Urteil vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 3 A 954/94
Tenor
Die Berufung wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand:
2Die Klägerin wendet sich gegen die Heranziehung zu einem Erschließungsbeitrag für die erstmalige Herstellung des B. Weges in C. H. bach -I. .
3Die Klägerin ist Eigentümerin des 6.493 qm großen Grundstücks Gemarkung I. , Flur 2, Flurstück 1601. Dieses grenzt in Ecklage westlich an den B. Weg und nördlich an eine ca. 145 Meter lange, an ihrem Ende als Wendehammer ausgebaute Stichstraße, die im Bebauungsplan Nr. 4222 ("C. ") als Planstraße C bezeichnet ist. Das Grundstück ist - zusammen mit weiteren Parzellen (1898, 1900 und 1188) - Teil des umfangreichen Grundbesitzes der Klägerin, auf dem diese ihren Gewerbebetrieb führt. Bei der Parzelle 1601 handelt es sich in ihrem nördlichen (dem B. Weg und der Stichstraße zugewandten) Bereich zum ganz überwiegenden Teil um eine Wiesenfläche mit einigen Sträuchern, Laub- und Nadelbäumen. Sie schließt sich in der Form eines rechten Winkels nördlich und östlich an die Parzelle 1188 an. Letztere ist mit einem Wohnhaus und Nebengebäuden (Garage und Schwimmhalle) sowie gewerblich genutzten Hallen bebaut, von denen eine über die Parzellengrenze hinweg mit einer Fläche von ca. 160 qm auf den (vom B. Weg aus) rückwärtigen Teil der streitbefangenen Parzelle 1601 reicht. Hinter dieser Halle wurde im Jahr 1989 im rückwärtigen Bereich der Parzelle 1601 eine weitere gewerblich genutzte Halle errichtet, die außer- halb der vom Beklagten angenommenen beitragspflichtigen Grund- stücksfläche im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 4222 liegt, der insoweit die Festsetzung Gewerbegebiet vorsieht.
4Der B. Weg verläuft von der Landstraße L 289 mit der Bezeichnung Straßen im Süden bis I. im Norden. In den 80er Jahren ließ der Beklagte die Straße ausbauen. Im Jahre 1987 zog er die Klägerin zu einem Erschließungsbeitrag heran. Die damaligen Bescheide wurden vom Verwaltungsgericht L. mit Urteil vom 26. Januar 1989 aufgehoben, weil der tat- sächliche Ausbau in Teilen wesentlich von den Festsetzungen des damals maßgeblichen Bebauungsplans Nr. 119/1 abweiche und es somit an einer rechtmäßigen Herstellung der Straße im Sinne von § 125 BauGB fehle. Nach Aufhebung des Bebauungsplans Nr. 119/1 durch den Rat der Stadt C. H. bach (hinsichtlich seines östlichen Bereichs mit Beschluß des Bebauungsplans Nr. 4222 am 6. März 1986, hinsichtlich seines Restbereichs durch Satzungsbeschluß vom 19. Dezember 1989) stimmte der Regierungspräsident L. dem Straßenausbau unter dem 8. April 1992 nachträglich insoweit zu, als die Straße im Bereich des aufgehobenen Bebauungsplans lag. Bereits unter dem 22. April 1987 hatte er insoweit zugestimmt, als sie nicht im Bereich dieses und des Bebauungsplans Nr. 4121 liegt.
5Mit Bescheid vom 15. Mai 1992 zog der Beklagte die Klägerin (erneut) für die erstmalige Herstellung des Abschnitts des B. Weges von Straßen bis H. straße für die Teileinrichtungen Freilegung, Fahrbahn, Gehwege, Beleuchtung und Straßenoberflächenentwässerung unter Kostenspaltung hin- sichtlich des Grunderwerbs zu einem Erschließungsbeitrag in Höhe von 33.616,60 DM heran. Dabei sah er in Anwendung der satzungsrechtlichen Tiefenbegrenzungsregelung (lediglich) eine Grundstücksteilfläche von 3.043 qm als beitragsfähig an und setzte wegen überwiegend gewerblicher Nutzung des Grundstücks einen Artzuschlag (Nutzungsfaktor in Höhe von 1,75) an. Den Widerspruch der Klägerin wies er mit Widerspruchsbescheid vom 24. Juni 1992 zurück.
