Urteil vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 9 A 1888/93
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in entsprechender Höhe leisten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand
2Die Kläger sind Eigentümer des Hausgrundstücks Am B. bach 10 in W. , das unmittelbar an die Straßen Am B. bach und E. Weg angrenzt.
3Für das Jahr 1991 zog der Rechtsvorgänger der Beklagten die Kläger durch Bescheid vom 15. Januar 1991 u.a. zu Straßenreinigungsgebühren für die Straße E. Weg von 22,62 DM heran. Gegen den Bescheid legten die Kläger keinen Widerspruch ein. Im Januar 1991 änderte die Stadt W. ihre Straßenreinigungsgebührensatzung hinsichtlich der Winterwartung. Dementsprechend wurden die Kläger durch Änderungsbescheid vom 4. März 1991 für den Zeitraum Februar bis Dezember 1991 zu weiteren Straßenreinigungsgebühren herangezogen, und zwar für die Winterwartung des E. Weges zu weiteren 7,50 DM und der Straße Am B. bach von 8,09 DM.
4Gegen den Änderungsbescheid legten die Kläger Widerspruch ein mit der Begründung, in der Straße Am B. bach sei zumindest in den letzten vier Jahren eine Winterwartung nicht durchgeführt worden. Der Rechtsvorgänger der Beklagten wies den Widerspruch durch Bescheid vom 7. Mai 1991 zurück.
5Die Kläger haben rechtzeitig Klage mit der Begründung erhoben, der Rechtsvorgänger der Beklagten habe erklärt, daß er zwar für die Winterwartung der Straßen der Stadt W. Personal und Geräte vorhalten müsse, aber nicht in der Lage sei, die Straße Am B. bach zu reinigen bzw. erfolgversprechend in den Winterwartungsdienst zu integrieren. Die Kläger haben sinngemäß beantragt,
6den Änderungsbescheid des Rechtsvorgängers der Beklagten vom 4. März 1991, soweit damit Winterwartungsgebühren für die Straße Am B. bach in Höhe von 8,09 DM festgesetzt werden, in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 7. Mai 1991 aufzuheben.
7Der Rechtsvorgänger der Beklagten hat beantragt,
8die Klage abzuweisen.
9Er hat erwidert, es sei unerheblich, daß es auf der Straße Am B. bach zu Winterwartungsleistungen nicht gekommen sei. Die Kosten der Winterwartung setzten sich zum Großteil aus Vorhalteleistungen zusammen. Die Inanspruchnahme solcher Vorhalteleistungen reiche zur Erfüllung des gebührenbegründenden Tatbestandes Winterwartung" aus.
10Das Verwaltungsgericht hat der Klage durch das angefochtene Urteil mit der Begründung stattgegeben, die Voraussetzungen eines Billigkeitserlasses lägen vor. Die Winterwartung auf der Straße Am B. bach habe im Jahre 1991 zu keinem Zeitpunkt stattgefunden und die festgesetzten Gebühren stellten als Gegenleistung für die zu erbringende Leistung der in Anspruch genommenen öffentlichen Einrichtung eine unbillige Härte dar.
