Urteil vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 20 A 3158/95
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, letztere auch für das erstinstanzliche Verfahren.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung in entsprechender Höhe Sicherheit leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand
2Der Beigeladene ist Eigentümer des Grundstücks in S. -O. , Gemarkung I. , Flur 16, Flurstück 125. Das Grundstück liegt inmitten land- und forstwirtschaftlich genutzter Umgebung in einem von West nach Ost ansteigenden Gelände östlich der Flurstücke 123, 140 der Klägerin. Das Flurstück 140 wird zu Wohnzwecken genutzt; das Flurstück 123 dient als landwirtschaftliches Grünland. Die Häuser in O. sind an die öffentliche Wasserversorgungsanlage der Gemeinde S. angeschlossen; eine öffentliche Abwasserentsorgungsanlage besteht nicht. Das Gebiet ist Teil des Wasserschutzgebietes III für die talsperre.
3Im Zusammenhang mit dem Umbau des auf dem Flurstück 125 befindlichen Wohn- und Stallgebäudes beabsichtigte der Beigeladene die Sanierung der bisherigen unzureichenden Grubenentwässerung. Auf seinen Antrag erteilte ihm der Beklagte mit Bescheid vom 3. August 1992 u.a. die Erlaubnis zur Einleitung häuslichen Abwassers in das Grundwasser. Vorgesehen ist, das in einer 9 m3 großen Dreikammergrube vorgereinigte Abwasser bis zu einer Menge von 0,9 m3/Tag mittels eines Rieselrohrnetzes auf dem östlich angrenzenden Flurstück 120 in den Untergrund zu versickern. Der Erlaubnis liegt das hydrogeologische Gutachten des Geologen Dr. G. vom 10. Januar 1990 zugrunde, das dieser mit Bezug auf die Versickerung von Abwasser auf dem südlich gelegenen Flurstück 126 erstellt hat.
4Die Klägerin legte am 30. September 1992 Widerspruch ein und machte geltend, sie verfüge auf ihrem Grundstück über fünf Brunnen. Der Hausbrunnen, der für Brauchwasserzwecke genutzt werde, liege westlich der Verrieselungsanlage und stehe mit den übrigen Brunnen in mittelbarem Zusammenhang. Es sei zu befürchten, daß die Brunnen durch das verrieselte Abwasser verunreinigt würden. Der Standort der Verrieselungsanlage sei nach Süden zu verschieben.
5Der Beigeladene erwiderte, der Abstand der Rieselrohranlage zu den Brunnen reiche aus. Hinsichtlich der Deckung des Wasserbedarfs bestehe Benutzungszwang. Das Einzugsgebiet der Brunnen werde landwirtschaftlich genutzt. Das Grundstück mit den Brunnen diene als Viehweide. Von der Klägerin durchgeführte Verrohrungen und Anschüttungen wirkten sich nachteilig auf die Wasserqualität in den Brunnen aus. Eine Verschiebung der Anlage in südliche Richtung komme u.a. wegen der Geländetopographie nicht in Betracht.
6Der Beklagte holte zur Frage der Beeinflussung der Brunnen durch die Abwasserbeseitigung ein Gutachten des Dipl.-Geologen C. vom 26. Januar 1993 ein. Dieser gelangte zu dem Ergebnis, im wahrscheinlichen Abstrom der Verrieselungsanlage befinde sich auf dem Grundstück der Klägerin in ca. 60 m Entfernung ein zur Zeit nicht genutzter Flachbrunnen. Der Brunnen werde aus dem Schichtwasserhorizont und aus oberflächennahem Sickerwasser gespeist. Organoleptisch sei die Qualität des Brunnenwassers zu beanstanden. Die Abstandsgeschwindigkeit zwischen der Verrieselungsanlage und dem Brunnen belaufe sich auf ca. 35 Stunden und sei, gemessen an der 15-Tage-Grenze, zu gering. Jedoch sei eine tatsächliche Beeinträchtigung schwerlich nachzuweisen. Zur Ausräumung der Bedenken der Klägerin werde vorgeschlagen, das Schichtwasser oberhalb der Rieselrohre durch eine Drainanlage abzufangen.
