Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 7 B 1773/96
Tenor
Der angefochtene Beschluß wird geändert.
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 21. März 1996 wird wiederhergestellt bzw. hinsichtlich der Zwangsgeldandrohung angeordnet.
Der weitergehende Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens erster Instanz, die Kosten des Verfahrens zweiter Instanz trägt der Antragsteller zu 1/4, der Antragsgegner zu 3/4.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 5.000,-- DM festgesetzt.
1
G r ü n d e :
2Die zulässige Beschwerde mit den Anträgen,
3"1. den angefochtenen Beschluß aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen,
42. hilfsweise, unter Abänderung des angefochtenen Beschlusses nach den Anträgen aus dem Schriftsatz vom 21. Mai 1996 zu erkennen,"
5ist mit dem Hauptantrag unbegründet. Die Voraussetzungen für eine Zurückverweisung der Sache an das Verwaltungsgericht in entsprechender Anwendung des § 130 VwGO sind nicht gegeben.
6Mit dem Hilfsantrag hat die Beschwerde Erfolg.
7Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 21. März 1996 war wiederherzustellen bzw. hinsichtlich der Zwangsgeldandrohung anzuordnen, weil sie nach im vorliegenden Verfahren nur möglicher summarischer Prüfung offensichtlich rechtswidrig ist.
8Gemäß § 61 Abs. 1 Satz 2 BauO NW 1995 haben die Bauaufsichtsbehörden in Wahrnehmung ihrer Aufgaben nach pflichtgemäßem Ermessen die erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Zu den danach zulässigen Maßnahmen kann es gehören, dem Ordnungspflichtigen aufzugeben, Geräusche, die von ortsfesten Anlagen oder Einrichtungen in baulichen Anlagen ausgehen, so zu dämmen, daß Gefahren oder unzumutbare Belästigungen nicht entstehen (vgl. § 18 Abs. 2 BauO NW 1995). Ist ein solches Gebot - wie hier vom Antragsgegner - ausgesprochen, muß die Ordnungsverfügung jedoch auch das Mittel angeben, das zur Erreichung des Ziels anzuwenden ist, um den sich aus § 37 Abs. 1 VwVfG NW ergebenden Bestimmtheitsanforderungen zu genügen.
9Vgl. Stelkens/Bonk/Sachs/Leonhardt, Verwaltungsverfahrensgesetz, 4. Aufl., 1993, § 37 Rdnr. 17 ff.
10Dies ergibt sich bereits daraus, daß die Ordnungsverfügung ggfs. im Wege der Verwaltungsvollstreckung durchgesetzt werden soll, ohne konkrete Angabe dessen, was vom Ordnungspflichtigen verlangt wird, jedoch gar nicht festgestellt werden kann, ob der Ordnungspflichtige der Ordnungsverfügung entsprochen hat und damit der Vollstreckungsbedarf entfällt.
11Diesen Anforderungen genügt die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 21. März 1996 nicht. Sie läßt nach seiner Ansicht (Schriftsatz vom 30. August 1996) völlig offen, welche Maßnahmen vom Antragsteller gefordert werden. Denn danach kommen neben baugenehmigungspflichtigen Maßnahmen auch andere bauliche Maßnahmen in Betracht, die sicherstellen, daß die zu beachtenden Grenzwerte eingehalten werden; ihm (dem Antragsteller) soll ferner die Möglichkeit bleiben, einen Schallpegelbegrenzer in seine Musikanlage einzubauen. Ob dem Antragsteller mit der Ordnungsverfügung tatsächlich zugestanden worden ist, keinerlei bauliche Maßnahmen auszuführen, sondern lediglich einen Schallpegelbegrenzer einzubauen, kann dahinstehen. Denn die dem Antragsteller jedenfalls auch auferlegten baulichen Maßnahmen sind nicht hinreichend bestimmt festgelegt. Vor einer etwaigen Verwaltungsvollstreckung kann nicht festgestellt werden, ob der Antragsteller, wenn er sich für die Durchführung einer baulichen Schallschutzmaßnahme entscheidet, der Ordnungsverfügung genügt hat oder nicht. Zwar ist dem Umstand Rechnung zu tragen, daß bautechnischer Schallschutz durch eine Vielzahl einzelner - für sich gesehen jeweils gleich effektiver - Einzelmaßnahmen möglich ist und aus ordnungsrechtlicher Sicht daher kein Anlaß besteht, dem Pflichtigen bis in die letzte technische Einzelheit vorzuschreiben, welche der einzelnen technisch gleichwertigen baulichen Maßnahmen er ergreift, um dem ordnungsrechtlich gebotenen und von der Behörde angeordneten schalltechnischen Wirkungsgrad der baulichen Abschirmung des Schallgeschehens zu erreichen. Dem braucht hier jedoch nicht weiter nachgegangen zu werden, denn Voraussetzung ist in jedem Fall, daß das zu erreichende Ziel bestimmbar festliegt, denn hiervon hängt es wiederum ab, welche Schallschutzmaßnahmen technisch zu treffen sind.