6Die Klägerin hat am 10. Juli 1992 Klage erhoben. Zur Begründung hat sie im wesentlichen vorgetragen: Der Heranziehung liege keine korrekte Abschnittsbildung zugrunde, weil die in der Anlegung begriffene, entlang ihres Firmengeländes verlaufende Stichstraße eine unselbständige und folglich zum B. Weg gehörende Erschließungsanlage darstelle. Ferner sei zu berücksichtigen, daß sie hinsichtlich der baulichen Nutzung ihres Grundstücks auf den Bestandsschutz beschränkt sei, nachdem der Beklagte die Verlängerung eines positiven Bauvorbescheides abgelehnt habe.
7Die Klägerin hat beantragt,
8den Heranziehungsbescheid des Beklagten vom 15. Mai 1992 und seinen Widerspruchsbescheid vom 24. Juni 1992 aufzuheben.
9Der Beklagte hat beantragt,
10die Klage abzuweisen.
11Er hat vorgetragen, daß die Planstraße C aufgrund ihrer Länge und der Zahl der durch sie erschlossenen Grundstücke als selb- ständige Erschließungsanlage anzusehen und daher nicht gemein- sam mit dem B. Weg abzurechnen sei.
12Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit dem angefochtenen Urteil, auf dessen Begründung Bezug genommen wird, abgewiesen.
13Die Klägerin hat gegen das ihr am 10. Januar 1994 zugestellte Urteil am 4. Februar 1994 Berufung eingelegt. Sie trägt zur Begründung vor: Zu Unrecht sehe das Verwaltungsgericht die Planstraße C als selbständige Erschließungsanlage an. Bei der gebotenen natürlichen Betrachtungsweise sei zu berücksichtigen, daß diese Planstraße auf der einen Seite nur das klägerische Grundstück erschließe. Zwar sei nicht auszuschließen, daß sie zusammen mit den anderen (geplanten) Stichstraßen nach deren Fertigstellung einmal ein gemeinsames System bilden werde; davon könne aber derzeit keine Rede sein. Zu Unrecht habe der Beklagte einen Artzuschlag wegen überwiegend gewerblicher Nutzung der Parzelle festgesetzt. Die einzige gewerbliche Nutzung finde in dem auf die Parzelle ragenden Hallenteil mit einer Größe von ca. 160 qm statt. Die weit überwiegende Fläche des der Heranziehung zugrunde gelegten Grundstücksteils, nämlich die oben genannte Wiesenfläche, sei dagegen dem auf der Parzelle 1188 stehenden Wohnhaus zuzuordnen. Diese Fläche könne als "Hausgarten" angesehen werden. Auch der Beklagte betrachte sie bauplanungsrechtlich als Teil des Wohngebietes; Letzteres ergebe sich aus einem Schreiben des Beklagten vom 28. Juli 1992, in dem dieser eine Erweiterung der vorhandenen gewerbli- chen Nutzung abgelehnt habe. Somit werde die Parzelle gegen- wärtig nicht überwiegend gewerblich genutzt und werde auch in Zukunft nicht in dieser Weise genutzt werden können. Die Rich- tigkeit der Auffassung des Beklagten unterstellt, daß die Stichstraße eine selbständige Erschließungsanlage ist, sei au- ßerdem eine Eckgrundstücksvergünstigung zu gewähren.
14Die Klägerin beantragt,
15das angefochtene Urteil zu ändern und nach dem Klageantrag zu erkennen.
16Der Beklagte beantragt,
17die Berufung zurückzuweisen.
