Urteil vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 7 A 1727/93
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand:
2Der Kläger wendet sich gegen eine dem Beigeladenen erteilte Nutzungsänderungsgenehmigung zur ganzjährigen Nutzung eines genehmigten Schafstalls auf dem Grundstück Gemarkung H. , Flur 30, Flurstück 139 (vormals Flur 4, Flurstück 30).
3Das im Eigentum des Vaters des Beigeladenen stehende Grundstück liegt im X. I. , der aus drei Gehöftanlagen - davon zwei mit Viehhaltung - besteht. Südlich des Grundstücks schließt sich die Hofstelle des Klägers an, die er im Nebenerwerb betreibt. Sein Wohnhaus liegt gut 50 m vom bereits errichteten Schafstall entfernt. Im Osten wird das Grundstück auf einer Länge von gut 80 m vom X. weg begrenzt, an dessen gegenüberliegender Straßenseite sich die beiden anderen Hofstellen befinden.
4Im Flächennutzungsplan wird der gesamte Bereich als Fläche für die Landwirtschaft dargestellt.
5Unter dem 31. August 1978 beantragte der Vater des Beigeladenen - Herr I. M. - beim Beklagten die bauaufsichtliche Zustimmung zur Errichtung eines Schafstalls im südlichen, dem Grundstück des Klägers zugewandten Teil seines Grundstücks. Laut Betriebsbeschreibung sollten in dem Stall während der Monate November bis Februar etwa 200 Mutterschafe zuzüglich der Nachzucht gehalten werden.
6Mit Bescheid vom 22. März 1979 erteilte der Beklagte seine bauaufsichtliche Zustimmung. Unter dem 3. April 1979 legte die "Interessengemeinschaft I. " bestehend aus den Eigentümern der benachbarten Hofstellen - nämlich dem Kläger sowie Frau E. I. und Herr L. -G. M. - gegen die Zustimmung Widerspruch ein, weil sie wegen der Schafhaltung Geruchs- und Lärmbelästigungen befürchteten. Der Kläger bemängelte zudem einen Verstoß gegen das Abstandsrecht.
7Nach erfolglos verlaufenden Widerspruchsverfahren erhoben die Nachbarn verwaltungsgerichtliche Klagen (I. : 3 K 504/82; M. : 3 K 742/82; Kläger: 3 K 743/82) und begehrten zudem die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes (I. : 3 L 455/82; M. : 3 L 462/82; Kläger: 3 L 463/82). In einem gerichtlichen Erörterungstermin am 8. Juni 1982 nahm der Kläger "nach Erörterung der Sach- und Rechtslage" Klage und Antrag zurück. Angaben über den Inhalt der Erörterungen im einzelnen enthält die Niederschrift des Termins nicht.
8Demgegenüber schlossen die Beteiligten der übrigen Verfahren in diesem Erörterungstermin folgende gleichlautende Vergleiche:
9"1. Der Beklagte versieht seine Zustimmung vom 20. März 1979 in der Fassung der Verlängerung vom 7. Dezember 1981 mit folgenden Auflagen:
10... 4. Der Beigeladene verpflichtet sich gegenüber der Klägerin sowie gegenüber dem Beklagten, den Stall nur in der Zeit vom 15. Dezember bis zum 28. Februar eines jeden Jahres als Schafstall sowie an drei aufeinanderfolgenden Tagen im Sommer zu Schurzwecken als Stall zu nutzen.
112. ... Der Beigeladene erklärt, daß er auf Rechtsmittel gegen diese Auflagen verzichtet.
12..."
13In Ausführung des Vergleichs ergänzte der Beklagte anschließend den Zustimmungsbescheid mit Verfügung vom 4. August 1982 um eine dem Vergleich (Ziffer 1.4.) entsprechende Auflage.