7Diesen Vorschlag lehnte die Klägerin als unzureichend ab. Der Brunnen sei etwa 3,5 m tief und reiche entgegen den Annahmen des Dipl.-Geologen C. bis in den felsigen Untergrund. Nach der gutachterlichen Stellungnahme des Geologen Dr. G. vom 4. März 1993 könne die vorgeschlagene Lösung zwar die negativen Folgen des Verrieselns von Abwasser mindern, nicht aber dauerhaft jede nachteilige Wirkung auf das Grundwasser ausschließen.
8Der Regierungspräsident L. wies den Widerspruch mit Bescheid vom 7. Juli 1993 zurück. Der Widerspruch sei unzulässig, weil die Erlaubnis eigene Rechte der Klägerin nicht verletzen könne. Die Interessen der Klägerin seien aber im Rahmen der Wahrung des Wohls der Allgemeinheit zu berücksichtigen. Gleichzeitig wies der Regierungspräsident L. den Beklagten darauf hin, daß die Einleitung des Abwassers in den Untergrund zu untersagen sei, weil wegen der Lage des Vorhabens im Wasserschutzgebiet eine Beeinträchtigung des Wohls der Allgemeinheit zu erwarten sei.
9Die Klägerin hat am 6. August 1993 Klage erhoben. Während des Klageverfahrens hat der Beklagte die Erlaubnis mit Änderungsbescheid vom 7. Februar 1994 bis zum 31. Dezember 2002 befristet und dem Beigeladenen aufgegeben, die Abwasseranlage entsprechend dem Gutachten des Dipl.-Geologen C. vom 26. Januar 1993 zu errichten. Den hiergegen gerichteten Widerspruch der Klägerin wies der Regierungspräsident L. mit Bescheid vom 20. Juli 1994, zugestellt am 27. Juli 1994, zurück. Der Widerspruch sei mangels Widerspruchsbefugnis der Klägerin unzulässig. Er sei auch unbegründet. Mit dem Einbau der Auffangdrainage entspreche die Anlage den wasserrechtlichen Anforderungen. Die Klägerin könne keine Optimierung des Standortes der Anlage beanspruchen. Seine ursprüngliche Forderung, die Abwasserbeseitigung mittels abflußloser Gruben vorzunehmen, habe er - der Regierungspräsident - aufgegeben. Insoweit hat die Klägerin am 24. August 1994 die Klage 14 K 6614/94 erhoben. Das Verwaltungsgericht hat beide Verfahren zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung verbunden.
10Zur Begründung hat die Klägerin vorgetragen, der Brunnen existiere von alters her. Er diene, seitdem die öffentliche Wasserversorgungsanlage vorhanden sei, noch zum Tränken der Pferde, zur Befüllung des Swimmingpools und zur Bewässerung des Gartens. Die Wasserqualität sei gut. Entgegen der Meinung des Dipl.-Geologen C. werde der Brunnen zumindest zum größten Teil aus Kluftwasser gespeist, das mit dem Schichtwasser in hydraulischem Kontakt stehe. Der Stellungnahme des Gutachters Dr. G. vom 18. Mai 1994 zufolge sei die Umleitung des Schichtwassers nicht geeignet, das Zufließen des verrieselten und dann dem Kluftwasser zusickernden Abwassers zum Brunnen zu verhindern. Das Verrieseln des Abwassers auf dem Flurstück 120 sei vorzugswürdig. Die Abfangdrainage könne zum Versiegen des Brunnens führen.
11Die Klägerin hat beantragt,
12die dem Beigeladenen erteilte wasserrechtliche Erlaubnis vom 3. August 1992 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 7. Juli 1993, in der Fassung des Änderungsbescheides vom 7. Februar 1994 und in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20. Juli 1994 aufzuheben.
13Der Beklagte hat beantragt,
14die Klage abzuweisen.
15Er hat vorgetragen, durch die Verwirklichung des Vorhabens werde die Abwassersituation verbessert. Der Gutachter C. sei, was die Tiefe des Brunnens anbelange, von den Informationen des Ehemannes der Klägerin ausgegangen; bei der örtlichen Überprüfung Ende 1992 sei der Brunnen ungepflegt gewesen. Nach den ergänzenden Stellungnahmen des Gutachters C. vom 14. Januar 1995 und 2. März 1995 sei für das Kluftwasser eine Fließzeit von mehr als 50 Tagen zwischen der Verrieselungsanlage und dem Brunnen anzusetzen; diese Zeitdauer genüge. Wegen der Lage im Wasserschutzgebiet sei die Grundwasserförderung der Klägerin erlaubnisbedürftig.