11Mit der zugelassenen Berufung trägt die Beklagte vor: Es sei nicht nachvollziehbar, warum für die Kläger Winterwartungsgebühren von 8,09 DM eine unbillige Härte darstellten. Die Möglichkeit eines schnee-/eisfreien Winterhalbjahres sei keine unvorhersehbare Fallkonstellation und bedeute keine individuelle Härte. Die Winterwartung erfordere enorme und teuere Vorhalteleistungen. Sie beliefen sich auf jährlich mindestens 200.000,00 DM. Diese Vorhalteleistungen für die Winterwartung erfüllten die Voraussetzungen für eine Reinigung" i.S.d. § 1 des Straßenreinigungsgesetzes - StrReinG -. Außerdem stelle sich die Frage, ob nicht schon der Winterdienst auf anderen" (weiterführenden, Haupt-)Straßen den Vorteil bringe, der die Gegenleistung für die Benutzungsgebühr auslöse. Die Fahrzeuge würden zuerst auf den Hauptverkehrsstraßen zur Fahrbahnreinigung(Hauptstreuung) eingesetzt. Hierzu gehöre auch das Streuen der Fußgängerzone. Danach kämen die Durchfahrten und die Einfahrten von Parkplätzen an die Reihe. Danach werde weiter nach Plan (Fußgängerüberwege und Nebenstraßen) oder nach Anforderung von Bürgern und Polizei gestreut. Die Straße Am B. bach sei eine sogenannte Nebenstraße. Hier sei es in den zurückliegenden Jahren aufgrund der Wetterlage bzw. der milden Winter zu keinen Einsätzen gekommen. Die Wetterlage im Januar/Februar 1996 sei jedoch Anlaß gewesen, auch auf der Straße Am B. bach tätig zu werden.
12Die Beklagte beantragt,
13das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.
14Die Kläger beantragen,
15die Berufung zurückzuweisen.
16Sie halten das angefochtene Urteil für zutreffend und verweisen auf ihr erstinstanzlichen Vorbringen.
17Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der vom Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgänge Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
18Entscheidungsgründe
19Die Berufung ist nicht begründet.
20Das Verwaltungsgericht hat den Änderungsbescheid des Rechtsvorgängers der Beklagten vom 4. März 1991, soweit angefochten, in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 7. Mai 1991 zu Recht aufgehoben, weil er insoweit rechtswidrig ist und die Kläger in ihren Rechten verletzt( § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Für die Erhebung der Gebühr für Februar bis Dezember 1991 fehlt es an einer wirksamen Rechtsgrundlage.
21Die allein als Rechtfertigung in Betracht kommende Satzung über die Straßenreinigung und die Erhebung von Straßenreinigungsgebühren (Straßenreinigungs- und Gebührensatzung) -SGS- der Stadt W. vom 4. Juli 1980 in der Fassung der Dreizehnten Änderungssatzung vom 30. Januar 1991 -13. ÄS- ist bereits wegen unzulässiger Rückbewirkung von Rechtsfolgen (Rückwirkung) unwirksam, soweit sie sich auch für das Jahr 1991 Geltung beimißt. Denn die Einführung einer Winterwartungsgebühr" durch die 13. ÄS bewirkt eine Änderung der für die Gebührenerhebung für das ganze Jahr 1991 schon bei dessen Beginn abschließend angeordneten und verwirklichten Rechtsfolgen und enthält damit die Verlegung ihres zeitlichen Anwendungsbereichs auf einen Zeitpunkt vor ihrem Erlaß. Die mit der 13. ÄS eingeführte Winterwartungsgebühr" ist keine eigenständige Benutzungsgebühr, sondern wegen der Einheitlichkeit der Straßenreinigung, die Kraft ausdrücklicher gesetzlicher Regelung die Winterwartung umfaßt (§ 1 Abs. 2 StrReinG; vgl. auch § 1 Abs. 3 SGS), nur ein untrennbarer Teil der Straßenreinigungsgebühr. Die Straßenreinigungsgebühr war aber bereits mit dem 1. Januar 1991 in voller Höhe angefallen. Nach §§ 6 Abs. 4, 8 SGS in der Fassung der Zwölften Änderungssatzung vom 19. Dezember 1990 -12. ÄS- wird die Benutzungsgebühr jährlich", d.h. als Jahresgebühr erhoben, die zu Beginn des Jahres in vollem Umfang entsteht. Dann ist es dem Satzungsgeber aber verwehrt, im Laufe des Rechnungsjahres nachträglich die Gebührensätze zu erhöhen, auch wenn sie - wie hier - erst mit Inkrafttreten der Regelung anteilig für das Jahr erhoben werden sollen.
