Urteil vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 15 A 2880/96
Tenor
Das angefochtene Urteil wird geändert. Der Bescheid des Beklagten vom 24. Juli 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. November 1995 wird aufgehoben, soweit ein Beitrag von mehr als 17.083,-- DM verlangt wird.
Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge trägt der Beklagte.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand:
2Der Kläger ist Eigentümer des mit einem Gehöft bebauten Flurstücks 262 der Flur 1 in der Gemarkung A mit der postalischen Anschrift B 8 in C . In A existierte bis 1993 keine an ein Klärwerk angeschlossene Kanalisation. Auf dem Grundstück des Klägers anfallendes Oberflächenwasser und vorgeklärtes häusliches Abwasser leitete der Kläger in einen im B verlegten Kanal ein, über den das Abwasser ohne weitere Klärung in den Fluß D eingeleitet wurde. Wann und von wem der Kanal, den die Stadt C im Rahmen der kommunalen Neugliederung 1975 von der früheren Gemeinde A übernommen hatte, hergestellt worden war, ist unbekannt. Eine wasserrechtliche Erlaubnis für die Einleitung war nicht erteilt. Für die Einleitung des Abwassers zog der Beklagte den Kläger zu Kanalbenutzungsgebühren in Höhe der Hälfte des vollen Gebührensatzes heran, der für Benutzer galt, von denen eine Vorklärung oder sonstige Vorbehandlung der Abwässer auf dem Grundstück verlangt wurde. 1990 leitete der Beklagte die Planung für die Herstellung eines zusammenhängenden Entwässerungssystems auch für den Ortsteil A ein. In den Planunterlagen heißt es, die öffentliche Abwasserbeseitigung im Ortsteil A entspreche weder den künftigen noch den derzeit bestehenden Anforderungen. Es werde eine Entwässerung im Trennsystem geplant, da eine Regenwasserkanalisation zum Teil vorhanden sei. Zur Schmutzwasserentwässerung sollte eine Druckrohrleitung zu einer Kläranlage geführt werden. 1993 wurden die Kanalbaumaßnahmen beendet. Der im B vorhandene Kanal blieb baulich unverändert und dient nach wie vor der Oberflächenentwässerung auch des Grundstücks des Klägers.
3Mit Bescheid vom 24. Juli 1995 zog der Beklagte den Kläger zu einem Kanalanschlußbeitrag nach dem vollen Beitragssatz über 24.848,-- DM für eine 3.106 qm große Teilfläche des Grundstücks heran. Dagegen erhob der Kläger Widerspruch unter Beschränkung auf den Beitragsanteil, der auf die Möglichkeit der Einleitung von Oberflächenwasser entfiel. Mit Widerspruchsbescheid vom 8. November 1995 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Der Kläger hat am 30. November 1995 Klage erhoben.
4Er hat vorgetragen: Die Oberflächenentwässerung sei 1974/75 endgültig und abschließend hergestellt gewesen, so daß bei Erlaß des Bescheides Festsetzungsverjährung eingetreten sei. Im gesamten Ortsteil A seien sogenannte Bürgermeisterkanäle verlegt worden, an die er, der Kläger, und sonstige Anlieger mit ihren Hauskläranlagen und der Oberflächenentwässerung angeschlossen seien. Die Durchführung des Entwässerungsplanes der Stadt C habe an dieser Oberflächenentwässerung nichts geändert, da die vorhandene Kanalisation als ausreichend und funktionstüchtig angesehen und ohne weitere Baumaßnahmen übernommen worden sei. Ob eine wasserrechtliche Einleitungsgenehmigung für die Einleitung des Wassers in die D vorgelegen habe, sei für das Entstehen der Beitragspflicht irrelevant. Vielmehr sei entscheidend, daß die Gemeinde die Kanalisation verlegt habe, die bebauten Grundstücke hätten angeschlossen werden müssen und die Gemeinde für die Benutzung des Kanals seit Jahren Teilanschlußgebühren erhoben habe.
5Der Kläger hat beantragt,
6den Bescheid des Beklagten vom 24. Juli 1995 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 8. November 1995 aufzuheben, soweit er 17.083,-- DM übersteigt.
