Urteil vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 11 A 1826/95
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens; die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Sachbericht:
2Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks N.-----weg 3 in M. -F. (Flurstück 62, Flur 3 in der Gemarkung F. ). Die Parzelle ist grenzständig zum südwestlich befindlichen landwirtschaftlichen Anwesens Fromme mit einer Backsteinscheune bebaut. Sowohl das Grundstück des Klägers als auch das Gehöft G. liegen an der nordwestlichen Ausbuchtung des N1.-----weges , der hier von der P.------straße nach Westen abzweigend halbkreisförmig auf die genannte Hauptdurchgangsstraße des Ortsteils zurückführt.
3Am N.-----weg östlich des Gehöfts G. befindet sich auf den Flurstücken 53 und 44 der Getränkevertrieb X. . Die Zufahrt des Grundstücks G. zum N.-----weg liegt genau zwischen der Zufahrt der Parzelle 62 des Klägers und der Zufahrt des Bierverlages.
4Der Getränkevertrieb war seit 1982 fortlaufend Gegenstand bauordnungsrechtlicher Auseinandersetzungen, in denen es maßgeblich um die Nutzung der Freifläche des Geländes zur Lagerung von Leergut und um die Inanspruchnahme öffentlichen Verkehrsraums zu Betriebszwecken ging.
5Der Ortsteil F. besteht im übrigen - abgesehen von der Kirche und zwei Gaststätten - nur aus Wohngebäuden und - teilweise nicht mehr betriebenen - landwirtschaftlichen Hofstellen.
6Am 9. Oktober 1992 beantragte der Kläger die Genehmigung der Nutzungsänderung einer rd. 84 qm großen Teilfläche seiner Scheune zur Lagerung von Getränkeleergut für den Getränkevertrieb X. .
7Nach Anhörung des Klägers und Einholung einer Stellungnahme der Beigeladenen namentlich zu den Auswirkungen des Vorhabens auf die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs lehnte der Beklagte den Bauantrag mit Bescheid vom 24. Januar 1994 ab. In den Rahmen der als Dorfgebiet zu bewertenden Umgebungsbebauung füge sich das beantragte Leergutlager nicht ein. Jedenfalls unter Berücksichtigung des § 15 BauNVO stelle es sich als unzulässig dar, weil es die schon durch den Stammbetrieb X. hervorgerufenen bodenrechtlichen Spannungen noch erhöhe. Durch das zusätzliche Leergutlager werde in gegen das Rücksichtnahmegebot verstoßender Weise zusätzlicher Andienungsverkehr zum bzw. vom Stammbetrieb über den N.-----weg mittels Lkw und Gabelstapler hervorgerufen, die verkehrliche Situation auf der Straße weiter verschlechtert und die dann eingekeilte Zufahrt zur Hofstelle G. in noch stärkerem Maße Blockierungen ausgesetzt.
8Schließlich verstoße das Bauvorhaben auch gegen die Abstandsflächenvorschrift des § 6 BauO NW, deren Problematik bei einer Nutzungsänderung neu aufgeworfen werde und nicht mehr hinter den Bestandschutz zurücktrete.
9Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger unter dem 15. Februar 1994 Widerspruch. Zur Begründung machte er geltend, das Vorhaben füge sich in die nähere Umgebung i.S.v. § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ein. Lediglich in einem Wohngebiet sei ein Getränkehandel gebietsfremd, nicht jedoch in einem Bereich, der auch Züge eines Dorfgebietes aufweise. Hier sei eine gemischten Nutzung vorhanden, die jedoch noch keine Mischgebietsqualität besitze und sich auch keinem anderen Gebietstyp nach der Baunutzungsverordnung zuordnen lasse. Ein Leergutlager füge sich in die Umgebungsnutzung ohne Widerspruch ein. Angesichts der für den Hauptbetrieb erteilten Baugenehmigung seien dabei die Probleme mit der Umgebungsbelastung zu vernachlässigen.
10Hinsichtlich des Grenzabstandes bestehe bauordnungsrechtlicher Bestandschutz, weil durch die beantragte Nutzungsänderung die äußere Gestalt des Gebäudes nicht verändert werde.
11Mit Widerspruchsbescheid vom 1. Juni 1994 wies die Bezirksregierung Detmold den Widerspruch des Klägers unter Vertiefung der Argumentation des Ausgangsbescheides zurück.
