Urteil vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 2 A 6899/95
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Berufungsverfahrens zu je einem Drittel. Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in jeweils gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand:
2Die 1955, 1973 und 1978 in Kasachstan geborenen Kläger beantragten unter dem 10. Juli 1991 ihre Aufnahme als Aussiedler. Mit Bescheid vom 7. Oktober 1992 lehnte das Bundesverwaltungsamt die Anträge ab. Den unter dem 10. Januar 1993 erhobenen Widerspruch der Kläger wies das Bundesverwaltungsamt mit Widerspruchsbescheid vom 10. Mai 1993 zurück. Der Widerspruchsbescheid wurde am 15. Mai 1993 Herrn K. A. zugestellt, dem die Kläger unter dem 10. Januar 1993 eine "Vollmacht für die Durchführung des Aussiedleraufnahmeverfahrens nach den §§ 27, 28 Bundesvertriebenengesetz (BVFG)" erteilt hatten. Der Widerspruchsbescheid ist an die Klägerin zu 1. adressiert. Im Betreff sind wie auch im Betreff des an den Bevollmächtigten gerichteten Anschreibens alle Kläger genannt.
3Am 17. Juni 1993 haben die Kläger Klage erhoben. Sie haben vorgetragen: Die Klage sei auf jeden Fall zulässig, da die Vollmacht nicht für die Zustellung gegolten habe.
4Die Kläger haben beantragt,
5die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesverwaltungsamtes vom 7. Oktober 1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Mai 1993 zu verpflichten, den Klägern einen Aufnahmebescheid zu erteilen.
6Die Beklagte hat beantragt,
7die Klage abzuweisen.
8Sie hat sich auf die Verfristung der Klage berufen und zusätzlich die Auffassung vertreten, die Klage sei unbegründet.
9Am 5. Juli 1994 hat die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Alma Ata die Kläger angehört.
10Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 13. Oktober 1995 als unzulässig abgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.
11Gegen den am 26. Oktober 1995 zugestellten Gerichtsbescheid haben die Kläger am 11. November 1995 Berufung eingelegt, zu deren Begründung sie vortragen: Die Beklagte habe durch Anhörung der Kläger im Juli 1994 das Verfahren von sich aus wieder aufgegriffen. Die Klage müsse daher auch im Hinblick auf die Zulässigkeit als Untätigkeitsklage in bezug auf die Entscheidung nach Wiederaufgreifen des Verfahrens geprüft werden. Die Kläger könnten sich insoweit auch auf Art. 3 GG berufen, denn die Beklagte habe in ähnlichen Fällen das Verfahren wiederaufgegriffen und bei Feststellung zumindest eines Bestätigungsmerkmals positiv entschieden.
12Die Kläger beantragen,
13den Gerichtsbescheid vom 13. Oktober 1995 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide zu verpflichten, die Kläger aufzunehmen und ihnen den Aufnahmebescheid zu erteilen.
14Die Beklagte beantragt,
15die Berufung zurückzuweisen.
16Sie verteidigt den angefochtenen Gerichtsbescheid und meint, die Ausführungen der Kläger zur Zulässigkeit einer Untätigkeitsklage in bezug auf ein Wiederaufgreifen des Verfahrens seien nicht nachvollziehbar.
17Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
18Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten (ein Heft) Bezug genommen.
19Entscheidungsgründe:
20Die Berufung ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.
