Urteil vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 9 A 2848/96
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die nicht erstattungsfähig sind.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand:
2Die Parteien streiten darüber, ob und ggf. in welcher Höhe durch vertragsgemäße Rückgabe einer seit 1965 gepachteten, 0,4970 ha großen Ackerlandparzelle zum 31. Oktober 1989 eine Anlieferungsreferenzmenge vom Kläger (Pächter) auf die Beigeladene (Verpächterin) übergegangen ist.
3Auf Antrag des Nachfolgepächters bescheinigte der Beklagte der Beigeladenen unter dem 27. Oktober 1995, daß mit Wirkung vom 1. November 1989 durch Rückgabe dieser für die Milcherzeugung genutzten Teilfläche eine Referenzmenge von 5.712 kg Milch vom Kläger auf die Beigeladene übergegangen sei. Hierbei legte der Beklagte eine Gesamtmilcherzeugungsfläche von 25,9923 ha und eine dem Kläger per 31. Oktober 1989 zustehende Referenzmenge von 298.749 kg zugrunde.
4Mit seinem Widerspruch berief sich der Kläger auf die 5 ha-Pächter-schutzklausel des § 7 Abs. 3 a Satz 1 Milch- Garantiemengen-Verordnung (MGV) in der zum Zeitpunkt der Rückgabe geltenden Neufassung vom 30. August 1989, BGBl. I S. 1654 (MGV 1989), hilfsweise auf die 1 ha-Bagatellgrenze des § 7 Abs. 3 Satz 1 MGV 1989. Ihm müsse Pächterschutz gewährt werden, weil er seinerzeit nur wegen einer schweren Erkrankung seines Sohnes (der inzwischen seinen Betrieb führe) verschiedene Pachtflächen zurückgegeben habe. Der Verlust der auf diesen Flächen ruhenden Referenzmenge bedeute für seinen auf die Milchwirtschaft ausgerichteten Betrieb eine außerordentliche Härte.
5Mit Bescheid vom 22. Januar 1996 wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück und führte aus, das Bundesverwaltungsgericht habe die 5 ha-Regelung für verfasungswidrig erklärt. Die 1 ha-Grenze gelte erst ab dem Inkrafttreten der 29. Änderungsverordnung, d.h. ab dem 25. September 1993 (richtig: 30. September 1993). Eine Härtefallregelung, von der der Kläger begünstigt werde, enthalte die Milch-Garantiemengen-Verordnung nicht.
6Mit der rechtzeitig erhobenen Klage hat der Kläger sein bis-heriges Vorbringen wiederholt und ergänzend darauf hingewiesen, daß der Antrag auf Ausstellung der Bescheinigung erst nach dem Inkrafttreten der 29. Änderungsverordnung gestellt worden sei. Die 5 ha-Regelung sei erst durch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. November 1993 für unwirksam erklärt worden.
7Der Kläger hat beantragt,
8die Bescheinigung des Beklagten vom 27. Oktober 1995 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22. Januar 1996 aufzuheben.
9Der Beklagte hat beantragt,
10die Klage abzuweisen.
11Er hat geltend gemacht, im maßgeblichen Zeitpunkt der Pacht- rückgewähr habe die 1 ha-Bagatellgrenze nicht gegolten.
12Durch das angefochtene Urteil, auf dessen Entscheidungsgründe Bezug genommen wird, hat das Verwaltungsgericht der Klage stattgegeben.
13Mit der rechtzeitig eingelegten Berufung wendet sich der Beklagte gegen die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts, die Bagatellregelung des § 7 Abs. 3 MGV 1989 gelte auch für Fälle der Pachtrückgabe, und macht geltend, § 7 Abs. 3 a MGV 1989 sei eine abschließende Sonderregelung für alle Fälle der Pachtrückgabe.
14Der Beklagte beantragt,
15das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.
16Der Kläger beantragt,
17die Berufung zurückzuweisen.
18Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und tritt den Rechtsausführungen des Beklagten entgegen.
19Die Beigeladene hat sich nicht geäußert.
20Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts im einzelnen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten einschließlich der Akten des Verfahrens 3 K 572/96 VG Aachen sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten ergänzend Bezug genommen.
21Entscheidungsgründe:
22Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
23Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben. Die angefochtene Bescheinigung vom 27. Oktober 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Januar 1996 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).
24Maßgeblich für die Beurteilung der Frage, welche Referenzmenge bei der Rückgabe von Pachtflächen vom Pächter auf den Verpächter übergeht, ist das zu diesem Zeitpunkt geltende objektive Recht.
25Vgl. BVerwG, Urteil vom 30. November 1989 - 3 C 47.88 -, BVerwGE 84, 140.
26Zum Zeitpunkt der Pachtrückgabe (31. Oktober 1989) galten auf EG-Ebene Art. 7 der Verordnung (EWG) Nr. 857/84 des Rates vom 31. März 1984 einschließlich der Änderungsverordnung (EWG) Nr. 590/85 vom 26. Februar 1985 und Art. 7 der Verordnung (EWG) Nr. 1546/88 der Kommission vom 3. Juni 1988 sowie auf nationaler Ebene § 7 MGV 1989.
27Der Ausstellung einer Bescheinigung zugunsten der Beigeladenen über den Übergang einer Referenzmenge zum 31. Oktober 1989 wegen Rückgabe einer Pachtfläche, die - wie hier - kleiner als 1 ha ist, steht die gemäß § 7 Abs. 5 MGV 1989 entsprechend anzuwendende Vorschrift des § 7 Abs. 3 Satz 1 MGV 1989 entgegen.
28Zwar bezieht sich § 7 Abs. 3 Satz 1 MGV 1989 seinem Wortlaut nach nur auf die aktiven Geschäftsvorfälle des Übergebens einer Fläche unter 1 ha aufgrund eines Kaufvertrages bzw. des Überlassens einer solchen (Klein- )Fläche aufgrund eines Pachtvertrages und erfaßt nicht die Rückgewähr der Pachtsache bei Beendigung des Pachtverhältnisses oder die Rückgewähr der Kaufsache bei Rücktritt oder Wandlung. Die Auslegung des § 7 MGV 1989 unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Regelungsbereiche der einzelnen Absätze des § 7, die jeweils der Umsetzung verschiedener Ermächtigungsgrundlagen des EG-Rechts dienen, ergibt jedoch, daß sowohl § 7 Abs. 2 MGV 1989 als auch § 7 Abs. 3 MGV 1989 über § 7 Abs. 5 MGV 1989 auf die Fälle der Rückgewähr einer Pachtsache nach Ablauf eines Altpachtvertrages (= Verträge, die vor dem 2. April 1984 geschlossen worden sind) anwendbar sind und § 7 Abs. 3 a MGV für diese Altpachtverträge - anders als § 7 Abs. 3 b MGV 1989 für die dort geregelten Neupachtverträge - keine verdrängende, sondern nur eine ergänzende Sonderregelung ist.
29Im einzelnen ergibt sich dies aus folgendem:
30§ 7 Abs. 1 MGV 1989 dient der Umsetzung des Art. 7 Abs. 2 VO (EWG) Nr. 1546/88, wonach die Mitgliedstaaten von den Bestimmungen der Ziff. 1, 2 und 4 für Übertragungen Gebrauch machen können, die während und seit dem Bezugszeitraum erfolgt sind. Bezugszeitraum ist in Deutschland das Kalenderjahr 1983 (siehe § 4 Abs. 2 MGV 1989), der Zeitraum "seit dem Bezugszeitraum" ist die Zeit vom 1. Januar 1984 bis zum Inkrafttreten der VO (EWG) Nr. 857/84 am 1. April 1984.
