Urteil vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 5 A 4309/96
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand:
2Die 1917 geborene Klägerin bezieht von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) ein laufendes Altersruhegeld sowie eine Hinterbliebenenrente. In der Zeit von Oktober 1993 bis März 1994 wurde ihr die Hinterbliebenenrente gekürzt ausgezahlt. Grundlage hierfür war ein Pfändungs- und Überweisungsbeschluß des Amtsgerichts A vom 10. August 1993 wegen anwaltlicher Forderungen in einer Gesamthöhe von 5.793,58 DM zuzüglich Zinsen.
3Nach Eingaben an das Abgeordnetenhaus Berlin beschwerte sich die Klägerin mit Schreiben vom 2. Februar 1994 beim Petitionsausschuß des Deutschen Bundestages über das Verhalten der BfA. Ihre am 23. März 1994 wegen der Ausführung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses gegen die BfA erhobene Klage wies das Sozialgericht Berlin mit Urteil vom 6. Juni 1994 - S 6 An 1736/94 - ab. In seiner Sitzung vom 18. Mai 1995 beschloß der Deutsche Bundestag, entsprechend der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses, von einer zusätzlichen parlamentarischen Prüfung mit Blick auf die ausstehende Berufungsentscheidung des Landessozialgerichts Berlin abzusehen. Hierüber unterrichtete die Vorsitzende des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages die Klägerin mit Bescheid vom 14. Juni 1995.
4Aufgrund weiterer Eingaben der Klägerin sowie einer Mitteilung des Bundesversicherungsamtes, daß das Landessozialgericht Berlin die Berufung der Klägerin bereits mit Urteil vom 7. September 1994 - L 6 An 129/94 - zurückgewiesen habe und die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision erfolglos geblieben sei (Beschluß des Bundessozialgerichts vom 31. Oktober 1994 - 5 BA 173/94 - ), trat der Petitionsausschuß des Deutschen Bundestages in eine erneute Überprüfung des Anliegens der Klägerin ein. In seiner Sitzung vom 23. November 1995 beschloß der Deutsche Bundestag, das Petitionsverfahren auf der Grundlage der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses abzuschließen. Der Klägerin wurde hierüber der abschließende Bescheid vom 24. November 1995 erteilt.
5Bereits am 15. September 1995 hatte die Klägerin Klage gegen den Bescheid vom 14. Juni 1995 beim Verwaltungsgericht Berlin erhoben, das den Rechtsstreit mit Beschluß vom 8. Dezember 1995 an das Verwaltungsgericht Köln verwiesen hat. Zur Begründung hat die Klägerin geltend gemacht, die Kürzung ihrer Hinterbliebenenrente durch die BfA sei rechtswidrig gewesen.
6Die Klägerin hat beantragt,
7den Deutschen Bundestag unter Aufhebung der Bescheide vom 14. Juni 1995 und 24. November 1995 zu verpflichten, ihr Petitionsbegehren erneut zu überprüfen und zu bescheiden.
8Die Beklagte hat beantragt,
9die Klage abzuweisen.
10Sie hat zur Begründung ausgeführt, daß der Anspruch der Klägerin auf sachliche Prüfung und Bescheidung ihrer Petition erfüllt worden sei. Der Deutsche Bundestag habe im Hinblick auf das sozialgerichtliche Verfahren von einer vertieften parlamentarischen Prüfung absehen dürfen. Jedenfalls sei das Klagebegehren durch Bescheid vom 24. November 1995 erfüllt worden.
11Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch den angefochtenen Gerichtsbescheid vom 4. Juli 1996 abgewiesen; auf die Entscheidungsgründe wird verwiesen.
12Mit Schreiben vom 10. August 1996 hat die Klägerin "gegen den zielbewußten Willkürbescheid vom 4. Juli 1996" "Erinnerung" eingelegt. Sie wendet sich in der Sache - soweit der Streitgegenstand des vorliegenden Rechtsstreits berührt ist - weiterhin gegen die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses. Diese sei rechtswidrig, denn dem Parlament komme die Kontrollaufgabe zu, "daß Gerechtigkeit gegen jedermann geübt werde". Im übrigen ist sie der Auffassung, mit dem Verfahren "direkt" nichts zu tun zu haben. Vielmehr sei es vom Verwaltungsgericht Berlin an das Verwaltungsgericht Köln verwiesen worden. Da sie weder Klage erhoben noch Berufung eingelegt habe, könne sie auch keine verfahrensbeendende Erklärung abgeben.
