Urteil vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 7 A 1113/90
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand:
2Die Klägerin ist Eigentümerin des ca. 30.000 qm großen Grundstücks Gemarkung ..., Flur ... und ..., bestehend aus den Flurstücken ... sowie ..., und begehrt vom Beklagten die Erteilung einer Abbruchgenehmigung für die auf dem Grundstück gelegenen Fabrikgebäude der ehemaligen ... Feintuchfabrik, die im Jahre 1718 unter dem damaligen Namen Sch. Tuchmanufaktur gegründet worden war und deren Betriebsanlagen im Jahre 1895 auf dieses Gelände verlagert wurden. Im Jahre 1983 wurden die Produktionsstätten erneut verlagert und der Betrieb auf dem Grundstück eingestellt.
3Das Fabrikgelände liegt auf der Südwestseite der V. Straße und ist im straßennahen Bereich mit einem langgestreckten Gebäude bebaut, das den ehemaligen Verwaltungstrakt der Fabrik darstellt. Im Erdgeschoß des Gebäudes befinden sich großflächige Lagerhallen, während im Obergeschoß die Büros und der Warenversand untergebracht waren. Die Erdgeschoßdecken des Hauses sind in Form von preußischen Kappendecken gestaltet, die auf einem gleichmäßigen Raster von gußeisernen und mit historisierenden Stilelementen versehenen Säulen getragen werden. Das ursprüngliche Satteldach des Gebäudes ist in Folge eines Brandes weitgehend zerstört und durch ein provisorisches Flachdach ersetzt worden. Im nordwestlichen Anschluß an den Verwaltungstrakt ist eine großflächige Shedhalle errichtet. Sie wird abgedeckt durch ein nach dem Kriege erbautes Sheddach, das aus einer Rohrbinderkonstruktion besteht und mit Stegzementdielen eingedeckt ist. Die Kopfflächen des Sheddaches sind verglast. Die Glasscheiben sind teilweise zerstört. Diese Halle geht im Nordwesten in eine andere Shedhalle über, deren Dachkonstruktion weitgehend morsch und zum Teil großflächig eingebrochen ist. Zur V. Straße hin weisen die beiden Shedhallen in baulicher Verbindung mit dem Verwaltungstrakt eine Fassadenfolge auf, die das Konstruktionsprinzip der dahinterliegenden Sheddächer nachzeichnet. In den Shedhallen waren die Spinnerei, das Garnlager und die Appretur eingerichtet. An die Rückseite der Shedhallen ist ein langgestreckter Baukörper angebaut, der im Erdgeschoß die gleiche Deckenkonstruktion aufweist wie der zuvor beschriebene Verwaltungstrakt. Hier waren die Wäscherei und das Wolllager der Fabrik eingerichtet. Im Westen der Hallen ist eine weitere Shedhalle errichtet, die aus den fünfziger Jahren stammt und aus Stahlbeton hergestellt ist. Auch diese Halle wurde als Spinnerei genutzt. Südlich der straßenwärtigen Shedhallen und etwa im Zentrum des Firmengeländes befindet sich ein Gebäude, in dem die ehemalige Garnfärberei untergebracht war. Das Gebäude trägt ein Satteldach und weist einen hohen und stützenfreien Innenraum ohne Geschoßdecke auf. Das Dach wird getragen von einer Eisenbinderkonstruktion (Polonceau-Binder), die die Grundfläche des Gebäudes freitragend überspannt. Über annähernd die gesamte Firstlänge des Daches verläuft ein Belüftungsaufsatz. Die Giebelfassaden des Gebäudes sind mit historisierenden Stilelementen gestaltet. Im rückwärtigen Bereich des Fabrikgeländes ist ein Gebäude errichtet, das mit seiner Rückseite an einen Graben grenzt, in dem ein breiter Bach mit starker Wasserströmung verläuft (L Mühlenteich). Der rückwärtige Anbau des Gebäudes ist über den Wassergraben gebaut. In dem Gebäude befindet sich die Turbinenanlage der Fabrik mit Kupplung und Generator. Die Turbine und der Generator wurden im Jahre 1937 eingebaut. Die Elektronik und die Erregermaschine des Generators sind zerstört. Das Gebäude weist noch Reste der originalen Bausubstanz der ehemaligen K mühle auf, die bereits im siebzehnten Jahrhundert an dieser Stelle errichtet und in den nachfolgenden Jahrhunderten baulich erweitert wurde. Deren ursprüngliche Bausubstanz zeigt sich in Gestalt von Bruchsteinmauerwerk aus dem siebzehnten Jahrhundert in der Rückwand des Gebäudes und in Form eines aus Sandstein bestehenden Fenstergewändes, das aus dem achtzehnten Jahrhundert stammt.
4Mit Schreiben vom 4. Juli 1984 beantragte die Klägerin bei dem Beklagten die Erteilung einer Abbruchgenehmigung für die Fabrikgebäude.
5Nachdem der Landschaftsverband Rheinland mit Schreiben vom 25. Oktober 1984 die Eintragung der Fabrikgebäude in die Denkmalliste beantragt hatte, stellte der Beklagte mit dem an die Klägerin gerichteten Bescheid vom 15. Juli 1986 die Fabrikgebäude gemäß § 4 Abs. 1 DSchG vorläufig unter Schutz und ordnete die sofortige Vollziehung der Verfügung an. Am 6. Mai 1987 trug der Beklagte die zuvor beschriebenen Fabrikgebäude in die Denkmalliste der Stadt ... ein und erteilte der Klägerin hierüber mit Datum vom selben Tage einen Bescheid. Zur Begründung führte er unter anderem aus, die unter Schutz gestellte Tuchfabrik gehöre zu den signifikanten Beispielen einer planmäßig angelegten Industrieanlage aus dem Ende des neunzehnten Jahrhunderts. Die einzelnen Gebäude seien als Teil eines Industrie-, wirtschafts- und regionalgeschichtlich bedeutsamen Ganzen zu verstehen und in ihrem funktionalen Zusammenhang ein Zeugnis der Arbeits- und Produktionsverhältnisse jener Epoche. Darüber hinaus komme jedem der einzelnen Gebäude eine zusätzliche baugeschichtliche Bedeutung zu. Die Eintragung der Fabrikgebäude in die Denkmalliste ist bestandskräftig.
