Urteil vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 15 A 1088/96
Tenor
Der angefochtene Gerichtsbescheid wird aufgehoben.
Die Sache wird an das Verwaltungsgericht Köln zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt dem Verwaltungsgericht vorbehalten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand:
2Die Klägerin ist Eigentümerin in zweier an der H straße gelegener Grundstücke (Gemarkung E feld, Flur 72, Flurstücke 2045/29 und 2307/39 - H straße 15 - sowie Gemarkung E, Flur 72, Flurstück 2308/39 - V Straße 200 -). Nach dem Ausbau der H straße im Jahre 1986 erließ der Beklagte gegenüber der Klägerin zwei Straßenbaubeitragsbescheide vom 30. Januar 1989 (Az. 621/11- 4K-9968 für das Grundstück H straße 15 über 143.554,12 DM und Az. 621/11-4K-9967 für das Grundstück V Straße 200 über 13.468,92 DM). Dagegen legte die Klägerin Widersprüche ein, die sie später auf die Hälfte des jeweils festgesetzten Betrages beschränkte. Durch Widerspruchsbescheide vom 22. Juni 1994 wies der Beklagte die Widersprüche zurück. Die Widerspruchsbescheide wurden an den im Widerspruchsverfahren für die Klägerin als Bevollmächtigten aufgetretenen Rechtsanwalt Dr. G gegen Empfangsbekenntnis übersandt. Dieser unterzeichnete die Empfangsbekenntnisse nicht, sondern übersandte die Bescheide nebst Empfangsbekenntnissen an die Geschäftsführerin der Klägerin mit einem Begleitschreiben vom 28. Juni 1994, in dem u.a. ausgeführt wurde:
3"Ich bin inzwischen völlig aus der Sache heraus und kann mich daher zur Sach- und Rechtslage nicht äußern. Ich möchte daher auch keinerlei Empfehlung für das weitere Vorgehen geben. Die beiden beigefügten Empfangsbescheinigungen füge ich mit der Bitte um weitere Veranlassung bei. Naturgemäß läuft erst vom Tage der Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses an die einmonatige Klagefrist. Auf die Klagefrist weise ich zu meiner Entlastung mit allem Nachdruck hin. ... Ich habe inzwischen - auch aus gesundheitlichen Rücksichten - meine aktive Anwaltstätigkeit beendet."
4Die Klägerin, die dieses Schreiben am 29. Juni 1994 erhielt, sandte die Empfangsbekenntnisse nicht zurück.
5Am 20. Juli 1994 reichte die Klägerin beim Amtsgericht K eine an dieses Gericht adressierte Klageschrift ein, mit der sie die Aufhebung der Beitragsbescheide in der Gestalt der Widerspruchsbescheide beantragte. Nachdem dem Beklagten die Klageschrift formlos und mit dem Hinweis auf eine beabsichtigte Verweisung übersandt worden war, verwies das Amtsgericht die Klage durch Beschluß vom 20. September 1994 ( ) an das Verwaltungsgericht Köln, bei dem die Akten am 17. Oktober 1994 eingingen (17 K 8013/94).
6Bereits zwischen dem 29. Juli und 1. August 1994 hatte die Klägerin beim Verwaltungsgericht Köln die vorliegende, denselben Streitgegenstand wie die Klage vor dem Amtsgericht betreffende Anfechtungsklage erhoben. Durch Beschluß vom 20. September 1994 hat das Verwaltungsgericht daraus das Verfahren unter dem neuen Aktenzeichen 17 K 7416/94 abgetrennt, soweit sich die Klage gegen den Bescheid bezüglich des Grundstücks V Straße 200 richtet.