12Am 17. Juni 1994 hat der Kläger Klage erhoben und ergänzend vorgetragen, durch die beantragte Nutzungsänderung würden die von Getränkebetrieb X. ausgehenden Störungen sogar vermindert. Der Verbesserung der Gesamtsituation könne nicht entgegengehalten werden, daß der Betrieb in der Vergangenheit Konflikte hervorgerufen habe, da es ja gerade um deren Beseitigung durch Schaffung zusätzlicher Lagerflächen gehe.
13Der Kläger hat beantragt,
14den ablehnenden Bescheid des Beklagten vom 24. Januar 1994 und den Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Detmold vom 1. Juni 1994 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, dem Kläger auf seinen Antrag vom 9. Oktober 1992 die bauaufsichtliche Genehmigung zur Nutzungsänderung eines Teilbereichs einer landwirtschaftlichen Scheune auf dem Grundstück Gemarkung F. , Flur 3, Flurstück 62, als Lager für Getränkeleergut zu erteilen.
15Der Beklagte hat unter Bezugnahme auf die Begründung der angefochtenen Bescheide beantragt,
16die Klage abzuweisen.
17Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
18Sie hat vorgetragen: In der Vergangenheit seien durch die Be- und Entladevorgänge des Getränkehandels X. insbesondere für den Nachbarn G. verkehrliche Schwierigkeiten aufgetreten. Nach ihren Erfahrungen sei mit einer Verbesserung in Folge der beantragten Nutzungsänderung nicht zu rechnen, weil mit der beantragten Nutzungsänderung nicht lediglich eine Verschiebung von Lagermöglichkeiten erreicht werde, sondern eine mit höherem Verkehrsaufkommen verbundene Betriebsvergrößerung eintrete.
19Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 31. Januar 1995 als unbegründet abgewiesen. Es ist dabei im wesentlichen der Auffassung des Beklagten gefolgt.
20Gegen das ihm am 14. Februar 1995 zugestellte Urteil hat der Kläger am 6. März 1995 Berufung eingelegt. Zur Begründung wiederholt und vertieft er seinen Standpunkt, daß mit der Ausweitung der Lagerkapazität nicht einer Geschäftszunahme, sondern in betriebswirtschaftlich sinnvoller und insbesondere auch umweltschonender Weise der Diversifikation im Leergutbereich Rechnung getragen werde. Die vom Getränkevertrieb X. ausgehenden Störungen seien unerheblich, weil maximal 8 Lkw - Fahrbewegungen pro Tag anfielen. Die Firma verfüge lediglich über zwei große Lastzüge mit Anhänger und zwei kleinere Lastwagen, die jeweils in der Regel zwei - in Ausnahmefällen auch drei - Fahrten pro Tag absolvierten. Anliefervorgänge durch Dritte fänden nicht statt. Der Direktverkauf vor Ort habe eine völlig untergeordnete Bedeutung, so daß hieraus kaum Fahrverkehr entstehe. Die sich so darstellende Betriebsausübung sei mit der Genehmigung der großen Lagerhalle durch den Beklagten bereits gebilligt worden. Es finde kein zusätzlicher innerbetrieblicher Verkehr zwischen Stammbetrieb und dem strittigen Leergutlager in der Scheune statt, weil das Lagergut mittels Gabelstapler ausschließlich auf dem Scheunengrundstück selbst abgeladen, eingelagert und zum Abtransport wieder aufgeladen werde. Etwaige Schwierigkeiten des Nachbarn G. , von seinem landwirtschaftlichen Betriebsgrundstück auf die P.------straße zu gelangen, seien übertrieben dargestellt und erführen durch das neue Leergutlager keine Verschärfung. Selbst wenn der N.-----weg vor dem Hauptbetriebsgebäude durch Umladeaktivitäten einmal verstellt sein sollte, könne der Nachbar - statt rechtsherum zu fahren - unschwer geradeaus nördlich am Gemeindehaus vorbei auf die Durchfahrtsstraße gelangen. In der Hofausfahrt des Nachbarn G. und auf dem nördlichen Abschnitt des N1.-----weges würden keine Fahrzeuge abgestellt.
