Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 10 B 2558/98
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 15.000,-- DM festgesetzt.
1
G r ü n d e :
2I.
3Die Antragstellerin betreibt ein Unternehmen des öffentlichen Personennahverkehrs. Sie unterhält Buslinien in H. und C. -R. . Der Betriebshof befindet sich seit Anfang der sechziger Jahre auf dem Grundstück An der L. 41 in H. -B. .
4Das Grundstück der Antragstellerin liegt nördlich der Straße An der L. . Die Grundstücke südlich der Straße sind neben einem Imbiß sowie einem Autohaus mit Ausstellung und Verkauf mit Wohnhäusern bebaut. Die Straße An der L. mündet in die K. straße, die von Nord nach Süd verläuft. Die K. straße ist in dem hier interessierenden Teil auf ihrer Westseite mit Wohnhäusern bebaut. An diese Grundstücke grenzt das Betriebsgrundstück der Antragstellerin. Die K. straße mündet in die C. Straße. Südlich der C. Straße sind neben einem Autohaus mit Werkstatt, Verkauf und Tankstelle einzelne Wohnhäuser vorhanden. Auch nördlich der C. Straße sind Wohnhäuser vorhanden, mit Ausnahme des Eckgrundstücks C. Straße/K. straße. Hier steht eine Gaststätte. Im Westen grenzt das Betriebsgrundstück der Antragstellerin an unbebaute, dem Außenbereich zuzuordnende Flächen. Zwischen der Bebauung südlich der C. Straße und dem Betriebsgrundstück der Antragstellerin war ein über 40 m breiter Streifen von Bebauung frei. In diesem Streifen ist auf der Ecke K. straße/C. Straße von der K. straße zurückversetzt ein SB-Markt errichtet worden, dem zur K. straße und zur C. Straße hin Stellplätze vorgelagert sind.
5Die Antragstellerin hat auf ihrem Betriebsgrundstück einen Komplex aneinandergebauter Hallen errichtet. Neben einer Inspektionshalle und einer Werkstatthalle besteht der Baukomplex aus Hallen zum Abstellen der Busse. Die Antragstellerin verfügt derzeit über 53 Linienbusse. Von ihnen sind täglich 48 regelmäßig eingesetzt. Die Fahrzeuge verlassen das Gelände morgens zwischen 3.30 Uhr und 7.00 Uhr. Etwa zehn Fahrzeuge sind nur in den morgendlichen Spitzenzeiten (Berufsverkehr und Schülerverkehr) eingesetzt. Von ihnen abgesehen, kehren die Busse etwa ab 20.00 Uhr auf den Betriebshof zurück. Das letzte Fahrzeug erreicht ihn um 1.00 Uhr. Das Betriebsgrundstück der Antragstellerin hat nur eine Zufahrt, und zwar an der Straße An der L. . Die zurückkehrenden Fahrzeuge fahren zunächst in die Inspektionshalle. Dort werden sie gewaschen, gewartet und betankt. Sie verlassen die Inspektionshalle und fahren von dort gegebenenfalls in die Werkstatt, sonst in eine der Abstellhallen. Die Einfahrt in die Inspektionshalle befindet sich an der Südseite des Gebäudes, die Ausfahrt aus ihr und die Einfahrten in die Werkstatt und die Abstellhallen befinden sich an der Nordseite des Gebäudekomplexes. Der Abstand zwischen den Hallen und der nördlichen Grundstücksgrenze beträgt rund 20 m.
6Das Grundstück der Antragstellerin ist - wohl bei Anlage des Betriebshofes - in Richtung auf die nördliche Grundstücksgrenze hin angeschüttet worden. Etwa 50 cm von der Grenze entfernt ist eine Stützmauer errichtet. Der Höhenunterschied zum nördlich angrenzenden Grundstück beträgt zwischen 1,70 m und 3,50 m.
7Der Antragsgegner erteilte für die Errichtung der Hallen auf dem Grundstück der Antragstellerin verschiedene Baugenehmigungen. Die Baugenehmigung vom 23. Februar 1978 für die Errichtung einer Abstell- und Inspektionshalle mit Sozial- und Büroräumen enthält unter Nr. 17 eine Auflage:
8Durch geeignete technische Maßnahmen ist sicherzustellen, daß die vom Gesamtbetrieb einschließlich des Kraftfahrzeugverkehrs auf dem Betriebsgrundstück verursachte Lärmeinwirkung auf die Nachbarschaft die nachstehend aufgeführten Immissionsrichtwerte nicht überschreitet:
9Betriebswohnhaus An der L. 36 u. 38
10tagsüber 65 dB(A), nachts 50 dB(A)
11Wohnhäuser K. straße 117 - 129 u. C. Straße 156 - 168
12Als Nachtzeit gilt die Zeit von 22.00 bis 6.00 Uhr.