16Der Beigeladene hat vorgetragen, die geplante Anlage werde eine wesentliche Verbesserung der bisherigen Entwässerungssituation bewirken. Die alternative Fläche sei für die Schaffung einer Verrieselungsanlage untauglich. Der Brunnen sei intensiv gereinigt worden, nachdem der Gutachter C. die Örtlichkeit überprüft habe. In Trockenzeiten sinke die Abflußspende des Brunnens, weil das anstehende Gestein wenig Grundwasser speichere.
17Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch das angefochtene Urteil, auf das Bezug genommen wird, abgewiesen.
18Gegen diese Entscheidung, die ihr am 3. April 1995 zugestellt worden ist, hat die Klägerin am 21. April 1995 Berufung eingelegt. Sie trägt ergänzend und vertiefend vor, die Grundwasserförderung in dem Brunnen sei rechtmäßig. Einer wasserrechtlichen Erlaubnispflicht unterliege die Grundwasserbenutzung nicht. Der satzungsmäßige Benutzungszwang könne der Brauchwasserförderung aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht entgegengehalten werden. Die Gemeinde S. habe im gesamten Gemeindegebiet die Entnahme von Brauchwasser aus Eigenversorgungsanlagen geduldet; auf diese Handhabung des Satzungsrechts habe sie - die Klägerin - vertraut. Unter dem 12. Dezember 1995 habe die Gemeinde die Befreiung vom Benutzungszwang förmlich ausgesprochen. Die Abwasserverrieselung werde den Erfordernissen des Rücksichtnahmegebotes, auf dessen Beachtung ein subjektiver Anspruch bestehe, nicht gerecht. Der Beklagte habe sein Ermessen bereits nicht mit Blick auf ihre - der Klägerin - Belange ausgeübt, obwohl er seit Ende 1991 über ihre Bedenken informiert gewesen sei. Der Brunnen sei über Jahrzehnte durchgängig benutzt worden und besonders empfindlich. 1994 seien lediglich die Innenwände des Brunnens gründlich gesäubert worden. Der alternative Standort sei für das Vorhaben möglich und dem Beigeladenen zuzumuten.
19Die Klägerin beantragt,
20das angefochtene Urteil zu ändern und nach dem erstinstanzlichen Klageantrag zu erkennen.
21Der Beklagte beantragt,
22die Berufung zurückzuweisen.
23Er ist der Auffassung, rechtlich geschützte Belange der Klägerin seien durch die Erlaubnis nicht betroffen.
24Der Beigeladene beantragt,
25die Berufung zurückzuweisen.
26Er trägt ergänzend vor, der Standort der Verrieselungsanlage sei 1992 in Abstimmung mit dem Beklagten gewählt worden, um hierdurch Einwänden der Klägerin zu entsprechen. Hierbei sei unter Berücksichtigung der im Gutachten Dr. G. vom 10. Januar 1990 angegebenen Fließgeschwindigkeit und vergleichbarer Bodenverhältnisse der Abstand zwischen der Verrieselungsanlage und dem Brunnen auf 70 m festgelegt worden. Der Gutachter C. sei von einer zu hohen Fließgeschwindigkeit des Wassers ausgegangen.
27Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Verfahrensakte 14 K 6614/94 VG L. und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten sowie der Widerspruchsbehörde Bezug genommen.
28Entscheidungsgründe
29Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Die angefochtene Erlaubnis verletzt die Klägerin jedenfalls nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -).