21Der Kläger beantragt,
22das angefochtene Urteil zu ändern und nach dem erstinstanzlichen Klageantrag zu erkennen.
23Der Beklagte beantragt,
24die Berufung zurückzuweisen.
25Er stützt sich auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden und trägt ergänzend dazu vor, das streitbefangene Vorhaben sei als wesentlich störend zu beurteilen. Trotz begrenzter Anzahl von betrieblichen Lastkraftwagen sei unter Berücksichtigung der erforderlichen Ladezeiten gerade auch bei einer Genehmigung der Nutzung der Scheune als zusätzlichem Leergutlager von erheblichen Rangiervorgängen auf dem N.-----weg auszugehen, die die Anwohner am Befahren der Straße hinderten. Daß auch Brauereien unmittelbar den Getränkehandel X. anführen, sei ebensowenig auszuschließen, wie der Verkehr durch Direktabholer hinweggedacht werden könne. Insbesondere der Nachbar G. sei infolge der neuen Lagerhalle nicht unwesentlichen Störungen ausgesetzt. Es entspräche üblichen Betriebsabläufen, daß die Abholung neuer Getränke und die Abgabe von Leergut an gleicher Stelle erfolge. Deshalb seien innerbetriebliche Transporte zwischen den Betriebsstellen mittels Lkw oder Gabelstapler und damit eine Verschlechterung der verkehrlichen Situation auf dem N.-----weg vorgegeben. Ohne innerbetriebliche Transporte müßten die betriebseigenen Lkws auf dem N.-----weg zumindest mehrere Stellen anfahren, um einerseits Leergut abzugeben oder aufzunehmen bzw. andererseits volle Getränkekästen anzuliefern oder für die Auslieferung aufzuladen. Im Extremfall würden dem Nachbarn G. beide Möglichkeiten, um auf die P.------straße zu gelangen, zeitweise genommen. Schon in der Vergangenheit habe er auch insoweit Zufahrtsschwierigkeiten geltend gemacht, als durch geparkte Lieferfahrzeuge jedenfalls ein Wenden im Bereich des N1.-----weges vor seiner Einfahrt unmöglich gemacht worden sei. Soweit nach den Erfahrungen und Feststellungen des Beigeladenen der N.-----weg auch längs des Flurstückes 47 häufiger mit Pkws zugeparkt werde, sei es dem Landwirt dann nicht möglich, mit seinen breiten landwirtschaftlichen Fahrzeugen den direkten Weg zur P.------straße nördlich am Gemeindehaus vorbei zu nehmen. Wiederholte Überprüfungen vor Ort und ein ständiges ordnungsbehördliches Tätigwerden der Beigeladenen belegten, daß die zur Genehmigung gestellte Nutzungsänderung, die bereits illegal aufgenommen worden sei, zu einer Verschärfung der vorhandenen - in den beengten Verhältnissen angelegten - bodenrechtlichen Spannungen führe. Eine in der Erweiterung des Getränkehandels liegende Verfestigung der gewerblichen Nutzung widerspreche letztendlich den Einfügungs- und Rücksichtnahmegebot.
26Die Beigeladene stellt keinen Antrag. Sie schließt sich den Ausführungen des Beklagten an.
27Der Berichterstatter hat die Örtlichkeit in Augenschein genommen. Auf die Niederschrift zum Ortstermin vom 28. März 1996 wird verwiesen. Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der hierzu vom Beklagten überreichten Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
28Entscheidungsgründe :
29Die Berufung ist zulässig, aber nicht begründet.
30Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung für die begehrte Nutzungsänderung eines Teils der Scheune in ein Leergutlager. Dem Vorhaben stehen öffentlich-rechtliche Vorschriften entgegen (vgl. § 75 Abs. 1 Satz 1 BauO NW). Ein Leergutlager auf der Grenze verstößt in bauordnungsrechtlicher Sicht gegen die Abstandsflächenvorschriften des § 6 BauO NW und ist als neuer Betriebsteil des Getränkehandels X. in seiner Lage auch planungsrechtlich nach § 34 BauGB nicht zulässig.