14Bereits vor Erlaß dieser Ergänzungsverfügung hatte der Kläger ein weiteres vorläufiges Rechtsschutzverfahren (3 L 500/82) anhängig gemacht mit der Begründung, der Vater des Beigeladenen sei bei der Bauausführung vom angezeigten Standort abgewichen. Nachdem der Beklagte im Rahmen des sich anschließenden gerichtlichen Erörterungstermins vom 30. Juni 1982 erklärt hatte, er habe das Bauvorhaben bereits stillgelegt, nahm der Kläger auch diesen Antrag zurück.
15In der Folgezeit wandte sich der Kläger an den Beklagten und wies darauf hin, der Vater des Beigeladenen halte sich nicht an die Nr. 1.4. des Vergleichs. Mit der Begründung, der Beklagte habe sich "der ordnungsgemäßen Überwachung der Verpflichtung (aus dem Vergleich) jahrelang entzogen", strengte der Kläger schließlich am 29. November 1991 ein verwaltungsgerichtliches Vollstreckungsverfahren (3 M 13/91) gegen den Beklagten und den Vater des Beigeladenen an. Den Vollstreckungsantrag lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluß vom 18. März 1992 ab.
16Bereits unter dem 3. Juli 1991 hatte der Beigeladene beim Beklagten die Erteilung einer Nutzungsänderungsgenehmigung beantragt. Der Schafstall sollte nunmehr zur ganzjährigen Nutzung zur Verfügung stehen, weil der Beigeladene die Schafhaltung von seinem Vater übernehmen werde, im Gegensatz zu diesem aber wegen eines schweren Verkehrsunfalls keine reine Wanderschäferei ausüben könne.
17Nach Einschaltung des Gewerbeaufsichtsamtes und der Landwirtschaftskammer, die in ihren Stellungnahmen vom 28. Januar 1992 sowie 13. und 16. Dezember 1991 keine Bedenken geäußert hatten, erteilte der Beklagte dem Beigeladenen unter dem 17. Februar 1992 die bauaufsichtliche Genehmigung "zur Änderung der auf die Zeit vom 15. Dezember bis 28. Februar eines jeden Jahres befristeten Nutzung als Schafstall in eine uneingeschränkte Dauernutzung als Schafstall". Gegen diese Genehmigung legte der Kläger unter dem 25. Februar 1992 Widerspruch ein, den der Regierungspräsident L. mit Widerspruchsbescheid vom 23. Juli 1992 als unbegründet zurückwies.
18Am 5. August 1992 hat der Kläger Klage beim Verwaltungsgericht erhoben.
19Er hat die Auffassung vertreten, die erteilte Nutzungsänderungsgenehmigung sei rechtswidrig und verletze seine Nachbarrechte. Die Nutzungsänderung verstoße gegen den Inhalt des im Jahre 1982 geschlossenen Vergleichs. Der Vergleich gelte auch gegenüber dem Beigeladenen als Rechtsnachfolger seines Vaters als früherem Betriebsinhaber und jetzigen Eigentümer des Grundstücks. Die persönlichen Belastungen des Beigeladenen durch den Verkehrsunfall spielten im Baurecht keine Rolle.
20Der Kläger hat beantragt,
21die dem Beigeladenen vom Beklagten am 17. Februar 1992 erteilte Baugenehmigung und den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidenten L. vom 23. Juli 1992 aufzuheben.
22Der Beklagte und der Beigeladene haben beantragt,
23die Klage abzuweisen.
24Der Beklagte hat sich im wesentlichen auf die Gründe der angefochtenen Bescheide berufen.
25Der Beigeladene hat vorgetragen, nur sein Vater als damaliger Beteiligter der gerichtlichen Verfahren sei an den Vergleich gebunden. Im übrigen sei auch die Geschäftsgrundlage des Vergleichs entfallen. Die Halle werde nunmehr zur ganzjährigen Nutzung benötigt, weil sich die Situation geändert habe. Heutzutage würden an Art und Umfang der Tierhaltung - namentlich was Tierschutz, Hygiene und Gesundheitsvorsorge anlange - ganz andere Anforderungen gestellt als früher. Aus gesundheitlichen Gründen sei er darauf angewiesen, daß er die Halle ganzjährig nutzen dürfe.