6Mit Bescheid vom 11. August 1986 lehnte der Beklagte den Antrag der Klägerin auf Erteilung einer Abbruchgenehmigung ab und führte zur Begründung aus: Gemäß § 70 Abs. 1 BauO NW könne die Abbruchgenehmigung nur erteilt werden, wenn dem Vorhaben öffentlich-rechtliche Vorschriften nicht entgegenstünden. Da die Firmengebäude jedoch bereits mit Bescheid vom 15. Juli 1986 unter Anordnung der sofortigen Vollziehung gemäß § 4 Abs. 1 DSchG vorläufig unter Denkmalschutz gestellt worden seien, bedürfe es für den Abbruch der Gebäude gemäß § 9 Abs. 1 DSchG der Erlaubnis der unteren Denkmalbehörde, die diese jedoch versagt habe. Den dagegen eingelegten Widerspruch der Klägerin wies der Oberkreisdirektor des Kreises ... mit Widerspruchsbescheid vom 27. Oktober 1988 - der Klägerin zugestellt am 9. November 1988 - als unbegründet zurück und führte zur Begründung im wesentlichen aus: Die Abbruchgenehmigung könne nach § 70 Abs. 1 BauO NW nicht erteilt werden, weil dem Vorhaben denkmalschutzrechtliche Vorschriften entgegenstünden. Bei der Fabrik handele es sich um ein herausragendes bauliches Zeugnis der ... Industriearchitektur, dessen Erhaltung im öffentlichen Interesse liege. Zwar habe sich die Bausubstanz der Fabrikgebäude verschlechtert. Der Großteil der unter Schutz gestellten baulichen Anlage befinde sich jedoch weiterhin in einem relativ guten baulichen Zustand. Die Klägerin könne sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass ihr die Erhaltungsmaßnahmen der Fabrikgebäude nicht zumutbar seien. Eine etwa fehlende Zumutbarkeit könne die Denkmalschaft des Bebauungskomplexes nicht in Abrede stellen.
7Mit der am 6. Dezember 1988 erhobenen Klage hat die Klägerin vorgetragen: Sie habe einen Anspruch auf Erteilung der begehrten Abbruchgenehmigung. Denkmalschutzrechtliche Belange stünden dem Vorhaben nicht entgegen, weil die Fabrikgebäude weitgehend abgängig seien. Dass verschiedene Gebäude noch historisch bedeutsame Baukonstruktionen aufwiesen, könne die Denkmaleigenschaft nicht stützen. Ein verfallenes Denkmal sei nicht um seiner selbst willen erhaltenswert. Da weder der Beklagte noch die Fachbehörden wüssten, wie die Gebäude instandzusetzen, auf Dauer zu erhalten und wirtschaftlich zu nutzen seien, könne nicht damit gerechnet werden, dass das Denkmal jemals der Öffentlichkeit als Dokumentationsobjekt zugänglich sein werde. Über den Abbruchantrag habe der Beklagte nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Dabei habe er zu berücksichtigen, dass der Versagung der Abbruchgenehmigung eine enteignende Wirkung zukomme, weil sie eine wirtschaftlich sinnvolle Nutzung oder Verwertung des Grundeigentums verhindere. Demgegenüber sei zu beachten, dass mittlerweile zwei Brände die Dachabdeckung der Hauptgebäude vernichtet hätten. Die Verglasungen seien in allen Gebäuden und insbesondere in den Werkhallen total zerstört. Eindringender Regen habe das Mauerwerk, die Decken und Stützen beschädigt und viele Räume unbenutzbar gemacht. Die Instandsetzung und Erhaltung der Gebäude werde erhebliche Finanzmittel verschlingen, die in keinem Verhältnis zum Dokumentationswert der Fabrikanlage stünden.
8Die Klägerin hat beantragt,
9den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 11. August 1986 in der Fassung des Widerspruchsbescheides des Oberkreisdirektors des Kreises ... vom 27. Oktober 1988 zu verpflichten, der Klägerin die mit Schreiben vom 4. Juli 1984, ergänzt durch Schreiben vom 14. Mai 1986, beantragte Abbruchgenehmigung sowie die Genehmigung des § 9 DSchG zu erteilen.
10Der Beklagte hat beantragt,
11die Klage abzuweisen,
12und zur Begründung vorgetragen: Die Klage sei unzulässig, soweit die Klägerin eine denkmalschutzrechtliche Abbrucherlaubnis nach § 9 Abs. 1 DSchG erstrebe. Denn sie habe bislang ausschließlich eine baurechtliche Abbruchgenehmigung begehrt. Lediglich hierüber sei auch im Vorverfahren befunden worden. Außerdem stehe das Klagebegehren im Widerspruch zu einem von der Klägerin geltend gemachten Antrag auf Übernahme des Grundstücks mit sämtlichen darauf stehenden Gebäuden nach § 31 DSchG. Jedenfalls sei die Klage unbegründet. Wenn sich der Zustand der Gebäude durch Brandeinwirkung, Witterungseinflüsse und Vandalismus auch mittlerweile verschlechtert habe, seien die Schäden jedoch reparabel und führten nicht zum Verlust der Denkmaleigenschaft. Unerheblich sei die Frage der Nutzungsmöglichkeiten der unter Schutz gestellten Gebäude sowie die Frage, welche Mittel seitens der Stadt ... aufzubringen seien, falls sie das Gelände übernehmen müsse.
13Mit dem angefochtenen Urteil hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Die Klage sei trotz des beim Regierungspräsidenten ... anhängigen Verfahrens nach § 31 DSchG zulässig. Es sei dem Eigentümer eines Baudenkmales unbenommen, zunächst das Verfahren auf Erteilung der Abbruchgenehmigung zu betreiben und gegebenenfalls im Anschluss an eine negative Bescheidung das Übernahmebegehren weiter zu verfolgen. Der Zulässigkeit der Klage stehe auch nicht entgegen, dass die Klägerin im Verwaltungsverfahren eine Abbruchgenehmigung nach § 70 Abs. 1 BauO NW und nicht förmlich auch eine Beseitigungserlaubnis nach § 9 Abs. 1 DSchG beantragt habe. Es fehle insoweit nicht am erforderlichen Vorverfahren, weil im baurechtlichen Genehmigungsverfahren zugleich auch über die denkmalschutzrechtliche Abbruchgenehmigung zu entscheiden sei.
