Urteil vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 7 A 310/95
Tenor
Das angefochtene Urteil wird geändert.
Der Beklagte wird unter Aufhebung seines Bescheides vom 9. Juni 1993 und des Widerspruchsbescheides des Regierungspräsidenten B. vom 16. August 1993 verpflichtet, dem Kläger eine Ausnahmegenehmigung nach § 4 Abs. 1 der Landschaftsschutzverordnung - Rothaargebirge - für die Anlegung einer Weihnachtsbaumkultur auf dem Grundstück Gemarkung C. , Flur 9 Flurstück 186 zu erteilen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand:
2Hinsichtlich des Sachverhalts wird gemäß § 130b Satz 1 VwGO in der Fassung des Gesetzes vom 1. November 1996 (BGBl. I S. 1626) - VwGO n.F. - auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils verwiesen. Ergänzend ist folgendes auszuführen:
3Gegen das am 9. Dezember 1994 zugestellte, klageabweisende Urteil des Verwaltungsgerichts vom 23. November 1994 hat der Kläger am 4. Januar 1995 Berufung eingelegt, zu deren Begründung er sein bisheriges Vorbringen ergänzt und vertieft.
4Der Kläger beantragt,
5das angefochtene Urteil zu ändern und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 9. Juni 1993 und des Widerspruchsbescheides des Regierungspräsidenten B. vom 16. August 1993 zu verpflichten, ihm eine Ausnahmegenehmigung nach § 4 Abs. 1 der Landschaftsschutzverordnung - Rothaargebirge -, hilfsweise eine Befreiung nach § 4 Abs. 2 dieser Verordnung in Verbindung mit § 69 Abs. 1 des Landschaftsgesetzes, für die Anlegung einer Weihnachtsbaumkultur auf dem Grundstück Gemarkung C. , Flur 9, Flurstück 186, zu erteilen.
6Der Beklagte beantragt,
7die Berufung zurückzuweisen.
8Er tritt dem Vorbringen des Klägers im wesentlichen unter Ergänzung und Vertiefung seines bisherigen Vorbringens entgegen.
9Gemäß Beweisbeschluß vom 7. August 1996 hat der Berichterstatter des Senats am 17. September 1996 eine Ortsbesichtigung durchgeführt, hinsichtlich deren Ergebnisses auf die darüber gefertigte Niederschrift verwiesen wird.
10Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte, der vom Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgänge, Pläne und Lichtbilder sowie des Widerspruchsvorgangs des Regierungspräsidenten B. Bezug genommen.
11Entscheidungsgründe:
12Der Senat konnte gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten übereinstimmend auf eine solche verzichtet haben.
13Die zulässige Berufung ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Der Kläger hat einen Rechtsanspruch auf Erteilung einer Ausnahme nach § 4 Abs. 1 der Landschaftsschutzverordnung "Rothaargebirge" für die Anlage einer Weihnachtsbaumkultur auf der strittigen Fläche.
14Zutreffend ist das Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Urteil, auf dessen Gründe insoweit gemäß § 130b Satz 2 VwGO n.F. verwiesen werden kann, davon ausgegangen, daß die auch das Grundstück des Klägers erfassende Landschaftsschutzverordnung - Rothaargebirge - (LSVO) wirksam ist und gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 7 LSVO die Neuanlage einer Weihnachtsbaumkultur daher dort verboten ist. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts liegen die Voraussetzungen für die Erteilung einer Ausnahme nach § 4 Abs. 1 Satz 1 LSVO jedoch vor. Hiernach ist eine Ausnahme zuzulassen, wenn die beabsichtigte Handlung mit dem Schutzzweck nach § 1 der Verordnung zu vereinbaren ist. Das ist hier der Fall.
15Soweit des Schutzgebiet nach § 1 LSVO "zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts" unter Landschaftsschutz gestellt worden ist, geht es darum, im betroffenen Landschaftsraum das dort vorhandene komplexe Wirkungsgefüge des Naturhaushalts mit seinen natürlichen Faktoren - Boden, Wasser, Luft, Klima, Pflanzen- und Tierwelt - vor nachteiligen Veränderungen durch beeinträchtigende Handlungen zu schützen.
16Vgl.: OVG NW, Urteil vom 4. Juli 1996 - 7 A 4193/93 - unter Bezugnahme auf OVG NW, Beschluß vom 15. August 1994 - 7 A 2883/92 - NWVBl. 1995, 323 m.w.N.