13In dem Bauvorbescheid für dieses Vorhaben war dieselbe Auflage enthalten. Allerdings war unter die Erwähnung der Wohnhäuser K. straße 117 - 129 und C. Straße 156 - 168 hinzugesetzt:
14tagsüber 60 dB(A), nachts 45 dB(A).
15Die Beigeladene zu 1) beabsichtigte auf dem Grundstück nördlich des Betriebshofs der Antragstellerin, westlich des inzwischen errichteten SB-Marktes und südlich der Wohnbebauung an der C. Straße acht Doppelhäuser zu errichten. Während des Beschwerdeverfahrens wurde über das Vermögen der Beigeladenen zu 1) der Konkurs eröffnet. Die Beigeladene zu 2) beabsichtigt, als neue Bauherrin das Vorhaben zu verwirklichen.
16Der Antragsgegner erteilte der Beigeladenen zu 1) unter dem 26. März 1998 acht Baugenehmigungen für die Errichtung je einer eingeschossigen Doppelhaushälfte mit ausgebautem Dachgeschoß. Durch eine weitere Baugenehmigung vom 9. April 1998 genehmigte der Antragsgegner ferner die Errichtung einer Schallschutzwand entlang der Grenze zum Grundstück der Antragstellerin. Die Schallschutzwand soll auf Stützen errichtet werden und etwa 2 m über das höhergelegene Gelände des Betriebshofs der Antragstellerin hinausragen. Bezogen auf die zu errichtenden Wohnhäuser läge die Oberkante der Schallschutzwand in der Höhe der Oberkante der Fenster im Dach. Die Baugenehmigungen für die Errichtung der Wohnhäuser enthalten jeweils eine Auflage, nach der bis zur Nutzung des Gebäudes die Lärmschutzwand zu erstellen ist.
17Die Beigeladene zu 1) hatte eine gutachtliche Stellungnahme des RW TÜV vom 18. März 1997 vorgelegt. Dieses Gutachten kommt zu dem Ergebnis, in der lautesten Nachtstunde (etwa zwischen 23.00 Uhr und 24.00 Uhr) werde bei elf Busfahrten der Immissionsrichtwert von 45 dB(A) an den geplanten Wohnhäusern nicht überschritten. Einzelne Spitzenpegel, die den Richtwert um mehr als 20 dB(A) überschritten, seien nicht zu erwarten.
18Die Baugenehmigung für eine der Doppelhaushälften wurde der Antragstellerin bekanntgemacht. Diese legte am 27. Mai 1998 unter dem Betreff "Neubau von 8 Einfamiliendoppelhaushälften mit je einem PKW-Stellplatz" gegen die Baugenehmigung Widerspruch ein.
19Die Antragstellerin hat ferner beim Verwaltungsgericht um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Sie hat im Kern geltend gemacht: Rücke die Wohnnutzung an ihr Betriebsgrundstück heran, müsse sie künftig mit Einwendungen von Nachbarn gegen ihren Betrieb und mit behördlich verfügten Einschränkungen ihres Betriebs rechnen. Die Auflagen zur Baugenehmigung höben die Unvereinbarkeit der Nutzungsarten nicht auf. Die Schallschutzwand werde jede Wirkung verfehlen. Ihre Errichtung verstoße zudem gegen das Abstandflächenrecht.
20Die Antragstellerin hat beantragt,
21die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs vom 26. Mai 1998 gegen die Baugenehmigung vom 26. März 1998, zugestellt am 13. Mai 1998, anzuordnen.
22Der Antragsgegner hat beantragt,
23den Antrag abzulehnen.