22Vgl. grundlegend OVG NW, Urteil vom 31. August 1990 - 9 A 2736/88 -.
23Unabhängig davon kann auch die in § 6 Abs. 4 SGS enthaltene Regelung in der Fassung der 13. ÄS nicht als rechtliche Grundlage für die Erhebung der Straßenreinigungsgebühren, soweit sie auch Kosten für Winterwartung erfassen herangezogen werden. Denn sie verstößt gegen höherrangiges Recht.
24Allerdings begegnet es keinen Bedenken, daß die Kläger insoweit grundsätzlich zu Staßenreinigungsgebühren herangezogen werden.
25Dies folgt aber entgegen der Auffassung der Beklagten nicht bereits daraus, daß der Winterdienst der Stadt W. durch seinen Einsatz auf den Hauptstraßen und anderen wichtigen Plätzen der Stadt dafür Sorge getragen hat, daß jedenfalls diese ohne größere Behinderung durch Wintereinflüsse genutzt werden konnten. Eine so verstandene Straßenreinigungsgebühr für die Winterwartung käme einer Winterwartungsabgabe" für alle Grundstückseigentümer in der geschlossenen Ortslage gleich. Die Straßenreinigungsgebühr hingegen wird nur als Gegenleistung erhoben für die Reinigung (Winterwartung) jeder das Grundstück unmittelbar erschließenden (ganzen) Straße.
26Vgl. OVG NW, Urteile vom 7. Januar 1982 -2 A 1778/81-, KStZ 1982, 169 und vom 17. Dezember 1980 -2 A 2018/80-, OVGE 35, 180.
27Gebührenpflichtig dem Grunde nach sind die Kläger deshalb, weil die Stadt W. für sie eine gebührenbegründende Gegenleistung in Form der Vorsorge erbracht hat. Eine die Gebühr auslösende Gegenleistung i. S. d. § 3 Abs. 1 Satz 1 StrReinG NW setzt nicht die konkrete Durchführung einer Winterwartung voraus; vielmehr erbringt der Verpflichtete bereits dann eine Gegenleistung, wenn unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse und der jeweiligen Witterungsverhältnisse hinreichend Vorsorge getragen wird, um den Gefahren des Winters im nötigen Umfang begegnen zu können. Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die Stadt W. ist zum einen verpflichtet gewesen, die Winterwartung i.S.d. § 1 Abs. 1 und 3 SGS auf den Fahrbahnen der Nebenstraßen (A"- Straßen), also auch der Straße Am B. bach , durchzuführen. Zum anderen entspricht es bei der Organisation der Winterwartung den verkehrlichen Notwendigkeiten i.V.m. den Anforderungen aufgrund der Verkehrssicherungspflicht, Prioritäten zu setzen, da eine gleichzeitige allumfassende Winterwartung mit vertretbarem Aufwand nicht durchführbar ist. Das ändert jedoch nichts daran, daß die Stadt bei entsprechenden Voraussetzungen, z.B bei starkem Schneefall oder extremer Eisglätte, auch in den Nebenstraßen tätig werden muß und in ihrem eigenen Interesse wegen ihrer Verkehrsicherungspflicht auch tun wird und dafür Vorsorge treffen muß.
28§ 6 Abs. 4 EGS in der Fassung der 13. ÄS ist aber unwirksam, weil die Vorschrift keinen geeigneten Wahrscheinlichkeitsmaßstab nach der für die Maßstabsregelung zu beachtenden Vorschrift des § 6 Abs. 3 Satz 2 KAG NW enthält und gegen den nach § 6 Abs. 3 KAG NW geltenden Grundsatz der Gebührengerechtigkeit wie gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt.