17Dafür, daß die Umwandlung der bislang hier gegebenen Grünlandfläche mit ihrer Länge von etwas über 250 m und ihrer Breite von nur rd. 20 bis 40 m, die einerseits durch Fichtenhochwald und andererseits durch eine Straße begrenzt wird, in eine Weihnachtsbaumkultur dieses Wirkungsgefüge nachteilig beeinflussen wird, trägt der Beklagte selbst keine konkreten Anhaltspunkte vor. Der pauschale Hinweis des Beklagten im Schriftsatz vom 11. Oktober 1993, der ökologische Wert einer Weihnachtsbaumkultur sei gemessen an dem Wert der Freiflächen von untergeordneter Bedeutung, reicht - sofern er überhaupt zutrifft - in seiner generalisierenden Betrachtungsweise nicht aus, eine konkrete nachteilige Beeinflussung des hier in Rede stehenden Wirkungsgefüges des Naturhaushalts zu belegen. Auch im übrigen sind relevante Beeinträchtigungen unter diesem Aspekt nicht ansatzweise erkennbar.
18Hinsichtlich des Schutzzwecks "Vielfalt, Eigenart oder Schönheit des Landschaftsbilds" geht es um die Wirkungen der landschaftsprägenden Elemente auf den Menschen.
19Vgl.: OVG NW, Urteil vom 4. Juli 1996 - 7 A 4193/93 -.
20Das Schutzgut "Landschaftsbild" ist nämlich kein Wert an sich, sondern in seiner Wertigkeit nur definiert in der wertenden Betrachtung durch den Menschen, auf den es einwirkt und der es wahrnimmt.
21Vgl.: OVG NW, Urteil vom 29. Mai 1995 - 7 A 1873/93 -.
22Insoweit ist der naturschutzrechtliche Ausdruck "Landschaftsbild" allerdings höchstrichterlich noch nicht abschließend geklärt.
23Vgl.: BVerwG, Beschluß vom 4. Oktober 1994 - 4 B 196.94 - Buchholz 406.401 Nr. 14 zu § 8 BNatSchG.
24Anerkannt ist jedoch, daß das naturschutzrechtliche Schutzgut des Landschaftsbildes maßgeblich durch die - hier allein relevanten - optischen Eindrücke für einen Betrachter, d.h. die mit dem Auge wahrnehmbaren Zusammenhänge von einzelnen Landschaftselementen bestimmt wird.
25Vgl.: BVerwG, Urteil vom 27. September 1990 - 4 C 44.87 - BVerwGE 85, 348 (359).
26Dabei sind alle tatsächlich vorhandenen Elemente des Landschaftsbildes von Bedeutung, die dieses unter den Aspekten Vielfalt, Eigenart oder Schönheit mitprägen.
27Vgl.: OVG NW, Urteil vom 4. Juli 1996 - 7 A 4193/93 -.
28Eine Beeinträchtigung des insoweit gegebenen Landschaftsbilds durch die Anlage der strittigen Weihnachtsbaumkultur läßt sich nach dem vom Berichterstatter des Senats gewonnenen Eindruck in der Örtlichkeit, den dieser dem Senat vermittelt hat und der durch die zahlreichen dem Senat vorliegenden Lichtbilder von unterschiedlichen Standorten verdeutlicht wird, nicht feststellen.
29Insoweit gehen der Beklagte und ihm folgend die Widerspruchsbehörde und das Verwaltungsgericht schon vom Ansatz her unzutreffend davon aus, daß der vorhandene Fichtenhochwald, der sich südlich der Antragsfläche über die gesamte Länge des Flurstücks 186 hinzieht und dem die Weihnachtsbaumkultur im Norden - zur Straße nach G. bach hin - vorgelagert werden soll, bereits ein störendes Landschaftselement ist, dessen negative Wirkung durch das Vorhaben des Klägers verstärkt würde. Zum einen sind bei der hier vorzunehmenden Wertung alle tatsächlich vorhandenen prägenden Landschaftselemente zu berücksichtigen, unabhängig davon, ob sie aus der Sicht eines Betrachters, dem ein - stets nur subjektives - Idealbild einer Landschaft vorschwebt, generell bzw. jedenfalls an dem betroffenen Standort wünschenswert erscheinen. Zum anderen gehört Fichtenhochwald seit Jahrzehnten, wenn nicht seit Generationen, geradezu zu den klassischen landschaftsprägenden Elementen im Sauerland einschließlich des hier betroffenen Rothaargebirges. Daß diese Fichtenmonokulturen, wie im übrigen nahezu alle landschaftsprägenden Elemente in der Bundesrepublik Deutschland, letztlich das Produkt menschlichen Wirkens in der freien Natur sind, rechtfertigt es nicht, sie im Rahmen der bewertenden Betrachtung als störende Elemente gleichsam von vornherein auszublenden.
