Urteil vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 2 A 3264/96
Tenor
Der angefochtene Gerichtsbescheid wird geändert.
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides des Bundesverwaltungsamtes vom 27. August 1993 und seines Widerspruchsbescheides vom 28. April 1994 verpflichtet, der Klägerin einen Aufnahmebescheid zu erteilen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen. Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand:
2Die Klägerin wurde am 21. September 1963 in K. , Temesch, Rumänien, geboren. Ihre Mutter ist die am 21. Dezember 1942 in K. geborene F. T. , geborene C. , ihr Vater der am 21. Juni 1942 in K. geborene N. -B. T. .
3Die Klägerin reiste am 18. März 1991 nach Deutschland ein und beantragte am 5. April 1991 zunächst ihre Anerkennung als Asylberechtigte. Sie gab an, sie sei deutsche Volkszugehörige und habe deutsche und rumänische Sprachkenntnisse. Bei der auf deutsch geführten ersten Anhörung führte die Klägerin im wesentlichen aus, sie habe immer Schwierigkeiten mit den rumänischen Behörden gehabt, weil sie eine Deutsche sei. Der Asylantrag wurde mit Bescheid vom 22. Oktober 1991 abgelehnt. Die daraufhin erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht Freiburg mit Urteil vom 14. Mai 1993 als offensichtlich unbegründet ab.
4Am 5. Juni 1991 beantragte die Klägerin zusammen mit ihrem Ehemann und ihren beiden Kindern ihre Aufnahme als Aussiedlerin. Sie gab hier an, sie sei deutsche Volkszugehörige mit deutscher Muttersprache. Die jetzige Umgangssprache in der Familie sei Rumänisch-Deutsch. Das deutsche Volkstum habe sie nicht gepflegt. Ihr Ehemann sei rumänischer Volkszugehöriger. Ihre Eltern seien deutsche Volkszugehörige mit deutscher Muttersprache und deutscher Umgangssprache in der Familie. Die Frage nach Nachteilen wegen des Deutschtums beantwortete die Klägerin mit "nein". Im weiteren Verlauf des Verfahrens trug sie vor, sie habe einen deutschen Kindergarten und acht Jahre eine Schule mit deutscher Unterrichtssprache besucht.
5Nach Abschluß des Asylverfahrens kehrte die Klägerin - wie auch ihre Familie - im Juni 1993 nach Rumänien zurück.
6Mit Bescheid vom 27. August 1993 lehnte das Bundesverwaltungsamt den Aufnahmeantrag ab.
7Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin mit ihrem Ehemann und ihren Kindern am 27. September 1993 Widerspruch, zu dessen Begründung sie vortrug: Sie habe die deutsche Sprache seit ihrer Kindheit gesprochen und gepflegt; es handele sich um ihre Muttersprache. Sie habe eine deutsche Schule besucht. Sie spreche Deutsch fließend und könne Deutsch auch schreiben. In der Familie sei überwiegend und im persönlichen Bereich nur deutsch gesprochen worden. Rumänisch habe sie erst später als Zweitsprache erlernt. Sie habe sich immer wieder als deutsche Volkszugehörige hervorgetan und deshalb immer wieder Schwierigkeiten mit der rumänischen Bevölkerung gehabt. Ostern, Weihnachten und Pfingsten seien in der Familie gefeiert worden. Die Klägerin habe deutsche Veranstaltungen besucht. Ihr Ehemann habe sich nach der Rückkehr aus Deutschland von ihr abgewendet und verspotte, verprügele und verjage sie täglich. Auch von den Verwandten ihres Mannes werde sie mißhandelt. Alle sagten, sie bräuchten keine Deutsche mehr im Hause und die Klägerin sehe Deutschland erst wieder, wenn ihr Schwiegervater aus dem Grabe steigen werde. Sie werde von ihrer nächsten Umgebung wie eine Sklavin behandelt. Ihr Mann habe ihr mit dem Knüppel über das Genick geschlagen; sie sei bewußtlos geworden. Sie könne ihren Mann nicht verlassen, weil sie nicht wisse wohin. Ihre Mutter sei arm und könne sie nicht aufnehmen. Ihr werde unmißverständlich klargemacht, daß sie als Deutsche in Rumänien nichts zu suchen habe und gefälligst verschwinden solle. Bei der Arbeits- und Wohnungssuche würden Einheimische bevorzugt. Sie habe trotz abgeschlossener Schulausbildung keine qualifizierte Berufsausbildung beginnen können, weil sie zur Ausbildung nicht zugelassen worden sei.
