Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 8 B 2382/96
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
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G r ü n d e :
2Die Beschwerde der Antragsteller mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluß zu ändern und den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihnen vom Eingang des Antrags bei Gericht bis zum Ablauf des Monats der gerichtlichen Entscheidung Hilfe zum Lebensunterhalt zu gewähren und den Mietrückstand für die Monate Juli und August 1996 in Höhe von 3.646,- DM aus Mitteln der Sozialhilfe zu übernehmen,
3ist nicht begründet.
4Der Erlaß einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO setzt voraus, daß der geltend gemachte Hilfeanspruch (sogenannter Anordnungsanspruch) und der besondere Grund für die Notwendigkeit der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (der sogenannte Anordnungsgrund) von den Antragstellern glaubhaft gemacht werden (§ 123 Abs. 3 VwGO iVm §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO).
5Das Begehren der Antragsteller, die aufgrund der im Jahre 1995 erfolgten Einbürgerung die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, scheitert daran, daß sie das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen eines Anordnungsanspruches nicht glaubhaft gemacht haben.
6Dabei kann hier offenbleiben, ob nicht bereits § 2 Abs. 1 BSHG dem geltend gemachten Hilfeanspruch entgegensteht. Nach § 2 Abs. 1 BSHG erhält nämlich Sozialhilfe u.a. derjenige nicht, der sich selbst helfen kann. Zu den den Anspruch auf Sozialhilfe ausschließenden Selbsthilfemöglichkeiten gehört die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit. Derjenige, der um Hilfe zum Lebensunterhalt nachsucht, muß - gleichsam täglich - darum bemüht sein, seinen Lebensunterhalt durch eigene Erwerbstätigkeit zu decken (§ 18 Abs. 1 BSHG). Dabei ist dem Hilfesuchenden im Grundsatz jede Tätigkeit, die seine körperlichen und geistigen Fähigkeiten nicht übersteigt, zumutbar, sofern ihm die künftige Ausübung seiner bisherigen überwiegenden Tätigkeit nicht wesentlich erschwert würde und sofern der Arbeit oder der Arbeitsgelegenheit ein sonstiger wichtiger Grund nicht entgegensteht. Wie § 18 Abs. 3 Satz 5 BSHG ausdrücklich bestimmt, ist eine Arbeit oder eine Arbeitsgelegenheit insbesondere nicht allein deshalb unzumutbar, weil sie einer früheren beruflichen Tätigkeit des Hilfeempfängers nicht entspricht oder im Hinblick auf seine Ausbildung als weniger anspruchsvoll anzusehen ist oder weil der Beschäftigungsort vom Wohnort des Hilfeempfängers weiter entfernt ist als ein früherer Beschäftigungs- oder Ausbildungsort oder weil die Arbeitsbedingungen ungünstiger sind als bei den bisherigen Beschäftigungen des Hilfesuchenden. Unter die Selbsthilfemöglichkeit und das Selbsthilfegebot (§ 2 Abs. 1 BSHG) fallen auch Aushilfstätigkeiten, Urlaubsvertretungen und Gelegenheitsarbeiten jeglicher Art, vgl. OVG NW, Urteil vom 23. Januar 1995 - 8 A 2469/92 - m.w.N.; Beschluß vom 28. Juni 1995 - 8 B 1000/95 -, m.w.N.; Hamburgisches Oberverwaltungsgericht (OVG Hamburg), Beschluß vom 29. August 1990 - Bs IV 326/90 -, FEVS Band 41, S. 417, 418 f.; Schellhorn/Jirasek/ Seipp, Kommentar zum Bundessozialhilfegesetz, 14. Auflage 1993, § 2 Rdnr. 7.
7Danach muß ein sozialhilferechtlicher Bedarf u.a. wegen eines Einkommens verneint werden, das zu erzielen dem Hilfesuchenden zuzumuten ist, vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Februar 1976 - V C 37.75 -, FEVS 24, 265, 269; OVG NW, Beschluß vom 28. Juni 1995 - 8 B 1000/95 - m.w.N.; Schellhorn/ Jirasek/Seipp, aaO, § 2 Rdnr. 8 m.w.N..
8Der Nachrang der Sozialhilfe nach § 2 Abs. 1 BSHG greift bei der Selbsthilfe - anders als bei der Hilfe durch andere - schon dann, wenn der Hilfesuchende sich selbst helfen "kann", er also die Möglichkeit hat, eine Arbeit aufzunehmen. Es kommt in diesem Zusammenhang nicht darauf an, ob er von dieser Möglichkeit auch Gebrauch macht, vgl. OVG NW, Urteil vom 23. Januar 1995 - 8 A 2469/92 -, m.w.N.; Beschluß vom 28. Juni 1995 - 8 B 1000/95 -; OVG Hamburg, Beschluß vom 29. August 1990, aaO., S. 418 f..
