Urteil vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 11 A 3157/96
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand:
2Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Bescheides des Beklagten vom 29. Oktober 1992, mit dem zwei der Klägerin unter dem 30. November 1989 und dem 15. Mai 1990 erteilte Baugenehmigungen insoweit zurückgenommen worden sind, als sie den Einbau zweier Treppen für ein grenzständiges Garagengebäude genehmigen. Hinsichtlich des bisheriges Sach- und Streitstoffes im einzelnen macht sich der Senat gemäß § 130 b) Satz 1 VwGO die Feststellungen des Verwaltungsgerichtes zu eigen und nimmt auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug.
3Mit eben diesem Gerichtsbescheid vom 25. April 1996 hat das Verwaltungsgericht die Anfechtungsklage der Klägerin als unbegründet abgewiesen.
4Gegen den ihr am 8. Mai 1996 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 10. Juni 1996, einem Montag, Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt sie vor: Der teilweisen Rücknahme der Baugenehmigungen stehe die Fristenregelung in § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG NW entgegen. Maßgeblich für den Fristbeginn sei nämlich entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichtes nicht das Bewußtwerden der Rechtswidrigkeit, sondern der Moment der positiven Kenntniserlangung von den entscheidungserheblichen Tatsachen. Die teilweise Rücknahme könne ferner deswegen keinen Bestand haben, weil sich der Grundstücksnachbar, auf dessen Betreiben die Rücknahme erfolgt sei, entgegen der aus dem Nachbarschaftsverhältnis folgenden gegenseitigen Rücksichtnahmepflicht nicht rechtzeitig gegen die Baumaßnahme gewehrt habe. Es sei auch nicht hinreichend gewürdigt worden, daß der - inzwischen verstorbene - Nachbar bzw. seine Rechtsnachfolger durch die streitbefangene Baumaßnahme nicht in eigenen subjektiven Rechtspositionen verletzt würden.
5Die Klägerin beantragt,
6den angefochtenen Gerichtsbescheid zu ändern und nach ihrem erstinstanzlich gestellten Antrag zu erkennen.
7Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der vom Beklagten und dem Oberkreisdirektor Recklinghausen vorgelegten Verwaltungsvorgänge (6 Hefte) verwiesen.
8Entscheidungsgründe:
9Der Senat konnte mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden, §§ 101 Abs. 2, 125 Abs. 1 VwGO.
10Die Berufung ist unbegründet.
11Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen. Gemäß § 130 b Satz 2 VwGO wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen. Die Klägerin hat mit der Berufung nichts vorgebracht, was es rechtfertigen würde, von der erstinstanzlichen Entscheidung abzuweichen.
12Der Bescheid des Beklagten vom 29. Oktober 1992 und der Widerspruchsbescheid des Oberkreisdirektors des Kreises S. vom 28. Juni 1993 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
13Rechtsgrundlage für die teilweise Rücknahme der Baugenemigungen vom 30. November 1989 und vom 11. Mai 1990 ist § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG NW.
14Die Baugenehmigungen sind im Hinblick auf die Treppenanlage rechtswidrig. Das folgt nicht nur daraus, daß die beiden Treppen der Tauglichkeit des Gebäudes als Garage entgegenstehen. Die Art "Treppenhaus", wie es sich im Zusammenwirken beider Baugenehmigungen hier darstellt, gehört vielmehr funktionell von vornherein nicht zu den in einer Grenzgarage nach Maßgabe von § 6 Abs. 11 Nr. 1 BauO NW zulässigen Räumlichkeiten.
15§ 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG NW steht der Rücknahme der Baugenehmigungen nicht entgegen. Nach den Grundsätzen, die der große Senat des Bundesverwaltungsgerichtes entwickelt hat
16vgl. BVerwG, Beschluß vom 19. Dezember 1984 - BVerwG Gr. Sen. 1 und 2.84 -, BVerwGE 70, S. 356
17und denen auch der Senat folgt, beginnt die Jahresfrist für die Rücknahme eines Verwaltungsaktes nämlich erst dann zu laufen, wenn die zuständige Behörde Kenntnis nicht nur vom Sachverhalt, sondern auch von der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes hat.
18Vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 1989 - 1 C 36.87 -, BVerwGE 84, 17 (22).
19§ 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG NW bezieht die Kenntnis der Rücknahmebehörde auf die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts, ohne danach zu differenzieren, ob der Verwaltungsakt wegen eines "Tatsachenirrtums" oder eines "Rechtsirrtums" rechtswidrig ist. Insoweit behandelt das Gesetz die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes, der zurückgenommen werden soll, wie eine Tatsache.
20So auch BVerwG, Urteil vom 5. August 1996 - 5 C 6/95 -.
21Daß dem Beklagten die Unvereinbarkeit des genehmigten Vorhabens mit § 6 Abs. 11 BauO NW schon vor der Verfügung des Oberkreisdirektors des Kreises S1. vom 6. Mai 1992 bewußt gewesen ist, wird aber weder von von der Klägerin behauptet noch läßt sich derartiges aus den dem Senat vorliegenden Unterlagen ableiten.
22Es ist nicht ersichtlich, daß der Beklagte das ihm durch § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG NW eingeräumten Ermessens nicht ordnungsgemäß nach § 40 VwVfG NW ausgeübt hat. Nicht von Belang ist insoweit, ob dem Nachbarn Josef Schlathölter bzw. seinen Rechtsnachfolgern ein Anspruch auf ein bauordnungsbehördliches Einschreiten zusteht. Der Beklagte hat in seiner Rücknahmeentscheidung allein auf das Gesetzmäßigkeitsprinzip abgestellt. Die Wiederherstellung eines gesetzmäßigen Zustandes als sachgerechte Zielsetzung einer Rücknahme verlangt nicht, daß gleichzeitig ein Dritter ein subjektives Recht auf ein Einschreiten der Behörde besitzt.
23Die Rücknahme ist auch nicht unverhältnismäßig. Die Wiederherstellung eines objektiv baurechtmäßigen und zugleich nachbarrechtlich unbedenklichen Zustandes hat hier beachtliches Gewicht. Die Frage des Vertrauensschutzes für den Kläger, dem durch die Umbaumaßnahmen Kosten erwachsen, spielt - worauf das Verwaltungsgericht bereits hingewiesen hat - allenfalls im Rahmen eines möglichen Nachteilsausgleichs (§ 48 Abs. 3 VwVfG NW) eine Rolle.
24Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO; der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 173 VwGO, §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
25Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen hierfür (§ 132 Abs. 2 VwGO) nicht vorliegen.
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