31Die Umwandlung eines Teils der Scheune in ein Leergutlager stellt nach Maßgabe der ständigen Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte
32vgl. die Nachweise bei Boeddinghaus/Hahn/Schulte, BauO NW 1995, § 3 Rdnr. 32
33eine baugenehmigungspflichtige Nutzungsänderung dar, weil sich eine gewerbliche Nutzung von der landwirtschaftlichen Nutzung derart unterscheidet, daß sie anderen oder weitergehenden Anforderungen bauplanungs- oder bauordnungsrechtlicher Art unterworfen ist oder unterworfen werden kann.
34Obwohl Gegenstand des Vorhabens allein eine Änderung der Nutzung der hinsichtlich ihrer Außenwände unverändert bleibenden Scheune ist, unterliegt hier auch die Einhaltung der Abstandsflächen einer Prüfung. Die Nutzungsänderung eines bestehenden Gebäudes wirft nämlich die Genehmigungsfrage auch im Hinblick auf die Abstandsvorschriften neu auf, wenn die Nutzungsänderung vom Bestandschutz nicht mehr gedeckt ist und auf wenigstens einen der durch die Abstandsvorschriften geschützten Belange nachteiligere Auswirkungen als die bisherige Nutzung hat.
35Vgl. u.a. OVG NW, Urteil vom 15. Mai 1997 - 11 A 7224/95 -, Beschluß vom 13. Juli 1995 - 11 B 1543/95 -, BRS 57 Nr. 135; Urteil vom 20. September 1994 - 11 A 972/93 - jeweils m.w.N.
36Diese Voraussetzungen liegen hier vor, weil mit der Funktionsänderung von der Verwendung des Gebäudes im Rahmen der Landwirtschaft zur gewerblichen Nutzung als Leergutlager eines Getränkevertriebes die Variationsbreite des Bestandes verlassen wird und die neue Nutzung im Hinblick auf die Frequentierung von Gebäude und Grundstück sowie die Häufigkeit, Lautstärke und Lästigkeit der informationshaltigen Geräusche eine stärkere Beeinträchtigung der Nachbarschaft bedeutet. Zu den Schutzgütern des § 6 BauO NW zählen gerade auch der Wohnfrieden und die Wohnruhe. Die Privatheit soll mittels Abstandsflächen u.a. durch Schutz vor akustischen Störungen gesichert werden.
37Vgl. OVG NW, Urteil vom 15. Mai 1997 - 11 A 7224/95 -; Beschluß vom 29. Juli 1994 - 11 B 1260/94 -, Boeddinghaus/Hahn/Schulte, a.a.O., § 6 Rdnr. 10.
38Ein Verstoß gegen die hier einschlägigen Abstandsflächenvorschriften folgt daraus, daß das Gebäude, in dem das Leergutlager untergebracht werden soll, wegen seiner Grenzständigkeit schon die erforderliche Mindesttiefe der Abstandsfläche (§ 6 Abs. 1, Abs. 5 Satz 3, Abs. 6 Satz 1 BauO NW 1994 = § 6 Abs. 1, Abs. 5 Satz 4, Abs. 6 Satz 1 BauO NW 1995) nicht einhält.
39Ein Fall des § 6 Abs. 1 Satz 2 a) oder b) BauO NW, in dem eine Abstandsfläche vor Außenwänden, die an der Nachbargrenze errichtet werden, nicht erforderlich ist, liegt nicht vor. § 34 Abs. 1 BauGB - als für den unbeplanten Innenbereich hier maßgebliche planungsrechtliche Vorschrift - gibt weder vor, daß das Gebäude ohne Grenzabstand gebaut werden muß noch so gebaut werden darf. Ein Vorhaben ohne seitlichen Grenzabstand fügt sich mit seiner Bauweise nämlich nicht in die Eigenart der näheren Umgebung ein.
40Als nähere Umgebung des Vorhabens ist hier die Bebauung an der Schleife des N1.-----weges und beidseitig der Ortsdurchfahrt der P.------straße zugrunde zu legen. Dies ist der Bereich wechselseitiger Prägung, in dem sich die Ausführung des Vorhabens auf die Umgebung auswirkt und zum anderen die Umgebung ihrerseits den bodenrechtlichen Charakter prägt.
41Vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Februar 1993 - 4 C 15.92 -, BRS 55 Nr. 174 m.w.N.