24Er hat vorgetragen: Die genehmigte Lärmschutzwand werde sicherstellen, daß die jetzt genehmigte Wohnbebauung keinen stärkeren Lärmbelästigungen ausgesetzt sein werde als die vorhandene Wohnbebauung. Das Vorhaben füge sich in die Eigenart der Umgebung ein, die durch den Betriebshof der Antragstellerin vorbelastet sei. Das baurechtliche Gebot der Rücksichtnahme sei nicht verletzt. Die Schallschutzwand verstoße nicht gegen das Abstandflächenrecht.
25Die Beigeladene zu 1) hat keinen Antrag gestellt.
26Das Verwaltungsgericht hat den Antrag der Antragstellerin dahin ausgelegt, er richte sich ebenso wie ihr Widerspruch gegen das gesamte Bauvorhaben der Beigeladenen zu 1) und damit gegen alle acht unter dem 26. März 1998 erteilten Baugenehmigungen sowie gegen die Baugenehmigung für die Lärmschutzwand vom 9. April 1998. Das Verwaltungsgericht hat durch den angefochtenen Beschluß die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen die acht Baugenehmigungen zur Errichtung je einer Doppelhaushälfte angeordnet. Im übrigen (bezüglich der Baugenehmigung für die Lärmschutzwand) hat es den Antrag abgelehnt.
27Mit seiner vom Senat zugelassenen Beschwerde wendet der Antragsgegner sich gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts, das genehmigte Bauvorhaben verletze das Gebot der Rücksichtnahme.
28Der Antragsgegner beantragt sinngemäß,
29den angefochtenen Beschluß zu ändern und den Antrag abzulehnen.
30Die Antragstellerin beantragt,
31die Beschwerde zurückzuweisen.
32Unter weiterer Erläuterung der Betriebsabläufe auf ihrem Grundstück verteidigt sie den angefochtenen Beschluß.
33Die Beigeladene zu 1) stellt keinen Antrag.
34Die Beigeladene zu 2) beantragt,
35den Antrag der Antragstellerin zurückzuweisen.
36Sie macht im Kern geltend: Nach dem eingereichten Gutachten werde in der lautesten Nachstunde der Lärm, der von den Bussen ausgehe, unter Berücksichtigung der Lärmschutzwand die Richtwerte von 45 dB(A) nicht überschreiten. Mit Blick auf den Schutzanspruch der umliegenden Grundstücke und den schon jetzt verursachten Lärm könne die Antragstellerin die Fahrzeugbewegungen auf ihrem Betriebsgrundstück nicht mehr erhöhen.
37Der Berichterstatter hat die Örtlichkeit in Augenschein genommen.
38Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Verfahrensakte 10 K 267/95 (VG Gelsenkirchen), der Bauakten des Antragsgegners zu dem streitigen Vorhaben (11 Hefte) und der Bauakten für den Betriebshof der Antragstellerin (6 Hefte).
39II.
40Die Beschwerde des Antragsgegners ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat dem Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zu Recht stattgegeben.
41Zu Recht hat das Verwaltungsgericht den Widerspruch der Antragstellerin und ihren Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes dahin ausgelegt, sie richteten sich gegen sämtliche Baugenehmigungen, die der Antragsgegner für das Vorhaben der Beigeladenen erteilt habe. Die Antragstellerin hat ersichtlich nicht die Baugenehmigung nur für eine einzelne Doppelhaushälfte anfechten wollen, sondern im Betreff ihres Widerspruchs klargestellt, daß sich dieser gegen das Vorhaben insgesamt richtet. Für sie war nicht auf den ersten Blick erkennbar, daß der Antragsgegner das Gesamtvorhaben durch insgesamt neun einzelne Baugenehmigungen genehmigt hatte (acht Baugenehmigungen für je eine Doppelhaushälfte und die Baugenehmigung für die Lärmschutzwand). Dieser Auslegung ihres Widerspruchs und ihres Rechtsschutzbegehrens hat die Antragstellerin nicht widersprochen. Sie hat sich diese Auslegung dadurch zu eigen gemacht.
42Der Antrag der Antragstellerin auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die acht Baugenehmigungen zur Errichtung je einer Doppelhaushälfte ist begründet. Nur in diesem Umfang ist ihr Rechtsschutzbegehren Gegenstand des Beschwerdeverfahrens. Soweit der Antragsgegner die Errichtung einer Lärmschutzwand genehmigt hat, ist die Baugenehmigung hierfür nach der zutreffenden Auslegung des Verwaltungsgerichts zwar durch den Widerspruch der Antragstellerin ebenfalls angefochten, insoweit hat das Verwaltungsgericht ihr vorläufigen Rechtsschutz jedoch versagt. Die Antragstellerin weder einen eigenen Zulassungsantrag gestellt noch nach Zulassung der Beschwerde des Antragsgegners eine Anschlußbeschwerde eingelegt.