8Mit Widerspruchsbescheid vom 28. April 1994, zugestellt am 13. Mai 1994, wies das Bundesverwaltungsamt den Widerspruch zurück und führte zur Begründung aus: Die Klägerin habe bereits ihren Wohnsitz nicht durchgehend im Herkunftsgebiet begründet, da sie sich von März 1991 bis Juni 1993 in Deutschland aufgehalten habe. Die Fiktion des § 27 Abs. 1 Satz 4 Bundesvertriebenengesetz sei nicht anwendbar, weil die Klägerin als Asylbewerberin nach Deutschland eingereist sei. Im übrigen erfülle die Klägerin nicht die Voraussetzungen des § 4 Abs. 2 Bundesvertriebenengesetz, weil sie keine Benachteiligungen im Sinne dieser Vorschrift erlitten habe. Die vorgetragenen Beschimpfungen und Mißhandlungen seien lediglich Befindlichkeitsstörungen, die auf einer zerrütteten Ehe beruhten. Sie hätten nichts mit der Benachteiligung der Deutschen durch die Folgewirkungen des Zweiten Weltkrieges zu tun. Die weiter vorgetragenen Beschimpfungen durch Dritte seien nicht substantiiert und letztlich nicht entscheidend.
9Am 7. Juni 1994 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie hat weiter vorgetragen: In Rumänien lebe sie unter erbärmlichsten Verhältnissen. Sie könne keiner Arbeit nachgehen und finde keine Wohnung, weil sie sich zum deutschen Volkstum bekenne. Sie könne höchstens zeitweilig als Landarbeiterin arbeiten. Sie erfahre von den Behörden keine Hilfe, insbesondere nicht gegen die täglichen Angriffe ihres Ehemannes, seiner Verwandten und der Nachbarn. Sie werde ständig beleidigt, beschimpft, verhöhnt und angegriffen. Als landwirtschaftliche Nutzfläche verteilt worden sei, habe nur sie nichts bekommen. Sie selbst und jetzt auch ihre vierzehnjährige Tochter seien vergewaltigt worden.
10Die Klägerin hat beantragt,
11die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesverwaltungsamtes vom 27. August 1993 und seines Widerspruchsbescheides vom 28. April 1994 zu verpflichten, der Klägerin einen Aufnahmebescheid zu erteilen.
12Die Beklagte hat beantragt,
13die Klage abzuweisen.
14Sie hat vorgetragen: Zwar gelte der Wohnsitz der Klägerin trotz des Aufenthalts in Deutschland gemäß § 27 Abs. 1 Satz 4 Bundesvertriebenengesetz als fortbestehend, weil sie sich im Asylverfahren auf ihre deutsche Volkszugehörigkeit berufen habe. Sie habe jedoch nicht glaubhaft gemacht, Benachteiligungen im Sinne des § 4 Abs. 2 Bundesvertriebenengesetz zu unterliegen. Die Ursache ihrer Arbeitslosigkeit liege in dem langen Aufenthalt in Deutschland. Die Probleme bei der Wohnungssuche ergäben sich daraus, daß die Klägerin offiziell in der Wohnung ihres Ehemannes lebe. Bei den Beleidigungen und Beschimpfungen handele es sich um subjektive Befindlichkeitsstörungen, die auf den familiären Problemen der Klägerin beruhten.
15Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
16Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch Gerichtsbescheid vom 29. April 1996 abgewiesen. Auf die Gründe wird Bezug genommen.
17Gegen den ihr am 24. Mai 1996 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 20. Juni 1996 Berufung eingelegt, zu deren Begründung sie ergänzend vorträgt: Sie habe auch in der 9. und 10. Klasse eine deutschsprachige Schule besucht. Sie habe eine weiterführende Schule besuchen und Lehrerin werden wollen, sei jedoch ausdrücklich wegen ihrer deutschen Volkszugehörigkeit nicht zugelassen worden. Arbeit als einfache Feldarbeiterin habe sie nur erhalten, wenn alle rumänischen Bürger bereits Arbeit gehabt hätten. Ihr gegenüber sei jeweils unumwunden zugegeben worden, daß sie hier wegen ihrer deutschen Volkszugehörigkeit benachteiligt werde. Entsprechend sei es bei der Wohnungssuche gewesen. Ihr Ehemann sei nicht bereit gewesen, die ständigen Benachteiligungen hinzunehmen und habe der Klägerin ihr Deutschtum vorgeworfen. Auch die Vergewaltigungen seien Ausdruck der Verachtung der Klägerin als "der Deutschen". Mittlerweile sei ihr Mann in Italien, ihr Schwager habe sie eines Tages um drei Uhr nachts aus dem Haus geworfen und verprügelt. Alle Bewohner des Dorfes bezeichneten sie als "Hitlerdeutsche".
18Die Klägerin beantragt,
19den angefochtenen Gerichtsbescheid zu ändern und nach dem in erster Instanz gestellten Antrag zu erkennen.
20Die Beklagte beantragt,
21die Berufung zurückzuweisen.
22Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
23Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, von der Klägerin eingereichte Unterlagen (ein Heft) und die Verwaltungsvorgänge der Beklagten (ein Heft) Bezug genommen.
24Entscheidungsgründe:
25Die Berufung ist begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf Erteilung eines Aufnahmebescheides.
26Rechtsgrundlage für das Begehren der Klägerin ist § 27 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge (Bundesvertriebenengesetz - BVFG) in der seit dem 1. Januar 1993 geltenden Fassung der Bekanntmachung vom 2. Juni 1993 (BGBl. I S. 829), da sie das Aussiedlungsgebiet noch nicht verlassen hat.
27Ihr Aufenthalt in Deutschland von März 1991 bis Juni 1993 steht dem nicht entgegen, weil nach § 27 Abs. 1 Satz 4 BVFG der Wohnsitz im Aussiedlungsgebiet als fortbestehend gilt, wenn ein Antrag nach § 27 Abs. 2 BVFG abgelehnt wurde und der Antragsteller für den Folgeantrag nach § 27 Abs. 1 Satz 1 BVFG erneut Wohnsitz in den Aussiedlungsgebieten begründet hat. Die Vorschrift greift auch dann ein, wenn der Antragsteller - wie hier die Klägerin - noch vor der rechtskräftigen Entscheidung über seinen Antrag nach § 27 Abs. 2 BVFG erneut seinen Wohnsitz im Aussiedlungsgebiet begründet. Auch in diesem Fall hat der Antragsteller den früheren vom Gesetz erwünschten Zustand wiederhergestellt, so daß es gerechtfertigt ist, ihm die Vorteile der Fiktion des § 27 Abs. 1 Satz 4 BVFG zukommen zu lassen. Die Anwendung des § 27 Abs. 1 Satz 4 BVFG scheitert - wie auch die Beklagte mittlerweile einräumt - nicht daran, daß die Klägerin während ihres Aufenthalts im Bundesgebiet zunächst einen Asylantrag gestellt hat. § 27 Abs. 1 Satz 4 BVFG setzt nur voraus, daß ein Antrag nach § 27 Abs. 2 BVFG gestellt worden ist. Dies hat die Klägerin am 5. Juni 1991 getan. Das parallel geführte Asylverfahren ist in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung.