42Aber selbst bei großzügigerer Bemessung des Bereichs gegenseitiger Prägung finden sich mit Ausnahme des streitbefangenen Gebäudes und der Scheune des Nachbarn G. nach Maßgabe des dem Senat vorliegenden Kartenmaterials im gesamten Ortsteil keine Anhaltspunkte für eine geschlossene Bauweise i.S.v. § 22 Abs. 3 BauNVO. In der geschlossenen Bauweise werden die Gebäude ohne seitlichen Grenzabstand mit Brandwänden auf den seitlichen Nachbargrenzen errichtet, mit dem (städtebaulichen) Ziel, daß die einzelnen Gebäude sich Wand an Wand zu einem geschlossenen Baukomplex zusammenschließen. Der Umkreis zeichnet sich hier jedoch durch eine relativ ungeordnete Anordnung der Gebäude zu den Grundstücksgrenzen aus, wie es gerade für ältere landwirtschaftliche Hofstellen nicht unüblich ist. Ganz überwiegend wird dabei ein Abstand zur Grenze gewahrt. In einigen Fällen ist flurstücksübergreifend gebaut worden. Manchmal nähern sich Außenwände den Grundstücksgrenzen nur an. Soweit auf die Grenze gebaut worden ist, betrifft dies in aller Regel jeweils nur einen kürzeren Gebäudeabschnitt, handelt es sich um bloße - in den Abstandsflächen zulässige - Nebengebäude wie Garagen oder Abstellräume oder liegen jenseits der bebauten Grenzen öffentliche Verkehrsflächen oder der die Bauernschaft durchziehende Graben. Das Gesamtbild weist - mit Ausnahme der hier streitigen Situation an der Grenze zwischen den Flurstücken 62 und 45 - jedenfalls nirgendwo eine beidseitige Grenzbebauung auf. Angesichts des geringen Umfangs von Grenzbebauung und deren Atypik im Verhältnis zu § 22 Abs. 3 BauNVO erfährt das Gebiet seine Prägung alles in allem durch die Einhaltung seitlicher Grenzabstände und ist deshalb der offenen Bauweise nach § 22 Abs. 2 BauNVO zuzuordnen.
43Muß nach planungsrechtlichen Vorschriften mit Grenzabstand gebaut werden, ist aber - wie hier - auf dem Nachbargrundstück innerhalb der überbaubaren Grundstücksfläche ein Gebäude ohne Grenzeabstand vorhanden, so kann zwar nach § 6 Abs. 1 Satz 3 BauO NW gestattet werden, daß ebenfalls ohne Grenzabstand gebaut wird. Sein dahingehendes Ermessen hat der Beklagte jedoch bereits im Ausgangsbescheid vom 24. Januar 1994 zu Ungunsten des Klägers ausgeübt, ohne daß dem Ermessensfehler zugrunde liegen.
44Soweit dem Vorhaben auch ein planungsrechtliches Hindernis entgegensteht, ist Beurteilungsgrundlage für seine Zulässigkeit nicht § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 5 BauNVO, sondern § 34 Abs. 1 BauGB.
45Als nähere Umgebung des Vorhabens legt der Senat - wie bereits oben ausgeführt - die Bebauung an der Schleife des N1.-----weges und beidseitig der Ortsdurchfahrt der P.------straße zugrunde. Die Eigenart des so umrissenen Gebietes entspricht nicht einem der Baugebiete der BauNVO, namentlich nicht einem Dorfgebiet. Vielmehr liegt eine Gemengelage vor, die sich nicht in eine der Gebietskategorien einordnen läßt.
46Zwar weist der maßgebliche Bereich mit den Hofstellen, Bauernhäusern, Scheunen, Ställen und Wohngebäuden, mit seiner Gastwirtschaft und der Kirche ganz wesentlich Elemente auf, die gemäß § 5 Abs. 2 BauNVO die Nutzungsstruktur eines Dorfgebietes bestimmen. Mit dem Getränkehandel X. auf den Parzellen 44 und 53 ist jedoch auch ein Gewerbebetrieb mit zu berücksichtigen, der seiner Art nach in einem Dorfgebiet unzulässig ist.
47Vgl. zum Dorfgebiet: BVerwG, Beschluß vom 7. September 1995 - 4 B 200.95 -, BRS 57 Nr. 71.
