Urteil vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 9 A 2350/98
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand
2Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks Gemeinde W. , Gemarkung P. , Flur 7, Flurstück 379.
3Im Juni 1991 überprüfte der Öffentlich bestellte Vermessungsingenieur Dipl. Ing. R. B. im Auftrag des L. W. -L. bei einer Straßenschlußvermessung der L. Straße in P. die Grenze des Grundstücks der Klägerin gegen das Flurstück 770 (Gehweg). Nach seinen Unterlagen fand er den südlichen Grenzpunkt (Meißelzeichen 1428) im Bereich der Einmündung S. Straße übereinstimmend mit dem Katasternachweis vor. Bei dem nördlichen Grenzpunkt im Bereich der Friedhofsmauer fehlte die Markierung. Der fehlende Grenzpunkt (1421) wurde mit einem Eisenrohr am aufgehenden Mauerwerk der dort befindlichen Mauer abgemarkt.
4Die Klägerin nahm an dem danach anberaumten örtlichen Grenztermin vom 6. September 1991 nicht teil. Daher wurde sie durch Schreiben des Öffentlich bestellten Vermessungsingenieurs vom 6. September 1991 über die Grenzsituation sowie die vorgefundenen und neuen Grenzabmarkungen im Bereich ihres Grundstücks benachrichtigt.
5Der hiergegen eingelegte Widerspruch der Klägerin wurde durch Bescheid des Regierungspräsidenten D. , des Funktionsvorgängers der Beklagten (im folgenden: die Beklagte), vom 30. Dezember 1992 - bestätigt durch rechtskräftiges Urteil des Verwaltungsgerichts Minden vom 2. März 1998 - 9 K 511/93 - zurückgewiesen. Für diesen Bescheid wurde gleichzeitig nach § 15 Gebührengesetz Nordrhein-W. - GebG NW - eine Gebühr von 130,- DM festgesetzt.
6Die Klägerin hat Klage gegen die Gebührenfestsetzung erhoben und vorgetragen, die Beklagte führe die Aufsicht über die Öffentlich bestellten Vermessungsingenieure; die Bearbeitung von Widersprüchen gehöre damit zu den gesetzlichen Dienstpflichten der Beklagten. Bei der festgesetzten Gebühr handele es sich um eine Strafgebühr gegen sie, um sie in Zukunft von Rechtsbehelfen gegen behördliche Entscheidungen abzuhalten.
7Die Klägerin hat beantragt,
8den Gebührenbescheid im Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 30. Dezember 1992 aufzuheben.
9Die Beklagte hat sinngemäß beantragt,
10die Klage abzuweisen.
11Mit dem angefochtenen Urteil hat das Verwaltungsgericht der Klage stattgegeben. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, der angefochtene Gebührenbescheid der Beklagten sei rechtswidrig. § 15 Abs. 3 GebG NW könne nicht Rechtsgrundlage der angefochtenen Widerspruchsgebühr sein, da es an einem Widerspruch gegen eine für die Klägerin gebührenpflichtige Sach-entscheidung fehle. Allein die Tatsache, daß die von der Straßenbauverwaltung beantragte Abmarkung notwendigerweise auch die Klägerin als Grundstücksnachbarin betroffen habe, begründe für sie mangels Begünstigung noch keine Gebührenpflicht. Eine Gebührenpflicht folge auch nicht aus § 15 Abs. 4 GebG NW, weil die Klägerin nicht als Dritte, sondern als unmittelbar Betroffene die Sachentscheidung angefochten habe.