28Die Voraussetzungen des § 27 Abs. 1 Satz 1 BVFG liegen vor. Die Klägerin erfüllt nach Verlassen des Aussiedlungsgebiets die Voraussetzungen als Spätaussiedlerin. Da sie aus Rumänien nach Deutschland einreisen würde, ist sie gemäß § 4 Abs. 2 BVFG Spätaussiedlerin, wenn sie deutsche Volkszugehörige ist und glaubhaft macht, daß sie am 31. Dezember 1992 oder danach Benachteiligungen oder Nachwirkungen früherer Benachteiligungen aufgrund deutscher Volkszugehörigkeit unterlag.
29Die Klägerin ist deutsche Volkszugehörige. Da sie nach dem 31. Dezember 1923 geboren ist, ist sie gemäß § 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG deutsche Volkszugehörige, wenn sie von einem deutschen Staatsangehörigen oder deutschen Volkszugehörigen abstammt (Nr. 1), ihr die Eltern, ein Elternteil oder andere Verwandte bestätigende Merkmale, wie Sprache, Erziehung, Kultur vermittelt haben (Nr. 2) und sie sich bis zum Verlassen der Aussiedlungsgebiete zur deutschen Nationalität erklärt, sich bis dahin auf andere Weise zum deutschen Volkstum bekannt hat oder nach dem Recht des Herkunftsstaates zur deutschen Nationalität gehörte (Nr. 3). Diese Voraussetzungen liegen vor.
30Die Klägerin stammt von deutschen Volkszugehörigen ab. Sie hat stets vorgetragen, daß ihre Eltern deutsche Volkszugehörige seien. Die Beklagte hat dies nicht bestritten. Der Senat hat keinen Anlaß, die Abstammung in Zweifel zu ziehen.
31Der Klägerin ist auch von ihren Eltern das bestätigende Merkmal Sprache vermittelt worden. Unter Sprache ist grundsätzlich die deutsche Sprache als Muttersprache oder - bei Zwei- oder Mehrsprachigkeit - als bevorzugte Umgangssprache zu verstehen. Dabei ist die deutsche Sprache dann als bevorzugte Umgangssprache anzusehen, wenn sie jemand wie eine Muttersprache spricht, ihr gegenüber den sonstigen von ihm beherrschten Sprachen im persönlich-familiären Bereich den Vorzug gegeben und sie damit in diesem Bereich regelmäßig überwiegend gebraucht hat.
32Vgl. BVerwG, Urteil vom 12. November 1996 - 9 C 8.96 -; NVwZ-RR 1997, 381.
33Nach dem Akteninhalt spricht alles dafür, daß die Klägerin Deutsch zumindest im persönlich-familiären Bereich als bevorzugte Umgangssprache gesprochen hat. Nach ihrem von der Beklagten nicht bestrittenen Vortrag hat sie die deutsche Sprache seit ihrer Kindheit gesprochen und gepflegt. In der Familie sei im persönlichen Bereich nur deutsch gesprochen worden. Rumänisch habe sie als Zweitsprache gelernt. Sie hat ferner einen deutschen Kindergarten und zehn Jahre Schulen mit deutscher Unterrichtssprache besucht. Dementsprechend wurde die erste Anhörung der Klägerin im Rahmen ihres Asylverfahrens etwa zwei Wochen nach der Einreise nach Deutschland in deutscher Sprache geführt.