30Wie aus den hiernach maßgeblichen tatsächlichen Gegebenheiten folgt, ist der im vorliegen betroffene Landschaftsraum nicht etwa - wie es andernorts im Sauerland der Fall sein mag - durch bewaldete Hänge und Kuppen einerseits und als Grünland genutzte, freie Täler andererseits gekennzeichnet. Der östlich des Gehöfts G. bach gelegene Bereich weist vielmehr nur bis zu dem südwestlich der Antragsfläche gelegenen Teich beiderseits des Bachlaufs weit offene, überwiegend als Grünland und teilweise als Acker genutzte Freiflächen auf. Im weiteren Verlauf schiebt sich der vorerwähnte Fichtenhochwald auf dem Flurstück 186 dicht an den G. bach heran, an den auch von Süden her Hochwald heranrückt. Die parallel zum Antragsgrundstück verlaufende, nur noch schmale offene Talsohle ist damit bei einem weiträumigen Blick von Westen wie auch von Norden durch Hochwald verdeckt. Die Antragsfläche erscheint damit zwar noch den weiter nördlich gelegenen Freiflächen zugehörig, hat jedoch keine optisch wahrnehmbare Zuordnung zu der parallel zu ihr verlaufenden Sohle des G. mehr.
31Dieser Wertung steht nicht entgegen, daß bei einem Blick von dem westlich des Gehöfts G. oberhalb des Tals verlaufenden Weg (Lichtbilder "Standort 5" der Beiakte Heft 3) die breite Freifläche mit dem Antragsgrundstück optisch noch als mit dem weiter östlich gelegenen offenen Bereich des G. verbunden erscheint. Dieser "Durchblick", der den Eindruck einer zusammengehörigen Tallage vermittelt, ist nur vorübergehend gegeben und wird in absehbarer Zeit unterbunden. Er beruht lediglich darauf, daß der Fichtenhochwald, der die Waldfläche unmittelbar südlich der Antragsfläche über die Straße hinweg mit den weiter nordöstlich gelegenen ausgedehnten Waldflächen verbunden hatte, 1990 durch Sturmeinwirkungen zerstört wurde; eine Wiederaufforstung dieses Bereichs ist jedoch bereits erfolgt, so daß der genannten "Durchblick" mit Weiterwachsen der Aufforstung unterbunden sein wird.
32Bei dieser Sachlage wird sich die strittige Weihnachtsbaumkultur nur zwischen den bereits vorhandenen Fichtenhochwald und die lediglich 20 bis 40 m hiervon entfernte Straße schieben. Eine nennenswerte Beeinträchtigung der optischen Wirksamkeit der breiten, östlich des Gehöfts G. gelegenen Freifläche ist hiernach nicht zu erwarten.
33Eine Beeinträchtigung des Landschaftsbilds ist auch nicht deshalb zu erwarten, weil die besondere Wirkung des unter landschaftsästhetischen Gesichtspunkten schützenswerten alleeartigen Laubbaumbestands beiderseits der Straße nach G. in beachtlicher Weise beeinträchtigt würde. Betroffen sind ohnehin nur einige wenige Bäume an der Südseite der Straße, hinter denen auch derzeit bereits der Fichtenhochwald als Zäsur in Erscheinung tritt. Im übrigen werden diese Bäume angesichts der - relativ - geringen Höhe, die die anzupflanzenden Weihnachtsbäume erreichen werden, auch künftig noch als landschaftsprägende Elemente in Erscheinung treten.
34Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts brächte eine Zulassung der strittigen Weihnachtsbaumkultur auch nicht etwa die Gefahr mit sich, daß die vorhandenen Freiflächen im G. langfristig zu großen Teilen oder gar gänzlich verloren gingen. Für das Grünland, das sich südlich des auf dem Flurstück 186 befindlichen Fichtenhochwalds unmittelbar neben dem G. befindet, vermag die strittige Kultur keine Vorbildwirkung zu entfalten. Im übrigen wird bei eventuellen Anträgen für die Freifläche östlich des Gehöfts G. von Bedeutung sein, inwieweit diese bei weiteren Umnutzungen noch ihren Charakter als weit offene Freifläche behalten und ob ggf. die landschaftsprägende Wirkung des alleeartigen Laubbaumbestands in beachtlicher Weise beeinträchtigt würde.
35Soweit des Gebiet schließlich "wegen der besonderen Bedeutung für die Erholung" unter Landschaftsschutz gestellt wurde, ist eine Beeinträchtigung dieses Schutzzwecks durch die Anlage der strittigen Weihnachtsbaumkultur ebenfalls auch nicht ansatzweise erkennbar.
36Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
37Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 und 713 ZPO.
38Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht gegeben sind.
39
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
This content does not contain any references.