21Die Klage ist unzulässig, weil die Kläger die Klagefrist, die gemäß § 74 Abs. 2 iVm Abs. 1 VwGO für ihre auf Erteilung eines Aufnahmebescheides gerichtete Verpflichtungsklage einen Monat betrug, nicht eingehalten haben. Der mit einer zutreffenden Rechtsbehelfsbelehrung versehene Widerspruchsbescheid vom 10. Mai 1993 wurde dem Bevollmächtigten der Kläger, Herrn K. A. , ordnungsgemäß am 15. Mai 1993 zugestellt. Die Herrn A. erteilte "Vollmacht für die Durchführung des Aussiedleraufnahmeverfahrens nach den §§ 27, 28 Bundesvertriebenengesetz (BVFG)" bezog sich allein auf das Widerspruchsverfahren, weil sie erst unter dem 10. Januar 1993, d.h. dem Datum des Widerspruchsschreibens, erteilt wurde. Sie umfaßte auch die Entgegennahme des Widerspruchsbescheides, weil das Widerspruchsverfahren erst mit der in § 73 Abs. 3 Satz 1 VwGO vorgeschriebenen Zustellung des Widerspruchsbescheides seinen Abschluß fand.
22Unschädlich ist, daß der Widerspruchsbescheid seinem Wortlaut nach lediglich an die Klägerin zu 1. als Adressatin gerichtet ist. Er muß nämlich im Zusammenhang mit dem Anschreiben vom gleichen Tag gesehen werden, das Herrn A. zusammen mit dem Widerspruchsbescheid zugestellt worden ist. Darin werden alle Kläger als Verfahrensbeteiligte aufgeführt. Das Anschreiben enthält weiter die Bitte, "den Antragstellern" die beigefügte Ausfertigung des Widerspruchsbescheides zu übersenden. Damit ist der Widerspruchsbescheid, der nach § 8 Abs. 1 Satz 3 VwZG nur in einfacher Ausfertigung zugestellt zu werden brauchte, erkennbar auch an die Kläger zu 2. und 3. als Adressaten gerichtet, zumal diese auch im Betreff des Widerspruchsbescheides ausdrücklich genannt sind.
23Vgl. für eine ähnliche Fallgestaltung BVerwG, Beschluß vom 28. November 1997 - 9 B 607.97 -.
24Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 60 Abs. 1 VwGO kann den Klägern nicht gewährt werden. Sie haben einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gestellt; Wiedereinsetzungsgründe sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
25Die Klage ist auch nicht als "Untätigkeitsklage" zulässig. Abgesehen davon, daß die am 17. Juni 1993 erhobene Klage kaum als Untätigkeitsklage im Hinblick auf ein erst im Juli 1994 eingeleitetes Verwaltungsverfahren angesehen werden kann, liegt in der Durchführung einer Anhörung am 5. Juli 1994 vor der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland Alma Ata auch kein "Wiederaufgreifen" des Verwaltungsverfahrens. Dies würde voraussetzen, daß ein vorangegangenes Verwaltungsverfahren unanfechtbar abgeschlossen worden ist. Das ist jedoch nicht der Fall. Vielmehr ist das durch den am 18. November 1991 beim Bundesverwaltungsamt eingegangenen Antrag auf Aufnahme als Aussiedler eingeleitete Verfahren nach wie vor anhängig, weil über die gegen den ablehnenden Bescheid vom 7. Oktober 1992 erhobene Klage noch nicht rechtskräftig entschieden ist. Dem Bundesverwaltungsamt bleibt es unbenommen, während des laufenden Verfahrens weitere Ermittlungen zur Sache anzustellen; es hat dadurch weder ein vom anhängigen Verfahren unabhängiges neues Verwaltungsverfahren eingeleitet noch etwa auf die Einhaltung der Klagefrist verzichtet. Die Wahrung der Klagefrist ist als Prozeßvoraussetzung immer von Amts wegen zu prüfen,
26vgl. statt aller Kopp, VwGO, 10. Auflage 1994, § 74 Rdnr. 3 iVm Vorbemerkung vor § 40 Rdnr. 10,
27sie steht nicht zur Disposition der Beteiligten.
28Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 159 Satz 1, 162 Abs. 3 VwGO iVm § 100 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht gemäß § 167 VwGO iVm §§ 708 Nr. 10, 711 Satz 1 ZPO.
29Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.
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