Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 15 A 1778/94
Tenor
Das angefochtene Urteil wird geändert. Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge trägt der Kläger.
Der Beschluß ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert wird auch für das Berufungsverfahren auf 7.733,16 DM festgesetzt.
1
G r ü n d e :
2I.
3Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks A. 114 in B. (Gemarkung C. Flur 7 Flurstück 1021), das an die A. im Bereich zwischen der D. und der E. grenzt. Im Jahre 1987 gestaltete der Beklagte die A. in diesem Bereich von einer Straße mit Gehwegen, Fahrbahn und in der Mitte verlaufenden Straßenbahngleisen um, indem er eine einheitliche Verkehrsfläche schuf. Lediglich die Mitte der A. auf einer Breite von 5,38 m wurde bis zu 14 cm tiefergelegt. Dort wurden Gleise für die Straßenbahn verlegt, die mit mehreren Linien durch die A. geführt wird. Am 17. Juni 1989 wurde im Amtsblatt eine Teileinziehung für den hier betroffenen Bereich der A. des Inhalts bekanntgemacht, daß die Straßenfläche nur noch für Fußgänger, Radfahrer sowie für das An- und Abfahren mit Kraftfahrzeugen zu den vorhandenen Garagen und Kfz- Stellplätzen, zu denen eine Zufahrt von der betroffenen Straßenfläche besteht, durch die Nutzungsberechtigten und montags bis freitags von 5.00 Uhr bis 11.00 Uhr sowie samstags von 5.00 Uhr bis 9.00 Uhr für den Fahrzeugverkehr zum Be- und Entladen und zusätzlich für den öffentlichen Personennahverkehr gewidmet sei. Mit Bescheid vom 31. Mai 1991 zog der Beklagte den Kläger für den Ausbau zu einem Straßenbaubeitrag über 7.733,16 DM heran. Den hiergegen eingelegten Widerspruch des Klägers wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 9. September 1991 zurück.
4Dagegen hat der Kläger rechtzeitig Klage erhoben und vorgetragen: Es sei in Wirklichkeit keine Fußgängergeschäftsstraße hergestellt, sondern eine Maßnahme zum Zwecke der Beschleunigung des Straßenbahnverkehrs durchgeführt worden. Wirtschaftliche Vorteile seien für die Anlieger nicht entstanden bzw. durch dauernde Nachteile wie etwa erhöhte Lärmbelästigung durch den Straßenbahnverkehr, die Anbringung eines ungeeigneten Zierpflasters und Abflußgitters aufgewogen worden. Der Kraftfahrzeugverkehr sei nur unerheblich eingeschränkt worden und für die Passanten, die sich auf den Charakter der Straße als Fußgängerzone verließen, eher noch gefährlicher geworden. Der in der Satzung vorgesehene Abschlag von 10 %-Punkten für die Widmung der A. auch für den öffentlichen Personennahverkehr sei nicht ausreichend, da die negativen Auswirkungen durch Lärm und Verschmutzung schwerer wögen, wie sich an den zu verzeichnenden Umsatzeinbußen zeige. Der umgelegte Aufwand werde bestritten, so sei der Bürgersteig im Kreuzungsbereich der F. etwa erst hergestellt, dann aber erneut aufgerissen und mit abgeflachten Ecken für Rollstuhlfahrer versehen worden.
5Der Kläger hat beantragt,
6den Heranziehungsbescheid des Beklagten vom 31. Mai 1991 und dessen Widerspruchsbescheid vom 9. September 1991 aufzuheben.
7Der Beklagte hat beantragt,
8die Klage abzuweisen.
9Er hat vorgetragen: Durch den Umbau im Jahre 1987 sei eine Fußgängergeschäftsstraße mit Personennahverkehr geschaffen und somit die A. im Sinne der Straßenbaubeitragssatzung nachmalig hergestellt worden. Dadurch sei eine Erhöhung des Gebrauchswertes der anliegenden Grundstücke eingetreten, da sie durch den Fortfall des Kraftfahrzeugverkehrs besser zu erreichen seien.
10Mit dem angefochtenen Urteil hat das Verwaltungsgericht der Klage stattgegeben.
