfung ist nach dem System des Berufsbildungsgesetzes überregional ausgestaltet. Nach § 35 BBiG ist ihr die jeweilige Ausbildungsordnung zugrundezulegen. Diese wiederum wird nach § 25 BBiG bundesweit erlassen. Dem liegt die Zielsetzung zugrunde, den Auszubildenden eine möglichst breite Berufsausbildung zu ermöglichen und ihnen zur Förderung ihrer beruflichen Mobilität eine Qualifikation unabhängig von den Bedürfnissen des Einzelbetriebes zu vermitteln,
61vgl. Walter/Hausmann, aaO, S. 42.
62Der Chancengleichheit der Prüflinge dient die Bindung des Prüfungsausschusses an überörtlich gestellte Prüfungsaufgaben im übrigen auch unter dem Gesichtspunkt der Geheimhaltung der Aufgaben vor der Prüfung. Es liegt - auch bei Würdigung der Verschwiegenheitspflicht der Ausschußmitglieder gemäß § 6 PrO - auf der Hand, daß der Prüfungsstoff bei der ausschließlichen Befassung eines überörtlichen Gremiums besser gegen eine vorzeitige Bekanntgabe geschützt werden kann, als dies bei der Einsichtnahme durch eine Vielzahl örtlicher Prüfungsausschüsse möglich wäre.
63Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO, deren vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO iVm § 708 Nr. 10, § 711, § 713 ZPO.
64Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor (§ 132 Abs. 2, § 137 Abs. 1 VwGO).
65
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
This content does not contain any references.