12Hiergegen richtet sich die zugelassene Berufung der Beklagten. Sie trägt vor, die Abmarkung einer Grenze begünstige den Grundstücksnachbarn auch dann, wenn dieser die Vermessung nicht beantragt habe. Aus dieser tatsächlichen Begünstigung folge, daß neben dem Antragsteller als Veranlasser auch der Grenznachbar als Begünstigter für die Amtshandlung der Abmarkung Kostenschuldner im Sinne des § 13 Abs. 1 GebG NW sei. Deshalb müsse der Grenznachbar auch die Kosten tragen, wenn er in einem Widerspruchsverfahren die Ergebnisse der Abmarkung anfechte und in diesem Verfahren unterliege. Ob ein Verwaltungsakt begünstigenden Charakter habe, sei anhand der Legaldefinition in § 48 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsverfahrensgesetz - VwVfG - zu beurteilen. Danach liege eine Begünstigung dann vor, wenn ein Recht oder ein rechtlich erheblicher Vorteil begründet oder bestätigt werde. Damit seien alle öffentlichen und privaten Rechte ebenso wie alle rechtlich geschützten Interessen - auch wirtschaftlicher Art - erfaßt, die unmittelbar aus dem Verwaltungsakt erwüchsen. Durch die Vermessung/Abmarkung eines Grundstücks werde der Umfang/Inhalt des aus dem Grundbuch folgenden Grundeigentums konkret festgelegt, beziffert bzw. kenntlich gemacht. Entsprechendes gelte für die Rechtsstellung des Betroffenen, die sich damit qualitativ jedenfalls mittelbar erweitere. Dessen ungeachtet werde die erfolgte Vermessung/Abmarkung eines Grundstücks im Geschäftsverkehr durchaus auch als wertsteigerndes Merkmal angesehen.
13Die Beklagte beantragt,
14das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.
15Die Klägerin stellt keinen Antrag.
16Sie ist der Auffassung, daß die angefochtene Abmarkung für sie keinen unmittelbaren Vorteil darstelle.
17Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt dieser Gerichtsakte und der des Verwaltungsgerichts Minden mit dem Aktenzeichen 9 K 511/93 sowie der von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgänge, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
18Entscheidungsgründe
19Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
20Die Gebührenfestsetzung im Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 30. Dezember 1992 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
21Es fehlt an einer wirksamen Rechtsgrundlage für die Heranziehung der Klägerin zu der festgesetzten Verwaltungsgebühr von 130,-- DM.
22Als Rechtsgrundlage für die Gebührenfestsetzung kommt weder § 15 Abs. 4 noch § 15 Abs. 3 des Gebührengesetzes für das Land Nordrhein-W. vom 23. November 1971 (GV NW S.354) in der Fassung des Gesetzes vom 19. März 1985 (GV NW S. 257) in Betracht.
23Nach § 15 Abs. 4 GebG NW sind Gebühren und Auslagen u.a. zu erheben für die Erteilung des Bescheides über Widersprüche Dritter, die sich durch die Sachentscheidung beschwert fühlen, wenn und soweit die Widersprüche zurückgewiesen werden. Dritter ist dabei nur, wer nicht Adressat der ergangenen oder begehrten Sachentscheidung ist und damit außerhalb des subjektiven Geltungsbereichs der mit der Sachentscheidung getroffenen Regelung steht. Dies ergibt sich aus der differenzierenden Systematik innerhalb des § 15 GebG NW zwischen Abs. 3 einerseits und Abs. 4 andererseits. Während § 15 Abs. 3 GebG NW den „Normalfall" erfaßt, daß jemand als Adressat einer Entscheidung, deren Regelungsbereich sich an ihn richtet, betroffen ist und erfolglos Widerspruch einlegt, regelt Abs. 4 die Fallkonstellation, daß andere als in Abs. 3 Betroffene, mithin „Dritte, die sich durch die Sachentscheidung beschwert fühlen", erfolglos Widerspruch gegen eine behördliche Entscheidung einlegen.
24Danach ist die Klägerin nicht Dritte, sondern Adressatin der hier erlassenen Abmarkung. Das folgt aus dem Charakter der Abmarkung.
25Die Abmarkung bezweckt nach § 18 Abs. 1 des Vermessungs- und Katastergesetzes für das Land Nordrhein-W. - VermKatG NW - in der Fassung vom 30. Mai 1990 (GV NW S. 360) die dauerhafte und sichtbare Kennzeichnung von festgestellten Grundstücksgrenzen (vgl. § 17 Abs. 1 VermKatG NW) durch Grenzzeichen. Sie macht die Grundstücksgrenzen örtlich erkennbar und sichert sie in dieser Weise. Die Abmarkung selbst ist dabei nach herrschender Rechtsprechung als feststellender Verwaltungsakt zu qualifizieren,
26vgl. BVerwG, Beschluß vom 1. April 1971 - IV B 59.70 -, DÖV 1972, 174; OVG NW, Urteil vom 6. Februar 1985 - 7 A 3129/83 -, S. 7 des Urteilabdrucks,
27der lediglich die Aussage trifft, daß der abgemarkte Punkt in der Örtlichkeit den sich aus dem Kataster ergebenden Grenzpunkt wiedergibt.