7Die Klägerin hat vorgetragen: Der vorliegenden Klage stehe der Einwand der Rechtshängigkeit nicht entgegen, da die vor dem Amtsgericht K erhobene Klage nicht rechtshängig geworden sei. Da sie irrtümlich an das Amtsgericht K adressiert worden sei, könne die Rechtshängigkeit nur bei dem in Wahrheit gemeinten Verwaltungsgericht, nicht aber beim Amtsgericht eingetreten sein. Damit sei die vorliegende Klage zuerst beim Verwaltungsgericht Köln rechtshängig geworden. Auch sei die Klagefrist nicht versäumt. Der Lauf der einmonatigen Klagefrist sei nicht ausgelöst worden, da das Empfangsbekenntnis als notwendige Voraussetzung für eine Fristauslösung nicht zurückgesandt worden sei. Die einjährige Klagefrist sei gewahrt. Die Klage, die sich nur auf den Teil des Bescheides, der durch Widerspruch angefochten worden sei, beziehe, sei begründet, weil in dem Bescheid eine falsche Grundstücksfläche zugrundegelegt werde, die abgerechnete Straße zu Unrecht als Anliegerstraße eingestuft worden sei und die in den umlagefähigen Aufwand einbezogenen Kosten der Straßenbegrünung nicht beitragsfähig seien.
8Die Klägerin hat beantragt,
9den Beitragsbescheid vom 30. Januar 1989 (Az. 621/11-4 K-9968) in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Juni 1994 aufzuheben.
10Der Beklagte hat beantragt,
11die Klage abzuweisen.
12Er hat vorgetragen: Die Klage sei unzulässig, da bereits am 20. Juli 1994 eine denselben Streitgegenstand betreffende Klage beim Amtsgericht K eingegangen sei. Die vorliegende Klage sei auch deshalb unzulässig, weil sie verfristet sei. Auf den Umstand, daß das Empfangsbekenntnis für den Widerspruchsbescheid nicht zurückgesandt worden sei, könne sich die Klägerin nicht mehr berufen, da sie den Widerspruchsbescheid spätestens am 28. Juni 1994 erhalten habe. Das Empfangsbekenntnis sei für die Fristauslösung nicht erforderlich, da der ehemalige Verfahrensbevollmächtigte der Klägerin, Rechtsanwalt Dr. G , durch sein tatsächliches Verhalten die Annahme des Widerspruchsbescheides zum Ausdruck gebracht habe.
13Durch den angefochtenen Gerichtsbescheid hat das Verwaltungsgericht die Klage als unzulässig abgewiesen.
14Mit der dagegen rechtzeitig eingelegten Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie trägt vor: Zu Unrecht habe das Verwaltungsgericht angenommen, die Klagefrist sei versäumt worden. Dies sei mangels Rücksendung des Empfangsbekenntnisses für den Widerspruchsbescheid nicht der Fall. Auch fehle es an der notwendigen Voraussetzung für eine Zustellung, daß der Zustellungsadressat in Kenntnis der Zustellungabsicht bereit gewesen sei, das Schriftstück entgegenzunehmen und zu behalten.
15Die Klägerin beantragt,
16unter Änderung des angefochtenen Gerichtsbescheides den Heranziehungsbescheid des Beklagten vom 30. Januar 1989, betreffend das Grundstück H straße 15, in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Juni 1994 aufzuheben, soweit ein Beitrag von mehr als 71.777,06 DM festgesetzt wird.
17Der Beklagte beantragt,
18die Berufung zurückzuweisen.
19Er hält die Klage für verfristet. Ein Empfangsbekenntnis sei keine Wirksamkeitsvoraussetzung für die Auslösung der Klagefrist, sondern lediglich eine bloße Form des Nachweises des Zugangs. Durch die widerspruchslose Entgegennahme des Widerspruchsbescheides durch den ehemaligen Verfahrensbevollmächtigten der Klägerin, Rechtsanwalt Dr. G , sei die Zustellung bewirkt worden.
20Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im übrigen wird auf den Inhalt der Verfahrensakte, den Inhalt der Verfahrensakten 15 A 1089/96 und 15 A 1087/96 sowie auf die dazu beigezogenen Unterlagen Bezug genommen.
21Entscheidungsgründe:
22Die zulässige Berufung ist, soweit die Zulässigkeit der Klage in Rede steht, begründet. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ist die Klage zulässig.
23Der Klage steht keine anderweitige Rechtshängigkeit entgegen. Die beim Amtsgericht K am 20. Juli 1994 anhängig gemachte Klage ist dort nie rechtshängig geworden, vielmehr ist sie am 17. Oktober 1994, also nach der Rechtshängigkeit der vorliegenden Klage, beim Verwaltungsgericht Köln rechtshängig geworden (17 K 8013/94). Insoweit wird auf das Urteil des erkennenden Senates vom heutigen Tage zwischen den Beteiligten gleichen Rubrums (15 A 1089/96) Bezug genommen.