18Er trägt zur Begründung im wesentlichen vor: Der Artzuschlag für die gewerbliche Nutzung sei zu Recht angesetzt worden. Der satzungsrechtliche Verteilungsmaßstab halte sich innerhalb des bundesrechtlichen Rahmens, wenn er auf die tatsächliche und nicht auf die zulässige Nutzung eines Grundstücks abstelle. Dies eröffne die Möglichkeit, gewerblich genutzte Grundstücke stärker zu belasten, wenn sie tatsächlich zu einer intensiveren Inanspruchnahme der Erschließungsanlage führten. Ausreichend sei dann auch, wenn die gewerbliche Nutzung nicht auf Dauer, sondern nur in etwa entsprechend der Lebensdauer der Erschließungsanlage zulässig sei. Dies sei im Falle der Klägerin gegeben, weil ihrem Gewerbebetrieb im unbeplanten Innenbereich nicht nur der "normale", sondern sogar der übergreifende Bestandsschutz (vgl. § 34 Abs. 3 BauGB a.F.) zustehe und damit selbst eine Weiterentwicklung des Gewerbebetriebs möglich sei. Ein Überwiegen der gewerblichen Nutzung sei anzunehmen, wenn ein Grundstück zu mehr als 50 % in einer bestimmten Weise ge- nutzt werde. Unter Berücksichtigung des im Beitragsrecht grundsätzlich anzuwendenden Buchgrundstücksbegriffs sei die einzige auf der Parzelle 1601 stattfindende Nutzung eine ge- werbliche. Nur auf der Nachbarparzelle 1188, auf der sowohl ein Wohnhaus wie auch ein gewerblich genutztes Gebäude aufste- he, sei überhaupt eine Aufteilung bzw. Zuordnung der Freiflä- chen nach Nutzungsarten möglich. Demgegenüber sei die Parzelle 1601 (immer bezogen auf den innerhalb der Tiefenbegrenzung ge- legenen Grundstücksteil) ausschließlich mit einem gewerblich genutzten Gebäude bebaut. Die besagte Wiesenfläche werde kei- neswegs als Hausgarten genutzt, sondern liege ungenutzt brach; sie könne somit nur der gewerblichen Nutzung auf gleicher Par- zelle zugeordnet werden. Eine Zuordnung zu dem Wohnhaus auf der Nachbarparzelle 1188 sei eindeutig nicht gegeben; dieser Eindruck werde noch verstärkt durch einen auf der Parzelle 1188 errichteten Zaun, der einen Durchgang zwischen den ver- schiedenen Gebäuden verhindere. Wollte man die vorhandenen Freiflächen nicht der gewerblichen Nutzung zuordnen, müßten sie bei der Feststellung der überwiegenden Nutzung gänzlich außer Betracht bleiben, da sie eben auch keiner anderen Nut- zung zugerechnet werden könnten. Auch in diesem Falle überwie- ge somit eindeutig das Gewerbe.
19Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte nebst Beiakten Bezug ge- nommen.
20E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
21Die Berufung ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Sie finden ihre Rechtsgrundlage in den §§ 127 ff. BauGB i.V.m. der Erschließungsbeitragssatzung der Stadt C. H. bach vom 25. Juli 1988 in der Fassung der 1. Nachtragssatzung vom 31. Oktober 1990 (EBS 1988/1990).
221. Der Beklagte hat der Beitragserhebung einen zutreffenden Ermittlungsraum zugrunde gelegt. Mit Recht hat er die nördlich des klägerischen Grundstücks verlaufende Planstraße C nicht als Bestandteil des B. Weges, sondern als selbständige Erschließungsanlage angesehen und daher diese Verkehrsstrecke und die (nur) durch sie erschlossenen Grundstücke nicht in die Abrechnung mit einbezogen. Ob eine Straße oder ein Straßenzug eine einheitliche Erschließungsanlage darstellt oder in mehrere selbständige Anlagen zerfällt, ist aufgrund einer natürlichen Betrachtungsweise nach dem äußeren Erscheinungsbild zu beurteilen. Dies gilt auch für die Frage, ob eine Stichstraße oder Sackgasse unselbständiger Bestandteil der Anbaustraße ist, von der sie abzweigt. Hierbei sind von besonderer Bedeutung die Länge der Stichstraße, die Zahl der durch sie erschlossenen Grundstücke und das Maß der Abhängigkeit zwischen ihr und der Straße, in die sie einmündet.
23Vgl. Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 5. Aufl. 1999, § 12 Rdnr. 13 ff. (m.w.N.).