7Der Beklagte, der keinen ausdrücklichen Klageabweisungsantrag gestellt hat, ist dem Klageantrag in der Sache entgegengetreten und hat ausgeführt: Die Bürgermeisterkanäle im Stadtgebiet, also auch der Kanal im B , seien nicht Teil der öffentlichen Entwässerungsanlage gewesen, so daß deretwegen eine beitragsrelevante Anschlußmöglichkeit nicht bestanden habe. Bauträger und Errichtungsdatum der Kanäle könnten nicht mehr festgestellt werden. Die Kanäle dienten im wesentlichen der Ableitung des Oberflächenwassers der Straßen, seien aber auch von den Anliegern genutzt worden, ohne daß die Gemeinde A die Anschlüsse genehmigt hätte. Die fehlende Eigenschaft, Teil der öffentlichen Entwässerungsanlage zu sein, ergebe sich daraus, daß eine ordnungsgemäße Planung und wasserrechtliche Genehmigung der Einleitung des ungereinigten Abwassers in die D nicht vorgelegen habe. Eine planmäßige und funktionsfähige Vollkanalisation, die genehmigt und auf hydraulisch berechneter Grundlage errichtet worden sei, bestehe erst seit 1993. Im nachhinein stelle sich die Frage, ob die Erhebung von Kanalbenutzungsgebühren rechtmäßig gewesen sei.
8Mit dem angefochtenen Urteil hat das Verwaltungsgericht Minden die Klage abgewiesen.
9Dagegen richtet sich die rechtzeitig eingelegte Berufung des Klägers, mit der er sein erstinstanzliches Vorbringen wiederholt und vertieft und insbesondere ausführt: Der Kanal im B gehöre zur öffentlichen Entwässerungsanlage, da er konkludent durch die Erhebung von Entwässerungsgebühren gewidmet worden sei. Die Unsicherheit des Beklagten vor Erstellung des Entwässerungsplans, ob der Kanal ausreichend dimensioniert sei, sei unerheblich: Zum einen sei er ausreichend gewesen, wie die unveränderte Übernahme in die neue Kanalisation zeige. Zum anderen wäre, wenn er unzureichend gewesen wäre, dies beitragsrechtlich irrelevant, da es allein auf die Funktion der schadlosen Ableitung des anfallenden Oberflächenwassers aus dem Bereich des klägerischen Grundstücks ankomme, was der Fall gewesen sei. Dafür sei auch ein Anschluß an eine Kläranlage nicht erforderlich.
10Der Kläger beantragt,
11unter Änderung des angefochtenen Urteils nach dem erstinstanzlichen Klageantrag zu erkennen.
12Der Beklagte beantragt,
13die Berufung zurückzuweisen.
14Er trägt vor: Vor den Kanalbaumaßnahmen im Jahre 1993 habe eine nicht ordnungsgemäße und ungenehmigte Mischentwässerung bestanden, die den Zweck der Entwässerungssatzung, das Abwasser aus dem Bereich des Grundstücks schadlos abzutransportieren, nicht erfüllt habe. Der Kanal im B münde in einen Straßenentwässerungskanal in der E straße, der vom Kreis F errichtet worden sei. Aus diesen Gründen habe es sich bei dem Kanal im B nicht um einen Teil der öffentlichen Entwässerungsanlage gehandelt. Im übrigen sei die Beitrags- und Gebührensatzung vom 24. März 1986 aus verschiedenen Gründen unwirksam. Erst die Beitragssatzung vom 11. Juni 1997 sei wirksam, so daß mit ihrem Inkrafttreten am 25. Juni 1997 eine Beitragspflicht habe entstehen können und Festsetzungsverjährung bis heute nicht eingetreten sei. Eine Änderung der bisherigen Rechtsprechung zu § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG NRW, wonach es für das Entstehen der Beitragspflicht auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens der ersten gültigen Beitragssatzung ankomme, wenn eine Anschlußmöglichkeit schon vorher bestanden habe, sei weder vom Wortlaut noch vom Zweck der Vorschrift geboten und empfehle sich aus Gründen der Rechtseinheit im Bundesgebiet und der Rechtssicherheit nicht.
15Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im übrigen wird auf den Inhalt der Verfahrensakte und der dazu beigezogenen Unterlagen Bezug genommen.
16Entscheidungsgründe:
17Die zulässige Berufung ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Sie ist zulässig und begründet.