26Mit Urteil vom 10. März 1993 hat das Verwaltungsgericht Aachen die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, der Kläger sei nicht Berechtigter des Vergleichs, weil er an den entsprechenden gerichtlichen Verfahren nicht beteiligt gewesen sei. Das vom Beklagten nunmehr genehmigte Vorhaben des Beigeladenen verstoße gegenüber dem Kläger nicht gegen das Gebot der Rücksichtnahme.
27Gegen dieses Urteil, das am 29. März 1993 an den Kläger abgesandt worden ist, wendet sich der Kläger mit der am 30. April 1993 eingelegten Berufung.
28Der Kläger trägt zur Begründung der Berufung ergänzend und vertiefend vor: Die durch eine Schafhaltung verursachten Lärm- und Geruchsbelästigungen bei einer ganzjährigen Nutzung des Stalles seien ihm nicht zumutbar. Er sei sogar mit einer Aufstockung des Bestandes auf 1.000 Schafe einverstanden, wenn es bei einer Nutzung des Stalls in der bisherigen Form bliebe. Im übrigen schütze ihn der Vergleich, obwohl er die von ihm anhängig gemachten gerichtlichen Verfahren jeweils zurückgenommen habe. Alle Beteiligten der damaligen gerichtlichen Verfahren seien nämlich davon ausgegangen, daß der Vergleich auch ihm gegenüber wirksam sei. Der Vater des Beigeladenen habe die Schafhaltung nur pro forma an den Beigeladenen übergeben, um sich den Wirkungen des Vergleichs zu entziehen; in Wirklichkeit sei der Beigeladene gar nicht Betriebsinhaber.
29Der Kläger beantragt,
30das angefochtene Urteil zu ändern und nach dem Klageantrag zu erkennen.
31Der Beklagte beantragt,
32die Berufung zurückzuweisen.
33Der Beigeladene beantragt,
34die Berufung zurückzuweisen.
35Er verweist darauf, daß er keineswegs beabsichtige, die gesamte Schafherde dauerhaft im Stall zu belassen, denn die Haltung der Schafe im Freien sei mit weitaus weniger Aufwand verbunden. Er müsse jedoch ganzjährig die Möglichkeit haben, kranke Tiere von der Herde zu trennen, zugekaufte Schafe eine zeitlang unter Quarantäne zu halten und den Schafen nach der Schur je nach Witterungslage Schutz zu bieten.
36Der vormalige Berichterstatter hat gemäß Beweisbeschluß des Senats vom 10. Januar 1995 am 7. März 1995 eine Ortsbesichtigung durchgeführt. Wegen des Ergebnisses der Inaugenscheinnahme wird auf den Inhalt der Niederschrift und die aus diesem Anlaß gefertigten Lichtbilder verwiesen.
37Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Inhalt der Gerichtsakte, der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten sowie den Inhalt der Gerichtsakten des Verwaltungsgerichts Aachen zu den Verfahren 3 K 504/82, 3 L 455/82, 3 M 13/91.
38Entscheidungsgründe:
39Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtene Nutzungsänderungsgenehmigung verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
40Ein baunachbarliches Abwehrrecht des Klägers gegen das Vorhaben des Beigeladenen besteht nicht. Angesichts der Lage des Vorhabens im Außenbereich kommt ein nachbarliches Abwehrrecht nur unter dem bauplanungsrechtlichen Gesichtspunkt des Rücksichtnahmegebots in Betracht, das in § 35 Abs. 3 BauGB verankert ist und im Verhältnis sowohl zu privilegierten als auch zu sonstigen Vorhaben Geltung beansprucht. Es setzt eine schutzwürdige Position des Nachbarn gegenüber dem Vorhaben voraus, weil nur auf solche Interessen des Nachbarn Rücksicht zu nehmen ist, die wehrfähig sind, die mithin nach der gesetzgeberischen Wertung, die im materiellen Recht ihren Niederschlag gefunden hat, schützenswert sind.