30Die Erlaubnis verstößt nicht gegen Rechtsvorschriften, die dem Schutz der Klägerin zu dienen bestimmt sind. Eine Rechtmäßigkeitsüberprüfung auch in Hinsicht auf mögliche Verstöße gegen allein zur Wahrung öffentlicher Interessen bestimmte Vorschriften kann die Klägerin nicht beanspruchen (§ 42 Abs. 2 VwGO). Rechtsgrundlage für die Erteilung der Erlaubnis zur Einleitung vorgeklärten Abwassers in das Grundwasser ist § 7 Abs. 1 des Wasserhaushaltsgesetzes (WHG) i.V.m. §§ 2 Abs. 1, 3 Abs. 1 Nr. 5 WHG. Die Behörde hat, sofern der zwingende Versagungsgrund der Beeinträchtigung des Wohls der Allgemeinheit (§ 6 WHG) nicht eingreift, § 34 Abs. 1 WHG nicht entgegensteht und auch im übrigen die Anforderungen an das Einleiten von Abwasser (§ 7 a WHG, § 52 des Landeswassergesetzes - LWG -) erfüllt sind, nach Ermessen über die Erteilung der Erlaubnis zu befinden. Dabei kann die Behörde Auflagen festsetzen, um nachteilige Wirkungen für andere zu verhüten oder auszugleichen (§ 4 Abs. 1 Satz 2 WHG). Hieraus sowie aus den §§ 1 a, 18 WHG ergibt sich, daß im Rahmen der Ermessensentscheidung auch die durch die Erlaubnis nachteilig berührten individuellen Belange Dritter zu berücksichtigen sind. Drittschutz vermittelt das Gebot der Rücksichtnahme zugunsten derjenigen, deren Belange in qualifizierter und individualisierter Weise betroffen sind; das können insbesondere die rechtmäßigen Wasserbenutzer sein, wenn in die bestehende Verteilung des Wassers eingegriffen wird.
31Vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Juli 1987 - 4 C 56.83 -, ZfW 1988, 271; Urteil vom 3. Juli 1987 - 4 C 41.86 -, ZfW 1988, 337.
32Der daraus abzuleitende Anspruch des Drittbetroffenen auf ermessensfehlerfreie Entscheidung ist beschränkt auf die ermessensgerechte Würdigung der eigenen Belange. Von daher sind zugunsten des Dritten, der ein erlaubnisbedürftiges Vorhaben abwehren will, seine schutzwürdigen und schutzbedürftigen Belange in die Ermessenserwägungen einzustellen. Eine entscheidungserhebliche Rechtsposition des Dritten stellt nicht schon sein Interesse dar, einen faktisch gegebenen Zustand beizubehalten. Dieser Zustand darf vielmehr, um schutzwürdig und schutzbedürftig zu sein, nicht seinerseits im Widerspruch zur Rechtsordnung stehen; sonst handelt es sich um einen bloßen Lagevorteil tatsächlicher Art.
33Vgl. BVerwG, Urteil vom 24. September 1992 - 7 C 6.92 -, Buchholz 406.25 § 22 BImSchG Nr. 11; Urteil vom 25. Februar 1992 - 1 C 7.90 -, Buchholz 451.41 § 5 GastG Nr. 5.
34Das Interesse der Klägerin daran, Beeinträchtigungen von Menge und Güte des ihren Brunnen zufließenden Grundwassers abzuwehren, ist nicht schutzwürdig; es war deshalb für die Ermessensentscheidung des Beklagten nicht von rechtlicher Bedeutung. Die mit den Brunnen bezweckte Entnahme von Grundwasser war im entscheidungserheblichen Zeitpunkt rechtswidrig.
35Über eine wasserrechtliche Gestattung der Grundwasserentnahme (§§ 2 Abs. 1, 3 Abs. 1 Nr. 6 WHG) verfügt die Klägerin nicht. Ihrer Darstellung zufolge handelt es sich um eine seit Jahrzehnten vorhandene Brunnenanlage, für die indessen alte Rechte oder Befugnisse (§§ 15 ff. WHG) nicht bestehen. Schutz gegen Beeinträchtigungen des Grundwassers kann der Klägerin demzufolge von vornherein nur zuteil werden, wenn und soweit sie eine nach § 33 Abs. 1 WHG erlaubnisfreie Benutzung ausübt. Insoweit mag dahinstehen, ob der Verwendungszweck des geförderten Wassers - Tränken von Pferden, Befüllen des Swimmingpools, Bewässern des Gartens - der Bandbreite der in § 33 Abs. 1 WHG aufgeführten Benutzungen unterfällt. Ebenfalls mag auf sich beruhen, ob eine auf § 33 Abs. 1 WHG gestützte Grundwasserbenutzung einen Abwehranspruch gegenüber der Verunreinigung oder dem Entzug des Grundwassers begründen kann. Auch bedarf keiner Konkretisierung, welche Menge und Qualität des nach Maßgabe des § 33 Abs. 1 WHG geförderten Grundwassers im allgemeinen und unter den konkreten Bedingungen des vorliegenden Nutzungskonflikts im besonderen schutzwürdig ist und welche Nachteile insoweit von der Klägerin, die über einen Anschluß an das öffentliche Wasserversorgungsnetz verfügt und ihrerseits Rücksicht auf die schutzwürdigen Belange des Beigeladenen zu nehmen hat, hinzunehmen sind. Außerdem ist nicht zu entscheiden, ob die von der Klägerin befürchteten nachteiligen Wirkungen der Verrieselung des Abwassers nicht nur denkbar, sondern nach Lage der Dinge konkret voraussehbar und mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten sind.