18Der Heranziehungsbescheid des Beklagten vom 24. Juli 1995 ist, soweit durch ihn für die Oberflächenentwässerung ein anteiliger Kanalanschlußbeitrag in Höhe von 7.765,- DM erhoben wird, rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
19Die Voraussetzungen der für die Beitragserhebung allein in Betracht kommenden Ermächtigungsgrundlage des § 8 KAG NRW liegen nicht vor.
20I. Unter der Voraussetzung, daß die Beitrags- und Gebührensatzung vom 24. März 1986 (BGS), die am 1. Januar 1983 in Kraft treten sollte (§ 15 Satz 1), gültig war, war die sachliche Teilbeitragspflicht für das klägerische Grundstück hinsichtlich der Oberflächenentwässerung am 24. Juli 1995, dem Tag der Aufgabe des angefochtenen Heranziehungsbescheides zur Post, bereits durch Festsetzungsverjährung nach § 12 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b KAG NRW i.V.m. § 47 AO erloschen. Denn die vierjährige Festsetzungsfrist gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b KAG NRW i.V.m. § 169 Abs. 2 Satz 1 AO beginnt nach § 12 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b KAG NRW i.V.m. § 170 Abs. 1 AO mit dem Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Beitragspflicht entstanden ist. Die sachliche Teilbeitragspflicht für das klägerische Grundstück hinsichtlich der Oberflächenentwässerung ist jedenfalls bereits am 1. Januar 1983 entstanden.
21Die Beitragspflicht entsteht gemäß § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG NRW für leitungsgebundene Einrichtungen oder Anlagen, sobald das Grundstück an die Einrichtung oder Anlage angeschlossen werden kann, frühestens jedoch mit dem Inkrafttreten der Satzung; die Satzung kann einen späteren Zeitpunkt bestimmen.
221. Das klägerische Grundstück besaß am 1. Januar 1983 nicht nur eine Anschlußmöglichkeit, es war sogar für das hier allein interessierende Oberflächenwasser an den Kanal im B angeschlossen, der entgegen der Rechtsauffassung des Beklagten auch Teil der öffentlichen Entwässerungsanlage und damit tauglicher Gegenstand für eine Anschlußbeitragspflicht war (§ 8 Abs. 2 Satz 1 KAG NRW). Ob ein Kanal Teil der öffentlichen Entwässerungsanlage ist, hängt davon ab, ob er zum entwässerungsrechtlichen Zweck technisch geeignet und durch Widmung bestimmt ist, die nicht formgebunden ist und auch konkludent erfolgen kann.
23Vgl. OVG NRW, Beschluß vom 27. Januar 1999 - 15 A 1929/96 -, S. 6 des amtlichen Umdrucks; Urteil vom 7. September 1987 - 2 A 993/85 -, StuGR 1988, 299 (300).
24Der Kanal im B war technisch geeignet, dem entwässerungsrechtlichen Zweck der Abführung des Oberflächenwassers zu dienen, wie sich schon aus dem Umstand ergibt, daß er im Jahre 1993 nach den Kanalbaumaßnahmen insoweit unverändert betrieben wurde.
25Der entwässerungsrechtliche Zweck, die unschädliche Beseitigung von Abwässern, auch des Niederschlagswassers (vgl. § 1 Abs. 1 der Entwässerungssatzung vom 10. Februar 1981), konnte daher erreicht werden. Ob dies auch für die Ableitung des vorgeklärten Schmutzwassers galt, braucht nicht entschieden zu werden, da der Bescheid hinsichtlich des Beitragsanteils für die Möglichkeit der Einleitung von Schmutzwasser nicht angefochten ist.
26Zu diesem entwässerungsrechtlichen Zweck war der Kanal durch den Beklagten bestimmt, weil er rechtlich in die öffentliche Entwässerungsanlage durch Widmung eingegliedert war.
27Ob die Gemeinde eine wasserrechtliche Erlaubnis für die Einleitung des Oberflächenwassers in die D hatte, spielt für die Frage des Vorliegens einer Widmung keine Rolle.
28Vgl. OVG NRW, Beschluß vom 27. Januar 1999 - 15 A 1929/96 -, S. 7 des amtlichen Umdrucks; Urteil vom 7. September 1987 - 2 A 993/85 -, StuGR 1988, 299 (301).