34Die Klägerin erfüllt auch die Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BVFG. Dabei kommt allerdings die erste Alternative dieser Vorschrift für die Klägerin nicht in Betracht, weil eine Erklärung zur deutschen Nationalität - anders als etwa in der ehemaligen Sowjetunion anläßlich der Ausstellung eines Inlandspasses bei Vollendung des 16. Lebensjahres - in Rumänien regelmäßig nicht vorgesehen ist. An der Volkszählung im Januar 1992 konnte die Klägerin nicht teilnehmen, weil sie sich zu diesem Zeitpunkt in Deutschland aufhielt. Die Klägerin hat sich jedoch im Sinne der zweiten Alternative des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BVFG auf andere Weise zum deutschen Volkstum bekannt. Dabei geht der Senat davon aus, daß ein Bekenntnis "auf andere Weise" nicht nur durch eine ausdrückliche Erklärung gegenüber einer Behörde abgegeben werden kann, sondern auch dann vorliegt, wenn sich jemand zum deutschen und keinem anderen Volkstum zugehörend angesehen, sich in seiner ganzen Lebensführung entsprechend dieser Einstellung nach außen erkennbar verhalten hat und dementsprechend im Aussiedlungsgebiet von seiner Umgebung als Volksdeutscher angesehen worden ist (Bekenntnis durch schlüssiges Gesamtverhalten).
35Vgl. für den insoweit gleichlautenden § 6 BVFG a.F. zusammenfassend BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 1989 - 9 C 18.89 -, Buchholz 412.3 § 6 BVFG Nr. 62; für § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BVFG n.F. in diesem Sinne bereits BVerwG, Urteil vom 29. August 1995 - 9 C 391.94 -, BVerwGE 99, 133, 145; vgl. ferner von Schenckendorff, Vertriebenen- und Flüchtlingsrecht, Kommentar zum BVFG, Stand Juni 1997, § 6 BVFG n.F., Anmerkung 3 c) bb).
36Die Klägerin wird - wie unten näher darzulegen ist - von ihrer Umgebung, insbesondere ihrem Ehemann, dessen Verwandten und den Nachbarn als deutsche Volkszugehörige angesehen. Dies beruht darauf, daß sie sich - wie sie selbst durchgehend und von der Beklagten unbestritten vorgetragen hat - in ihrer ganzen Lebensführung nach außen erkennbar als deutsche Volkszugehörige verhält.
37Die Klägerin erfüllt auch die weiteren Voraussetzungen des § 4 Abs. 2 BVFG, weil sie glaubhaft gemacht hat, daß sie am 31. Dezember 1992 oder danach Benachteiligungen oder Nachwirkungen früherer Benachteiligungen aufgrund deutscher Volkszugehörigkeit unterlag. Nach der Rechtsprechung des Senats sind Benachteiligungen oder Nachwirkungen früherer Benachteiligungen im Sinne dieser Vorschrift konkrete und persönliche, nicht allein aus der allgemeinen Situation der deutschen Volksgruppe resultierende Umstände, die der Aufnahmebewerber unmittelbar selbst erfahren hat und die seine Lebensführung im Aussiedlungsgebiet nicht nur unwesentlich erschweren oder behindern.
38Vgl. ausführlich OVG NW, Urteil vom 8. November 1996 - 2 A 1309/96 -.
39Die Benachteiligungen müssen kausal auf der deutschen Volkszugehörigkeit des Betroffenen beruhen. Das ist der Fall, wenn die deutsche Volkszugehörigkeit des Betroffenen nicht hinweggedacht werden kann, ohne daß auch die Benachteiligungen entfallen. Kausalität in diesem Sinne liegt nicht vor, wenn die in Frage stehenden Benachteiligungen Angehörige anderer Volksgruppen gleichermaßen treffen oder treffen würden.
40Vgl. OVG NW, Urteil vom 6. September 1996 - 2 A 2669/94 -; OVG NW, Urteil vom 8. November 1996 - 2 A 1309/96 -.
41Maßgebend ist eine Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalles. Dabei sind alle Lebensbereiche einzubeziehen. Benachteiligungen können daher auch von privater Seite ausgehen.
42Vgl. OVG NW, Urteil vom 8. November 1996 - 2 A 1309/96 -; von Schenckendorff, aaO, § 4 BVFG n.F., Anmerkung 5 a.