24Die Klage ist auch nicht wegen Versäumens der Klagefrist unzulässig. Gemäß § 74 Abs. 1 Satz 1 VwGO muß eine Anfechtungsklage innerhalb eines Monats nach Zustellung des Widerspruchsbescheides erhoben werden. Diese Frist ist nicht versäumt worden.
25Dabei kann offen bleiben, ob die Frist schon deshalb nicht versäumt wurde, weil die gemäß § 56 Abs. 2 VwGO in Verbindung mit § 5 Abs. 2 Verwaltungszustellungsgesetz gegen Empfangsbekenntnis beabsichtigte Zustellung wegen des bis heute nicht ausgestellten Empfangsbekenntnisses nicht wirksam erfolgt ist.
26Vgl. einerseits BGH, Urteil vom 29. Januar 1976 - IX ZR 47/74 -, LM § 197 BEG 1956 Nr. 5; Urteil vom 19. April 1994 - VI ZR 269/93 H -, NJW 1994, 2295, (zum vergleichbaren § 212a ZPO); BAG, Urteil vom 2. Dezember 1994 - 4 AZB 17/94 -, NJW 1995, 1916, (zu § 212a ZPO); andererseits BFH, Urteil vom 6. März 1990 - II R 131/87 -, BFHE 159, 425; offen gelassen vom BVerwG, Beschluß vom 12. Oktober 1984 - 1 B 57.84 -, Buchholz 340 § 5 VwZG Nr. 10, S. 1 (4).
27In jedem Falle setzt nämlich eine wirksame Zustellung mittels Empfangsbekenntnisses nach § 5 Abs. 2 VwZG voraus, daß der Zustellungsadressat das zuzustellende Schriftstück als zugestellt annimmt.
28Vgl. BVerwG, Beschluß vom 30. November 1993 - 7 B 92.93 -, Buchholz 340 § 5 VwZG Nr. 15, S. 5 (6); Urteil vom 17. Mai 1979 - 2 C 1.79 -, BVerwGE 58, 107 (108).
29Der - hier spätestens am 28. Juni 1994 erfolgte - Zugang des Widerspruchsbescheides beim ehemaligen Verfahrensbevollmächtigten der Klägerin, Rechtsanwalt Dr. G , alleine reicht nicht aus. Der ehemalige Verfahrensbevollmächtigte hat den Widerspruchsbescheid nicht als zugestellt angenommen. Das ergibt sich aus seinem Schreiben an die Geschäftsführerin der Klägerin vom 28. Juni 1994. In diesem Schreiben teilt er mit, daß er inzwischen seine aktive Anwaltstätigkeit beendet habe und übersendet der Klägerin den Widerspruchsbescheid nebst Empfangsbekenntnis mit dem ausdrücklichen Hinweis, daß die Klagefrist erst vom Tage der Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses laufe. Dieses Verhalten kann nur so verstanden werden, daß Rechtsanwalt Dr. G den Widerspruchsbescheid nicht als zugestellt angenommen hat, sondern wegen seines Rückzugs aus der beruflichen Tätigkeit nur den Widerspruchsbescheid an die Klägerin weiterleiten wollte.
30Ob die Zustellung tatsächlich später bewirkt wurde, wofür frühenstens der Zeitpunkt des Zugangs des Widerspruchsbescheides bei der Geschäftsführerin der Klägerin am 29. Juni 1994 in Betracht kommt, bedarf keiner Entscheidung, da in diesem Falle die Klage innerhalb der einmonatigen Klagefrist erhoben worden ist.
31Die Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO ist in keinem Falle überschritten worden.
32Das Verwaltungsgericht hat noch nicht in der Sache selbst entschieden. Der Senat macht von der Möglichkeit der Zurückverweisung gemäß § 130 Abs. 1 Nr. 1 VwGO Gebrauch, weil zur Sachentscheidung noch tatsächliche Aufklärung erforderlich ist und eine Verzögerung des endgültigen Verfahrensabschlusses, wenn sie denn überhaupt zu besorgen ist, hinnehmbar erscheint.
33Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.
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