11Dagegen hat der Beklagte rechtzeitig Berufung eingelegt und vorgetragen: In § 3 Abs. 3 Nr. 6 der Straßenbaubeitragssatzung sei der Anliegeranteil wirksam festgesetzt worden. Insbesondere ergebe sich aus der Änderung des § 3 Abs. 3 Nr. 5 der Beitragssatzung durch Änderungssatzung vom 27. April 1989, daß Fußgängergeschäftsstraßen in B. auch für den Fahrradverkehr geöffnet werden könnten, ohne daß dies zu einer Änderung des Anliegeranteils führen solle. Eine Differenzierung zwischen Fußgängergeschäftsstraßen mit erlaubtem Fahrradverkehr und solchen ohne diesen sei nicht geboten. Die Praxis habe gezeigt, daß - auch wegen der geringen Zahl von Radfahrern - der Fußgängerverkehr nicht beeinträchtigt werde. Die Absenkung der Gleisanlagen in der Mitte der A. sei beitragsrechtlich unschädlich. Diese Ein- und Ausstiegshilfe für Benutzer der Straßenbahnen, die gleichzeitig auch eine Warnfunktion für Fußgänger habe, stelle keine wesentliche Behinderung des Fußgängerverkehrs dar.
12Der Beklagte beantragt,
13das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.
14Der Kläger beantragt,
15die Berufung zurückzuweisen.
16Er trägt vor: Das Verwaltungsgericht habe zu Recht eine beitragsrechtliche Differenzierung zwischen Fußgängergeschäftsstraßen mit öffentlichem Personennahverkehr und Fahrradverkehr und solchen Straßen ohne Fahrradverkehr verlangt. Die bauliche Ausgestaltung der Straße, insbesondere die abgesetzten Bürgersteige, führten zu einem Straßenbild, das den Kraftfahrzeugverkehr nicht verdränge. Die Absenkung der Gleisanlagen bewirke eine tatsächliche Behinderung des Fußgängerverkehrs. Es sei keine Fußgängerzone im herkömmlichen Sinne geschaffen worden, vielmehr sei durch die bordsteinähnlichen Begrenzungen im Mittelteil eine Straße zu erkennen, auf der reger Fahrzeugverkehr herrsche und vor deren Benutzung die Fußgänger zurückschreckten. Hier sei die Straße schmaler als 19 m und weise keine Überbreite auf.
17Am 26. Mai 1997 hat eine Augenscheinseinnahme durch den Berichterstatter stattgefunden. Wegen des Ergebnisses wird auf die Niederschrift vom gleichen Tage (Blatt 105 bis 107 der Gerichtsakte) verwiesen.
18Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im übrigen wird auf den Inhalt der Verfahrensakte und der dazu beigezogenen Unterlagen Bezug genommen.
19II.
20Der Senat entscheidet durch Beschluß gemäß § 130 a VwGO, dessen Voraussetzungen vorliegen.
21Die zulässige Berufung ist begründet. Die zulässige Klage ist unbegründet und daher abzuweisen. Der angefochtene Beitragsbescheid des Beklagten ist nämlich rechtmäßig und verletzt deshalb keine Rechte des Klägers (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
22Der Bescheid rechtfertigt sich aus § 8 des Kommunalabgabengesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (KAG NW) in Verbindung mit der Satzung über Beiträge für straßenbauliche Maßnahmen der Landeshauptstadt B. vom 5. Juli 1983 in der Fassung der Änderungssatzung vom 27. April 1989 (SBS). Nach § 1 SBS erhebt die Stadt zum teilweisen Ersatz des Aufwandes u.a. für die Herstellung von öffentlichen Straßen sowie der zugehörigen Teilanlagen/Einrichtungen und als Gegenleistung für die den Eigentümern oder den Erbbauberechtigten der erschlossenen Grundstücke durch die Möglichkeit der Inanspruchnahme der Anlagen gebotenen wirtschaftlichen Vorteile Beiträge. Mit der hier vorgenommenen, durch Teileinziehung vom 17. Juni 1989 beendeten Umgestaltung der früher mit getrennten Verkehrsflächen ausgebauten A. zu einer Fußgängergeschäftsstraße wurde die A. beitragsfähig hergestellt i.S.d. § 1 SBS.