43Das Interesse der Antragstellerin daran, das genehmigte Vorhaben der Beigeladenen vorerst zu verhindern, überwiegt das Interesse der Beigeladenen zu 2), die noch der Beigeladenen zu 1) erteilten Baugenehmigungen sofort ausnützen zu dürfen. Nach dem derzeitigen Erkenntnisstand des Senats hat der Antragsgegner bei der Erteilung dieser Baugenehmigungen öffentlich-rechtliche Vorschriften verletzt, die dem Schutze der Antragstellerin als Nachbarin zu dienen bestimmt sind. Die Antragstellerin wird mithin im Hauptsacheverfahren voraussichtlich die Aufhebung der angefochtenen Baugenehmigungen erreichen können.
44Die Baugenehmigungen dürften gegen Vorschriften des Bauplanungsrechts verstoßen, welche der Antragstellerin Nachbarschutz vermitteln. Das Vorhaben dürfte sich nicht im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB in die Eigenart der näheren Umgebung einfügen und dadurch zugleich das Gebot der Rücksichtnahme auf das angrenzende Betriebsgrundstück der Antragstellerin verletzen.
45Ob das Vorhaben der Beigeladenen sich nach der Art der baulichen Nutzung in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt, richtet sich nach § 34 Abs. 1 BauGB. § 34 Abs. 2 BauGB ist nicht anwendbar. Die Eigenart der näheren Umgebung entspricht keinem der Baugebiete nach der Baunutzungsverordnung. Südlich der Straße An der L. , westlich und östlich der K. straße in dem hier interessierenden Bereich sowie nördlich und südlich der C. Straße werden die Grundstücke überwiegend zum Wohnen genutzt. Darin eingestreut sind einzelne gewerbliche Nutzungen, wie das Autohaus südlich der Straße An der L. , die Gaststätte auf dem Eckgrundstück C. Straße/K. straße und der SB-Markt auf der anderen Seite dieser Kreuzung. Bei diesen gewerblichen Nutzungen dürfte es sich noch um solche handeln, die in einem allgemeinen Wohngebiet zulässig wären. Das gilt auch für den SB-Markt. Er dürfte nach der Größe seiner Verkaufsfläche noch zu den Läden zählen, die der Versorgung des Gebiets dienen (§ 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO). Diesen Rahmen eines allgemeinen Wohngebiets dürfte das Autohaus mit Tankstelle südlich der C. Straße überschreiten. Es liegt allerdings schon am Rande des Bebauungszusammenhangs. Inmitten des Gebiets liegt aber der Betriebshof der Antragstellerin. Er ist weder in einem allgemeinen Wohngebiet noch in einem Mischgebiet zulässig, sondern wäre nur in einem Gewerbegebiet zulässig. Er prägt aufgrund seiner Größe und Ausstrahlung die Umgebung mit. Diese kann daher weder als allgemeines Wohngebiet noch als Gewerbegebiet eingeordnet werden.
46Der Rahmen, dem das Vorhaben der Beigeladenen sich einzufügen hat, umfaßt danach auch Wohnbebauung. Ein Vorhaben fügt sich zwar in der Regel im Sinne des § 34 BauGB ein, wenn es sich innerhalb des Rahmens hält, der aus seiner Umgebung hervorgeht. Es fügt sich aber ausnahmsweise trotz Einhaltung des Rahmens nicht ein, wenn es an der gebotenen Rücksichtnahme auf die sonstige, d.h. vor allem auf die in seiner unmittelbaren Nähe vorhandene Bebauung fehlen läßt.