31§ 7 Abs. 2 MGV 1989 übernimmt (wiederholt) für die Fälle des Verkaufs und der Verpachtung die Regelung des Art. 7 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 VO (EWG) Nr. 1546/88. Danach wird im Falle des Verkaufs, der Verpachtung oder der Vererbung eines Teils des Betriebes die entsprechende Referenzmenge nach den für die Milcherzeugung verwendeten Flächen oder nach anderen von den Mitgliedstaaten aufgestellten objektiven Kriterien auf die den Betrieb übernehmenden Erzeuger aufgeteilt. Soweit der nationale Verordnungsgeber geglaubt hat, mit der Höchstmengenbegrenzungsklausel in § 7 Abs. 2 MGV 1989 von max. 5.000 kg/ha ein anderes objektives Kriterium im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 VO (EWG) Nr. 1546/88 einführen zu können, hat das Bundesverwaltungsgericht die entsprechende Klausel für unwirksam erklärt.
32Vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Februar 1992 - 3 C 51.88 -, RdL. 1992, 161.
33§ 7 Abs. 3 Satz 1 MGV 1989 findet seine Ermächtigung in Art. 7 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 VO (EWG) Nr. 1546/88. Danach brauchen abgegebene Betriebsteile, deren für die Milcherzeugung genutzte Fläche unter einer von den Mitgliedstaaten zu bestimmenden Mindestfläche liegt, von diesen nicht berücksichtigt zu werden. Sinn dieser Regelung ist es, den Verwaltungsaufwand zu begrenzen, der sonst entstünde, wenn auch bei kleinsten Flächenübertragungen jeder kleinste Referenzmengenübergang errechnet, erfaßt und in der Molkereiabrechnung überwacht werden müßte. Von dieser Ermächtigung hat der nationale Verordnungsgeber in § 7 Abs. 3 Satz 1 MGV 1989 Gebrauch gemacht und die Mindestfläche auf 1 ha festgelegt. Soweit der nationale Verordnungsgeber darüber hinaus in § 7 Abs. 3 Satz 2 MGV 1989 die Zusatzregelung getroffen hat, wonach sich die Mindestfläche für Übertragungen im Zeitraum vom 2. April 1984 bis 30. Sep-tember 1984 auf 5 ha erhöht, braucht hier nicht entschieden zu werden, ob diese Zusatzregelung durch Art. 7 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 VO (EWG) Nr. 1546/88 noch gedeckt ist. Wenn § 7 Abs. 3 Satz 2 MGV 1989 ungültig sein sollte, gilt auch für den Zeitraum vom 2. April 1984 bis 30. September 1984 die 1 ha-Regel des Satzes 1.
34Aus dem Vorbehalt in § 7 Abs. 2 MGV 1989, wonach die Regelung des Abs. 2 unbeschadet der Abs. 3 und 4 gilt, ergibt sich, daß bei Anwendung des § 7 Abs. 2 MGV 1989 die Mindestklausel des § 7 Abs. 3 Satz 1 MGV 1989 zu beachten ist. Dieses Rangverhältnis zwischen § 7 Abs. 2 und § 7 Abs. 3 MGV 1989 ist dementsprechend auch zu beachten, wenn es darum geht, nach § 7 Abs. 5 MGV die Abs. 1 bis 4 auf Rechtsverhältnisse mit vergleichbaren Rechtsfolgen anzuwenden.
35§ 7 Abs. 3 a MGV 1989 dient der Umsetzung der Pächterschutzmöglichkeit nach Art. 7 Abs. 4 VO (EWG) Nr. 857/84 (in der Fassung der Änderungsverordnung (EWG) Nr. 590/85) iVm Art. 7 Abs. 1 Nr. 4 VO (EWG) Nr. 1546/88 für auslaufende Pachtverträge. Hierbei wird in § 7 Abs. 3 a Satz 1 MGV 1989 auf der Rechtsfolgenseite zwischen der Rückgewähr von Betriebsteilen bis 5 ha Fläche (Halbsatz 1) und der Rückgewähr von Betriebsteilen über 5 ha Fläche (Halbsatz 2) unterschieden. Nach Halbsatz 1 geht bis 5 ha Fläche keine Referenzmenge über.
36Vgl. zur Ungültigkeit dieser Bestimmung: BVerwG, Urteil vom 11. November 1993 - 3 C 37.91 -, RdL. 1994, 165.
37Halbsatz 2 ordnet für die Referenzmenge, die der über 5 ha hinausgehenden Fläche entspricht, die hälftige Aufteilung und eine Höchstmengenbegrenzung (= 2.500 kg/ha) an.