29Ebenso ist entgegen der Auffassung des Beklagten nicht entscheidend, daß der Kanal nicht in eine vom Beklagten erstellte umfassende Abwasserplanung einbezogen war. All dies wären, wenn die Umstände vorlägen, Anzeichen dafür, daß der Beklagte den Kanal als Teil der öffentlichen Entwässerungsanlage betrachtete, aus dem Fehlen der Umstände kann aber nicht auf das Gegenteil geschlossen werden. Schließlich spielt es auch keine Rolle, ob die Ableitung in die D nur vermittels eines Stücks eines vom Kreis F erstellten Straßenentwässerungskanals im E möglich war, denn es geht nicht um die Frage, ob dieser Kanal, sondern ob der vor dem Grundstück des Klägers liegende Kanal Teil der öffentlichen Entwässerungsanlage war. Ob eine Widmung für den Kanal vorlag, beurteilt sich nach einer Würdigung der Gesamtumstände, soweit sie einen Schluß auf das Vorhandensein oder Fehlen einer Bestimmung des Kanals zum öffentlichen Entwässerungszweck durch den Beklagten zulassen. Danach ist der Kanal gewidmet gewesen.
30Entscheidend dafür ist der Umstand, daß der Beklagte seit Jahren für die Benutzung durch den Kläger Benutzungsgebühren verlangte. Dies war nur zulässig, wenn es sich bei dem Kanal um einen Teil der öffentlichen Entwässerungsanlage gehandelt hat (§ 4 Abs. 2 KAG NRW).
31Vgl. dazu, daß der Anlagenbegriff des § 4 Abs. 2 KAG NRW identisch ist mit dem des § 8 Abs. 2 Satz 1 KAG NRW, Driehaus/Dietzel, Kommunalabgabenrecht, Loseblattsammlung (Stand: März 1999), § 8 Rn. 514.
32Daher hat der Beklagte durch die Erhebung von Benutzungsgebühren den Willen der Stadt zu erkennen gegeben, daß der Kanal Teil der städtischen Entwässerungsanlage sein sollte, und ihn damit konkludent gewidmet.
33Vgl. zur Bedeutung der Erhebung von Benutzungsgebühren OVG NRW, Urteil vom 5. September 1986 - 2 A 2955/83 -, StuGR 1987, 155.
342. Die Beitrags- und Gebührensatzung vom 24. März 1986 sah für im Inkrafttretenszeitpunkt angeschlossene Grundstücke (§ 5 Abs. 2 BGS) das Entstehen einer Teilbeitragspflicht bei einem Anschluß nur für Niederschlagswasser vor (§ 3 Abs. 8 Buchst. c BGS). Sollte der tatsächlich seit langer Zeit vorhandene Anschluß ohne den Willen der Gemeinde und eine möglicherweise notwendige entwässerungsrechtliche Genehmigung und Abnahme erfolgt sein, so daß der tatsächliche Anschluß nicht zur Entstehung der Beitragspflicht hätte führen können, bestand jedenfalls zum 1. Januar 1983 eine Anschlußmöglichkeit, die zur Entstehung der Beitragspflicht geführt hätte (§ 5 Abs 1 Satz 1 BGS).
35Vgl. zur Bedeutung einer Abnahme und Genehmigung des Anschlusses für das Entstehen der Beitragspflicht OVG NRW, Beschluß vom 12. Januar 1996 - 15 B 1702/95 -, S. 3 des amtlichen Umdrucks; Urteil vom 18. Mai 1992 - 2 A 2024/89 - , NVwZ-RR 1993, 48 (50).
36II. Sollte die Beitrags- und Gebührensatzung vom 24. März 1986 unwirksam sein, wie der Beklagte nunmehr annimmt, ist der Beitragsbescheid rechtswidrig, weil eine Beitragspflicht bis heute nicht entstanden ist und auch nicht mehr entstehen kann.
37Hat eine Gemeinde eine Anschlußbeitragssatzung in der Absicht erlassen, hierdurch die sachliche Beitragspflicht für diejenigen Grundstücke entstehen zu lassen, für die eine Anschlußmöglichkeit in dem Zeitpunkt bestand, in dem die Gemeinde die Satzung in Kraft setzen wollte, so kann, wenn die Satzung unwirksam war und die Gemeinde später eine neue, wirksame Satzung erläßt, die Beitragspflicht für diese Grundstücke nur rückwirkend im Zeitpunkt des Inkraftsetzens der ersten Satzung entstehen. Das ergibt sich aus dem aus der Entstehungsgeschichte ableitbaren Zweck des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG NRW sowie aus dem systematischen Zusammenhang, in dem diese Vorschrift steht. Diese Auslegung ist auch mit dem Wortlaut der Vorschrift vereinbar.
