Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 10 A 490/96
Tenor
Das Berufungsverfahren wird eingestellt, soweit der Beklagte seine Berufung gegen das angefochtene Urteil zurückgenommen hat.
Die Berufung der Beigeladenen zu 2. wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens, soweit diese bis zur Berufungsrücknahme des Beklagten angefallen sind, tragen die Beigeladenen zu 2. als Gesamtschuldner und der Beklagte jeweils zur Hälfte; die weiteren Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Beigeladenen zu 2. als Gesamtschuldner. Dabei tragen die Beigeladenen zu 2. und der Beklagte ihre eigenen außergerichtlichen Kosten jeweils selbst. Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu 1. und der Beigeladenen zu 3. sind nicht erstattungsfähig.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 15.000,- DM festgesetzt.
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G r ü n d e :
2I.
3Die Kläger sind Miteigentümer der Wohnungseigentumsanlage X. Straße 134 in Gelsenkirchen. Die Beigeladenen sind Miteigentümer des Nachbargrundstücks X1. Straße 136. Aufgrund einer Baugenehmigung aus dem Jahre 1905 wurde auf dem Grundstück X1. Straße 136 ein Wohn- und Geschäftshaus mit einem saalartigen Anbau errichtet. Dieser saalartige Anbau wurde im Jahre 1910 zu einem Kino umgebaut, dessen Wiedererrichtung nach Kriegszerstörung der Beklagte durch Bauschein vom 5. Mai 1958 genehmigte. Das Kino wurde jedenfalls seit Anfang 1967 nicht mehr betrieben. Der saalartige Anbau wurde zeitweise zur Lagerung von Spielgeräten genutzt und stand seit Ende 1979 - ebenso wie offenbar später das gesamte Gebäude - leer.
4Durch Bescheid vom 16. Dezember 1987 genehmigte der Beklagte den Umbau eines Teils des ehemaligen Kinoraumes in insgesamt drei Wohneinheiten. Im vorderen Teil des Erdgeschosses war zu diesem Zeitpunkt eine Spielhalle eingerichtet. Nach den mitgenehmigten Bauvorlagen war im Erdgeschoß in der Grenzwand zum Grundstück X1. Straße 134 je ein Fenster für die Erdgeschoßwohnung und für die Spielhalle vorgesehen. Durch Nachtragsgenehmigung vom 19. Oktober 1989 genehmigte der Beklagte die Zusammenlegung von ursprünglich zwei vorgesehenen Wohneinheiten im Obergeschoß zu einer Wohnung sowie eine Veränderung des Zugangs zu den Wohnungen und dadurch bedingte bauliche Änderungen im Innenraum der Spielhalle. Die genehmigten Bauvorlagen enthalten wiederum die beiden Fenster in der Grenzwand zum Grundstück der Kläger.
5Die Kläger erhoben Widerspruch sowohl gegen die Baugenehmigung vom 16. Dezember 1987 als auch gegen die Nachtragsbaugenehmigung vom 19. Oktober 1989. Sie machten geltend: Die Fenster in der Grenzwand seien unzulässig. Sie genössen keinen Bestandsschutz. Vor dem Umbau des Gebäudes seien an dieser Stelle eine Laderampe und ein Vorhaus mit Toiletten vorhanden gewesen. Diese seien im Zuge der Umbaumaßnahmen beseitigt worden.
6Nach Zurückweisung ihrer Widersprüche haben die Kläger mit dem Antrag Klage erhoben,
7die Baugenehmigung des Beklagten vom 16. Dezember 1987 und die Nachtragsbaugenehmigung vom 17. Oktober 1989 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Münster vom 6. April 1993 aufzuheben.
8Der Beklagte hat beantragt,
9die Klage abzuweisen.
10Die Beigeladenen haben keinen Antrag gestellt.
11Das Verwaltungsgericht hat der Klage durch das angefochtene Urteil stattgegeben und die Baugenehmigung des Beklagten vom 16. Dezember 1987 sowie die Nachtragsbaugenehmigung vom 17. Oktober 1989 aufgehoben.
12Gegen dieses Urteil haben der Beklagte und die Beigeladenen zu 2. Berufung eingelegt.
13Der Beklagte hat seine Berufung zurückgenommen.
14Die Beigeladenen zu 2. beantragen sinngemäß,
15das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.
16Sie sind der Auffassung, die streitigen Fenster genössen Bestandsschutz. Die anderweitige Nutzung des Objekts habe sich unter dem Gesichtspunkt des Brandschutzes sich nicht zum Nachteil der Kläger verschlechtert.
17Die Kläger beantragen,
18die Berufung zurückzuweisen.
19Sie halten das angefochtene Urteil für zutreffend.
20Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Verwaltungsvorgänge des Beklagten und des Widerspruchsvorgangs des Regierungspräsidenten Münster.
21II.
22Soweit der Beklagte seine Berufung zurückgenommen hat, war das Verfahren gemäß § 125 Abs. 1, § 92 Abs. 2 Satz 1 VwGO einzustellen.
23Im übrigen entscheidet der Senat gemäß § 130a Satz 1 VwGO über die Berufung durch Beschluß, weil er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind hierzu gemäß § 130a Satz 2, § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO gehört worden.
24Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben. Die Baugenehmigung des Beklagten vom 16. Dezember 1987 in der Fassung der Nachtragsbaugenehmigung vom 17. Oktober 1989 und der Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidenten Münster vom 6. April 1993 sind rechtswidrig und verletzen die Kläger in ihren eigenen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Beklagte hat mit der Erteilung dieser Baugenehmigung gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften verstoßen, die zugleich den Interessen der Kläger als Nachbarn zu dienen bestimmt sind.
25Das genehmigte Vorhaben ist bauordnungsrechtlich unzulässig. Es verstößt gegen § 27 Abs. 3 BauO NW 1984, der bei Erteilung der Baugenehmigung noch galt. Nach dieser Vorschrift sind Öffnungen in Gebäudeabschlußwänden unzulässig. Die streitigen Fenster befinden sich in einer Gebäudeabschlußwand. Gebäudeabschlußwände sind nach § 27 Abs. 1 Nr. 1 BauO NW 1984 bei Gebäuden herzustellen, die weniger als 2,5 m von der Nachbargrenze entfernt errichtet werden. Das Wohn- und Geschäftshaus X1. Straße 136 ist mit seinem rückwärtigen Anbau an die Grenze zum Nachbargrundstück X1. Straße 134 errichtet worden. § 27 Abs. 3 BauO NW 1984 bezweckt auch den Schutz des Grundstücksnachbarn.
26Die Rechtslage hat sich durch die Bauordnung für das Land Nordrhein-Westfalen vom 7. März 1995 nicht zugunsten der Beigeladenen geändert. § 31 Abs. 3 und Abs. 1 Nr. 1 BauO NW 1995 stimmen wörtlich mit § 27 Abs. 3 und Abs. 1 Nr. 1 BauO NW 1984 überein.
27Die Beigeladenen können sich gegenüber der Anwendung dieser Vorschriften nicht auf Bestandsschutz berufen. Ihr Vorhaben ist vielmehr uneingeschränkt nach den Vorschriften zu beurteilen, die bei Erteilung der Baugenehmigung galten bzw. jetzt gelten. Dafür ist unerheblich, ob die jetzt genehmigte Nutzung des Objekts zu Wohnzwecken unter dem Gesichtspunkt des Brandschutzes keine höheren Gefahren für das Nachbargrundstück mit sich bringt als die frühere Nutzung als Kino. In der Rechtsprechung ist zwar für das Abstandflächenrecht entschieden, die Nutzungsänderung eines bestehenden Gebäudes, das die zur Zeit der Nutzungsänderung maßgebenden Abstandflächen nicht einhalte, werfe die Genehmigungsfrage auch im Hinblick auf die Abstandvorschriften (nur dann) neu auf, wenn die Nutzungsänderung vom Bestandsschutz nicht mehr gedeckt sei und auf wenigstens einen durch die Abstandvorschriften geschützten Belang nachteiligere Auswirkungen als die bisherige Nutzung habe
28vgl. OVG NW, Urteil vom 13. Juli 1988 - 7 A 2897/86 - BRS 48 Nr. 139.
29Diese Rechtsprechung beschränkt bei bestandgeschützter Nutzung den Durchgriff auf das jetzt geltende Recht aus Anlaß von Nutzungsänderungen. Sie ist aber von Bedeutung nur für den Fall, daß der Bauherr von einer bestandgeschützten Nutzung zu einer anderen Nutzung übergeht. Hier war genehmigt und damit bestandgeschützt nur eine Nutzung der in Rede stehenden Gebäudeteile als Kino. Diese Nutzung ist bereits Ende der sechziger Jahre endgültig aufgegeben worden. Der Bestandsschutz war damit weggefallen. Unabhängig von der hier in Rede stehenden Nutzungsänderung und den damit einhergehenden Umbauten an dem Gebäude genoß dieses keinen Bestandsschutz mehr.
30Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 155 Abs. 2, § 159 Satz 2, § 162 Abs. 3 VwGO, der Ausspruch über ihre vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO, § 708 Nr. 10, § 711, § 713 ZPO.
31Die Revision war nicht zuzulassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen (vgl. § 130a Satz 2, § 125 Abs. 2 Satz 4, § 132, § 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO).
32Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.
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