14Die Klage sei jedoch unbegründet. Gemäß § 9 Abs. 3 Satz 1 DSchG seien bei der Entscheidung über den Abbruchantrag der Klägerin die Belange des Denkmalschutzes und der Denkmalpflege in angemessener Weise zu berücksichtigen. Hiernach sei die Abbruchgenehmigung zu versagen, weil dem Vorhaben Belange des Denkmalschutzes entgegenstünden. Die Fabrikanlage habe ihre Denkmaleigenschaft durch die teilweise Zerstörung der Gebäude nicht verloren. Der Verlust einzelner Bauteile durch zwei Brände und durch Vandalismus habe die Bedeutung der Gesamtanlage für die industriegeschichtliche Entwicklung nicht aufgehoben. Zwar sei nicht auszuschließen, dass einzelne Bauelemente, die in besonderen Maße geeignet gewesen seien, die Konstruktion der Gebäude aufzuzeigen, verlorengegangen seien. Gleichwohl hätten die bestehenden Bauten noch einen hohen Zeugniswert für die Industriearchitektur jener Epoche. Sie ließen in Anordnung und Ausgestaltung auch jetzt noch den Repräsentationswillen der damaligen Zeit, den Anklang an die frühere feudale Schlossarchitektur und den sich verstärkenden Zwang zu einem funktionalen Aufbau erkennen. Insgesamt sei die Fabrikanlage auch noch nicht abgängig. Der erhebliche Kostenaufwand für die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes begründe den Verlust der Denkmaleigenschaft nicht. Gesichtspunkte der Zumutbarkeit an Erhaltungsaufwendungen seien für die Frage, ob Gründe des Denkmalschutzes einem Abbruch entgegenstehen, ohne Bedeutung. Schließlich habe die Klägerin bislang auch nicht glaubhaft gemacht, dass sie für das Grundstück nach Abriss der Gebäude einen Preis erzielen könne, der weit über der in einem Übernahmeverfahren zu gewährenden Entschädigung liege. Die Berücksichtigung des Denkmalschutzes in angemessener Weise räume dem Beklagten bei seiner Entscheidung auch kein Ermessen ein.
15Die Klägerin hat gegen das ihr am 23. April 1990 zugestellte Urteil am 22. Mai 1990 Berufung eingelegt, zu deren Begründung sie folgendes vorträgt: Dem Abbruch seien denkmalschutzrechtliche Belange nicht mehr entgegenzuhalten, weil die Fabrikanlage weitgehend abgängig und deshalb nicht mehr erhaltenswürdig sei. Bei Sanierung der Gebäude werde eine Rekonstruktion entstehen. Das Dachgeschoß des Verwaltungsgebäudes sei durch Brand zum größten Teil vernichtet worden. Das provisorische Dach sei durch Witterungseinflüsse stellenweise ebenfalls zerstört und durchgebrochen. Mehrere Decken des Gebäudes seien bis zum Erdgeschoß hinunter durchfeuchtet. Nässe dringe auch in die Außenmauern ein. Im ersten Geschoß des Gebäudes sei der gesamte Fußboden durch Wassereinbruch vernichtet worden. Zur ... Straße hin seien die Verglasungen der Fenster herausgebrochen und diese nur provisorisch verbrettert worden. Das Mauerwerk trage deutliche Spuren von schwarzem Schimmel. Insbesondere abgängig seien die Shedhallen. In der sich an der Verwaltungstrakt anschließenden Shedhalle seien die Stegzementdielen im Bereich einer größeren Fläche durchgebrochen. An vielen Stellen regne es durch. In der nördlich davon gelegenen Shedhalle sei die Balkenkonstruktion des Holzsheddaches infolge Brandschadens großflächig zerstört. An mehreren Stellen sei das Dach bereits zusammengebrochen. In der ehemaligen Spinnerei seien die Oberlichter zerstört. An den Anschlussstellen der Dachentwässerung beginne das Mauerwerk sich mit Nässe anzureichern. Die Wände seien schimmelig. In der ehemaligen Färbereihalle sei die frühere Dachziegeleindeckung durch Sturm zerstört worden. Es zeigten sich deutliche Stellen von Verfall an der hölzernen Balkenkonstruktion des hohen Satteldaches. Der Fußboden sei mit herabfallenden Teilen der Dachkonstruktion übersäht. Das Holzsatteldach des früheren Turbinengebäudes weise Lücken auf. Hierdurch dringe Wasser in das Gebäude ein. Die Fenster seien bis zur Funktionslosigkeit zerstört. Im ersten Geschoß zeichne sich ab, dass die Decke absinken und durchbrechen werde. An diversen Dachstellen seien Wassereinbrüche zu verzeichnen. Der Denkmalwert der Fabrikanlage werde überzeichnet. In Wirklichkeit sei das öffentliche Erhaltungsinteresse als gering einzustufen. Die von der Denkmalbehörde geltend gemachte wirtschaftsgeschichtliche, industriegeschichtliche und regionalgeschichtliche Bedeutung des Schutzobjektes beziehe sich auf Zeiträume, in denen es an dieser Stelle gar nicht existiert habe. Erst zu Ende des letzten Jahrhunderts sei die Fabrikanlage auf das streitbefangene Gelände verlagert worden. Auch sei nicht nachvollziehbar, worin der Denkmalwert der in der Nachkriegszeit geschaffenen Allerweltsbauten bestehen solle. Auch die Begründung des Denkmalwertes der einzelnen Industriegebäude sei angreifbar. Der Verwaltungstrakt verliere durch seine willkürlichen Anbauten seinen eigentlichen Repräsentationswert. Die Bedeutung der ehemaligen Färbereihalle könne nicht allein damit begründet werden, dass es sich um ein herausragendes Beispiel eines bestimmten Konstruktionstypus handele. Schließlich seien auch die Ausführungen zur ehemaligen ... mühle überzogen. Von diesem früheren Bauwerk seien lediglich noch Mauerreste vorhanden. Das heutige Bauwerk erinnere nach seinem Erscheinungsbild nicht mehr an die ehemalige eindrucksvolle dreiflügelige Anlage der Mühle. Insgesamt erscheine die Fabrikanlage als ein desolates und nicht repräsentatives Konglomerat unterschiedlicher Gebäudeteile. Die Entscheidung über den Abbruchantrag stehe im pflichtgemäßen Ermessen des Beklagten. Zumindest sei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt. Dabei sei die Versagung einer Abbruchgenehmigung unverhältnismäßig, weil die aus der Erhaltung des Schutzobjektes erwachsene wirtschaftliche Belastung unzumutbar sei. Bei der Entscheidung über den Abbruchantrag dürfe auch nicht offenbleiben, ob künftige denkmalpflegerische Maßnahmen sich in den Grenzen einer zulässigen Inhaltsbestimmung des Eigentums hielten oder ob sie zu einer entschädigungspflichtigen Eignung führen würden. Lasse sich bereits im Verfahren über die Abbruchgenehmigung abschätzen, daß das Denkmal in seinem bisherigen Zustand nicht mehr sinnvoll genutzt werden könne und deshalb im Falle seiner Erhaltung erhebliche Aufwendungen erfordere, sei dieser Erhaltungsaufwand schon bei der Entscheidung darüber zu berücksichtigen, ob die Versagung der Abbruchgenehmigung dem Eigentümer zuzumuten sei. Hiernach sei die Abbruchgenehmigung im vorliegenden Falle zu erteilen, weil in der Vergangenheit sämtliche Bemühungen fehlgeschlagen seien, die Fabrikanlage einer sinnvollen Nutzung zuzuführen. Da weder die Funktionslosigkeit der Fabrikgebäude noch die Unrentabilität des Schutzobjektes in die behördlichen Entscheidungen eingeflossen seien, liege zumindest ein Ermessensnichtgebrauch vor, der die Rechtswidrigkeit des Ablehnungsbescheides begründe.
