Urteil vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 2 A 4874/94
Tenor
Das angefochtene Urteil wird geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge. Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand:
2Der am 17. Februar 1965 in T. , Serbien, geborene Kläger reiste am 28. Oktober 1991 nach Deutschland ein und beantragte seine Aufnahme als Aussiedler und die Verteilung nach der Verteilungsverordnung. Mit Bescheid vom 29. Oktober 1991 lehnte das Bundesverwaltungsamt den Antrag ab. Den Widerspruch des Klägers vom 8. November 1991 wies das Bundesverwaltungsamt durch Widerspruchsbescheid vom 23. Juli 1992 zurück.
3Der Kläger hielt sich im Frühjahr 1992 in C. auf und wohnt jedenfalls seit August 1992 bei seinem Onkel G. T. in L. , Österreich. Er ist mittlerweile mit einer österreichischen Staatsangehörigen verheiratet.
4Mit seiner am 24. August 1992 erhobenen Klage hat der Kläger beantragt,
5die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesverwaltungsamtes vom 29. Oktober 1991 und seines Widerspruchsbescheides vom 23. Juli 1992 zu verpflichten, ihm einen Aufnahmebescheid zu erteilen.
6Die Beklagte hat beantragt,
7die Klage abzuweisen.
8Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
9Das Verwaltungsgericht hat der Klage durch das angefochtene Urteil vom 27. Juli 1994 stattgegeben und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt: § 27 des Bundesvertriebenengesetzes in der seit dem 1. Juli 1990 geltenden Fassung des Aussiedleraufnahmegesetzes sei auf den Kläger, der sich in Österreich und damit weder in Deutschland noch in den Aussiedlungsgebieten aufhalte, analog anzuwenden. Die Voraussetzungen des § 27 Abs. 2 des Bundesvertriebenengesetzes in der genannten Fassung lägen vor. Der Kläger könne sich auf eine besondere Härte berufen, weil ihm unmittelbar vor seiner Ausreise aus Serbien die Einziehung zum Militär gedroht habe. Er sei auch deutscher Volkszugehöriger, weil seine Mutter ihm ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum übermittelt habe.
10Gegen dieses ihr am 14. September 1994 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 7. Oktober 1994 Berufung eingelegt, zu deren Begründung sie vorträgt: Die Erteilung eines Aufnahmebescheides komme schon deshalb nicht in Betracht, weil sich der Kläger entgegen § 27 des Bundesvertriebenengesetzes weder im Bundesgebiet noch im Aussiedlungsgebiet aufhalte. Die Regelung sei abschließend. Im übrigen sei der Kläger auch kein deutscher Volkszugehöriger.
11Die Beklagte beantragt,
12das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.
13Der Kläger beantragt,
14die Berufung zurückzuweisen.
15Er verteidigt das angefochtene Urteil.
16Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
17Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten (zwei Hefte) Bezug genommen.
18Entscheidungsgründe:
19Die Berufung ist begründet. Die Klage ist abzuweisen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung eines Aufnahmebescheides.
20Als Rechtsgrundlage für das Begehren des Klägers kommt nur § 27 des Gesetzes über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge (Bundesvertriebenengesetz - BVFG) in der seit dem 1. Januar 1993 geltenden Fassung der Bekanntmachung vom 2. Juni 1993 (BGBl. I S. 829) in Betracht. Obwohl der Kläger die Aussiedlungsgebiete bereits 1992 verlassen hat, ist auf die seit dem 1. Januar 1993 geltende Rechtslage abzustellen. Denn zu § 27 BVFG, der allerdings - soweit hier maßgeblich - durch das Kriegsfolgenbereinigungsgesetz vom 21. Dezember 1992 (BGBl. I S. 2094) nicht geändert worden ist, existiert keine Übergangsvorschrift, die für diese Fallgestaltung die Anwendung früheren Rechts vorsieht.
21Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. April 1994 - 9 C 343.93 -, DVBl. 1994, 938, wo bei einem Verlassen des Vertreibungsgebiets vor dem 1. Januar 1993 lediglich die Prüfung der "sonstigen Voraussetzungen" im Rahmen des § 27 Abs. 2 BVFG nach der vor dem 1. Januar 1993 geltenden Rechtslage vorgenommen wird.
22Die Voraussetzungen des § 27 BVFG liegen jedoch nicht vor. Nach § 27 Abs. 1 BVFG wird der Aufnahmebescheid Personen mit Wohnsitz in den Aussiedlungsgebieten (vgl. § 4 Abs. 1 iVm § 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG) erteilt. Der Kläger hat seinen Wohnsitz aber nicht mehr in diesen Aussiedlungsgebieten, sondern in Österreich. Nach § 27 Abs. 2 BVFG kann ein Aufnahmebescheid auch Personen erteilt werden, die sich im Geltungsbereich des Gesetzes, d.h. in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Der Kläger hält sich jedoch nicht in der Bundesrepublik Deutschland auf.
23Eine analoge Anwendung des § 27 BVFG auf die vorliegende Fallgestaltung, in der der Aufnahmebewerber das Aufnahmeverfahren weder von den Aussiedlungsgebieten noch von der Bundesrepublik Deutschland, sondern von einem Drittstaat aus betreibt, kommt nicht in Betracht, weil eine Gesetzeslücke, das heißt eine planwidrige Unvollständigkeit der Regelungen des Bundesvertriebenengesetzes,
24vgl. hierzu Achterberg, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2. Auflage 1986, § 17 Rdnr. 46 und 49,
25insoweit nicht vorliegt. Die genannte Fallgestaltung war dem Gesetzgeber bekannt. Hinsichtlich der Ausstellung von Vertriebenenausweisen ist sie so geregelt, daß ein Vertriebener, der sich nach Verlassen des Aussiedlungsgebiets länger als sechs Monate in einem Drittstaat aufgehalten hat, zwar einen Vertriebenenausweis erhält, jedoch zur Inanspruchnahme von Rechten und Vergünstigungen als Vertriebener nicht berechtigt ist (vgl. § 10 Abs. 2 Nr. 2 BVFG in der bis zum 31. Dezember 1992 geltenden Fassung). Diese bereits eingeschränkte Rechtsposition hat der Gesetzgeber nicht beibehalten, sondern in der Weise zu Ungunsten der Aufnahmebewerber weiterentwickelt, daß ein länger als sechs Monate währender Aufenthalt in einem Drittstaat schon den Erwerb des Status als Spätaussiedler ausschließt: Gemäß § 4 Abs. 1 BVFG muß ein Spätaussiedler neben anderen Voraussetzungen die Aussiedlungsgebiete im Wege des Aufnahmeverfahrens verlassen und innerhalb von sechs Monaten im Geltungsbereich des Gesetzes seinen ständigen Aufenthalt nehmen. Das bedeutet, daß der Aufnahmebewerber, obwohl ihm während seines Aufenthaltes im Aussiedlungsgebiet ein Aufnahmebescheid erteilt worden ist, bei einem Aufenthalt in einem Drittstaat für mehr als sechs Monate nicht mehr Spätaussiedler wird. Dem entspricht die nach ihrem Wortlaut eindeutige Regelung in § 27 BVFG, die in Abs. 1 ausdrücklich einen Wohnsitz in den Aussiedlungsgebieten und - als Ausnahmeregelung für Härtefälle - in Abs. 2 ausdrücklich einen Aufenthalt im Geltungsbereich des Gesetzes voraussetzt. In Anknüpfung hieran geht auch § 27 Abs. 1 Satz 4 BVFG davon aus, daß ein Aufnahmeverfahren nicht von einem Drittstaat aus betrieben werden kann, sondern der Aufnahmebewerber nach Ablehnung eines Antrags nach § 27 Abs. 2 BVFG wieder in die Aussiedlungsgebiete zurückkehren muß, um ein Verfahren nach § 27 Abs. 1 BVFG durchzuführen.
26Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht gemäß § 167 VwGO iVm §§ 708 Nr. 10, 711 Satz 1 ZPO.
27Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.
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