9Dabei kann grundsätzlich davon ausgegangen werden, daß ein Hilfesuchender, dessen Leistungsfähigkeit nicht durch besondere körperliche oder geistige Mängel beeinträchtigt ist und dessen Arbeitsaufnahme nicht wegen anderer in § 18 Abs. 3 BSHG genannter Gründe unzumutbar ist, eine Erwerbstätigkeit aufnehmen kann. Diese Annahme kann er durch im einzelnen zu substantiierende und nachprüfbar zu belegende Angaben über erfolglos gebliebene Versuche, eine Erwerbstätigkeit zu erlangen, widerlegen, vgl. OVG Hamburg, Beschluß vom 29. August 1990, aaO., S. 418 f.; OVG NW, Beschluß vom 20. Juni 1995 - 24 B 1320/95 -, m.w.N.; Beschluß vom 28. Juni 1995 - 8 B 1000/95 -.
10Allein die Meldung beim Arbeitsamt reicht insoweit nicht aus. Die materielle Notlage ist Voraussetzung des Anspruchs auf Hilfe zum Lebensunterhalt und fällt damit in den Kreis der vom Hilfesuchenden gegebenenfalls zu beweisenden und im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes glaubhaft zu machenden Anspruchsvoraussetzungen, vgl. OVG NW, Beschluß vom 28. Juni 1995 - 8 B 1000/95 -.
11Im vorliegenden Falle ist zwar davon auszugehen, daß der Antragsteller zu 1. seit dem 30. Mai 1996 beim Arbeitsamt Bonn (Dienststelle Königswinter) als arbeitslos gemeldet ist (vgl. vorliegende Bescheinigung vom 30. Mai 1996). Die Antragsteller haben jedoch weder gegenüber dem Antragsgegner im Verwaltungsverfahren noch im gerichtlichen Verfahren substantiierte Angaben über erfolglos gebliebene konkrete Bemühungen des Antragstellers zu 1., eine Erwerbstätigkeit zur Bestreitung des Lebensunterhaltes zu erlangen, vorgetragen und glaubhaft gemacht. Eine nähere Prüfung dieser Frage kann freilich aus den nachfolgenden Gründen dahingestellt bleiben.
12Gemäß § 11 Abs. 1 BSHG ist Hilfe zum Lebensunterhalt jedenfalls nur dem zu gewähren, der seinen notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem aus seinem Einkommen und Vermögen, beschaffen kann (Satz 1). Bei nicht getrenntlebenden Ehegatten sind das Einkommen und das Vermögen beider Ehegatten zu berücksichtigen; soweit minderjährige unverheiratete Kinder, die dem Haushalt ihrer Eltern oder eines Elternteils angehören, den notwendigen Lebensunterhalt aus ihrem Einkommen und Vermögen nicht beschaffen können, sind auch das Einkommen und das Vermögen der Eltern oder des Elternteiles zu berücksichtigen (Satz 2). Da das Nichtvorhandensein eigener oder nach Satz 2 berücksichtigungsfähiger Mittel des Ehegatten oder der Eltern negatives Tatbestandsmerkmal für den Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt ist, muß der jeweilige Hilfesuchende beweisen, daß er seinen Lebensunterhalt nicht durch eigenes oder berücksichtigungsfähiges Einkommen oder Vermögen sicherstellen kann. Die Nichtaufklärbarkeit dieses anspruchsbegründenden Tatbestandsmerkmals geht zu Lasten desjenigen, der das Bestehen des Anspruchs behauptet. Dies ist der jeweilige Hilfebedürftige, vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 2. Juni 1965 - V C 63.64 -, Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwGE) 21, 208 = Fürsorgerechtliche Entscheidungen der Verwaltungs- und Sozialgerichte (FEVS) Band 13, 1; Urteil vom 28. März 1974 - V C 27.73 -, BVerwGE 45, 131 = FEVS 22, 301, 303; Urteil vom 5. Mai 1983 - 5 C 112.81 -, FEVS 33, 5, 13; Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NW), Beschluß vom 18. Juni 1985 - 8 B 1995/85 -, FEVS 35, 69; Beschluß vom 28. Juni 1995 - 8 B 1000/95 - m.w.N..
13Im Verfahren auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung hat deshalb der jeweilige Hilfebedürftige gemäß § 123 Abs. 3 VwGO iVm §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO seine Hilfebedürftigkeit glaubhaft zu machen. Daran fehlt es im vorliegenden Falle.
14Denn die Antragsteller haben jedenfalls nicht glaubhaft gemacht, daß sie nicht im Sinne des § 11 Abs. 1 BSHG über Mittel verfügen, die es ihnen ermöglichen, ihren Lebensunterhalt auch ohne die begehrte Hilfeleistung zu bestreiten. Die Angaben und vorgelegten Nachweise der Antragsteller zu ihrer wirtschaftlichen Situation sind auch unter Berücksichtigung ihres Vorbringens im Beschwerdeverfahren nach wie vor so unklar, daß das Gericht nicht mit der für den Erlaß einer einstweiligen Anordnung erforderlichen überwiegenden Wahrscheinlichkeit davon ausgehen kann, daß die Antragsteller der Hilfeleistung durch den Antragsgegner bedürfen.