13Die Klägerin beantragt sinngemäß,
14den angefochtenen Gerichtsbescheid zu ändern und den Deutschen Bundestag unter Aufhebung seiner Bescheide vom 14. Juni 1995 und 24. November 1995 zu verpflichten, ihr Petitionsbegehren erneut zu überprüfen und zu bescheiden.
15Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte einschließlich des von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgangs (Beiakte Heft 1) Bezug genommen.
16Entscheidungsgründe:
17Das Begehren der Klägerin im Schreiben vom 10. August 1996 ist als Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Köln vom 4. Juli 1996 auszulegen. Der Klägerin geht es in der Sache darum, daß der Gerichtsbescheid geändert und die Beklagte zu einer erneuten Überprüfung und Bescheidung des Petitionsbegehrens verpflichtet wird. Soweit die Klägerin meint, weder Klage erhoben noch Berufung eingelegt zu haben, steht dies im Widerspruch zum Akteninhalt. Zu der Erklärung, ein Berufungsverfahren nicht durchführen zu wollen, hat sich die Klägerin trotz entsprechender Hinweise des Gerichts nicht bereitgefunden.
18Die Berufung hat keinen Erfolg.
19Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, da der Deutsche Bundestag die Petition der Klägerin in rechtlich nicht zu beanstandender Weise (erschöpfend) behandelt hat; ein weitergehender Anspruch der Klägerin auf (erneute) sachliche Befassung besteht nicht.
20Art. 17 GG verleiht jedermann das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen und an die Volksvertretung zu wenden. Dieses Grundrecht hat formellen Charakter, da es keinen Anspruch auf Erfüllung des Petitionsanliegens gewährt.
21Vgl. OVG Berlin, Urteil vom 26. August 1975 - V B 22.73 -, DVBl. 1976, S. 261 m.w.N.
22Vielmehr entscheidet die angerufene Volksvertretung, die in der Regel keine eigene Abhilfekompetenz hat, autonom darüber, ob und gegebenenfalls in welcher Weise sie zugunsten des Petenten politischen Einfluß ausüben, Lösungen anregen sowie Regierungen und Verwaltungen um Abhilfe ersuchen will. Der aus Art. 17 GG folgenden umfassenden Behandlungskompetenz entspricht ein Behandlungsgebot, das die Verpflichtung zur Kenntnisnahme, sachlichen Prüfung und Bescheidung der eingereichten Bitten und Beschwerden umfaßt.
23BVerfG, Beschluß vom 22. April 1953 - 1 BvR 162/51 -, BVerfGE 2, 225 (230); BVerfG, Urteil vom 11. Juli 1961 - 2 BvR 2/58, 2 BvE 1/59 -, BVerfGE 13, 54 (90); BVerfG, Beschluß vom 15. Mai 1992 - 1 BvR 1553/90 -, NJW 1992, S. 3033.
24Diesen Anforderungen hat der Deutsche Bundestag vorliegend Rechnung getragen. Er hat die Petition der Klägerin zur Kenntnis genommen und - jedenfalls durch die erneute Behandlung und Bescheidung vom 24. November 1995 - in dem gebotenen Umfang sachlich geprüft und beschieden.
25In diesem Zusammenhang durfte er berücksichtigen, daß das Begehren der Klägerin in dem von ihr durch alle Instanzen betriebenen sozialgerichtlichen Verfahren rechtskräftig abgelehnt worden war. Denn dem Petitionsausschuß ist es mit Blick auf die Unabhängigkeit der Dritten Gewalt verwehrt, gerichtliche Entscheidungen zu überprüfen, zu ändern oder aufzuheben.
26Vgl. OVG NW, Urteil vom 22. März 1994 - 5 A 4242/92 -; Graf Vitzhum/März, Der Petitionsausschuß, in: Parlamentsrecht und Parlamentspraxis in der Bundesrepublik Deutschland, hrsg. von Schneider/Zeh, 1989, § 45, Rdnr. 17.
27Weitergehende Ansprüche stehen der Klägerin nicht zu. Wie bereits die Vorinstanz zutreffend dargelegt hat, gewährt Art. 17 GG über die dargestellten Rechte hinaus keinen Anspruch auf Erledigung im Sinne des Petenten.
28Vgl. BVerfG, Beschluß vom 22. April 1953 - 1 BvR 162/51 -, a.a.O.; BVerwG, Beschluß vom 1. September 1976 - VII B 105.75 -, NJW 1977, S. 118.
29Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO; die Entscheidung über ihre vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
30Die Revision ist nicht zuzulassen, da die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen (§ 132 Abs. 2 VwGO).
31
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
This content does not contain any references.