38Vgl. zur Gültigkeit dieser Bestimmung: BVerwG, Urteil vom 11. November 1993 - 3 C 37.91 -, a.a.O.
39Eine Aussage oder Regelung darüber, wie die Referenzmenge zu bestimmen ist, die - vor Anwendung der hälftigen Aufteilung und der Höchstmengenbegrenzung - an sich auf den zurückgewährten Betriebsteil entfiele, enthält § 7 Abs. 3 a Satz 1 MGV 1989 nicht. Auch § 7 Abs. 3 a Satz 2 MGV 1989, der für den Fall gilt, daß kein Pächterschutz eingreift, enthält keine positive Regelung darüber, wie die Referenzmenge zu errechnen ist, die auf den zurückgegebenen Betriebsteil entfällt. § 7 Abs. 3 a Satz 2 MGV 1989 erschöpft sich nämlich in der negative Aussage, daß die 5 ha-Klausel nicht gilt, daß die hälftige Aufteilungsregelung nicht gilt und daß eine Höchstmengenbegrenzung von 5.000 kg/ha gilt.
40Die Grundaussage, nach welchen Regeln im Falle der Rückgewähr von gepachteten Betriebsteilen die Gesamtreferenzmenge des abgebenden Pächters zwischen dem Pächter, bei dem Betriebsteile verbleiben, und dem Verpächter, auf den Betriebsteile wegen des Auslaufens des Pachtvertrages übertragen werden, aufgeteilt werden, muß durch Rückgriff auf allgemeine Regeln ermittelt werden. Eine solche allgemeine Regel enthält Art. 7 Abs. 1 Nr. 3 VO (EWG) Nr. 1546/88. Danach sind die Ziff. 1 und 2 (hier: Ziff. 2 = Übertragung von Betriebsteilen) sowie der 4. Unterabsatz gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften auf andere Übertragungsfälle, die für die Erzeuger vergleichbare rechtliche Folgen haben, entsprechend anwendbar. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs
41s. Urteil vom 13. Juli 1989 - Rs 5/88 -, AgrarR 1990, 118
42ist die Flächenübertragung im Falle der Rückgewähr einer Pachtsache ein vergleichbarer Fall im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Nr. 3 VO (EWG) Nr. 1546/88.
43Der nationale Verordnungsgeber hat von der Ermächtigung des Art. 7 Abs. 1 Nr. 3 VO (EWG) Nr. 1546/88 in der Weise Gebrauch gemacht, daß er in § 7 Abs. 5 MGV 1989 die entsprechende Anwendung der Abs. 1 bis 4 des § 7 vorgeschrieben hat. Da im Falle der Rückgewähr von Pachtsachen bei Altpachtverträgen - wie oben ausgeführt - nur die unvollständige Regelung des § 7 Abs. 3 a MGV 1989 getroffen worden ist, greift als Grundverteilungsregelung im Falle der Rückgewähr derartiger Pacht-sachen über § 7 Abs. 5 MGV 1989 die Regelung der Abs. 2 und 3 des § 7 MGV 1989 ein.
44Vgl. ebenso: BayVGH, Urteil vom 11. Juli 1995 - 9 B 93.3031 - und hierzu: BVerwG, Beschluß vom 11. Januar 1996 - 3 B 85.95 -.
45Dies bedeutet für den vorliegenden Fall, daß - da die zurückgegebene Pachtfläche kleiner als 1 ha ist - gemäß § 7 Abs. 5 iVm § 7 Abs. 3 Satz 1 MGV 1989 keine Referenzmenge auf die Beigeladene übergegangen ist.
46Nach alledem war die Berufung mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Da die Beigeladene keine Anträge gestellt und sich damit keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat, entsprach es nicht der Billigkeit, die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen dem unterlegenen Beklagten oder der Staatskasse aufzuerlegen (§ 162 Abs. 3 VwGO).
47Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
48Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht gegeben sind (siehe: BVerwG, Beschluß vom 11. Januar 1996 - 3 B 85.95 -).
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