24In Anwendung dieser Grundsätze ist die Planstraße C nicht als unselbständiges zufahrtsähnliches "Anhängsel" des B. Weges anzusehen. Dem steht zum einen ihre Länge von ca. 145 Metern entgegen, zum anderen erschließt sie neben dem (südlich angrenzenden) Grundstück der Klägerin auf der gegenüberliegenden Straßenseite ein Schulgrundstück sowie mehrere im Bereich des Bebauungsplans Nr. 4121 gelegene Wohnhausgrundstücke, die über eine wiederum von ihr abzweigende, im weiteren Verlauf abknickende Stichstraße erreichbar sind; außerdem ist sie über einen Rad- und Fußweg mit den Planstraßen A und B des Bebauungsplans Nr. 4222 ("C. ") verbunden. Schließlich hat sie auch nach dem Kriterium der Abhängigkeit von der Anbaustraße nicht den Charakter einer bloßen Zufahrt zu den angrenzenden Grundstücken.
252. Auch die Höhe des festgesetzten (Teil-) Erschließungsbeitrags ist nicht zu beanstanden. Insbesondere durfte der Beklagte gemäß § 6 C der EBS 1988/1990 einen Artzuschlag für die "überwiegend gewerbliche Nutzung" der Parzelle festsetzen. Die erwähnte Satzungsbestimmung lautet:
26"Werden in einem Abrechnungsgebiet (§ 5) außer überwiegend gewerblich oder in gleichartiger Weise (z.B. mit Büro-, Verwaltungs-, Post-, Bahn-, Krankenhaus- und Schulgebäuden) genutzten Grundstücken oder Grundstücken, die nach den Festsetzungen eines Bebauungsplanes in einem Kern-, Gewerbe-, oder Industriegebiet liegen, auch andere Grundstücke erschlossen, so sind für die Grundstücke in Kern-, Gewerbe- und Industriegebieten sowie für Grundstücke, die überwiegend gewerblich oder in gleichartiger Weise genutzt werden, die in Abs. B (1) Nrn. 1-5 genannten Nutzungsfaktoren um 0,5 zu erhöhen."
27Bei dem Abrechnungsgebiet handelt es sich (nach Aufhebung des früheren Bebauungsplans Nr. 119/1) überwiegend - mit Ausnahme einer nördlichen Teilstrecke (im Gebiet des Bebauungsplans Nr. 4121) - um ein unbeplantes Gebiet mit überwiegender Wohnnutzung entlang des B. Weges und mit (nur) teilweiser gewerblicher Nutzung, wie dies die zitierte Satzungsregelung voraussetzt. In deren Anwendung hat der Beklagte im angefochtenen Heranziehungsbescheid den Nutzungsfaktor von 1,25 für die tatsächlich vorhandene zweigeschossige Bebauung (in Gestalt des die Parzellengrenzen überschreitenden Hallenteils auf dem Flurstück 1601) um 0,5 auf 1,75 erhöht (§ 6 B (1) Nr. 2 i.V.m. (6) Buchst. a EBS 1988/1990).
28a) Gegen die Wirksamkeit dieser Satzungsregelung, insbesondere ihre Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht, bestehen keine Bedenken. Nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung ist es nicht zu beanstanden, wenn sich eine Verteilungsregelung für unbeplante Gebiete an der tatsächlichen Nutzung der Grundstücke orientiert, soweit eine solche vorhanden ist. Das gilt für das Maß und die Art der Nutzung gleichermaßen.
29Vgl. BVerwG, Urteile vom 3. Juni 1971 - IV C 28.70 -, BVerwGE 38, 147 (148 f.) = BRS 37, Nr. 120 = DÖV 1971, 815 und vom 16. Februar 1973 - IV C 52.71 -, BVerwGE 42, 17 (18 f.); Drie- haus, a.a.O., § 18 Rdnr. 7.
30Dabei entspricht das Abstellen auf die tatsächliche Nutzung durchaus der Abgabengerechtigkeit, weil es die Möglichkeit eröffnet, im maßgeblichen Zeitpunkt der Entstehung der sachlichen Beitragspflicht gewerblich genutzte Grundstücke auch dann stärker zu belasten, wenn sie nicht in ausgewiesenen Gewerbe- oder Industriegebieten liegen.
31Vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 1979 - 4 C 23.78 -, NJW 1980, 2208; Driehaus, a.a.O., § 18 Rdnrn. 54 und 56.
32Hieran anknüpfend bestehen keine Bedenken, einen Artzuschlag für gewerbliche Nutzung auch dann zu erheben, wenn - wie dies vorliegend nach dem Vortrag der Klägerin der Fall ist - ein Gewerbebetrieb an seinem Standort zwar mit Baugenehmigung errichtet worden ist, aber wegen späterer Änderung des Gebietscharakters durch hinzutretende Wohn- und Mischbebauung an dieser Stelle nicht mehr genehmigungsfähig ist und nur noch Bestandsschutz genießt. Denn mit dem Abstellen auf die tatsächliche (anstatt der zulässigen) Nutzung nimmt der Satzungsgeber nur den Entscheidungsspielraum wahr, der ihm als Ortsgesetzgeber in den Grenzen des § 131 Abs. 3 BauGB zusteht. Demgemäß kommt es vorliegend nicht auf die künftige baurechtliche Zulässigkeit und entsprechende Nutzungsmöglichkeit an, sondern auf eine aktuelle, tatsächliche "Momentaufnahme" zum Zeitpunkt der Entstehung der sachlichen Beitragspflicht. Der den (Erschließungs-)Beitrag von anderen Abgabetypen unterscheidende, mit der Einmaligkeit seiner Erhebung zusammenhängende Grundsatz, daß der mit dem Beitrag abgegoltene, ihm äquivalente Vorteil tatsächlich und rechtlich auf Dauer gesichert sein muß und z.B. ein nach materiellem Baurecht nicht bebaubares Grund- stück deswegen auch nach rechtswidrig erteilter und ausgenutzter Baugenehmigung nicht als erschlossen anzusehen ist, kann daher im vorliegenden Zusammenhang keine Geltung beanspruchen.
33Vgl. auch Driehaus, a.a.O., § 18 Rdnr. 7, wonach eine Verteilungsrege- lung selbst Fallgestaltungen berück- sichtigen dürfte, in denen mit Hilfe einer Ausnahme oder Befreiung die nach dem Bebauungsplan zulässige Nutzung überschritten oder eine vorhandene Altbebauung oder geduldete - an sich baurechtswidrige - Nutzung hingenommen wird.
34b) Zu Recht hat der Beklagte angenommen, daß das Grundstück der Klägerin im Sinne der maßgeblichen Satzungsbestimmung "überwiegend gewerblich genutzt" wird.
35Maßgeblicher Zeitpunkt für diese Beurteilung ist das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht, hier mit der den Straßenbauarbeiten nachfolgenden Entscheidung des Beklagten, den (bisher entstandenen) Erschließungsaufwand im Wege der Kostenspaltung (mit Ausnahme der Kosten des Grunderwerbs) geltend zu machen; mangels gegenteiliger Anhaltspunkte und in Übereinstimmung mit dem Vortrag der Beteiligten geht der Senat davon aus, daß seither keine Änderung der Sachlage eingetreten ist und daher die derzeit vorhandene und die seinerzeitige tatsächliche Nutzung einander entsprechen. Gegenstand der Nutzungsüberprüfung ist nunmehr die beitragsfähige Grundstücksfläche, deren Grenze der Beklagte in Anwendung der Tiefenbegrenzung gemäß § 6 A (2) Buchst. b EBS 1988/1990 in Höhe der hinteren Wand der auf den Flurstücken 1188/1601 aufstehenden (die Parzellengrenzen über- schreitenden) Halle gezogen hat.
36Nach der erwähnten Satzungsbestimmung ist der Artzuschlag anzuwenden auf Grundstücke, die "überwiegend gewerblich genutzt werden". Ein "Überwiegen" ist nach allgemeinem Sprachgebrauch anzunehmen, wenn im Rahmen einer Prozent- Rechnung eine Nutzung mehr als 50 % beträgt.