36Denn unabhängig von alledem verdient die Grundwasserförderung der Klägerin deshalb keinen Schutz, weil sie bezogen auf den für die Entscheidung des Gerichts maßgeblichen Zeitpunkt dem ortsrechtlichen Benutzungszwang zuwiderläuft. Ausschlaggebend für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage sind die Verhältnisse im Zeitpunkt des Abschlusses des Verwaltungsverfahrens. In die von ihr zu treffende Ermessensentscheidung kann die Behörde notwendigerweise nur diejenigen Gegebenheiten einbeziehen, die im Zeitpunkt ihrer Entscheidung überhaupt objektiv vorliegen; später eintretende Umstände sind, sofern diesbezüglich keine prognostische Abschätzung veranlaßt ist, einer Berücksichtigung naturgemäß von vornherein entzogen. Nach § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO ist Gegenstand der Anfechtungsklage der Verwaltungsakt in der Gestalt des Widerspruchsbescheides. Das hat zur Folge, daß die Widerspruchsbehörde dem Verwaltungsakt auch hinsichtlich seiner Begründung einschließlich der Darlegung der die Ermessensausübung tragenden Gesichtspunkte die endgültige Gestalt verleiht. Das bedeutet, daß jedenfalls die nach Beendigung des Widerspruchsverfahrens eintretenden Veränderungen der Sach- und/oder Rechtslage sich bei der gerichtlichen Prüfung nicht zu Lasten desjenigen auswirken können, dem die von dem Drittbetroffenen angefochtene Erlaubnis - auf der Grundlage der seinerzeitigen behördlichen Erkenntnismöglichkeiten zu Recht - erteilt worden ist.
37Vgl. BVerwG, Beschluß vom 30. November 1993 - 7 B 91.93 -; Urteil vom 15. Juli 1987 - 4 C 56.83 - a.a.O..
38Dementsprechend kommt es hier entscheidend spätestens auf die Umstände an, die bei Erlaß des Widerspruchsbescheides vom 20. Juli 1994 zum Änderungsbescheid vom 7. Februar 1994 gegeben waren. Unentschieden kann bleiben, ob auch auf den früheren Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides vom 7. Juli 1993 abgestellt werden könnte, weil die durch den Änderungsbescheid vom 7. Februar 1994 verfügten Regelungen sich ausschließlich zugunsten der Klägerin auswirken können und die von der Klägerin gesehene Beeinträchtigung des Grundwassers nur von der unter dem 3. August 1992 ausgesprochenen Zulassung der Grundwasserbenutzung ausgehen kann, nicht aber von der nachträglich beigefügten Befristung der Erlaubnis sowie der Pflicht des Beigeladenen, zum Abfangen des Schichtwassers eine Drainanlage zu erstellen.