47Der Rücksicht bedarf nicht nur, wer von Immissionen, wie beispielsweise Lärm, betroffen wird. Auch demjenigen, der Emissionen verbreitet, muß dafür Raum zur Verfügung gestellt werden, in dem seine Anlage in ihrem Bestand und Betrieb vor Überforderungen durch störungsempfindliche Nachbarn geschützt ist. Treffen unverträgliche Nutzungen unvermittelt aufeinander, hat das Gebot der Rücksichtnahme nicht nur die Aufgabe, schädliche Umwelteinwirkungen von einer störanfälligen Nutzung fernzuhalten, sondern auch die Aufgabe, emittierende Betriebe in ihrer Existenz zu sichern. In diesem Sinne fügt sich ein Vorhaben in die Eigenart der unmittelbaren Umgebung nicht ein, wenn es sich schädlichen Umwelteinwirkungen aussetzt, etwa zu nahe an einen vorhandenen emittierenden Betrieb heranrückt,
48vgl. Mampel, Nachbarschutz im öffentlichen Baurecht, Rdnr. 1086 ff. mit Nachweisen der Rechtsprechung.
49Das Vorhaben der Beigeladenen setzt sich schädlichen Umwelteinwirkungen durch den vorhandenen Betrieb der Antragstellerin aus, insbesondere durch Lärm, aber auch durch Luftverunreinigungen, wie sie durch die Abgase der Omnibusse verursacht werden.
50Die VDI-Richtlinie 2058 "Beurteilung von Arbeitslärm in der Nachbarschaft" sieht für Mischgebiete Immissionsrichtwerte von nachts 45 dB(A) vor, die zur Sicherung der Nachtruhe auch kurzzeitig nicht um mehr als 20 dB(A) überschritten werden sollen. In der hier gegebenen Gemengelage von Gewerbebetrieb und Wohnnutzung erscheint es angemessen die Werte für Mischgebiete heranzuziehen. Sie werden bezogen auf die zur Bebauung vorgesehenen Flächen durch den Betrieb der Antragstellerin deutlich überschritten.
51Bereits früher war geplant, auf dem streitigen Baugelände Wohnhäuser zu errichten. Aus diesem Anlaß hatte der seinerzeitige Bauherr ein Gutachten eingeholt, das sich zu den Geräuscheinwirkungen des Betriebshofs auf die geplante Wohnbebauung verhielt. Das Gutachten des Rheinisch- Westfälischen TÜV vom 16. Februar 1990 kam auf Grund von Messungen für die Zeit zwischen 23.00 Uhr und 24.00 Uhr zu einem Mittelungspegel von 53 dB(A). Dieser Lärm wird von den Bussen verursacht, die die Inspektionshalle nach Norden verlassen und in eine der Abstellhallen fahren. Derartige nächtliche Lärmeinwirkungen sind für eine allgemeine Wohnnutzung nicht mehr zumutbar, nicht einmal mehr für eine Wohnnutzung, wie sie in Gewerbegebieten ausnahmsweise zulässig ist. In dem Gutachten ist zudem festgestellt, daß bei den Fahrten kurzfristige Pegelspitzen den Richtwert um bis zu 25 dB(A) überschritten.
52Allerdings will die Beigeladene zu 2. eine Lärmschutzwand errichten und die Wohnbebauung dadurch gegen den Betrieb der Antragstellerin abschirmen. Aber diese Maßnahme ist nicht geeignet, die Verträglichkeit des unmittelbaren Nebeneinanders von Gewerbebetrieb und Wohnen sicherzustellen. Trotz dieser beabsichtigten Schutzmaßnahme erweist sich das Heranrücken lärmempfindlicher Wohnbebauung an den lärmintensiven Betrieb der Antragstellerin diesem gegenüber als rücksichtslos.
53Das Ergänzungsgutachten des Rheinisch-Westfälischen TÜV vom 18. März 1997 hat für die geänderte Planung auf dem streitigen Grundstück aus dem früheren Gutachten und den dafür vorgenommenen Messungen errechnet, daß bei Errichtung der Lärmschutzwand Richtwerte von 45 dB(A) nachts an den drei nächstgelegenen Wohnhäusern exakt eingehalten, an den weiter entfernt liegenden Wohnungen knapp unterschritten werden. Das Gutachten geht von einer unveränderten Betriebsführung auf dem Grundstück der Beigeladenen aus. Wie das Verwaltungsgericht mit Recht hervorgehoben hat, muß jede organisatorische Änderung im Betriebsablauf, insbesondere jede Intensivierung des Betriebes, wie sie ohne bauliche Veränderung innerhalb der erteilten Baugenehmigungen möglich wäre, zu einer Überschreitung der Lärmrichtwerte für die heranrückende Wohnbebauung führen. Die Antragstellerin sähe sich dann mit der Forderung konfrontiert, entweder auf die Intensivierung ihres Betriebes oder seine organisatorische Änderung zu verzichten, oder aber ihrerseits kostenintensive Lärmschutzmaßnahmen zu ergreifen.
