Urteil vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 7 A 1427/96
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen als Gesamtschuldner.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand:
2Hinsichtlich des Sachverhalts wird gemäß § 130b Satz 1 VwGO auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen. Ergänzend ist auszuführen:
3Mit Urteil vom 25. Januar 1996 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen.
4Am 13. März 1996 haben die Kläger gegen das ihnen am 28. Februar 1996 zugestellte Urteil Berufung eingelegt, zu deren Begründung sie vortragen: Die Errichtung der Häuser 4a, 4b und 4c bewirke ein Heranrücken des Studentendorfs an das reine Wohngebiet und verändere so dessen Charakter. Dies habe nach der Konzeption des Bebauungsplans durch die Festsetzungen über das Maß der baulichen Nutzung und die überbaubaren Flächen verhindert werden sollen. Die Sicherstellung des "gehobenen Wohnstandards" beruhe nicht nur auf städtebaulichen, sondern ausdrücklich auch auf privaten Interessen. Das Heranrücken der Studentenwohnheime löse daher einen Abwehranspruch nach den Grundsätzen der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aus. Die genehmigten Studentenwohnheime seien im übrigen auch nicht gemäß § 15 BauNVO in einem reinen Wohngebiet zulässig, weil es sich nicht um Appartements handele. Letztlich könne diese Frage aber offen bleiben, weil die Häuser nicht als Einzelvorhaben, sondern als ein Teil des Sondergebiets "Studentendorfs" zu werten seien.
5Die Kläger beantragen,
6das angefochtene Urteil zu ändern und nach dem Klageantrag zu erkennen.
7Der Beklagte beantragt,
8die Berufung zurückzuweisen.
9Zur Begründung trägt er ergänzend vor, daß ein aus dem Gebietscharakter abzuleitender Abwehranspruch schon deshalb nicht bestehe, weil die genehmigten Studentenwohnungen im reinen Wohngebiet zulässig wären und daher auch nicht dem Gebietscharakter widersprächen. Die Differenzierung zwischen Appartements und Einzelzimmern sei für die Frage der unzumutbaren Beeinträchtigung nach § 15 BauNVO unerheblich. Ein von den Klägern befürchtetes Heranrücken des Sondergebietes an das reine Wohngebiet sei nicht nachvollziehbar. Eine städtebauliche Konfliktsituation sei nicht entstanden. Vielmehr hätte der Bebauungsplan eine wesentlich höhere Ausnutzung innerhalb der überbaubaren Flächen ermöglicht.
10Das beigeladene Studentenwerk beantragt ebenfalls,
11die Berufung zurückzuweisen.
12Der Berichterstatter hat die Örtlichkeit am 24. Juni 1997 in Augenschein genommen; auf die Terminsniederschrift wird verwiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten einschließlich der Unterlagen zum Bebauungsplan Nr. 302 der Stadt I. Bezug genommen.
13Entscheidungsgründe:
14Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
15Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Aufhebung der Baugenehmigung vom 18. Oktober 1991, weil ihre öffentlich-rechtlichen Nachbarrechte nicht verletzt worden sind.
16Zur Begründung wird gemäß § 130b Satz 2 VwGO auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen. Im Hinblick auf das Berufungsvorbringen ist lediglich ergänzend auszuführen:
17Die Kläger können sich nicht mit Erfolg darauf berufen, daß durch die Erteilung der Genehmigung ihr Schutzanspruch auf Bewahrung des Gebietscharakters eines reinen Wohngebiets verletzt worden ist. Ein solcher Anspruch setzt voraus, daß durch die Zulassung eines mit der Gebietsfestsetzung unvereinbaren Vorhabens das nachbarliche Austauschverhältnis gestört und hierdurch eine Verfremdung des Gebiets eingeleitet wird.
18Vgl. BVerwG, Urteile vom 23. August 1996 - 4 C 13/94 -, ZfBR 1996, 328 ff und vom 16. September 1993 - 4 C 28/91 -, BRS 55 Nr. 110.
19Ein solcher Anspruch scheidet hier schon deshalb aus, weil sich die angefochtenen Vorhaben außerhalb des Baugebiets befinden, in dem sich das klägerische Grundstück befindet. In einem solchen Fall ist für die Anwendung eines gebietsübergreifenden Gebietsgewährleistungsanspruchs kein Raum, weil das nachbarliche Austauschverhältnis im Sinne einer Ausgleichsordnung nicht betroffen ist.
20Vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluß vom 23. August 1996 - 10 S 1492/96 -, GewArch 1997, 123 ff.
21Abgesehen davon läge auch bei Anwendbarkeit des Gebietsgewährleistungsanspruchs angesichts der genehmigten Nutzung und Dimensionierung der Gebäude keine Verfremdung des Gebietscharakters vor. Die genehmigten Gebäude sind vielmehr mit der Gebietsfestsetzung eines reinen Wohngebiets vereinbar. Ausgehend von den Bauzeichnungen und dem Eindruck in der Örtlichkeit spricht alles dafür, von einer Wohnnutzung auszugehen, die auch in einem reinen Wohngebiet allgemein zulässig wäre. Zwar handelt es sich bei den zweigeschossigen Gebäuden nicht um ein aus Einzelappartements bestehendes Studentenwohnheim, bei dem der Senat bereits den Wohnzweck bejaht hat.
22Vgl. OVG NW, Beschluß vom 22. Juli 1991 - 7 B 1226/91 -, NVwZ 1991, 1003.