41Vgl. Bundesverwaltungsgericht, Beschluß vom 3. April 1995 - 4 B 740.95 -, S. 2 des amtlichen Umdrucks sowie Urteil vom 21. Januar 1983 - 4 C 59.79 -, BRS 40 Nr. 199; OVG NW, Beschluß vom 9. Juni 1989 - 7 B 745/89 -, S. 4 des amtlichen Umdrucks.
42Das Vorhaben des Beigeladenen ist gegenüber dem Kläger nicht im vorgenannten Sinne als rücksichtslos zu bewerten. Das Gebot der Rücksichtnahme soll einen angemessenen Interessenausgleich im Nachbarschaftsverhältnis gewährleisten. Die Abwägung der gegenläufigen Interessen hat sich an der Frage auszurichten, was dem Rücksichtnahmebegünstigten und dem Rücksichtnahmeverpflichteten jeweils nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung des Rücksichtnahmebegünstigten ist, desto mehr kann an Rücksichtnahme verlangt werden. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger Rücksicht braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, zu nehmen. Berechtigte Belange muß er nicht zurückstellen, um gleichwertige fremde Belange zu schonen.
43Vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Januar 1993 - 4 C 19.90 -, NVwZ 1993, 1184, 1185.
44Sind von einem Vorhaben - wie hier - Immissionen zu erwarten, ist das Kriterium der Zumutbarkeit in der Regel anhand der Grundsätze und Begriffe des Bundesimmissionsschutzgesetzes auszufüllen, weil es die Grenze der Zumutbarkeit von Umwelteinwirkungen für Nachbarn und damit das Maß der gebotenen Rücksichtnahme mit Wirkung auch für das Baurecht allgemein bestimmt. Immissionen, die das nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG zulässige Maß nicht überschreiten, begründen auch unter dem Gesichtspunkt des baurechtlichen Rücksichtnahmegebots keine Abwehr- oder Schutzansprüche. Ob Belästigungen im Sinne des Immissionsschutzrechts erheblich sind, richtet sich nach der konkreten Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit der betroffenen Rechtsgüter, die sich ihrerseits nach der bebauungsrechtlichen Prägung der Situation und nach den tatsächlichen oder planerischen Vorbelastungen bestimmen.
45Vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Januar 1993 - 4 C 19.90 -, a.a.O., m.w.N.
46Die bauplanungsrechtliche Situation ist hier nach § 35 BauGB zu bewerten. Nach dem dem Senat vorliegenden Kartenmaterial und den vom ehemaligen Berichterstatter im Ortstermin gefertigten Lichtbildern steht außer Zweifel und ist zwischen den Beteiligten auch nicht umstritten, daß die streitbefangenen Grundstücke im Außenbereich liegen, weil dem nur aus drei landwirtschaftlichen Hofstellen bestehenden X. I. der Charakter eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils im Sinne von § 34 Abs. 1 BauGB fehlt.
47Das Vorhaben des Beigeladenen ist als nach § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB im Außenbereich privilegiertes Vorhaben zulässig. Die Schafhaltung des Beigeladenen, der nach den Bauantragsunterlagen den an dieser Stelle bereits baurechtlich genehmigten Betrieb seines Vaters fortführen will, erfüllt die Merkmale der Landwirtschaft im Sinne des § 201 BauGB. Zur Weidewirtschaft gehört auch eine Schafhaltung der vorliegenden Art.
48Vgl. BVerwG, Urteil vom 13. April 1983 - 4 C 62.78 -, BRS 40 Nr. 76 = DÖV 1983, 816.
49Auch der Kläger bewirtschaftet - im Nebenerwerb - einen an dieser Stelle bauplanungsrechtlich zulässigen landwirtschaftlichen Betrieb.