43Da die Klägerin sich in einem unverschuldeten Beweisnotstand befindet, weil ihr für ihr Vorbringen Beweismittel im Sinne des Prozeßrechts nicht zur Verfügung stehen, kann der Senat der Entscheidung auch Tatsachen zugrunde legen, die nur die Klägerin vorgetragen hat, sofern ihr Vortrag schlüssig und glaubhaft ist.
44Vgl. BVerwG, Beschluß vom 21. Februar 1997 - 9 B 634.96 -.
45Nach diesen Maßstäben hat die Klägerin Benachteiligungen im Sinne des § 4 Abs. 2 BVFG glaubhaft gemacht. Derartige Benachteiligungen ergeben sich seit ihrer Rückkehr nach Rumänien im Juni 1993 insbesondere durch die Behandlung durch ihren Ehemann, dessen Verwandte und die Nachbarn. Die Klägerin hat in mehreren von ihr selbst verfaßten Schreiben glaubhaft vorgetragen, daß sie in ihrer privaten Umgebung ständig mißhandelt, verspottet, unterdrückt und "wie eine Sklavin" behandelt wird und sogar Opfer einer Vergewaltigung geworden ist. Ein menschenwürdiges Dasein ist der Klägerin dadurch kaum möglich, so daß ihre Lebensführung erheblich erschwert ist. Die Klägerin kann sich dieser Situation auch nicht ohne weiteres entziehen, weil sie keine Wohnung hat, keine Erwerbstätigkeit ausüben und auch von anderen Personen - insbesondere ihrer Mutter - nicht aufgenommen werden kann. Die Beklagte bestreitet diese Benachteiligungen nicht, vertritt jedoch die Auffassung, es handele sich um subjektive Befindlichkeitsstörungen, die auf familiären Problemen beruhten.
46Dem folgt der Senat nicht. Die Benachteiligungen beruhen auf der deutschen Volkszugehörigkeit der Klägerin. Zwar läßt sich dem Vortrag der Klägerin nicht entnehmen, daß sie wegen ihrer deutschen Volkszugehörigkeit vergewaltigt worden ist. Die Klägerin hat jedoch glaubhaft erklärt, daß die Zerrüttung ihrer Ehe gerade darauf beruht, daß ihr Ehemann nicht bereit gewesen sei, die ständigen Benachteiligungen bei der Wohnungs- und Arbeitssuche aufgrund der deutschen Volkszugehörigkeit der Klägerin hinzunehmen. Er habe ihr daher ihr Deutschtum vorgeworfen und sich gerade deshalb von ihr abgewendet und sie mißhandelt. Der enge Bezug zwischen der Behandlung der Klägerin und ihrer deutschen Volkszugehörigkeit kommt etwa dadurch zum Ausdruck, daß "alle sagen, sie brauchen keine Deutsche mehr im Hause" und daß man ihr gesagt habe, sie sehe Deutschland erst wieder, wenn ihr Schwiegervater "aus dem Grabe steigen" werde. Ein enger Zusammenhang zwischen den Benachteiligungen in Familie und Nachbarschaft und der deutschen Volkszugehörigkeit der Klägerin wird auch dadurch belegt, daß die Klägerin in ihrer Umgebung laufend als "Hitlerdeutsche" beschimpft wird, als einzige deutsche Volkszugehörige im Dorf offenbar Zielscheibe ständiger Beleidigungen ist und aus der Dorfgemeinschaft letztlich ausgeschlossen wird. Die von der Klägerin sehr eingehend geschilderten Vorfälle und Äußerungen, die von der Beklagten nicht bestritten werden, zeigen, daß die Behandlung der Klägerin durch ihre Umgebung nicht auf persönlichen oder familiären Antipathien, sondern in erster Linie darauf beruht, daß sie als Deutsche angesehen wird. Zu diesen Benachteiligungen wäre es nicht gekommen, wenn die Klägerin rumänische Volkszugehörige wäre.
47Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht gemäß § 167 VwGO iVm § 708 Nr. 10, 711 Satz 1 ZPO.
48Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.
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