54Zu Unrecht meint die Beigeladene zu 2., die Antragstellerin müsse ihren Betrieb ohnehin so organisieren und führen, daß für die streitige Fläche ungeachtet ihrer Bebauung Lärmrichtwerte von 45 dB(A) nachts nicht überschritten würden. Diese Auffassung trifft indes nicht zu. Welches Maß an Rücksichtnahme einem emittierenden Betrieb innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils abverlangt wird, richtet sich nach dem in der Umgebung tatsächlich Vorhandenen nach Maßgabe des rechtlich Zulässigen. Aufschluß darüber, ob ein Vorhaben auf die nähere Umgebung die gebotene Rücksicht nimmt, vermag außerhalb der Bauplangebiete allein die tatsächlich vorhandene Bebauung und die tatsächlich ausgeübte Nutzung zu geben. Auf die rechtliche Bebaubarkeit des Grundstücks kommt es nicht an,
55vgl. z.B. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 14. Januar 1992 - 4 C 19.90 - BRS 55 Nr. 175.
56Vielmehr ist umgekehrt gerade die Frage zu beantworten, ob das bisher unbebaute Grundstück aufgrund seiner Prägung durch den unmittelbar angrenzenden emittierenden Betrieb der Antragstellerin überhaupt für eine Bebauung mit Wohngebäuden in Betracht kommt, oder ob dies deshalb nicht der Fall ist, weil sich eine Wohnbebauung wegen der unmittelbaren Nachbarschaft des emittierenden Betriebs in die Eigenart der näheren Umgebung nicht einfügt.
57Die Baugenehmigungen, welche der Antragstellerin erteilt sind, bestätigen dies. Sie verlangen von der Antragstellerin derzeit nicht mehr, als ihren Betrieb so einzurichten, daß die Richtwerte für Mischgebiete bezogen auf die Wohnbebauung unmittelbar südlich der C. Straße eingehalten werden. Dabei geht der Senat davon aus, daß die Auflage zu der Baugenehmigung vom 23. Februar 1978 lediglich versehentlich unvollständig ist. Wörtlich genommen sieht sie Immissionsrichtwerte von tagsüber 65 dB(A) und nachts 50 dB(A) auch für die Wohnhäuser K. straße 117 bis 129 und C. Straße 156 bis 168 vor. Diese Richtwerte sollen aber offensichtlich nur für die beiden Betriebswohnhäuser An der L. 36 und 38 gelten. In engem zeitlichen Zusammenhang mit der Baugenehmigung vom 23. Februar 1978 sind der Antragstellerin für andere Anlagenteile Baugenehmigungen mit denselben Auflagen erteilt worden, die indes für die Wohnbebauung an der K. straße und der C. Straße Immissionsrichtwerte von tagsüber 60 dB(A) und nachts 45 dB(A) vorsehe. Eine solche Auflage war in dem einschlägigen Vorbescheid in Aussicht gestellt. Sie war offensichtlich auch für die nachfolgende Baugenehmigung vom 23. Februar 1978 gewollt. Die Wohnbebauung an der Südseite der C. Straße liegt deutlich über 40 m von dem Betriebsgrundstück der Antragstellerin entfernt. Die Wohnhäuser, welche die Beigeladene zu 2. jetzt errichten will, rückten bis auf 9 m an die Grundstücksgrenze heran. Sie verkürzten auf der Nordseite des Betriebshofs die Abstände zur nächstgelegenen Wohnbebauung drastisch und erschweren der Antragstellerin dadurch eine Betriebsführung, die mit der unmittelbaren Umgebung und ihrer Nutzung verträglich ist.
58Unerheblich ist weiter, daß die Wohnbebauung westlich der K. straße und südlich der Straße An der L. dicht an das Betriebsgrundstück der Antragstellerin heranreicht, insbesondere gegenüber der einzigen Zufahrt zu diesem Betriebsgrundstück Wohnbebauung vorhanden ist. Die Antragstellerin muß es deshalb nicht hinnehmen, daß auch auf der Nordseite ihres Grundstücks ein lärmempfindliche Wohnbebauung bis in unmittelbare Nähe ihres Betriebsgrundstückes heranrückt. Sie hat gerade lärmintensive Rangierbewegungen in diesen Bereich ihres Betriebsgrundstücks verlagert. Für sie verschlechtert sich die Nutzbarkeit ihres Grundstücks erheblich, wenn auch an die Nordseite des Betriebsgrundstücks Wohnbebauung heranrückt.