37Vgl. Driehaus, a.a.O., § 18 Rdnr. 63.
38Die Satzungsbestimmung nennt allerdings nicht die dem gegenüberzustellende Nutzungsart, im Vergleich zu der die gewerbliche Nutzung überwiegen muß. Die Regelung ist im vorliegenden Fall eines kombinierten Grundstücksflächen/Vollgeschoß-Maßstabs in dem Sinne auszulegen, daß die Konträr-Nutzung jede andere verwirklichte, beitragsrechtlich relevante, nicht- gewerbliche Nutzung ist. Bedeutung und Konsequenzen der drei genannten Kriterien ergeben sich aus Folgendem: Das Merkmal der verwirklichten Nutzung ist unmittelbare Konsequenz dessen, daß die Satzung auf die tatsächliche Nutzung abstellt.
39Vgl. auch Driehaus, a.a.O., § 18 Rdnr. 63 ("ausgeübte Nutzung").
40Dies hat zur Folge, daß etwa Flächen einer "Nichtnutzung", d.h. brachliegende Flächen (Vorratsflächen), die (noch) keiner Nutzung zugeführt sind, nicht zu berücksichtigen sind. Daß die Nutzung (erschließungs-)beitragsrechtlich relevant sein muß, folgt daraus, daß der Artzuschlag neben andere in Ansatz gebrachte Bemessungsfaktoren tritt, die ihrerseits schon eine beitragsrechtlich relevante Nutzung voraussetzen (z.B. Zuschläge für eine Bebauung in mehreren Geschossen), und einen im Vergleich zu diesen höherwertigen Erschließungsvorteil abgelten soll. Nicht-gewerblich ist insbesondere eine Wohnnutzung, wobei nicht nur entsprechend genutzte Gebäudeflächen (Gebäudenutzflächen),
41so aber wohl Driehaus, a.a.O., § 18 Rdnr. 63 (mit der Folge, daß im vor- liegenden Fall schon deshalb ein Überwiegen der gewerblichen Nutzung anzunehmen wäre, weil Wohngebäudeflächen auf der Parzelle 1601 nicht vorhanden sind),
42sondern auch der Wohnnutzung dienende und ihr deswegen zuzuordnende Grundstücksfreiflächen (etwa Terrassen, Freisitze, Vor- oder Hausgärten), zu berücksichtigen sind.
43Vgl. bereits das Urteil des Senats vom 7. September 1995 - 3 A 1164/92 -, NVwZ-RR 1996, 251 (252).
44In Anwendung dieser Kriterien sind die gewerblich und die nicht-gewerblich genutzten (Teil-)Flächen eines Grundstücks quasi zu "bilanzieren". Dies setzt - idealiter - voraus, daß es sich um deutlich unterscheidbare, abgegrenzte oder abgrenzbare Teilflächen handelt. Bei gemischt genutzten Grundstücken, auf denen gewerbliche und nicht-gewerbliche Nutzungen miteinander vermengt werden, wird dies nur selten der Fall und eine Bilanzierung daher schwierig sein. Soll die Feststellung des Überwiegens einer Nutzung objektivierbar und praktikabel sein, so müssen die einzelnen Teilflächen der einen oder anderen Nutzungsart zugeordnet werden. Soweit dies nicht möglich ist, etwa weil es sich um eine "Nichtnutzung" handelt oder die Nutzung einer (Teil-)Fläche "diffus" ist, sie also weder eindeutig der gewerblichen noch der nicht-gewerblichen Nutzung zugeordnet werden kann, müssen diese (Teil-)Flächen bei der Bilanzierung der gewerblichen und der nicht- gewerblichen (Teil-) Flächen außer Ansatz bleiben.
45So schon das Urteil des Senats vom 7. September 1995, a.a.O.