12Dieses Ziel ist hier nicht hinreichend bestimmbar, weil die für das Zustandekommen der angeordneten Schallpegelwerte maßgebenden Kriterien nicht festgelegt werden. Auch ohne jegliche bauliche Schallschutzmaßnahme dürften nach Aktenlage die vom Antragsgegner geforderten Lärmwerte eingehalten werden können, so daß die Ordnungsverfügung - würde sie denn nur durch das Regelungsziel konkretisiert werden können - jedenfalls nicht erforderlich wäre. Wird die Musik in der Gaststätte des Antragstellers nur leise genug gespielt, besteht kein Anhalt für die Annahme, daß die vom Antragsgegner vorgegebenen Lärmwerte nicht ohne weitere Schallschutzmaßnahmen eingehalten werden können. Denn ausweislich des zum Nutzungsänderungsantrag vom 23. August 1994 eingereichten Prüfberichts des Dipl.-Ing. E. vom 3. Juli 1989 konnten die (damals) zugrundegelegten Immissionsrichtpegel von 35 dB(A) tags und 25 dB(A) nachts (gemessen und bewertet nach VDI-Richtlinie 2058) eingehalten werden, obwohl im Restaurant über die vorhandene Musikanlage ein Pegel von 85 dB(A) in Raummitte eingespielt wurde. Mit steigendem Lärmpegel wiederum dürften zum Ausgleich jeweils weitergehende Schallschutzmaßnahmen erforderlich werden, ohne daß der Ordnungsverfügung hinsichtlich der zumindest alternativ geforderten baulichen Schallschutzmaßnahmen entnommen werden könnte, auf welchen Lärmpegel und demzufolge auf welche Schallschutzmaßnahmen abzustellen sein soll.
13Die Ordnungsverfügung ist auch nicht aus den vom Verwaltungsgericht (S. 6 f. des Beschlußabdrucks) weiter genannten Gründen als bestimmt anzusehen. Ob sich die Gaststättennutzung "nicht mehr im Rahmen der Baugenehmigung" hält, ist für die Frage der Bestimmtheit der Ordnungsverfügung ebenso ohne Belang wie der Umstand, daß der Antragsteller den "baurechtswidrigen Zustand...zu verantworten und dessen Folgen...zu tragen hat." Ob der Antragsgegner dem Antragsteller "weniger belastende Maßnahmen auferlegen" kann, um Nachbarbelangen hinreichend Rechnung tragen zu können, ist ebenfalls keine Frage der Bestimmtheit der Ordnungsverfügung.
14Die Ordnungsverfügung ist aus einem weiteren Grunde nach summarischer Prüfung rechtswidrig. Gemäß § 61 Abs. 1 Satz 2 BauO NW 1995 haben die Bauaufsichtsbehörden in Wahrnehmung ihrer Aufgaben nach pflichtgemäßem Ermessen die erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Die Ordnungsverfügung des Antragsgegners beruht auf einer ermessensfehlerhaften Störerauswahl. Die auf § 18 Abs. 2 OBG NW gestützte Heranziehung des Antragstellers zu baulichen Schallschutzmaßnahmen stellt sich als ermessensfehlerhaft dar. Mangels Kenntnis des Antragsgegners vom erforderlichen Umfang der Schallschutzmaßnahmen - der auf Grundlage des der Ordnungsverfügung zugrundeliegenden Sachverhalts auch so gar nicht bestimmt werden kann, da er eine Festlegung des in der Gaststätte zulässigen Lärmpegels voraussetzen würde - ist ihm eine Ermessensausübung nicht möglich gewesen, die hätte berücksichtigen können, ob und in welchem Ausmaß Schallschutzmaßnahmen einen Eingriff in die bauliche Substanz der Gaststätte erfordern. Die Kenntnis dieser Umstände ist jedoch Voraussetzung für die Ermessensentscheidung, ob dem Antragsteller als Pächter der Gaststätte entsprechende Maßnahmen überhaupt ermessensfehlerfrei aufgegeben werden können oder ob nicht insofern der Eigentümer der Gaststätte vorrangig ordnungspflichtig ist.