48§ 5 Abs. 1 Satz 1 BauNVO gestattet nämlich nur nicht wesentlich störende Gewerbebetriebe, zu denen ein Bierverlag, der sich in erster Linie mit der Belieferung von Weiterveräußerern beschäftigt, nicht zählt. Ein solcher Getränkegroßhandel, wie er von der Firma X. betrieben wird, stellt bei der in bauplanungsrechtlicher Hinsicht maßgeblichen typisierenden Betrachtungsweise
49vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Dezember 1994 - 4 C 13.93 -, BRS 56 Nr. 61; Urteil vom 21. Februar 1986 - 4 C 31.83 -, BRS 46 Nr. 51
50grundsätzlich keinen nicht wesentlich störender Gewerbebetrieb, sondern - ähnlich wie ein Speditionsunternehmen - typischerweise einen wesentlich störenden Gewerbebetrieb dar, der nur in einem Gewerbe - oder Industriegebiet zulässig ist.
51Vgl. OVG NW, Urteil vom 24. Mai 1995 - 7 A 2757/93 -.
52Bei einem solchen Betrieb ist nämlich wegen der betriebsbedingten Fahr- und Lagerungsvorgänge regelmäßig von einer erheblichen - mit einem Wohn- und Misch- bzw. Dorfgebiet nicht verträglichen - Lärmbelästigung auszugehen. Die von einen derartigen Betrieb typischerweise ausgehenden Geräusche - namentlich durch die An- und Abfahrt der zu dem Fuhrpark eines derartigen Betriebes regelmäßig gehörenden Lastkraftwagen und Personenkraftwagen wie auch durch deren Fahrbewegungen auf dem Grundstück selbst sowie durch das beim Aufladen, Abladen oder Umstellen auftretende Klirren und Scheppern der Getränkekisten - zeichnen sich durch eine Häufigkeit und Lästigkeit aus, die in einem auch Wohnnutzung aufweisendem Dorfgebiet in der Regel nicht hinzunehmen sind.
53Bei der Bestimmung des Gebietscharakters kann der vorhandene Getränkevertrieb X. nicht wegen seiner Ausnahmestellung in einer ansonsten homogenen Umgebung außer Betracht bleiben. Vielmehr ist bei der Ableitung des Maßstabes aus dem vorhandenen Bestand alles an Bebauung in den Blick zu nehmen, was in der näheren Umgebung tatsächlich vorhanden ist. Eine Beschränkung auf das, was von der vorhandenen Bebauung städtebaulich wünschenswert oder auch nur vertretbar ist, darf insoweit nicht vorgenommen werden. Auch eine städtebaulich unerwünschte Bebauung darf bei der Bildung des Maßstabes nicht einfach von vornherein vernachlässigt werden.
54Vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Februar 1990 - 4 C 23.86 -, BRS 50 Nr. 75.
55Soweit außer Acht gelassen werden muß, was die vorhandene Bebauung nicht prägt oder in ihr als Fremdkörper erscheint
56vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Februar 1990 - 4 C 23.86 -, a.a.O.
57treffen diese Voraussetzungen auf den Bierverlag nicht zu. Gemessen an Größe und Ausdehnung der Betriebsfläche sowie an der Anzahl und dem Volumen der Betriebsgebäude besitzt die gewerbliche Nutzung durchaus die Kraft, die Eigenart der näheren Umgebung zu beeinflussen, und wird von einem Betrachter nicht nur am Rande wahrgenommen. Einen Fremdkörper, der wegen seiner Andersartigkeit und Einzigartigkeit den Charakter der Umgebung letztlich nicht beeinflussen kann, verkörpert der Getränkegroßhandel X. in der im übrigen dorfgebietsmäßig strukturierten Umgebung ebenfalls nicht.
58Richtet sich die Zulässigkeit der zur Genehmigung gestellten Nutzungsänderung infolgedessen nach § 34 Abs. 1 BauGB, hält sich das Vorhaben zwar innerhalb des Rahmens der in § 34 Abs. 1 BauGB genannten Merkmale, fügt sich aber dennoch nicht in die Eigenart der näheren Umgebung ein, weil es gegen das planungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme verstößt.