15Erhebliche Zweifel an der behaupteten Hilfebedürftigkeit der Antragsteller ergeben sich namentlich aus ihren Angaben zur Verwendung des Erlöses aus den Grundstücksveräußerungen. Ausweislich der vorgelegten Kaufverträge erzielte der Antragsteller zu 1. durch die in den Jahren 1994 und 1995 erfolgte Veräußerung von Grundstücken einen Gesamterlös von 410.000,- DM. Nach dem in Kopie überreichten Schreiben der Sparkasse Esse vom 13. September 1994 (Bl. 46 GA) waren von den Antragstellern zu 1. und 2. zur Ablösung grundpfandrechtlich gesicherte Forderungen 398.297,56 DM an das Kreditinstitut zu zahlen; nur bei Begleichung dieser Forderung war die Sparkasse Essen mit der Erteilung der Löschungsbewilligungen für die im Grundbuch von Bochold, Bl. 1846 in Abt. III unter der Nr. 1 eingetragenen Grundpfandrechte und für die im Grundbuch von Horst, Bl. 0790 in Abt. III unter Nr. 4 eingetragenen Grundpfandrechte bereit. Nach einem weiteren in Kopie vorliegenden Schreiben der Sparkasse Essen vom 31. Juli 1995 waren von den Antragstellern zu 1. und 2. zur Ablösung bestehender Forderungen (Darlehen 625 591 003 und Darlehen 625 752 365) per 30. August 1995 zudem 258.053,20 DM an das Kreditinstitut zu zahlen. Der Antragsgegner hat in seinem Schriftsatz vom 12. September 1996 zu Recht darauf hingewiesen, daß angesichts dieser beiden Schreiben mithin offenbar Forderungen der Sparkasse E. in Höhe von insgesamt 656.350,76 DM zu begleichen waren, was mit dem Erlös aus den Grundstücksveräußerungen in Höhe von 410.000,- DM nicht realisierbar gewesen sein kann. Wenn die Antragsteller ungeachtet dessen sowohl in der Antragsschrift vom 15. August 1996 als auch bestätigend in den Schriftsätzen vom 26. August 1996 und vom 10. September 1996 vorgetragen haben, der aus den in den Jahren 1994 und 1995 getätigten Grundstücksverkäufen erzielte Erlös habe zur Ablösung der Grundpfandrechte ausgereicht, wobei ihnen ein Überschuß in Höhe von 6.187,44 DM verblieben sei, ist nicht ersichtlich, wie dies auf der Grundlage einerseits der in den Kaufverträgen angegebenen Kaufpreise und andererseits der in den Schreiben der Sparkasse E. vom 13. September 1994 und 31. Juli 1995 enthaltenen Angaben möglich gewesen sein soll, es sei denn, daß bei den Grundstücksverkäufen höhere Erlöse als in den Kaufverträgen angegeben erzielt wurden. Sollten dagegen die in den Kaufverträgen angegebenen Beträge über die Kaufpreissummen zutreffend gewesen sein, bliebe unklar, auf welche Weise die Antragsteller zu 1. und 2. die nach den Schreiben der Sparkasse E. vom 13. September 1994 und vom 31. Juli 1995 zur Ablösung der Grundpfandrechte erforderlichen Beträge aufgebracht haben. Soweit die Antragsteller mit Schriftsatz vom 10. September 1995 haben vortragen lassen, der ursprüngliche Treuhandauftrag der Sparkasse E. vom 13. September 1994 sei durch den Treuhandauftrag vom 5. Januar 1995 ersetzt worden, wonach zur Lastenfreistellung lediglich noch 150.000,- DM an das Kreditinstitut zu leisten gewesen seien, bleibt unklar, auf welchen näheren Umständen die Änderung des Treuhandauftrages vom 13. September 1994 (über die erforderliche Zahlung von 398.297,56 DM) beruhte. Mangels substantiierter näherer Angaben der Antragsteller läßt sich nicht ausschließen, daß die Antragsteller aus - bislang nicht aufgedeckten - anderen verfügbaren Mitteln bis zum Ergehen des neuen Treuhandauftrages vom 5. Januar 1995 Tilgungen der Forderungen der Sparkasse E. vorgenommen hatten. Sollte dies der Fall gewesen sein, wäre nicht ersichtlich, woher diese Mittel stammten. Diese Unklarheiten über ihre Vermögenslage bestehen fort, solange sie von den Antragstellern nicht ausgeräumt werden. Dies ist auch im Beschwerdeverfahren nicht geschehen.
16Angesichts dieser fortbestehenden Unklarheiten über die Vermögensverhältnisse der Antragsteller kommt der Erlaß der beantragten einstweiligen Anordnung nicht in Betracht.
17Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 188 Satz 2 VwGO.
18Dieser Beschluß ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.
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