50Bei einem Nebeneinander landwirtschaftlicher Betriebe im Außenbereich ist die im Rahmen des Rücksichtnahmegebots zu berücksichtigende Zumutbarkeitsschwelle von Immissionen situationsbedingt niedrig anzusetzen. Sie wird erst überschritten sein, wenn sich die Immissionen insbesondere bei den zu den landwirtschaftlichen Anwesen gehörenden Wohngebäuden der Grenze der Erträglichkeit nähern,
51vgl. OVG NW, Urteil vom 21. Oktober 1987 - 11 A 3185/83 -, NVwZ 1988, 376; BayVGH, Beschluß vom 22. November 1994 - 20 CS 94.2535 -, BRS 56 Nr. 168; VGH Mannheim, Urteil vom 31. August 1995 - 8 S 1819/95 -, NuR 1996, 93,
52weil der Gesetzgeber den Außenbereich als Standort für stark emitierende Betriebe vorgesehen hat. Im grundsätzlich landwirtschaftlich genutzten Außenbereich muß jedenfalls mit Lärm und Gerüchen, die durch die Tierhaltung üblicherweise entstehen, gerechnet werden. Sie sind typische Begleiterscheinungen der im Außenbereich zulässigen landwirtschaftlichen Nutzung, so daß der Eigentümer eines Wohnhauses im Außenbereich in der Regel nicht verlangen kann, von den mit der Tierhaltung verbundenen Immissionen verschont zu bleiben.
53Die genehmigte ganzjährige Schafhaltung des Beigeladenen wird nicht zu derart intensiven Immissionen am Wohnhaus des Klägers führen, daß die dortigen Bewohner Beeinträchtigungen ausgesetzt werden, die nach Maßgabe des Rücksichtnahmegebots den Rahmen des an diesem Standort Zumutbaren übersteigen.
54Dafür ergibt sich schon aus dem Vortrag des Klägers kein Anhalt. Nach dem Inhalt seiner Schriftsätze und als Reaktion auf den Ortstermin des ehemaligen Berichterstatters sieht er eine große Beeinträchtigung vornehmlich darin, daß die umliegenden Wege beim Schafumtrieb erheblich verunreinigt werden. Eine etwaige ordnungswidrige Nutzung öffentlicher Wege durch den Beigeladenen ist indessen nicht Gegenstand des auf das Bauvorhaben selbst bezogenen Baugenehmigungsverfahrens.
55Für ein Überschreiten der Zumutbarkeitsschwelle besteht angesichts der vorzufindenden örtlichen Situation sowie Art und Umfang der beabsichtigten Tierhaltung auch sonst kein hinreichender Anhalt. Nach der sachkundigen Stellungnahme der Landwirtschaftskammer, zu deren gesetzlichen Aufgaben es als Körperschaft des öffentlichen Rechts nach § 2 Abs. 1 Buchstabe e) des Gesetzes über die Errichtung von Landwirtschaftskammern im Lande Nordrhein-Westfalen gehört, Behörden und Gerichte in Fragen der Landwirtschaft - vor allem durch Erstattung von Gutachten - zu unterstützen, vom 13. Dezember 1991 sind nennenswerte Geruchsimmissionen nicht zu erwarten, weil bei einer Schafhaltung Kot und Harn vollständig vom Einstreu aufgenommen wird und der Festmist von Schafen verhältnismäßig geruchsarm ist. Auch Lärmimmissionen in den benachbarten Wohnhäusern seien wegen der baulichen Ausgestaltung des Stalles, der bis zu einer Höhe von 3,2 m massiv ausgefacht ist, nicht zu erwarten.
56Der Senat sieht keinen Anlaß, die Richtigkeit dieser Bewertung in Zweifel zu ziehen. Zum einen ist der Kläger weder den tatsächlichen Feststellungen noch den Schlußfolgerungen der Landwirtschaftskammer substantiiert entgegengetreten. Zum anderen wird aber auch das Ergebnis der Prüfung der Landwirtschaftskammer durch den Inhalt des Entwurfs der VDI-Richtlinie 3473 "Emissionsminderung-Tierhaltung-Rinder" (Entwurf) bestätigt, die als technisches Regelwerk auf den Erkenntnissen und Erfahrungen von Fachleuten verschiedener Fachgebiete beruht und deshalb zumindest eine geeignete Orientierungshilfe bei der Bewertung der Zumutbarkeit der von der Rinderhaltung ausgehenden Gerüchen bildet.