59Ein Vorhaben fügt sich in der Regel ein, wenn es sich innerhalb des aus seiner Umgebung hervorgehenden Rahmens hält oder - bei dessen Überschreitung - im Verhältnis zu seiner Umgebung weder bewältigungsbedürftige Spannungen auslöst noch vorhandene Spannungen verstärkt, durch die die gegebene Situation verschlechtert, gestört, belastet oder in Bewegung gebracht wird.
60Vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 19. September 1986 - 4 C 15.84 -, BRS 46 Nr. 62; Urteil vom 15. Dezember 1994 - 4 C 13.79 -, a.a.O.
61Mit dem Stammbetrieb X. ist nach Art und Maß der baulichen Nutzung zwar ein hinreichendes Vorbild für das zur Genehmigung gestellte Vorhaben vorhanden.
62Das aus dem Tatbestandsmerkmal des "Einfügens" in § 34 Abs. 1 BauGB abzuleitende Gebot der Rücksichtnahme
63vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Februar 1992 - 4 C 50.89 -, BRS 54 Nr. 193; Urteil vom 14. Januar 1993 - 4 C 19.90 -, BRS 55 Nr. 175 m.w.N.
64trägt aber als Korrektiv der Tatsache Rechnung, daß die alleinige Orientierung an dem durch die Bebauung der maßgeblichen Umgebung gesetzten Rahmen nicht in allen Fällen zu befriedigenden Ergebnissen führt. Das Rücksichtnahmegebot dient dazu, angesichts der gegenseitigen Verflechtung der baulichen Situation benachbarter Grundstücke zwischen den verständlichen und unabweisbaren Interessen des Bauherrn und den schutzwürdigen Belangten der Umgebung einen angemessenen planungsrechtlichen Ausgleich zu schaffen. Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme (objektiv-rechtlich) dabei stellt, hängt wesentlich von den jeweiligen Umständen ab.
65Vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Januar 1993 - 4 C 19.90 -, a.a.O., Urteil vom 22. Juni 1990 - 4 C 6.87 -, BRS 50 Nr. 84 m.w.N.
66Bei der Beurteilung, ob ein Vorhaben schutzwürdige Belange verletzt und erhebliche Belastungen in der näheren Umgebung zur Folge hat, sind insoweit alle mit ihm nach Gegenstand, Struktur und Arbeitsweise typischerweise verbundenen Auswirkungen zu berücksichtigen. Dazu gehören auch der mit einer bestimmten Nutzung regelmäßig verbundene Zu- und Abgangsverkehr sowie die von diesem bewirkten Auswirkungen.
67Vgl. BVerwG, Urteil vom 25. November 1982 - 4 C 64.79 -, BRS 40 Nr. 45; Beschluß vom 9. Oktober 1990 - 4 B 121.90 -, BRS 50 Nr. 58 m.w.N.
68Nach diesen Beurteilungsgrundsätzen erweist sich die geplante Nutzungsänderung eines Teils der Scheune in ein Leergutlager als objektiv rücksichtslos. Das ergibt sich zum einen daraus, daß die Nutzung der Scheune als Betriebsteil des Getränkegroßhandels X. typischerweise mit Lärmbelästigungen verbunden wäre, die sich mit einer von Wohnnutzung bis landwirtschaftlicher Nutzung geprägten Nachbarschaft nicht vereinbaren lassen. Wie oben näher dargelegt worden ist (vgl. S. 11 des Urteilsabdrucks), ist der Stammbetrieb X. wegen der mit einem derartigen Betrieb typischerweise verbundenen Lärmbelästigungen als wesentlich störender Betrieb anzusehen. Diese Beurteilung gilt nach der Überzeugung des Senats im vollem Umfang auch für das Leergutlager als einen neuen und zusätzlichen Betriebsteil des Getränkegroßhandels X. . Namentlich die Hofstelle G. würde durch ihre Lage zwischen dann zwei intensiven Lärmquellen in unzumutbarer Weise betroffen. Dabei ist als besondere Lärmursache der zusätzliche Gabelstablerverkehr zwischen Stammbetrieb und geplantem Leergutlager zu berücksichtigen.
69Rücksichtslos ist die erstrebte Nutzungsänderung aber insbesondere auch, weil durch das Vorhaben die bestehende mißliche Verkehrssituation auf der Schleife des N1.-----weges mit den unzumutbaren Behinderungen des Nachbarn G. nicht nur verfestigt sondern noch verschlechtert wird.