28OVG NW, Urteil vom 6. Februar 1985, a.a.O., S. 9 des Urteilabdrucks.
29Erlassen wird dieser feststellende Verwaltungsakt durch das bloße Anbringen der Grenzzeichen, folglich nicht schriftlich oder mündlich, sondern auf andere Weise im Sinne des § 37 Abs. 2 VwVfG.
30Vgl. Häde, Die Abmarkung der Grundstücke im Zusammenspiel von Verwaltungs- und Privatrecht, BayVBl. 1994, 417.
31Gerichtet ist die Abmarkung dabei an alle von ihr betroffenen Grundstückseigentümer. Dieser Umstand folgt aus der oben dargelegten Natur der Abmarkung als feststellender Verwaltungsakt, dessen Aussage gegenüber allen Eigentümern der an die Abmarkungspunkte grenzenden Grundstücke in gleicher und objektiver Weise wirkt. Dementsprechend bestimmt § 19 Abs. 1 Satz 1 VermKatG NW, daß diese Beteiligte des Abmarkungsverfahrens sind, und regelt § 19 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 5 VermKatG NW, daß diesen Beteiligten die Abmarkung ihrer (Hervorhebung durch den Senat) Grundstücksgrenze im Grenztermin bzw. gegenüber solchen Beteiligten, die am Grenztermin nicht teilgenommen haben, schriftlich oder durch Offenlegung bekanntzugeben ist.
32Die Klägerin wird in diesem Sinne von der im Juni 1991 durchgeführten Abmarkung unmittelbar betroffen, weil damit der Grenzverlauf gerade auch ihres Grundstücks in der Örtlichkeit festgestellt worden ist.
33§ 15 Abs. 3 GebG NW kommt als Rechtsgrundlage der angefochtenen Widerspruchsgebühr ebenfalls nicht in Betracht.
34Nach dieser Vorschrift sind, wenn gegen eine gebührenpflichtige Sachentscheidung Widerspruch erhoben wird, für den Erlaß des Widerspruchsbescheides Gebühren und Auslagen zu erheben, wenn und soweit der Widerspruch zurückgewiesen wird. Diese für die Gebührenfestsetzung erforderlichen tatbestandlichen Voraussetzungen sind hier ebenfalls nicht erfüllt.
35Der Widerspruch der Klägerin vom 6. September 1991 ist zwar durch Bescheid der Beklagten zurückgewiesen worden, der Widerspruch richtet sich aber nicht gegen eine gebührenpflichtige Sachentscheidung i.S.d. § 15 Abs. 3 Satz 1 GebG NW. Denn nicht jede gebührenpflichtige Sachentscheidung erfüllt die Voraussetzungen für die Gebührenfestsetzung, vielmehr muß sich der Widerspruch gerade gegen eine für den Widerspruchsführer gebührenpflichtige Sachentscheidung richten.
36Vgl. OVG NW Urteil vom 19. Februar 1979 - II A 1894/76 -; OVG NW Beschluß vom 5. November 1982 - 3 B 2015/82 -.
37Diese Voraussetzung liegt hier nicht vor. Die dem Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 30. Dezember 1992 zugrundeliegende Sachentscheidung beinhaltet für die Klägerin keine gebührenpflichtige Amtshandlung.
38Wer kosten- und damit gebührenpflichtig ist, bestimmt § 13 GebG NW. Nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 GebG NW - nur diese Regelung kommt hier in Betracht - ist zur Zahlung der Kosten verpflichtet, wer die Amtshandlung veranlaßt oder zu wessen Gunsten sie vorgenommen worden ist. Die Klägerin hat die Abmarkung als Amtshandlung nicht veranlaßt; die Abmarkung der westlichen Grenze ihres Grundstücks ist auf Antrag des L. W. -L. im Rahmen einer Straßenschlußvermessung erfolgt.