46Die Anwendung dieser Grundsätze ergibt hier: Ausweislich der vom Beklagten mit Schriftsatz vom 12. März 1998 vorgelegten Fotos, der zugehörigen Planskizze sowie nach dem - insoweit übereinstimmenden - Vortrag der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ist die streitbefangene Parzelle (innerhalb der beitragspflichtigen Fläche) nur in einem geringen Umfang bebaut, nämlich in Gestalt des im rückwärtigen Bereich vom Nachbarflurstück 1188 über die Parzellengrenze "hineinragenden" Hallenteils mit einer Fläche von ca. 160 qm. Im übrigen handelt es sich um eine Wiesenfläche. Dabei ist die (nördliche und östliche) Freifläche zwischen der Planstraße C und dem auf der Nachbarparzelle 1181 aufstehenden Wohnhaus (nebst Garage und Schwimmhalle) durch einen Jägerzaun von der übrigen (südlich dieser Gebäude gelegenen) Freifläche abgetrennt. Das Wohnhaus verfügt auf seiner Nordseite zur Freifläche hin über keinen Ausgang, es sind dort auch keine Einrichtungen wie z.B. Terrassen, Freisitze oder im Boden verankertes Spielgerät vorhanden. Die Fläche ist schon aufgrund ihrer Ausdehnung zu groß, um eine Vermutung zu begründen, es handele sich um einen Garten (selbst in Gestalt eines "Wildgartens"). Daß sie wenigstens teilweise dem Wohnhaus als Garten dient, ist mangels jedweder Anhaltspunkte ebenfalls nicht anzunehmen: Eine Abgrenzung in Richtung der gewerblich genutzten Halle ist nicht zu erkennen; eine in Teilflächen unterschiedliche, die Nutzungsvorstellungen des Eigentümers verdeutlichende Gestaltung oder Pflege ("Kultivierung") der Freifläche ist ebenfalls nicht festzustellen. Derartige, für einen objektiven Betrachter erkennbare Anhaltspunkte wären aber nötig, um die satzungsrechtliche Anknüpfung an die tatsächliche Nutzung nicht leerlaufen zu lassen, die Erhebung des Artzuschlags objektivierbar und nicht von subjektiven Einschätzungen der Klägerin abhängig zu machen und sie damit nicht faktisch in deren Belieben zu stellen. Nach all dem erscheint diese Freifläche nicht als "Hausgarten" des Wohnhauses. Daß man von dem Wohnhaus aus den Blick über die Freifläche schweifen lassen kann, reicht - entgegen der vom Prozeßbevollmächtigten der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat geäußerten Auffassung - hierfür nicht aus; Gleiches gilt für seine Überlegung, ein "Hausgarten" müsse nicht irgendwelchen gärtnerischen Vorstellungen des Beklagten entsprechen und auch keinen "in Mark und Pfennig" ausdrückbaren Nutzwert haben. Bei der gebotenen natürlichen Betrachtung eines unbefangenen Beobachters kann diese Freifläche daher weder eindeutig der Wohnnutzung (dem Wohnhaus auf der Parzelle 1188) noch der gewerblichen Nutzung zugeordnet werden. Es handelt sich um eine brachliegende (Vorrats-)Fläche mit einer beitragsrechtlich - unter dem Gesichtspunkt des Artzuschlags - irrelevanten "Nichtnutzung", die nicht im vorstehenden Sinne in eine der Vergleichsgruppen "katalogisiert" werden kann. Folglich muß sie bei der Bilanzierung der gewerblichen und der nicht-gewerblichen Teilflächen außer Ansatz bleiben. Dann bleibt als einzige und eindeutige Nutzungsart die gewerbliche Nutzung in dem (von der Nachbar- parzelle her überbauten) Hallenteil (mit einer Größe von immerhin 160 qm), so daß diese - konsequenterweise - auch "überwiegt". Danach ist die Festsetzung des Artzuschlags zu Recht erfolgt.
473. Dies hat weiter zur Folge, daß die Klägerin aufgrund der Ecklage des Grundstücks (am B. Weg und an der nördlichen Stichstraße) keine Vergünstigung wegen Mehrfacher- schließung gemäß § 6 D (1) EBS 1988/1990 verlangen kann, weil § 6 D (2) Buchst. a EBS 1988/1990 dies für überwiegend gewerb- lich genutzte Grundstücke ausschließt.
484. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
49Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen (§ 132 Abs. 2 VwGO).
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