57Diese Richtlinie gilt zwar nur für die Rinderhaltung, während es für die Schafhaltung an einer entsprechenden Beurteilungsgrundlage (bislang) fehlt. Sie bietet nach Auffassung des Senats indessen gleichwohl einen Anhalt für die Bewertung der Zumutbarkeit der Schafhaltung im Hinblick auf Gerüche, weil sie sich erstmals mit den gegenüber der Schweine- und Geflügelhaltung geringeren Geruchsemissionen wiederkäuender Tiere beschäftigt und deshalb eine Geruchssituation beurteilt, die der Schafhaltung insoweit ähnlich ist. Die Erfahrung zeigt, daß von Schafen jedenfalls keine stärkere Geruchsemission ausgeht als von Rindern. Damit erlaubt die Richtlinie jedenfalls die (Negativ-)Prognose, daß die Schafhaltung, die die Vorgaben der VDI 3473 (Entwurf) im wesentlichen einhält, unter der vorgegebenen Ausgangslage nicht zu unzumutbaren Geruchsbelästigungen führt.
58Eine unzumutbare Geruchsbelästigung der Bewohner der Hofstelle des Klägers ist danach nicht zu erwarten. Überträgt man die Richtwerte der genannten VDI-Richtlinie auf die im vorliegenden Fall zu beurteilende Schafhaltung, unterschreitet der Betrieb des Beigeladenen selbst bei einer zu Gunsten des Klägers großzügigen Berechnungsweise bei weitem die sog. Bagatellgrenze von 15 geruchsrelevanten Großvieheinheiten, bei der bei einer Rinderhaltung nur geringfügige Immissionsbelastungen zu erwarten sind und eine Sonderfallbeurteilung entbehrlich ist.
59Nach allgemeiner, auch im Senat vorhandener Kenntnis entspricht das durchschnittliche Tierlebendgewicht eines Mutterschafs von 65 kg 0,13, das eines Lammes kurz vor der Schlachtreife von höchstens 40 kg 0,08 Großvieheinheiten nach der VDI-Richtlinie 3473 (S. 3), so daß eine aus 200 Mutterschafen und 300 Lämmern bestehende Herde insgesamt 50 Großvieheinheiten ausmacht. Nach Tabelle 1 der Richtlinie ist dieser Wert wegen der unterschiedlichen spezifischen Geruchsstoffströme bei der Rinderhaltung gegenüber der in Bezug genommenen Schweinehaltung mit Hilfe eines Geruchsäquivalenzfaktors in geruchsrelevante Großvieheinheiten umzurechnen. Da die Mutterschafe und Lämmer nicht wie Mastrinder und Mastkälber gemästet werden, sondern wegen der überwiegenden Freilandhaltung die Fütterung mit eiweißhaltigen Futtermitteln oder Silage weitgehend unterbleibt und demzufolge die Ausscheidung geruchsintensiver Ammoniakverbindungen gering ist, und auch wegen der gegenüber Kälbern kürzeren Verweildauer der Lämmer im Stall, ist der Beurteilung im vorliegenden Fall höchstens der für Jungvieh, Kälberaufzucht und Rindvieh geltende Geruchsäquivalenzfaktor von 0,17 je Großvieheinheit zugrundezulegen. Danach erreichen 200 Mutterschafe einen Wert von allenfalls 4,42 (200 x 0,13 x 0,17) und 300 Lämmer 4,08 (300 x 0,08 x 0,17) - insgesamt also 8,5 - geruchsrelevante Großvieheinheiten, was nur gut der Hälfte der für Rinder geltenden Bagatellgrenze entspricht und selbst noch unter der für die besonders geruchsintensive Schweine- und Geflügelhaltung geltenden Geringfügigkeitsgrenze von 10 geruchsrelevanten Großvieheinheiten liegt. Nimmt man hinzu, daß im vorliegenden Fall die Schafe nach der genehmigten Baubeschreibung im Stall auf einer Mistmatraze gehalten werden, die den anfallenden Urin vollkommen aufsaugt und verdunsten läßt, so daß es der Erstellung einer Güllegrube nicht bedarf, und daß schließlich nach der fachlichen Stellungnahme der Landwirtschaftskammer der Festmist im Verhältnis zu anderen Tierarten geruchsarm ist, stellt sich das Vorhaben des Beigeladenen gegenüber dem Kläger bei einem Abstand von gut 50 m zwischen Wohnhaus und Stall in keinem Fall als rücksichtslos dar.