70Es leuchtet angesichts der nur begrenzten eigenen Grundstücksfront ein, daß es bei der Länge eines Lkws mit Anhänger, bei dem nicht auszuschließenden Aufeinandertreffen mehrerer Lieferfahrzeuge und unter Berücksichtigung zu dem eigenen Fuhrpark hinzukommender Lieferanten-, Kunden- und Beschäftigtenfahrzeuge zu Abstellvorgängen im gesamten Bereich der Schleife des N1.- ----weges und dabei gelegentlich auch zu einem jedenfalls teilweisen Zuparken der Hofeinfahrt G. kommt.
71Dieser städtebauliche Mißstand würde durch die Erweiterung des Betriebes mittels des neuen Leergutlagers noch verschlimmert. Weitere Lagerkapazitäten am äußersten westlichen Ende des N1.- ----weges bedeuten nämlich, daß die Lieferfahrzeuge auf alle Fälle tiefer in den N.-----weg hineinfahren müssen und dabei notgedrungen beim Passieren der nur ca. 5 m breiten und in ihrem weiteren Verlauf verwinkelten Hofeinfahrt zum Gelände des Klägers auch jeweils an der Zufahrt zum Gehöft G. vorbei müssen. Unter den vom Kläger behaupteten Umständen ist insoweit mit einer Zunahme der Verkehrsbewegungen auf dem N.-----weg zu rechnen, ohne daß sich die Häufigkeit von Auf- und Abladevorgängen im Straßenraum maßgeblich verringern wird.
72Außerdem ist mit einem zusätzlichen innerbetrieblichen - sich über den N.-----weg als öffentlicher Verkehrsfläche abwickelnden - Rangier- und Transportverkehrs namentlich mit Gabelstaplern oder kleineren Fahrzeugen zu rechnen. Auch dies wird die Lärmbelästigungen und die Verkehrsbelastung erhöhen.
73Die nach alledem gemäß § 34 Abs. 1 BauGB unzulässige Nutzungsänderung eines Teils der Scheune in ein Leergutlager ist auch nicht nach § 34 Abs. 3 Nr. 2 BauGB zulässig. Die Ablehnung des Bauantrages erweist sich insoweit als rechtmäßig.
74Bei der genannten Anspruchsgrundlage handelt es sich im Verhältnis zu dem vom Kläger ebenfalls angeführten Institut des "überwirkenden Bestandschutzes"
75vgl. grundlegend BVerwG, Urteil vom 12. Dezember 1975 - 4 C 71.73 -, BRS 29 Nr. 135
76um eine abschließende Sonderregelung. Im Anwendungsbereich des § 34 Abs. 3 Nr. 2 BauGB ist für einen selbständigen Genehmigungsanspruch auf der Grundlage des überwirkenden Bestandschutzes kein Raum mehr.
77Vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Februar 1990 - 4 C 23.86 -, BRS 50 Nr. 75.
78Es ist zwar davon auszugehen, daß es sich i.S.v. § 34 Abs. 3 BauGB bei der Scheune als Teil eines früheren landwirtschaftlichen Betriebes um eine zulässigerweise errichtete bauliche Anlage handelt. Der Senat läßt offen, ob ihre teilweise Nutzungsänderung dem Getränkehandel X. als Betrieb nach § 34 Abs. 3 Nr. 2 BauGB auch dient. Dazu ist zwar nicht die "Unentbehrlichkeit" des Vorhabens erforderlich. Es bedarf aber der funktionalen Zuordnung des Vorhabens zum Betrieb und seine Verwirklichung muß zumindest "vernünftigerweise geboten" sein.
79Vgl. Schlichter/Hofer, Berliner Kommentar zum BauGB, 2. Auflage, § 34 Rdnr. 76 m.w.N.; Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 5. Auflage, § 34 Rdnr. 63.
80Es fragt sich aber, ob sich ein solcher Funktionszusammenhang hier annehmen läßt.
81Jedenfalls fehlt es an der weiteren Voraussetzung, daß das Vorhaben nämlich städtebaulich vertretbar sein muß. Das ergibt sich schon aus den obigen Darlegungen.
82Vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 15. Februar 1990 - 4 C 23.86 - a.a.O.
83Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO.
84Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht erfüllt sind.
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