39Bis einschließlich Juli 1994 - und darüber hinaus - war die Klägerin gemäß § 6 der Wasserversorgungssatzung der Gemeinde S. vom 17. Februar 1982 in der Fassung des ersten Nachtrages vom 18. Dezember 1985 verpflichtet, den gesamten auf dem Grundstück bestehenden Bedarf an Wasser ausschließlich aus der öffentlichen Wasserversorgungsanlage zu decken. Diese Pflicht erstreckt sich nicht nur auf das Wohnhaus der Klägerin, sondern auf ihren gesamten mit diesem zusammenhängenden Grundbesitz (§ 2 Abs. 1 Wasserversorgungssatzung). Das in den Brunnen geförderte Grundwasser konnte die Klägerin deshalb rechtmäßig nicht verwenden, und zwar auch nicht als Betriebswasser (§ 3 Abs. 1 Wasserversorgungssatzung). Die Zugriffsmöglichkeit auf das Grundwasser war an sich durch § 33 Abs. 1 WHG eröffnet, durfte aber dennoch nicht ausgeübt werden, weil ein Gebrauch des geförderten Grundwassers zu einem der in § 33 Abs. 1 WHG genannten Zwecke durch die umfassende Benutzungspflicht der öffentlichen Wasserversorgungsanlage ausgeschlossen war. Das schließt eine rechtmäßige Grundwasserförderung aus, weil § 33 Abs. 1 WHG eine Grundwasserbenutzung ausschließlich für bestimmte Verwendungszwecke zuläßt, wohingegen eine diesen Zwecken nicht unterfallende, vor allem auch eine sinnlose Grundwasserförderung untersagt bleibt.
40Die Wirksamkeit und rechtliche Verbindlichkeit des Benutzungszwanges unterliegen keinen Zweifeln. Der im öffentlichen Interesse der Wahrung der Volksgesundheit (§ 19 der Gemeindeordnung a.F., § 9 der Gemeindeordnung n.F.) durch Ortssatzung begründete Zwang, eine öffentliche Wasserversorgungsanlage bei vorhandenem Anschluß zu benutzen, bedeutet für den betroffenen Grundstückseigentümer grundsätzlich keine Verletzung von Grundrechten. Namentlich stellt der Benutzungszwang auch dann, wenn der Wasserbedarf zuvor aus einer Eigenanlage gedeckt worden ist, keine Enteignung dar, sondern eine wegen der Sozialbindung des Eigentums unbedenkliche Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums.
41Vgl. BVerwG, Beschluß vom 12. Januar 1988 - 7 B 55.87 -, Buchholz 11 Art. 14 GG Nr. 239; Beschluß vom 15. Oktober 1984 - 7 B 27.84 -, Buchholz 11 Art. 14 GG Nr. 226; OVG NW, Beschluß vom 27. Januar 1995 - 22 A 3003/93 -.
42Das gilt auch hinsichtlich der Versorgung mit Betriebswasser. Sofern diesbezüglich im Einzelfall Gründe der Volksgesundheit eine Bedarfsdeckung aus der öffentlichen Wasserversorgungsanlage nicht erfordern, kann dem dadurch hinreichend Genüge getan werden, daß der Wasserbezug unter Ausschöpfung der satzungsmäßig zugestandenen Möglichkeit der Befreiung vom Benutzungszwang auf einen Teilbereich der Gesamtversorgung - den Trinkwasserbedarf - beschränkt wird.
43Vgl. BVerwG, Beschluß vom 12. Januar 1988 - 7 B 55.87 - a.a.O.; Urteil vom 11. April 1986 - 7 C 50.83 -, Buchholz 415.1 AllgKommR Nr. 58; OVG NW, Urteil vom 25. Januar 1989 - 22 A 1249/86 -, DÖV 1990, 151.