39Die Klägerin ist durch die Abmarkung auch nicht i.S.d. § 13 Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. GebG NW begünstigt. Von einer Begünstigung kann nur dann die Rede sein, wenn dem Kostenschuldner durch eine Amtshandlung ein - wie auch immer gearteter - unmittelbarer Vorteil zugute kommt.
40Vgl. OVG NW Urteil vom 13. Mai 1986 - 12 A 2815/84 -, Seite 10 des Urteilsabdrucks; Urteil vom 11. Juli 1991 - 2 A 1950/89 -, Seite 8 des Urteilsabdrucks; Begründung des Gesetzentwurfs Gebührengesetz in Nordrhein-W. , Landtags-Drucksache 7/821, Seite 29.
41Dieser Vorteil kann tatsächlicher oder rechtlicher Art sein,
42vgl. auch Zdunek, Kommentar zum GebG NW in: Praxis der Gemeindeverwaltung, Loseblattsammlung, Stand: Mai 1994, Anm. 7 zu § 13,
43wobei anhand der Gesamtumstände des jeweiligen Einzelfalls festzustellen ist, ob ein derartiger Vorteil gegeben ist.
44Die hier zu beurteilende Abmarkung durch den Öffentlich bestellten Vermessungsingenieur Dipl. Ing. R. B. vom 6. September 1991 beinhaltet für die Klägerin keinen unmittelbaren Vorteil rechtlicher oder tatsächlicher Art.
45Mit der Abmarkung erlangt die Klägerin keinen rechtlichen Vorteil. Denn mit der Abmarkung erfüllt sie keine ihr als Grundstückseigentümerin obliegende Verpflichtung. Anders als bei der Vermessung von Grundstücken oder Einmessung von Gebäuden nach § 14 VermKatG NW, deren Durchsetzung in § 14 Abs. 4 VermKatG NW ausdrücklich geregelt ist, besteht nämlich nach dem Vermessungs- und Katastergesetz für das Land Nordrhein-W. für Grundstückseigentümer keine rechtliche Pflicht, ihre Grundstücksgrenze abmarken zu lassen. Zwar sieht § 18 Abs. 1 Satz 1 VermKatG NW vor, daß festgestellte Grundstückgrenzen abzumarken sind, statuiert also grundsätzlich eine Pflicht zur Abmarkung, wenn auch in Abs. 2 und Abs. 3 der Vorschrift zahlreiche Ausnahmen geregelt sind, wonach von einer Abmarkung abgesehen oder eine solche zurückgestellt werden kann. Diese Pflicht wird aber gerade nicht dem Grundstückseigentümer auferlegt. Demgemäß fehlt auch eine dem § 14 Abs. 3 VermKatG NW entsprechende Regelung zur Durchsetzungsmöglichkeit.
46Auch in tatsächlicher Hinsicht gewährt die hier durchgeführte Abmarkung der Klägerin keinen unmittelbaren Vorteil. Insbesondere kann keine Rede davon sein, daß - wie die Beklagte meint - die Abmarkung die Verkehrsfähigkeit des Grundstücks der Klägerin verbessert hat. Das Gegenteil dürfte eher der Fall sein. Denn durch die Abmarkung ist kenntlich gemacht worden, daß jedenfalls der Gebäudesockel des Hauses der Klägerin sich nicht auf ihrem Hausgrundstück befindet, sondern im Straßenland liegt.
47Wie gerade der vorliegende Fall zeigt, kann deswegen der Auffassung des 3. Senats des erkennenden Gerichts im Beschluß vom 5. November 1982 - 3 B 2015/82 -, auf die die Beklagte sich gestützt hat und wonach die Abmarkung einer Grundstücksgrenze immer zu einer Begünstigung der jeweiligen betroffenen Grundstückseigentümer führen soll, nicht gefolgt werden, zumal in dem genannten Beschluß eine Begründung hierfür nicht gegeben wird.
48Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO iVm §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
49Die Revision ist nicht zugelassen worden, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht gegeben sind.
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