23Vgl. zum Merkmal der Herstellung bei der Umgestaltung einer "normalen" Straße in eine Fußgängergeschäftsstraße OVG NW, Urteil vom 24. Oktober 1986 - 2 A 840/84 -, KStZ 1987, 74; zur Notwendigkeit einer Teileinziehung bei einer Fußgängergeschäftsstraße zur Erfüllung des Beitragstatbestandes OVG NW, Urteil vom 22. August 1995 - 15 A 3907/92 -, NWVBl. 1996, 62 (63).
24Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts stellt die Straßenbaubeitragssatzung trotz der Besonderheiten der hergestellten Straße eine ausreichende Satzungsgrundlage dar.
25§ 3 Abs. 3 Nr. 5 SBS regelt, daß der satzungsrechtliche Begriff der Fußgängergeschäftsstraße u.a. die Benutzung der Straße durch Radfahrer nicht ausschließt. Vielmehr differenziert die Satzung in § 3 Abs. 3 Nr. 5 und 6 SBS lediglich zwischen Fußgängergeschäftsstraßen mit und solchen ohne öffentlichen Personennahverkehr. Das ist hier ausreichend.
26Die Beiträge sind nach den Vorteilen zu bemessen (§ 8 Abs. 6 Satz 1 KAG NW). Das bedeutet jedoch nicht, daß das Gesetz die Höhe des Anliegeranteils absolut oder in Relation zu den jeweiligen Ausbauarten genau vorschreibt. Vielmehr steht dem Satzungsgeber im Rahmen des so vorgegebenen Maßstabes der Beitragsbemessung ein weites Ermessen für die Gestaltung der abgabenrechtlichen Regelungen zu, die nur auf die Einhaltung der Grenzen des sachlich Vertretbaren überprüft werden können. Eine geringere Beitragsbelastung der Anlieger von Fußgängergeschäftsstraßen mit Fahrradverkehr gegenüber denen ohne einen solchen ist aus Gleichbehandlungsgesichtspunkten rechtlich nur geboten, wenn zwischen den beiden genannten Straßentypen Unterschiede von solcher Art und von solchem Gewicht vorliegen, daß die gleichartige Behandlung nicht mehr zu rechtfertigen wäre.
27Vgl. OVG NW, Urteil vom 22. November 1995 - 15 A 1432/93 -, Gemhlt. 1997, 63 (64) m.w.N.
28Inbesondere fordert der Gleichheitssatz nicht eine immer mehr individualisierende und spezialisierende Normsetzung.
29Vgl. BVerfG, Beschluß vom 10. April 1997 - 2 BvL 77/92 -, S. 10 des amtlichen Umdrucks (zum Einkommensteuerrecht).
30Ausgehend von diesen Grundsätzen stellt die durch den Fahrradverkehr bewirkte Behinderung des Fußgängerverkehrs keine derartig gravierende Minderung des Vorteils der Anlieger dar, daß eine Differenzierung im Anliegeranteil durch die Satzung geboten wäre. Zum einen ist das Radfahreraufkommen in der A. eher gering, wie die Augenscheinseinnahme ergeben hat. Radfahrer benutzen die A. im hier betroffenen Bereich nicht in einem ständigen Strom oder größeren Pulks, wie es für Städte mit hohem Radfahreraufkommen kennzeichnend ist, sondern nur vereinzelt. Darüber hinaus nutzen sie zumeist den mittleren, mit Gleisen belegten Teil, der von den Fußgängern, die sich zumeist an den Seiten vor den Ladenlokalen aufhalten, im wesentlichen nur zum Überqueren der Straße genutzt wird.
31Schließlich stellt sich die Beeinträchtigung durch den ohnehin geringen Fahrradverkehr auch deshalb nicht als beitragsrechtlich relevante Vorteilsminderung dar, weil die A. nach der Beitragssatzung eine Überbreite aufweist. Sie ist nach den Ausbauplänen zwischen 20 m und 22,5 m breit und weist bei einer nach § 3 Abs. 2 Nr. 6 Spalte 2 SBS anrechenbaren Breite von 19,5 m somit eine Überbreite von 0,5 m bis 3 m auf. Für das Vorliegen einer Überbreite kommt es auf die Breite der gesamten A., nicht nur des abgesenkten Mittelteils an, wie der Kläger meint. Die Behinderungen durch den Fahrradverkehr vermindern sich daher angesichts der durch die Überbreite überdurchschnittlichen Verkehrsaufnahmekapazität weiter.