29Für das Maß der Inanspruchnahme der öffentlichen Einrichtung muß auf Bemessungsgrößen abgestellt werden, die sich jedenfalls nach einer pauschalierenden Betrachtung des Zusammenhangs zwischen der Höhe der Gebühren und dem Maß der Inanspruchnahme als noch plausibel rechtfertigen lassen und gegebenenfalls sachgerechte Differenzierungen zulassen. Insoweit sieht bereits das Straßenreinigungsgesetz selbst in § 3 Abs. 2 StrReinG eine Differenzierungsmöglichkeit vor, in dem es den Gemeinden die Befugnis einräumt, bei der Festsetzung der Benutzungsgebühr der Bedeutung der Straße für den Anliegerverkehr sowie für den inner- und überörtlichen Verkehr Rechnung zu tragen.
30An einer solchen Differenzierung fehlt es hier, obwohl diese erforderlich gewesen wäre. Nach Angaben der Beklagten hat die Stadt bei der Wahl der zu treffenden organisatorischen und materiellen Vorkehrungen nach den jeweiligen innerörtlichen Besonderheiten des Stadtgebiets differenziert und den innerörtlichen Hauptverkehrswegen vor den Nebenstraßen der Stadt den Vorrang bei der Winterwartung einräumt. Insoweit hat der Rechtsvorgänger der Beklagten bereits ausweislich der Sitzungsvorlage vom 18. November 1990 darauf hingewiesen, daß ein das gesamte Stadtgebiet abdeckender Einsatzplan existiere, der zwischen Haupt- und Nebenstraßen unterscheide, innerhalb dieser Gruppen nach Dringlichkeit differenziere und die gefährlichen Stellen berücksichtige; Einsätze auf weniger bedeutenden Straßen würden erfolgen, soweit es aufgrund des Räum- und Streuplanes personell und ausstattungsmäßig möglich sei. Hiervon ausgehend sieht selbst der dem Gericht vorgelegte Räum- und Streuplan für das Jahr 1995 eine regelmäßige Winterwartung der Fahrbahn der Straße Am B. bach wie auch jedenfalls der meisten anderen Nebenstraßen nicht vor. Die Richtigkeit dieser Annahme findet letzlich auch ihre Bestätigung in dem Umstand, daß die Fahrbahn etwa der Straße Am B. bach erstmalig im Jahre 1996 winterlich gewartet worden ist, obwohl der Winterdienst der Stadt W. auch in den zurückliegenden Jahren aufgrund der winterlichen Verhälnisse zum Einsatz gekommen ist und damit nicht die milde Wetterlage Ursache für die fehlende Winterwartung gewesen sein kann.
31Werden die Nebenstraßen der Stadt aber nur bei extremen winterlichen Witterungslagen gewartet und betreibt die Stadt auch nur insoweit für die Nebenstraßen Vorsorge, ist die Erhebung einer einheitlichen Gebühr für die Winterwartung für alle durch innerörtliche Straßen erschlossenen Grundstücke gleichgültig, ob sie an einer Prioritätenstraße" oder einer Nebenstraße" liegen, nicht zulässig. Vielmehr muß der Satzungsgeber diesem Umstand bei der Festsetzung der Straßenreinigungsgebühr durch eine entsprechend differenzierte Gebührenstruktur hinreichend Rechnung tragen.
32Die in der Vorschrift des § 6 Abs. 4 SGS in der Fassung der 13. ÄS liegende Ungleichbehandlung der Gebührenschuldner bei der Bemessung der Straßenreinigungsgebühr läßt sich mit sachlichen Gesichtspunkten wie den Grundsätzen der Verwaltungspraktikabilität und Pauschalierung nicht rechtfertigen. Von den in der Stadt W. insgesamt ermittelten 483.676 Frontmetern der angeschlossenen Grundstücke entfallen 209.767 Frontmeter auf die sogenannten A"-Straßen und stellen damit eine nicht zu vernachlässigende Größe bei der Bemessung der Gebühren dar.
33Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit findet ihre Grundlage in § 167 VwGO, § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
34Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.
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