44Dem wird die Wasserversorgungssatzung der Gemeinde S. mit ihrem § 7 gerecht. § 7 Abs. 1 Wasserversorgungssatzung sieht vor, daß der Grundstückseigentümer von der Verpflichtung zur Benutzung auf Antrag befreit wird, wenn ihm die Benutzung aus besonderen Gründen nicht zugemutet werden kann. Außerdem kann nach § 7 Abs. 2 Wasserversorgungssatzung der Bezug des Wassers aus der öffentlichen Anlage auf einen vom Grundstückseigentümer gewünschten Verbrauchszweck oder auf einen Teilbedarf beschränkt werden. Die letztere Regelung entspricht den bundesrechtlichen Anforderungen aus §§ 3 Abs. 1, 35 der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Versorgung mit Wasser (AVBWasserV), die einen angemessenen Ausgleich zwischen den Interessen des Versorgungsträgers und denjenigen des einzelnen Verbrauchers herbeiführen sollen. Der Ortsgesetzgeber ist auch nicht gehindert, die Befreiung bzw. Bezugsbeschränkung - wie hier gemäß § 7 Abs. 3 Wasserversorgungssatzung - von einem Antrag des Grundstückseigentümers abhängig zu machen und sich so die Prüfung vorzubehalten, ob hinreichende Gründe in den individuellen Verhältnissen des Grundstückseigentümers es rechtfertigen, von der Verpflichtung zur umfassenden Benutzung der gemeindlichen Wasserversorgungsanlage abzusehen. Das Antragsverfahren gewährleistet, daß einerseits der Benutzungszwang tatsächlich greift und seine Beachtung nicht entgegen seinem Sinn und Zweck dem Belieben des einzelnen Grundstückseigentümers überantwortet wird, daß andererseits aber auch das Interesse des Grundstückseigentümers, nur im Rahmen des jeweils Zuzumutenden und Angemessenen verpflichtet zu sein, gewahrt bleibt. Der Grundstückseigentümer ist ohne Schwierigkeiten in der Lage, um die Befreiung bzw. die Beschränkung des Wasserbezuges nachzusuchen und hierzu die ihn betreffenden und in seiner Sphäre wurzelnden Tatsachen sowie Nutzungsabsichten darzulegen; ihn vor einer anderweitigen Bedarfsdeckung auf einen vorherigen Antrag zu verweisen, ist Ausdruck sachgerechter Ausgestaltung des Benutzungszwanges und für ihn nicht mit nennenswerten oder gar unverhältnismäßigen Nachteilen verbunden.
45Einen solchen Antrag in der durch § 7 Abs. 3 Wasserversorgungssatzung gebotenen Form hat die Klägerin erstmals während des Klageverfahrens an die Gemeinde S. gerichtet. Die Gemeinde hat die Klägerin auf ihren Antrag von August 1995 im Dezember 1995 vom Benutzungszwang hinsichtlich des Brauchwassers befreit, nachdem sie zuvor im Mai 1995 die Absicht geäußert hatte, bis auf weiteres gegen die Grundwasserentnahme nichts einzuwenden. Bezogen auf den entscheidungserheblichen Zeitpunkt Juli 1994 ist daher allenfalls in Erwägung zu ziehen, ob schon der bloße - gegenüber der Gemeinde S. noch nicht formgerecht geltend gemachte - Anspruch auf Befreiung bzw. Bezugsbeschränkung oder aber der Umstand den Benutzungszwang entfallen ließen, daß die Gemeinde gegen die Grundwasserentnahme in der Vergangenheit nicht eingeschritten ist. Das ist nicht der Fall; beide Gesichtspunkte verhelfen der Grundwasserförderung der Klägerin im maßgeblichen Verhältnis zu den Belangen des Beigeladenen nicht zur Schutzwürdigkeit. § 6 Wasserversorgungssatzung begründet die Pflicht zur umfassenden Bedarfsdeckung aus dem gemeindlichen Versorgungsnetz unmittelbar und uneingeschränkt. Eine zusätzliche Inanspruchnahme des Grundstückseigentümers durch einen Verwaltungsakt zur Umsetzung der Satzung ist weder in der Satzung vorgesehen noch zur Begründung der Pflicht erforderlich. Die "großzügige Handhabung" der Satzung seitens der Gemeinde in der Weise, daß keine Maßnahmen zur Durchsetzung des durch die Satzung angeordneten Verhaltens ergriffen worden sind, läßt das Bestehen der Pflicht unberührt. § 7 Wasserversorgungssatzung regelt die Ausnahmevoraussetzungen, unter denen die durch § 6 Wasserversorgungssatzung statuierte Pflicht entfallen kann, inhaltlich und verfahrensmäßig dahin, daß die Gemeinde über einen zu begründenden schriftlichen Antrag des