23Die Grundrisse der einzelnen Gebäude deuten jedoch auf eine der Appartementbauweise vergleichbare Wohnnutzung hin, da innerhalb eines Gebäudes jeweils vier voneinander getrennte und abgeschlossene Einheiten vorhanden sind, die nach außen hin den Eindruck einer selbständigen Wohnung vermitteln. Die Aufteilung der Räume innerhalb einer solchen Einheit entspricht dem Charakter eines Appartementhauses eher als dem eines Wohnheims. Der Unterschied zu einer herkömmlichen Wohnung besteht lediglich darin, da jeder der jeweils vier Bewohner ein Zimmer für sich ausschließlich nutzt und sich die Gemeinschaftsräume wie Küche und Bad/WC mit anderen teilen muß. Es ähnelt daher einer Wohnform, die in Universitätsstädten auch in Wohnhäusern verbreitet ist.
24Vgl. Fickert/Fieseler, BauNVO, Kommentar, 8. Aufl., § 3 Rdnr.13.
25Letztlich kann die Frage der Abgrenzung der Wohnnutzung zur ebenfalls in Betracht kommenden Einordnung der Gebäude als Anlagen für soziale Zwecke offen bleiben, weil eine solche Anlage gemäß § 3 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO 1990 in einem reinen Wohngebiet ausnahmsweise zulässig wäre. Dann aber ist für die Annahme einer Verfremdung des Gebietscharakters jedenfalls bei der hier in Rede stehenden Größenordnung der Bauten kein Raum.
26Nachbarliche Abwehransprüche ergeben sich auch nicht im Hinblick auf das durch die streitigen Vorhaben bedingte Heranrücken der "studentischen" Bebauung an das reine Wohngebiet. Auch wenn man von der zwischen den Beteiligten weiterhin streitigen Rechtswirksamkeit des Bebauungsplanes Nr. 302 ausgeht, können die Kläger aus den Festsetzungen dieses Bebauungsplanes insoweit keine Abwehrrechte ableiten. Für das Gebäude I1. Weg 4a folgt dies bereits daraus, daß es vollständig außerhalb des Geltungsbereichs des Bebauungsplans liegt. Was die anderen beiden Häuser 4b und 4c angeht, können die Kläger aus der in bezug genommenen Textpassage der Begründung des Bebauungsplans Nr. 302 rechtlich nichts zu ihren Gunsten ableiten. Der Hinweis auf den vom Plangeber gewollten "gehobenen Wohnstandard" reicht nicht aus, um die Absicht des Plangebers zu belegen, er habe die Wohnnutzung westlich des I1. Weges vor einer Bebauung unmittelbar südöstlich des I1. Weges schützen wollen. Eine vom Plangeber gewollte Wechselbeziehung zwischen dem Wohnstandard im reinen Wohngebiet auf der einen Seite und der bodenrechtlich relevanten Nutzung auf der anderen Seite des I1. Weges läßt sich dem Text der Begründung nicht entnehmen. Sie liegt auch nicht aufgrund der erkennbaren planerischen Konzeption nahe. In dem Umfang, in dem der Plangeber etwa einen gehobenen Wohnstandard planerisch sichern wollte, hat er dies durch die für das reine Wohngebiet getroffenen Festsetzungen über Art und Maß der zugelassenen Nutzung getan. Anhaltspunkte dafür, daß mit der Intention des Nachbarschutzes beabsichtigte Festsetzungen auch außerhalb des Wohngebietes bestehen, sind nicht gegeben. Vielmehr spricht spricht schon die Tatsache, daß zwischen dem ursprünglich vorgesehenen achtstöckigen Hochhaus und dem reinen Wohngebiet ein Parkplatz vorgesehen war, dafür, daß ein über städtebauliche Aspekte hinausgehender Schutz der Bewohner des reinen Wohngebiets jedenfalls durch Festsetzungen außerhalb des Wohngebiets vom Plangeber nicht beabsichtigt war. Letzteres wäre aber erforderlich. Der Satzungsgeber muß mit der in Rede stehenden Festsetzung nicht nur eine städtebauliche Ordnung der Baukörper, sondern auch den Schutz der Nachbarn bezweckt haben.
27Vgl. OVG NW, Beschlüsse vom 29. April 1997 - 7 B 924/97 - und vom 23. Juni 1997 - 10 B 1055/97 - zur Festsetzung von Baugrenzen.
28Schließlich ist ein Abwehranspruch der Kläger nicht aus einer entsprechenden Anwendung des § 15 Abs. 1 BauNVO herzuleiten. Es kann zwar auch bei einer unter Verstoß gegen nicht nachbarschützende Festsetzungen eines Bebauungsplans erteilten Baugenehmigung Nachbarschutz in entsprechender Anwendung des § 15 Abs. 1 BauNVO unter Berücksichtigung der Interessenbewertung des § 31 Abs. 2 BauGB gegeben sein. Maßstab ist dann jedoch, ob sich die Baugenehmigung dem Nachbarn gegenüber als rücksichtslos darstellt.
29Vgl. BVerwG, Urteil vom 6. Oktober 1989 - 4 C 14/87 -, BRS 49 Nr. 188; OVG NW, Beschluß vom 16. Juli 1997 - 7 A 5536/94 -.
30Auch insoweit ist das Verwaltungsgericht zutreffend davon ausgegangen, daß eine solche Rücksichtslosigkeit nicht vorliegt. Eine andere Sichtweise für die hier interessierenden Bauten ist auch nicht für den Fall geboten, daß die Gebäude, wie von den Klägern vorgetragen, als Teil des sich weiter in östlicher Richtung erstreckenden "Studentendorfs" mit insgesamt 750 Wohneinheiten zu betrachten sind. Unbeschadet dieser Sicht geht von den Bauten selbst jedenfalls keine den Klägern unter dem Gebot der Rücksichtnahme unzumutbare Wirkung aus.
31Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 159 Satz 2, 162 Abs. 3 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 167 VwGO, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
32Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.
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Referenzen
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