16Die Klägerin beantragt,
17das angefochtene Urteil zu ändern und nach dem Klageantrag zu erkennen.
18Der Beklagte beantragt,
19die Berufung zurückzuweisen.
20Zur Begründung trägt er in Ergänzung seines erstinstanzlichen Vorbringens vor: Die unter Schutz gestellten Gebäude seien entgegen dem Berufungsvorbringen nicht abgängig. Zwar befände sich die gesamte Industrieanlage in einem äußerst vernachlässigtem Zustand. Aus diesem Grunde sei eine Sanierung der Schäden und eine Nutzungsaufnahme dringend notwendig, um einen weiteren Verfall und ein Anwachsen der Sanierungskosten zu vermeiden. Aus der Zerstörung nur einzelner Gebäudeteile könne jedoch nicht gefolgert werden, dassß die denkmalwerten Gebäude insgesamt abgängig seien. Der Austausch zerstörter Fenster oder einzelner schadhafter Konstruktionsteile sowie das Trockenlegen des feuchten Mauerwerks seien gängige Maßnahmen der Altbausanierung und der Denkmalpflege und führten nicht zum Verlust der Denkmaleigenschaft oder des Zeugniswertes der Gesamtanlage. Auch der Verwaltungstrakt habe durch den Brandschaden seinen Dokumentationswert nicht eingebüßt. Dieser ergebe sich nicht aus der früheren Dachkonstruktion, die keine Besonderheiten aufgewiesen habe, sondern durch die beeindruckende Fassadengestaltung und das im Inneren angewandte Konstruktionsprinzip der Kappendecken aus gußeisernen Säulen. Trotz der gravierenden Schäden führe eine Instandsetzung des Gebäudes nicht zu einer Rekonstruktion. Auch die Eisenrohrkonstruktion in der größeren Shedhalle sowie die Dachhaut seien im wesentlichen unbeschädigt. Viele Schäden seien sanierungsfähig. Lediglich der älteste Teil der Shedkonstruktion, die aus einer ummantelten Holzkonstruktion aus gußeisernen Säulen bestehe, sei stark zerstört. Die Balkenkonstruktion sei nicht mehr zu sanieren. Die Sanierung der Dachhaut in der Färbereihalle sei mit einem relativ geringem Kostenaufwand von etwa 100.000,- DM möglich. Die denkmalwerten Außenmauern der ehemaligen K mühle seien unbeschädigt. Für dieses Gebäude gebe es einen Pachtinteressenten, der die denkmalwerte Anlage zur regenerativen Energieerzeugung instandsetzen wolle. Im Bezug auf die Stahlbetonhalle seien alle statisch wichtigen Konstruktionsmerkmale unbeschädigt. Lediglich bei den Außenmauern seien Feuchtigkeitsschäden zu verzeichnen, die jedoch problemlos saniert werden könnten. Eine sinnvolle Nutzung der denkmalgeschützten Gebäude sei bisher lediglich daran gescheitert, da sich die Klägerin vorrangig um den Abbruch bemüht habe. Außerdem sei eine Umwidmung der Industrieanlage nur wegen der zu hohen Preisvorstellungen der Klägerin nicht zustande gekommen. Die Klägerin gehe zu Unrecht davon aus, dass die Versagung der Abbruchgenehmigung eine Ermessensentscheidung sei. Aus dem Wortlaut des § 9 DSchG ergebe sich, dass vielmehr eine gebundene Verwaltungsentscheidung zu treffen sei. Schließlich könne sich die Klägerin auch nicht mit Erfolg auf Zumutbarkeitsgesichtspunkt berufen, weil sie die Übernahme des Schutzobjektes durch die Gemeinde nach § 31 DSchG verlangen könne.
21Der Berichterstatter des Senats hat aufgrund des Beweisbeschlusses vom 5. November 1991 die Örtlichkeit in Augenschein genommen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die hierüber gefertigte Niederschrift vom 8. November 1991 und wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten ergänzend Bezug genommen; diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
22Entscheidungsgründe:
23Gegenstand des Berufungsverfahrens ist nur das Begehren der Klägerin auf Erteilung einer baurechtlichen Abbruchgenehmigung nach § 60 Abs. 1 BauO NW, die gemäß § 9 Abs. 3 DSchG auch die denkmalschutzrechtliche Entscheidung über den Abbruch erfasst. Die Formulierung des Klageantrages, die die baurechtliche und die denkmalschutzrechtliche Abbruchgenehmigung gesondert anspricht, ist - auch vor dem Hintergrund des Vorverfahrens, in dem es nur um eine einheitliche baurechtliche und denkmalschutzrechtliche Bewertung des Abbruchvorhabens ging - dahin auszulegen, dass nicht zwei getrennte Genehmigungen, sondern eine Abbruchgenehmigung unter Beachtung sowohl der baurechtlichen als auch der denkmalschutzrechtlichen Bewertung begehrt wird.
24Mit diesem Klagebegehren ist die zulässige Berufung unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.
25Die auf Erteilung der begehrten Abbruchgenehmigung gerichtete Verpflichtungsklage ist zulässig. Das Rechtsschutzinteresse der Klägerin ist gegeben, weil ihr die Erteilung der Abbruchgenehmigung nützlich sein kann. Dem steht nicht entgegen, dass sie gleichzeitig das Übernahmeverfahren gemäß § 31 Satz 1 DSchG betreibt. Denn die Stadt ... hat die Fabrikanlage bisher noch nicht übernommen, so dass die Klägerin die Möglichkeit hätte, das Grundstück nach Erteilung der Abbrucherlaubnis ihren Vorstellungen entsprechend wirtschaftlich zu verwerten, und nicht gehalten wäre, das Übernahmeverfahren nach § 31 Satz 1 DSchG weiter zu verfolgen.