32Die - zweifelsohne gravierendere und vom Prozeßbevollmächtigten des Klägers im Ortstermin als dem Charakter einer Fußgängerstraße widersprechend bewertete - Beeinträchtigung durch den starken Straßenbahnverkehr wird - auch hinsichtlich der Lärmentwicklung - beitragsrechtlich ausreichend berücksichtigt durch die Senkung des Anliegeranteils gegenüber von öffentlichem Personennahverkehr freien Fußgängergeschäftsstraßen von 50 % auf 40 %, als um ein Fünftel. Dies liegt im Bereich des sachlich Vertretbaren.
33Schließlich erfordert auch die bis zu 14 cm tiefe Absenkung des mittleren, gleisbelegten Bereichs der A. auf einer Breite von 5,38 m keine anderweitige satzungsrechtliche Festlegung des Anliegeranteils. Durch die Absenkung wird zwar ein Bereich geschaffen, der den Eindruck einer nur für Straßenbahnen vorgesehenen Fläche hervorruft. Rechtlich ist aber auch diese Fläche dem Fußgängerverkehr neben den sonst zugelassenen Verkehrsarten gewidmet und wird auch von diesem genutzt. Die Absenkung des gleisbelegten Mittelteils stellt eine mit der Zulassung des öffentlichen Personennahverkehrs verbundene, geringfügige Behinderung des Fußgängerverkehrs dar, die unter Vorteilsminderungsgesichtspunkten von der Absenkung des Anliegeranteils um ein Fünftel des Anliegeranteils für Fußgängergeschäftsstaßen ohne öffentlichen Personennahverkehr erfaßt wird.
34Der Einwand des Klägers, der Kraftfahrzeugverkehr werde nicht ausreichend von der Straße ferngehalten, ist beitragsrechtlich unerheblich, weil der erlaubte Liefer- und Anliegerverkehr keine Vorteilsminderung, sondern eine Regelung im Interesse der Anlieger darstellt. Soweit die Straße von Kraftfahrzeugen rechtswidrig benutzt wird, ist dies ebenfalls unerheblich. Fehlverhalten von Verkehrsteilnehmern ist nicht geeignet, den wirtschaftlichen Vorteil einer Baumaßnahme entfallen zu lassen.
35Vgl. OVG NW, Urteil vom 9. Mai 1995 - 15 A 2545/92 -, NWVBl. 1996, 61.
36Schließlich ist auch die Motivation des Beklagten für den Ausbau, die der Kläger in der Beschleunigung des öffentlichen Personennahverkehrs sieht, für die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Beitragsbescheides ohne Belang. Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits ist nicht die Rechtmäßigkeit der Ausbauentscheidung, insbesondere nicht, ob sie in einem rechtmäßigen Verfahren der Ausbauplanung getroffen wurde, sondern die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Beitragsbescheides, für den allein die Gewährung eines wirtschaftlichen Vorteils durch Herstellung der Anlage Tatbestandsvoraussetzung ist.
37Vgl. OVG NW, Urteil vom 22. November 1995, a.a.O.
38Soweit der Kläger Kritik an einzelnen Ausbaudetails übt (Zierpflaster, Abflußgitter), ist diese nicht geeignet, die Beitragsfähigkeit der Maßnahmen in Frage zu stellen, da sich die konkrete Art des Ausbaus, wie sie vom Berichterstatter in Augenschein genommen wurde, im Rahmen des Ausbauermessens der Verwaltung bewegt.
39Vgl. zum Ausbauermessen ebenda.
40Fehler in der Beitragsberechnung liegen nicht vor. Soweit der Kläger die Richtigkeit des umlagefähigen Aufwandes bestreitet, konnte mangels Substantiierung konkreter Kostenpositionen auch insoweit ein Fehler nicht festgestellt werden.
41Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 711 Nr. 10, 713 ZPO.
42Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.
43Die Streitwertentscheidung ergibt sich aus § 13 Abs. 2 GKG.
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