59Die Richtwerte von 45 dB(A) nachts können ohnedies - wie ausgeführt - nur eingehalten werden, wenn die Lärmschutzwand an der Grenze zum Grundstück der Antragstellerin errichtet wird. Daß diese Voraussetzung erfüllt werden wird, ist keinesfalls sicher. Nach der zutreffenden Auslegung des Widerspruchs hat die Antragstellerin auch die Baugenehmigung für die Errichtung der Lärmschutzwand angefochten. Ein Erfolg dieses Widerspruchs ist keinesfalls ausgeschlossen. Daß in der regelmäßig einzuhaltenden Abstandfläche von 3 m zur Grundstücksgrenze eine im Schnitt 4,80 m hohe Lärmschutzwand errichtet werden darf, liegt nicht eben nahe. Zu Recht verweist das Verwaltungsgericht darauf, von der Lärmschutzwand gingen Wirkungen wie von einem Gebäude aus. Sie unterliege deshalb gemäß § 6 Abs. 10 BauO NW den Vorschriften über Abstandfläche für Gebäude und damit den Vorschriften des § 6 Abs. 1 bis 9 BauO NW. Die Vorschrift über Einfriedungen (§ 6 Abs. 11 Nr. 2 BauO NW) ist hingegen nicht heranzuziehen. Sie gehört nicht zu den abstandflächenrechtlichen Vorschriften über Gebäude, wie sie § 6 Abs. 10 BauO NW in bezug nimmt. Eine etwaige Verwirkung eines nachbarlichen Abwehrrechts liegt nicht auf der Hand. Dafür kann offenbleiben, ob die Antragstellerin mit ihrer Stützmauer ihrerseits die Abstandfläche zu Unrecht in Anspruch nimmt. Dies berechtigt die Beigeladene nicht, eine deutlich höhere Wand auf ihrem Grundstück innerhalb der Abstandfläche zu errichten und dadurch die Abstandfläche deutlich stärker in Anspruch zu nehmen, als die Antragstellerin dies tut.
60Danach ist aus Gründen des Bauordnungsrechts nicht gesichert, daß sich die zur Abschirmung der geplanten Wohnnutzung erforderliche Schallschutzwand überhaupt verwirklichen läßt. Dann aber erweist sich das Vorhaben der Beigeladenen erst recht als planungsrechtlich rücksichtslos.
61Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Der Beigeladenen zu 2. können keine Kosten gemäß § 154 Abs. 3 VwGO auferlegt werden. Zwar hat sie einen Antrag gestellt. Dieser Antrag ist sinngemäß dahin auszulegen, daß sie die Zurückweisung des in erster Instanz gestellten Antrags der Antragstellerin auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes begehrt, nicht hingegen die Zurückweisung des in zweiter Instanz gestellten Antrags, die Beschwerde des Antragsgegners zurückzuweisen. Die Beigeladene unterstützt mit ihrem Antrag mithin den Antragsgegner. Die Unterstützung eines erfolglosen Rechtsmittelführers reicht für eine eigene Kostenpflicht des Beigeladenen jedoch nicht aus. Zwar ist § 154 Abs. 3 VwGO seinem Wortlaut nach erfüllt. Die Vorschrift ist aber keine eigenständige Haftungsgrundlage. Sie macht nur die sonst geltenden Kostenvorschriften für die Beigeladene anwendbar. Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen aber nach § 154 Abs. 2 VwGO stets allein demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. Anders als nach § 154 Abs. 1 VwGO führt das Unterliegen mit einem bloßen Antrag im Anwendungsbereich des § 154 Abs. 2 VwGO nicht zur Kostentragung. Daß die Beigeladene zu 2. den Antragsgegner mit einem gleichgerichteten Antrag unterstützt hat, macht sie noch nicht zum Rechtsmittelführer. Insbesondere liegt in ihrem Antrag kein unselbständiges Anschlußrechtsmittel, das im übrigen unstatthaft wäre.
62Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 20 Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.
63Dieser Beschluß ist unanfechtbar.
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