26Die Verpflichtungsklage ist jedoch unbegründet. Die Klägerin hat gemäß § 70 Abs. 1 Satz 1 BauO NW keinen Anspruch auf Erteilung der begehrten Abbrucherlaubnis. Dem Vorhaben stehen öffentlich-rechtliche Vorschriften entgegen, weil der Abbruch der unter Denkmalschutz stehenden Fabrikgebäude gemäß §9 Abs. 1 DSchG in Verbindung mit § 3 Abs. 1 Satz 2 DSchG erlaubnispflichtig ist und die Voraussetzungen für die Erteilung der Erlaubnis nach § 9 Abs. 2 DSchG nicht vorliegen. Zwar sind die Belange des Denkmalschutzes und der Denkmalpflege in einem baurechtlichen Genehmigungsverfahren nach § 9 Abs. 3 DSchG nur "in angemessener Weise" zu berücksichtigen. Das heißt jedoch nicht, dass an eine baurechtliche, Belange der Denkmalschützer betreffende Abbruchgenehmigung geringere Anforderungen als an die Erteilung einer isolierten denkmalschutzrechtlichen Abbrucherlaubnis geknüpft wären. Denn die Regelung in § 9 Abs. 3 Satz 1 DSchG ist nur deshalb eingeführt worden, um die sachliche Zuständigkeit über die Gestattung eines ein Baudenkmal betreffenden Bauvorhabens aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung bei einer Behörde zu konzentrieren. Von daher hat im baurechtlichen Verfahren der Denkmalschutz trotz der Formulierung "in angemessener Weise" den gleichen Stellenwert und die gleiche Bedeutung wie bei einem gesonderten denkmalschutzrechtlichen Verfahren nach § 9 Abs. 1 DSchG und läuft regelmäßig auf eine strikte Anwendung der Voraussetzungen für die Erteilung einer Erlaubnis nach § 9 Abs. 2 DSchG hinaus
27- vgl. OVG NW, Urteil vom 18. Mai 1984 - 11 A 1776/83 - BRS 42 Nr. 137 -; Upmeier in: Memmesheimer/Upmeier/Schönstein, Denkmalrecht, 2. Aufl., § 9 Rdnr. 33 f -.
28Im vorliegenden Falle liegen die Voraussetzungen für die Erteilung der Erlaubnis nach § 9 Abs. 2 DSchG nicht vor, weil dem Vorhaben Gründe des Denkmalschutzes entgegenstehen und kein öffentliches Interesse die Maßnahme verlangt.
29Gründe des Denkmalschutzes stehen einem Vorhaben gemäß § 9 Abs. 2 Buchst. a DSchG dann entgegen, wenn es Belange des Denkmalschutzes mehr als nur geringfügig beeinträchtigt
30- vgl.: OVG NW, Urteil vom 18. Mai 1984 - 11 A 1776/83 - BRS 42 Nr. 137; Urteil vom 2. November 1988 - 7 A 2826/86 - BRS 48 Nr. 117 -
31und die Versagung der Erlaubnis zu den sich daraus ergebenden wirtschaftlichen Auswirkungen und privaten Betroffenheiten nicht außer Verhältnis steht.
32Schon die Verwendung des Begriffes "entgegenstehen" kennzeichnet, dass eine Abwägung der widerstreitenden öffentlichen und privaten Belange vorzunehmen ist. Denn der Sinngehalt dieses auch im Bauplanungsrecht geläufigen und in § 35 Abs. 1 BauGB verwandten Begriffs setzt eine abwägende Bewertung von sich gegenüberstehenden Positionen voraus.
33Vgl.: Upmeier a.a.O. § 9 RdNr. 21; zu § 35 BauGB vgl. ferner: Taegen in Berliner Kommentar zum BauGB, § 35 RdNr. 8 m.w.N. -;
34Weiter ergibt sich die Erforderlichkeit einer Interessenabwägung zwischen den widerstreitenden öffentlichen und privaten Belangen aus dem Regelungszusammenhang des § 9 DSchG mit den §§ 2 und 3 DSchG. Die Intensität des materiellen Schutzes der Denkmäler durch die zuletzt genannten Vorschriften ist nicht deckungsgleich mit derjenigen aus § 9 DSchG. Während die Unterschutzstellungsvorschriften einen weit ausgedehnten Schutzumfang haben, weil der Gesetzgeber in den Regelungsbereich des Gesetzes zunächst einmal möglichst umfassend alle Eigentumsobjekte einbezogen wissen wollte, bei denen ein öffentliches Interesse an der Erhaltung des gegenwärtigen Zustandes erwarten werden kann, lässt § 9 DSchG im Wege einer teilweisen Zurücknahme der Schutzgrenze flexible Lösungen zu
35- vgl. OVG NW, Urteil vom 2. November 1988 – 7 A 2826/86 - BRS 48 Nr. 17.
36Dem entspricht die zweistufige Systematik des Gesetzes, die zwischen der konstitutiven Begründung des Denkmalschutzes durch die Eintragung (§§ 3 ff. DSchG) und den Wirkungen des Denkmalschutzes (§§ 7 ff. DSchG) unterscheidet und auf der zweiten Stufe eine Abwägung der Denkmalschutzbelange mit den privaten Interessen der Betroffenen vorsieht
37- vgl. OVG NW, Urteil vom 11. Dezember 1989 - 11 A 2476/88 -, BRS 50 Nr. 136 -.
38Die abwägende Berücksichtigung der private Belange ist schließlich auch aus verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten geboten. Das Gesetzessystem mit dem weitgefassten Denkmalbegriff ist als zulässige Inhaltsbestimmung des Eigentums im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG (nur) gerechtfertigt, weil das Gesetz insgesamt auf einen gerechten Ausgleich zwischen den öffentlichen und privaten Belangen angelegt ist
39- vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. Juli 1987 - 4 B 146.87 -, BRS 47 Nr. 123.
40Die grundlegende Wertentscheidung der Verfassung im Sinne eines sozial gebundenen Privateigentums gebietet nämlich, bei der Regelung des Eigentumsinhalts die Belange der Gemeinschaft und die Individualinteressen in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen
41- vgl. BVerfG, Beschluss vom 15. Januar 1969 - 1 BvL 3/66 -, BVerfGE 25, 112.
42Wenn aber die individuellen Interessen des Denkmaleigentümers bei der Eintragung in die Denkmalliste mangels entsprechender Formulierung in den einschlägigen Vorschriften keine Berücksichtigung finden, weil es sich insoweit um eine gebundene Entscheidung handelt,
43- vgl. Upmeier a.a.O. § 3 RdNr. 12 -
44müssen jedenfalls auf der zweiten Stufe der §§ 7 ff DSchG die denkmalschutzrechtlichen Belange und die privaten Interessen des betroffenen Eigentümers jeweils in einen einzelfallgerechten Ausgleich und ein ausgewogenes Verhältnis gebracht werden.
45So im Ergebnis auch: OVG NW, Urteil vom 11. Dezember 1989; Upmeier a.a.O. § 9 RdNr. 32.