Grundstückseigentümers zu befinden hat. Auch wenn der Gemeinde bei ihrer Entscheidung kein Ermessensspielraum zustehen mag, sondern aus § 7 Abs. 1 und 2 Wasserversorgungssatzung ein strikter Rechtsanspruch des Grundstückseigentümers abgeleitet werden kann, bleibt der Grundstückseigentümer bis zur positiven Bescheidung des Antrages sowohl formell als auch materiell durch § 6 Wasserversorgungssatzung verpflichtet. Die Befreiung bzw. Bezugsbeschränkung heben nicht allein ein formelles Hindernis auf, das der Ausübung einer materiell- rechtlich schon zustehenden Befugnis entgegensteht, sondern verschaffen dem Grundstückseigentümer eine ihm materiell- rechtlich zuvor nicht zukommende Rechtsposition. Sowohl die Befreiung als auch die Bezugsbeschränkung gestatten aufgrund atypischer Besonderheiten des Einzelfalles das generell untersagte Verhalten, den Wasserbedarf anders als mittels der gemeindlichen Wasserversorgungsanlage zu decken. Das Grundwasser unterliegt zudem einer vom Grundstückseigentum abgelösten öffentlich-rechtlichen Benutzungsordnung; die Zugriffsbefugnis auf das Grundwasser wird, von alten Rechten und Befugnissen im Sinne der §§ 15 ff. WHG abgesehen, ausschließlich durch einen gesonderten behördlichen Gestattungsakt gewährt. Im Bereich der erlaubnisfreien Benutzung gemäß § 33 Abs. 1 WHG wird diese Rechtsgewährung u.a. durch die Bestimmungen über den kommunalrechtlichen Benutzungszwang gesteuert.
46Der von der Klägerin geltend gemachten langjährigen Duldung des Einsatzes ihrer Eigenwasserbrunnen zur Bedarfsdeckung kommt keine Gestattungswirkung zu. Abgesehen davon, daß §§ 6, 7 Wasserversorgungssatzung insoweit eine unmißverständliche und auch für die Gemeinde S. verbindliche Regelung enthalten, was die Gemeinde S. , wie die Behandlung des Befreiungsantrages der Klägerin zeigt, auch so versteht, kommt lediglich in Betracht, daß die Gemeinde etwa aus Gründen der Opportunität vorläufig und ohne Rechtsverbindlichkeit für die Zukunft davon abgesehen hat, gegen die Außerachtlassung der Benutzungspflicht einzuschreiten. Das ohne die satzungsmäßig vorgeschriebene Einzelfallprüfung praktizierte Absehen von der Beachtung des Benutzungszwanges hinsichtlich der Betriebswasserversorgung ist nicht mehr als eine von der Gemeinde pauschal gewährte Gelegenheit, sich entsprechend den jeweiligen Grundwasserverhältnissen anderweitig Wasser zu beschaffen, beinhaltet aber nicht die rechtserhebliche Erklärung der Gemeinde, die Situation sei rechtmäßig; vielmehr ist eine derartige Verfahrensweise Ausdruck und Verdeutlichung fortdauernder - lediglich nicht beanstandeter - Rechtswidrigkeit. Bis zur förmlichen Freistellung vom Benutzungszwang kann die Wasserbehörde hinsichtlich der im wasserrechtlichen Nachbarschaftsverhältnis einander gegenüberstehenden privaten Interessen mehrerer Grundwasserbenutzer davon ausgehen, daß auch der Betriebswasserbedarf eines möglichen Drittbetroffenen aus dem gemeindlichen Versorgungsnetz befriedigt wird.
47Hat die Klägerin daher mangels eines für die Ermessensausübung erheblichen schutzwürdigen Belanges keinen subjektiven Anspruch auf Rücksichtnahme, verletzt es ihre Rechte nicht, daß die Widerspruchsbehörde zugrundegelegt hat, die für die Erteilung der wasserrechtlichen Erlaubnis einschlägigen Vorschriften dienten nicht auch dem Schutz der Klägerin. Auf die von den Beteiligten erörterten Fragen zu § 44 a LWG a.F. kommt es hiernach nicht an.
48Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO. Bei notwendiger Beiladung - wie hier - entspricht es regelmäßig der Billigkeit, die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen der unterliegenden Partei unabhängig davon aufzuerlegen, ob sich der Beigeladene einem eigenen Kostenrisiko ausgesetzt hat. Die erstinstanzliche Kostenentscheidung ist deshalb insoweit von Amts wegen zu ändern.
49Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen der §§ 132 Abs. 2, 137 Abs. 1 VwGO nicht vorliegen.
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