60Der Erteilung der somit nachbarliche Abwehrrechte des Klägers nicht auslösenden rechtmäßigen Nutzungsänderungsgenehmigung stehen die in den gerichtlichen Verfahren I. und M. abgeschlossenen wortgleichen Vergleiche nicht entgegen.
61Als Prozeßvergleiche binden sie im Verhältnis zum Kläger weder den Beklagten noch den Beigeladenen. Ein unmittelbarer, aus den abgeschlossenen Prozeßvergleichen abzuleitender vertraglicher Anspruch des Klägers besteht schon deshalb nicht, weil weder er noch der Beigeladene Beteiligte (vgl. § 63 VwGO) der durch die Vergleichsabschlüsse beendeten gerichtlichen Verfahren waren und demzufolge auch nicht Vertragspartner sein können.
62Ein Prozeßvergleich nach § 106 VwGO zeichnet sich durch seine Doppelnatur aus. Er ist sowohl Prozeßhandlung, die ein anhängiges gerichtliches Verfahren erledigt, als auch öffentlich-rechtlicher Vertrag, der die Rechtsbeziehungen zwischen den Beteiligten umgestaltet.
63Vgl. BVerwG, Beschluß vom 27. Oktober 1993 - 4 B 175/93 -, NJW 1994, 2306; Beschluß vom 14. Dezember 1967 - VIII B 146.67 -, BVerwGE 28, 332, 334.
64Ein solcher Vertrag kommt nach der entsprechend geltenden Vorschrift des Bürgerlichen Gesetzbuchs (vgl. § 62 Satz 2 VwVfG) durch Abgabe übereinstimmender Willenserklärungen zustande. Erst diese Übereinstimmung läßt die Wirkungen des Vertrages entstehen und begründet gegenseitige Rechte und Pflichten der Vertragspartner. Beteiligte der gerichtlichen Verfahren und damit Vertragspartner der Prozeßvergleiche, auf die sich der Kläger beruft, waren nach der Vergleichsurkunde aber nur der jetzige Beklagte, der Vater des Beigeladenen sowie die Nachbarn I. und M. . Nur sie können mithin unmittelbar Rechte aus dem Prozeßvergleich herleiten.
65Es besteht auch kein Anhalt dafür, daß nach dem Willen der damaligen Verfahrensbeteiligten und Vertragspartner die Prozeßvergleiche zu Gunsten des Klägers bzw. zu Lasten des Beigeladenen als Dritte (vgl. §§ 62 Satz 2 VwVfG, 328 ff. BGB) wirken sollten.
66Die Prozeßvergleiche wirken in diesem Sinne nicht zu Gunsten des Klägers. Ein Vertrag zu Gunsten Dritter, der Personen Rechte zubilligt, die nicht am Vertragsschluß beteiligt waren, ist auch im öffentlichen Recht zulässig. Für einen auf Einbeziehung Dritter, nicht am Vertrag beteiligter Personen gerichteten Willen der Vertragsparteien bietet die vorliegende Vergleichsurkunde hingegen keinerlei Anhalt. Der Wortlaut der Prozeßvergleiche schweigt zur Frage der Erstreckung des Vergleichs auf den Kläger; er wird dort mit keinem Wort erwähnt. Zwar gilt auch für öffentlich-rechtliche Verträge die Regel, daß bei der Auslegung von Willenserklärungen der wirkliche Wille zu erforschen und nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften ist (vgl. §§ 62 Satz 2 VwVfG, 133, 157 BGB).
67Vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Dezember 1989 - 7 C 6.88 -, BVerwGE 84, 236.
68Voraussetzung der Auslegung ist indessen, daß die übereinstimmenden Willenserklärungen auch auslegungsbedürftig sind. Ein auf eine bestimmte Rechtsfolge gerichteter Parteiwille muß zumindest im Wortlaut der Erklärung - wenn auch nur unzulänglich - Ausdruck gefunden haben. Hat der Vertrag nach seinem Wortlaut einen eindeutigen Inhalt, ist für eine über den Text hinausgehende Auslegung kein Raum, weil insoweit nicht ein etwaiger innerer, sondern nur der bekundete Wille entscheidend ist.
69So liegt der Fall hier. Der Text der Prozeßvergleiche ist aus sich heraus in seinem Erklärungsinhalt abschließend bestimmt. Der Beklagte verpflichtete sich dort gegenüber den Nachbarn M. und I. , seinen Zustimmungsbescheid vom 22. März 1979 zu ändern und um den Passus 1.4 des Vergleichs zu ergänzen, der damalige Beigeladene den Bescheid mit diesem Inhalt unanfechtbar werden zu lassen. An keiner Stelle der abgeschlossenen Prozeßvergleiche ist eine Formulierung des Inhalts, daß der Kläger Ansprüche gegenüber dem Beklagten oder dem damaligen Beigeladenen geltend machen kann, in den Vertragstext aufgenommen worden. Hätten die Vertragsschließenden die Einbeziehung eines Dritten bedacht und gewollt, hätte es nahegelegen, diesen wichtigen Umstand in irgendeiner Weise im Vertragstext zu erwähnen.
70Die Prozeßvergleiche wirken auch nicht zu Lasten des Beigeladenen. Mangels Auslegungsbedürftigkeit des Textes des Vergleichs vermag dieser auch nicht zu Lasten eines Dritten - hier des Beigeladenen als Rechtsnachfolger seines Vaters - Pflichten zu begründen. Im übrigen entfaltete ein Vertrag mit einem solchen Inhalt auch keine Rechtswirkungen, weil er nach § 58 VwVfG schwebend unwirksam ist, solange der Dritte ihm nicht schriftlich zugestimmt hat. An einer solchen Zustimmung des Beigeladenen fehlt es hier offensichtlich, so daß die Prozeßvergleiche auch aus diesem Grund nicht zu seinen Lasten wirken und der Verwirklichung seines Vorhabens entgegengehalten werden können.
71Nach alledem ist die Rechtsposition des Klägers in die Vergleichsvereinbarungen, die mit ihrem Abschluß, entsprechend der allgemeinen Zielrichtung eines Vergleichs, durch gegenseitiges Nachgeben einen vorhandenen Konflikt zu lösen, zukünftig alleinige Grundlage der Rechtsbeziehungen zwischen den Beteiligten werden sollten, nicht einbezogen worden.
72Da die Vergleichsvereinbarungen nach ihrem Inhalt die Rechtsbeziehungen zwischen den damaligen Beteiligten umfassend und abschließend regeln sollten, soweit das Nachbarschaftsverhältnis durch die beabsichtigte Schafhaltung belastet wurde, kann ein Anspruch des Klägers auch nicht aus vollkommen außerhalb des Vergleichsabschlusses liegenden Umständen hergeleitet werden.
73Da sich somit der Kläger nicht mit Erfolg auf den Inhalt der abgeschlossenen vertraglichen Vereinbarungen berufen kann, liegt sein Einwand, der Beigeladene sei gar nicht Betriebsinhaber, sondern diene nur als Strohmann seines Vaters, neben der Sache. Wer schon gegen einen Rechtsvorgänger keine vertraglichen (Abwehr-)Ansprüche besitzt, kann derartige Ansprüche erst recht nicht gegen dessen Rechtsnachfolger geltend machen.
74Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 173 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
75Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht gegeben sind.
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