46Bei der hiernach im Rahmen der Entscheidung über die Erteilung einer Erlaubnis nach § 9 DSchG im Einzelfall vorzunehmenden Interessenabwägung zwischen den widerstreitenden privaten und öffentlichen Belangen ist allerdings zu berücksichtigen, dass der Eigentümer gemäß § 31 Satz 1 DSchG die Übernahme des Denkmals durch die Gemeinde verlangen kann, wenn und soweit es ihm mit Rücksicht auf seine Pflicht zur Erhaltung des Denkmals wirtschaftlich nicht zuzumuten ist, das Denkmal zu behalten oder in einer anderen zulässigen Weise zu nutzen, und außerdem § 33 Satz 1 DSchG einen Anspruch auf angemessene Entschädigung in Geld für unzumutbare denkmalschutzbedingte Eingriffe in das Privateigentum vorsieht. Der Gesetzgeber trägt durch diese Möglichkeit ganz allgemein dem Erfordernis Rechnung, bei der aus denkmalschutzrechtlichen Gründen gebotenen Beschränkung und Inhaltsbestimmung des Eigentums den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren
47- vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Februar 1990 - 4 C 47.89 -, DÖV 1991 Seite 24 ff -; Begründung des Gesetzentwurfs, Landtagsdrucksache 8/4429, Seite 35.
48Damit sind in das Bewertungsschema des § 9 DSchG auch die §§ 31 und 33 DSchG mit einbezogen. Die Regelungen sind grundsätzlich geeignet, einem durch die Unterschutzstellung bedingten Nachteil entgegenzuwirken und diesen auszugleichen, soweit dieser Nachteil sich im wesentlichen als Vermögensnachteil darstellt. Insoweit eintretende Verluste sind durch geldliche Leistungen, wie sie in §§ 31 und 33 DSchG vorgesehen sind, ausgleichbar. Nur in den Fällen, in denen das Interesse des Betroffenen ersichtlich nicht in der Vermeidung von Vermögensnachteilen sondern darin besteht, das Eigentum zu erhalten und in einer vom Denkmalschutz unberührten Form weiter nutzen zu können, mag diese Ausgleichsfunktion der §§ 31 und 33 DSchG versagen. Hierdurch wird das generelle Erfordernis, die im Rahmen von §§ 31 und 33 DSchG gegebenen Ausgleichsmöglichkeiten in die nach § 9 DSchG vorzunehmenden Abwägung zwischen privatem und Denkmalschutzinteressen mit einzubeziehen, jedoch nicht in Frage gestellt. Das bedeutet, dass im Einzelfall abgewogen werden muss zwischen der Bedeutung der Erhaltung des Denkmals auf der einen und einem durch Leistungen nach §§ 31 und 33 DSchG ausgeglichenen Verlust des privaten Eigentums auf der anderen Seite.
49Das Erfordernis einer Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Erhaltung des Denkmals und der Wahrung privater Eigentumsinteressen gilt auch dann, wenn, wie im vorliegenden Fall der völlige Abbruch eines Baudenkmales zur Genehmigung steht. Denn auch Baudenkmäler unterliegen nach den denkmalschutzrechtlichen Vorschriften keinem einschränkungslosen Abbruchverbot
50- vgl. OVG NW, Beschluss vom 28. April 1989 - 10 B 833/89 -.
51Das ergibt sich schon aus dem Wortlaut des § 9 Abs. 2 DSchG, der trotz seines systematischen Zusammenhanges mit § 9 Abs. 1 a DSchG, der auch die Beseitigung von Denkmälern erfasst, Abbruchvorhaben nicht aus der in dieser Vorschrift normierten Pflicht der Behörde zur Erteilung der Erlaubnis ausnimmt. Dies folgt weiter aus dem zweistufigen System des Gesetzes, das, um verfassungsrechtlichen Grundsätzen zu genügen, auf der zweiten Stufe insgesamt, also auch im Rahmen der in Zusammenhang mit einem Antrag auf Erteilung einer Erlaubnis für die Beseitigung eines Denkmals erforderlichen Entscheidung, eine Abwägung der Belange des Denkmalschutzes mit den widerstreitenden Interessen verlangt
52- vgl. OVG NW, Urteil vom 11. Dezember 1989 - 11 A 2476/88 -, a.a.O. -.
53Dabei liegt es auf der Hand, dass die Beseitigung eines Baudenkmales nur unter gesteigerten Voraussetzungen gerechtfertigt sein kann, weil der Totalverlust der Sache in Frage steht und es oberstes Ziel des Gesetzes ist, Denkmäler nach Möglichkeit zu erhalten
54- vgl. OVG NW, Urteil vom 18. Mai 1988 - 11 A 1767/83 -, a.a.O. -.
55Dabei wiegen die Belange des Denkmalschutzes um so schwerer, je bedeutsamer das Denkmal im Einzelfall ist. Umgekehrt schlagen diese Belange um so weniger zu Buche, je schlechter der Erhaltungszustand ist und je weniger Bausubstanz nach der Restaurierung des Denkmals erhalten bleibt. Denn an einer Sache, deren historische Substanz in wesentlichen Teilen nicht mehr zu erhalten ist besteht kein öffentliches Erhaltungsinteresse mehr
56- vgl. OVG NW, Urteil vom 25. August 1988 - 11 A 2789/87 -, Urteil vom 10. Juni 1985 - 11 A 960/84 -, BRS 44 Nr. 123, Urteil vom 25. Januar 1985 - 11 A 1801/84 -, OVGE 38 Seite 28 -.
57Gemessen an diesen Kriterien überwiegen hier die gegen den Totalabbruch der Fabrikanlage streitenden Belange des Denkmalschutzes. Die Anlage hat nämlich einen hohen Denkmalwert, weil sie eine für die Siedlungsgeschichte der Stadt ... wichtige dokumentarische Bedeutung hat. Sie ist ein Zeitzeugnis für eine vergangene industrielle Epoche dieser Stadt, in der die Tuchfabrikation einen bedeutenden Industriezweig darstellte. Zugleich legt sie Zeugnis ab für die städtebauliche Entwicklung der Stadt, weil an ihrem baulichen Bestand die Entwicklung der Bebauung von den Ursprüngen der ehemaligen ... mühle bis zu den heutigen Gegebenheiten und damit über einen Zeitraum von mehreren Jahrhunderten nachvollzogen werden kann. Mit diesem Dokumentationswert ist die Fabrikanlage einzigartig und deshalb eine stadtgeschichtliche Rarität. Dieser Wert des Baudenkmals wird zusätzlich dadurch erhöht, dass das Objekt eine homogene und kompakte industrielle Großanlage aus der Zeit vor der Jahrhundertwende verkörpert und mit seinen zeittypischen historisierenden Gestaltungsmerkmalen ein besonders exemplarisches Anschauungsobjekt für die Bautätigkeit im letzten Quartal des vergangenen Jahrhunderts ist, die der stürmischen wirtschaftlichen Entwicklung der Gründerjahre folgte und für die der historisierende Baustil der Gründerzeit kennzeichnend ist.