15Vgl. Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, 9. Aufl., 1986, § 21 S. 329.
16Die Ordnungsverfügung ist ferner aus folgendem Grunde ermessensfehlerhaft: Der Antragsgegner geht offenbar davon aus, daß der Antragsteller eine baurechtlich genehmigte Gaststätte betreibt, die lediglich hinsichtlich der konkreten Gaststättennutzung (Musiklärm) über das genehmigte Maß (Lautstärke) hinausgeht. Dann aber ist das Ziel der Ordnungsverfügung in Wahrheit nicht darauf gerichtet, den Betrieb auf das legalisierte Maß zurückzuführen, sondern eine Nutzung zu ermöglichen, die nach Auffassung des Antragsgegners so nicht Genehmigungsgegenstand gewesen ist. Es ist zumindest nicht erforderlich im Sinne des § 61 Abs. 1 Satz 2 BauO NW 1995, die Genehmigungsfähigkeit einer baulichen Nutzung durch Ordnungsverfügung erst noch herbeizuführen; insoweit wäre dem Interesse an einer mit der Wohnnutzung verträglichen Gaststättennutzung mit der (teilweisen) Nutzungsuntersagung ausreichend gedient. Auch die etwaigen Schwierigkeiten, die Einhaltung der maßgebenden Lärmwerte durch den Gaststättenbetrieb des Antragstellers zu konkretisieren, rechtfertigt die Ordnungsverfügung nicht. Bauaufsichtsmaßnahmen dürfen nicht lediglich den Zweck haben, die der Bauaufsichtsbehörde obliegenden Aufgaben zu erleichtern (vgl. § 20 Abs. 2 Satz 1 OBG NW)
17vgl. OVG NW, Beschluß vom 10. Oktober 1991 - 7 B 1787/91 -; Boeddinghaus/Hahn/Schulte, BauO NW, § 63 Rdnr. 60.
18Die Ordnungsverfügung vom 21. März 1996 ist auch insoweit offensichtlich rechtswidrig, als dem Antragsteller die Vorlage eines Schallschutzgutachtens aufgegeben wird. Aus dem Zusammenhang mit der verfügten Durchführung von Schallschutzmaßnahmen und dem Umstand, daß dem Antragsgegner der Prüfbericht des Dipl.-Ing. E. vom 3. Juli 1989 vorliegt, kann die Ordnungsverfügung nur so verstanden werden, daß der Antragsgegner ein (zweites) Schallschutzgutachten fordert, um einen Nachweis darüber zu erlangen, daß die mit der Ordnungsverfügung verlangten Schallschutzmaßnahmen ihrerseits ausreichend sind. Da die Forderung nach Durchführung der Schallschutzmaßnahmen ihrerseits den dargelegten rechtlichen Bedenken begegnet, verbleibt schon aus diesem Grunde für das Verlangen nach Vorlage eines die Wirksamkeit dieser Maßnahme belegenden Schallschutzgutachtens kein Raum.
19Die aufschiebende Wirkung gegen die in der Ordnungsverfügung vom 21. März 1996 enthaltenen Zwangsgeldandrohungen war im Hinblick auf die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die Grundverfügung anzuordnen. Nur angemerkt sei, daß mangels Duldungsverfügungen gegenüber den Eigentümern der Gaststätte (bezogen auf bauliche Maßnahmen) sowie den Wohnungsinhabern der Wohnungen, in denen die Lärmmessungen gemäß Ziffer 2.421.1.c TA-Lärm durchzuführen wären, um der Forderung nach Vorlage eines Schallschutzgutachtens genügen zu können, für eine Verwaltungsvollstreckung derzeit ungeachtet der dargelegten rechtlichen Bedenken an der Grundverfügung ohnehin kein Raum ist.
20Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO und berücksichtigt, daß der Antragsteller in der Beschwerdeinstanz den Sachantrag nur hilfsweise gestellt hat.
21Die Streitwertentscheidung stützt sich auf §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 GKG.
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