58Diese hohe denkmalwerte Bedeutung der Fabrikanlage wird auch durch ihren Erhaltungszustand nicht entscheidungserheblich geschwächt. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist sie nämlich im wesentlichen ihre Denkmaleigenschaft ausmachenden Teilen in ihrer reinen zeittypischen Gestaltungsform erhalten geblieben und erfordert insoweit keine Rekonstruktion. Das gilt namentlich hinsichtlich der für die Denkmaleigenschaft der Gesamtanlage wesentlichen Teile des Verwaltungstraktes, das Gebäude mit dem früheren Wollager und der Wäscherei, die ehemalige Färberei, das Turbinenhaus mit den Restbestandteilen der ehemaligen K mühle, soweit es in den Denkmalschutz einbezogen wurde, und die strassenwärtige Fassadenfolge der Fabrik. Die massiven Außenmauern des Verwaltungstraktes sind in sich standsicher und weisen keine Anzeichen rettungsloser Abgängigkeit auf. Insbesondere haben die vorhandenen Wasserschäden und die Durchfeuchtung der Wände nicht dazu geführt, daß diese Bausubstanz ihre Standsicherheit verloren hätte oder nach ihrem Austrocknen nicht mehr bestimmungsgemäß verwendbar wäre. Ebenso sind die Kappendecken im Erdgeschoß sowie die Trägerkonstruktion mit den gußeisernen Säulen in sich standfest und auch die Decken zumindest überwiegend erhaltungsfähig. Das Wollager und die Wäscherei sind in ihrer Kubatur und ihrem konstruktiven Gefüge im Ursprungszustand vollständig erhalten und nicht abgängig. Das gilt gleichermaßen für die ehemalige Färberei, die ebenfalls keine Anzeichen von Abgängigkeit oder mangelnder Standsicherheit aufweist. Im Gegenteil befindet sich dieses Bauwerk mit seiner unversehrten Polonceau-Binder Konstruktion im Innern des Gebäudes und den markant gestalteten Giebelflächen in einem guten Erhaltungszustand. Weiter ist auch das ehemalige Turbinenhaus der Fabrikanlage jedenfalls in seinem hier interessierenden Teil rettungsfähig erhalten geblieben. Denn die Außenmauern und die Erdgeschoßdecke sind standfest und müssen nicht ausgetauscht werden. Insbesondere standsicher und in sich stabil sind die in die Rückwand des Gebäudes integrierten Bestandteile der alten und auf die ehemalige ... mühle zurückgehenden Bruchsteinmauer und die alten Fenstergewände aus Sandstein. Schließlich sind die straßenwärtigen Fassaden der Fabrikanlage mit ihren markanten und zeittypischen Gestaltungsmerkmalen komplett erhalten und befinden sich in einem einwandfreien baulichen Zustand.
59Ob die ebenfalls in den Denkmalschutz einbezogenen Shedhallen und die sonstigen bisher nicht angesprochenen Bauteile der Fabrikanlage noch in ihrer Bausubstanz zu retten sind, bedarf in diesem Zusammenhang keiner Entscheidung. Denn auch ohne sie vermögen die anderen zuvor näher beschriebenen und in ihrer Ursprungssubstanz erhaltungsfähigen baulichen Bestandteile in ihrer Gesamtheit die eigentliche Bedeutung des Schutzobjektes und ihren Charakter als Fabrikanlage zu wahren. Selbst an dem nur eingeschränkten historischen Bestand ist die Anlage nämlich von demjenigen, der sich mit der Heimat- und Siedlungsgeschichte von D vertraut gemacht hat, und erst recht von Fachleuten, auf deren Blick bei der Bewertung abzustellen ist
60- vgl. OVG NW, Urteil vom 14. August 1991 - 7 A 1048/89 -, Urteil vom 11. August 1989 - 11 A 2570/87 -, Urteil vom 19. Mai 1989 - 11 A 287/88 -; Moench, Die Entwicklung des Denkmalschutzrechts, NVWZ 1984 Seite 147 und NVWZ 1988 Seite 306 m.w.N. -,
61ohne weiteres als die ehemalige ... Tuchfabrik zu identifizieren und als Wahrzeichen an dieser Stelle angesiedelter und für die Stadt ehemals bedeutsamer wirtschaftlicher Entwicklung zu erkennen. Insbesondere lassen sich an ihm noch Ursprung, Umfang und Bedeutung der ehemaligen Fabrik nachvollziehen. Der Ursprung der späteren industriellen Entwicklung auf dem Fabrikgelände ist vornehmlich am Turbinenhaus und seiner Lage am L Mühlenteich abzulesen. Denn die in den Außenmauern erhaltenen fragmenthaften Reste der aus dem 17. und 18. Jahrhundert stammenden Bausubstanz legen Zeugnis dafür ab, dass sich hier ursprünglich die alte ... mühle befunden hat und ihre Bausubstanz später den zeitlichen Gegebenheiten entsprechend für industrielle Zwecke nutzbar gemacht wurde. Der Umfang der Fabrikanlage wird vor allem an der dezentralen Anordnung der erhaltungsfähigen Fabrikgebäude veranschaulicht. Denn die strassenwärtige Lage des Verwaltungstraktes und der Standort des Turbinenhauses im rückwärtigen Bereich des Grundstücks zeigen auf, welche Bautiefe die Gesamtanlage hat, so dass in Verbindung mit der Länge der strassenwärtigen Fassadenfolge noch hinreichend deutlich wird, welche räumliche Dimension die Fabrikanlage insgesamt hatte. Ihre frühere industrielle Bedeutung lässt sich in erster Linie an den markanten Außenmauern des Verwaltungstraktes ausmachen die die typischen Gestaltungsmerkmale der Industriearchitektur um die Jahrhundertwende aufweisen und diesem Bauwerk seine historische Identität als industrielles Repräsentationsgebäude verleihen. An ihnen kann in Kombination mit dem erhaltungsfähigen Innenmauerwerk auch die räumliche Aufteilung des Gebäudes und die ihr zugrundeliegende architektonische Vorstellung abgelesen werden, nach der sich die einzelnen Sektionen des Verwaltungstraktes entsprechend vom Vorbild der Feudalarchitektur des 17. und 18. Jahrhunderts vom Mitteltrakt aus symmetrisch entwickeln. Weiter wird die Bedeutung der Fabrikanlage auch dadurch veranschaulicht, dass das konstruktive Gefüge der erhaltungsfähigen Einzelbauten nach dem jeweils modernsten Stand der Technik errichtet wurde, wie insbesondere die im Erdgeschoß des Verwaltungstraktes und in den Geschossen des Gebäudes mit dem Wollager und der Wäscherei im Ursprungszustand erhaltene Deckenkonstruktion mit den historisierend gestalteten gußeisernen Säulen und die Polonceau-Binder-Konstruktion in der ehemaligen Färberei eindrucksvoll dokumentieren. Schließlich lässt sich die frühere Bedeutung der Fabrikanlage auch an der repräsentativen Gestaltung der strassenwärtigen Fassadenfolge nachvollziehen.
62Nach alledem liegen ausreichende denkmalschutzrechtliche Gründe dafür vor, die Fabrikanlage in ihrer historischen Substanz zumindest teilweise zu erhalten und in ein sinnvolles Nutzungskonzept einzubinden. Ob der für den Erhalt des Baudenkmales streitende Denkmalwert auch dann noch gegeben wäre, wenn die Fabrikanlage keiner sinnvollen Nutzung mehr zugeführt werden könnte und etwa nur noch als bloßes Anschauungsobjekt in Betracht käme
63- vgl. OVG NW, Urteil vom 14. August 1991 - 7 A 1048/89 -, Urteil vom 16. Dezember 1985 - 11 A 1588/83 -,
64braucht der Senat nicht zu entscheiden. Denn es ist davon auszugehen, dass das Baudenkmal auch die Erhaltung seiner wesentlichen denkmalwerten Bausubstanz einer sinnvollen Nutzung zugeführt werden kann. Dies ist vom Beklagten in der mündlichen Verhandlung unter Hinweis auf Verhandlungen mit interessierten Investoren dargelegt worden und im übrigen offensichtlich. Für die Beurteilung der Nutzbarkeit des Objektes kommt es nämlich nicht darauf an, ob die Gebäude in ihrem heutigen Zustand und unverändertem Bestand genutzt werden können, sondern darauf, ob unter Berücksichtigung der Änderungsmöglichkeiten, die § 9 DSchG zulässt, eine sinnvolle Nutzung in Betracht kommt. Angesicht des Umstandes, dass - wie dargelegt - Elemente der vorhandenen Bauten entfallen können, ohne dass der Denkmalwert der Gesamtanlage wesentlich vermindert würde, besteht in Bezug auf eine zukünftige Nutzung etwa für gewerbliche Zwecke ein großer Gestaltungsspielraum, der eine Nutzbarkeit der Anlage gewährleistet.
65Hiernach steht es zum Gewicht der Denkmalwürdigkeit der Fabrikanlage nicht außer Verhältnis, die Klägerin wegen der sich aus der Versagung der Abbrucherlaubnis ergebenden wirtschaftlichen Auswirkungen für den Fall, dass sie unter eigener Regie das Vorhaben nicht wirtschaftlich sinnvoll glaubt nutzen zu können auf die §§ 31 und 33 DSchG zu verweisen. Die Interessenlage der Klägerin ist nämlich vornehmlich dadurch gekennzeichnet, einen Vermögensverlust zu vermeiden. Insoweit garantieren ihr jedoch die vorgenannten Vorschriften einen angemessenen Ausgleich. Das gilt auch, soweit die Versagung der Erlaubnis die Klägerin daran hindern sollte, das Grundstück zu angemessenen Bedingungen zu veräußern
66- vgl. BGH, Urteil vom 8. Juni 1978 - III ZR 161/76 -, BGHZ 72 Nr. 29 -.
67Die Klägerin hat nicht etwa geltend gemacht, durch den Bestand der Altanlage daran gehindert zu sein, den Betrieb auf dem angestammten Firmengelände fortführen zu können, so dass der Senat ungeprüft lassen kann, ob ggf. dieser Belang einen Abbruch der Gesamtanlage ausnahmsweise hätte rechtfertigen können. Die Klägerin hat im Gegenteil von sich aus ihren Betrieb auf dem streitbefangenen Grundstück aufgegeben und die Produktionsstätten in eine andere Stadt verlagert.
68Auch ein überwiegendes Interesse im Sinne von § 9 Abs. 2 b DSchG verlangt schließlich den Abbruch der Fabrikanlage nicht. Ein solches öffentliches Interesse kann nicht mit der Überlegung eingeführt werden, dass die Versagung der Abbrucherlaubnis einen Übernahmeanspruch der Klägerin auslösen kann, der wiederum die Frage aufwirft, ob die finanzielle Belastung, welche damit auf die Stadt ... zukommt, nicht ein überwiegendes öffentliches Interesse gemäß § 9 Abs. 2 b DSchG darstellt. Eine solche ungeschriebene "interne Zumutbarkeitsklausel" enthält diese Bestimmung nicht. Für ihr Vorliegen besteht auch kein Anlass. Denn je bedeutsamer und finanzaufwendiger ein Denkmal im Einzelfall ist, desto größer wäre dann die Gefahr, dass die mangelnde Finanzkraft der Gemeinde zur Abbrucherlaubnis und damit zum Untergang des Denkmals führen würde
69- vgl. OVG NW, Urteil vom 18. Mai 1984 - 11 A 1776/83 - a.a.O. -
70Liegen mithin die Genehmigungsvoraussetzungen nach § 9 Abs. 2 DSchG nicht vor, ist der auf Totalabbruch gerichtete Antrag abzulehnen. Ein behördliches Ermessen räumt die Vorschrift nicht ein. Das ergibt sich schon aus ihrem Wortlaut. Auch verfassungsrechtliche Erwägungen
71- vgl. Beckmann, Zur Berücksichtigung von Eigentümerbelangen in denkmalschutzrechtlichen Erlaubnisverfahren, NWVl 1991, Seite 361 f -
72erfordern die Einräumung eines behördlichen Ermessens nicht, weil, wie oben dargelegt, der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des Eigentums dadurch hinreichend entsprochen wird, dass bei der Anwendung des § 9 DSchG der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten ist.
73Ob die Klägerin einen Anspruch auf die Erteilung einer Abbruchgenehmigung für den Abriss einzelner Teile der Gesamtanlage hätte, braucht der Senat nicht zu entscheiden. Ein solches Begehren ist nicht Gegenstand des Klageantrages und war es auch im Vorverfahren nicht.
74Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 154 Abs. 2, 167 VwGO, 708 Nr. 10, 711 und 713 ZPO, 132 Abs. 2 und 137 Abs. 1 VwGO.
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
This content does not contain any references.