38Der aus der Entstehungsgeschichte ableitbare Zweck des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG NRW erschöpft sich darin, den Gemeinden eine ordnungsgemäße verwaltungstechnische Abwicklung der Vielzahl von Beitragsfällen zu ermöglichen, die mit dem Inkrafttreten des KAG NRW am 1. Januar 1970 entstanden wären.
39Diese Regelung, die im Entwurf der Landesregierung für das Kommunalabgabengesetz noch nicht vorgesehen war,
40vgl. LT-Drs. 6/810, S. 9,
41wurde durch den Kommunalpolitischen Ausschuß eingeführt,
42vgl. LT-Drs. 6/1493, S. 13,
43und muß als Übergangsvorschrift vor dem Hintergrund verstanden werden, daß mit dem Inkrafttreten des Kommunalabgabengesetzes auf einen Schlag für eine Vielzahl unbebauter Baugrundstücke, die einer Anschlußgebührenpflicht nach preußischem Recht mangels tatsächlichen Anschlusses bislang nicht unterlagen, wegen der nach dem Kommunalabgabengesetz nunmehr schon ausreichenden Möglichkeit des Anschlusses an die Kanalisation die Beitragspflicht entstanden wäre.
44Vgl. Driehaus/Dietzel, Kommunalabgabenrecht, Loseblattsammlung (Stand: März 1999), § 8 Rn. 568; Bauernfeind/Zimmermann, KAG NRW, § 8 Rn. 62.
45Deshalb sollten die Gemeinden im Rahmen einer Übergangsregelung in Ergänzung des abgabenrechtlichen Grundsatzes, daß eine Abgabenpflicht entsteht, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft (§ 12 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b KAG NRW i.V.m. § 38 AO), ermächtigt werden, durch Verschieben des Zeitpunkts der Entstehung der Beitragspflicht Zeit zu gewinnen, um den gleichzeitigen Anfall vieler Beitragsverfahren verwaltungsmäßig ordnungsgemäß abzuwickeln.
46Vgl. OVG NRW, Urteil vom 6. April 1976 - II A 121/76 -, OVGE 32, 41 (43 f.).
47Dazu gab der Gesetzgeber den Gemeinden zwei Möglichkeiten an die Hand: Zum einen sollte eine Gemeinde durch die Bestimmung des Zeitpunkts des Inkrafttretens einer Beitragssatzung entscheiden können, ab wann die Beitragspflicht entstehen sollte. Zum anderen sollte sie, selbst wenn sie eine Beitragssatzung in Kraft gesetzt hatte, durch besondere Satzungsbestimmung einen noch späteren Zeitpunkt des Entstehens festlegen können. Hat die Gemeinde auf diesem Weg einmal ihren Willen betätigt, die Beitragspflichten zum Entstehen zu bringen, bedarf sie des Schutzes einer Übergangsregelung, die sie vor dem ungewollten gleichzeitigen Anfall einer großen Zahl von Beitragsfällen zu schützen beabsichtigt, nicht mehr.
48Für die hier vertretene Auslegung des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG NRW spricht ferner der systematische Zusammenhang zu dem in Satz 1 geregelten Entstehen der Beitragspflicht im Ausbaubeitragsrecht. § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG NRW stellt eine eng auszulegende Sondervorschrift gegenüber Satz 1 insofern dar, als jene die gesetzliche Ermächtigung an die Gemeinde enthält, die Entstehung der Beitragspflicht auf einen späteren Zeitpunkt als denjenigen des Abschlusses der beitragsrelevanten Maßnahme zu verschieben.
49OVG NRW, Urteil vom 30. Juni 1975 - II A 231/74 -, OVGE 31, 147 (152); Urteil vom 22. August 1995 - 15 A 3907/92 -, NWVBl. 1996, 62 (63).
50Mit diesem Verständnis des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG NRW wird eine weitgehende Angleichung der Voraussetzungen für das Entstehen der Beitragspflicht im Anschlußbeitragsrecht an diejenigen des Ausbaubeitragsrechts bewirkt, weil in beiden Fällen an die regelmäßig den wirtschaftlichen Vorteil bewirkende gemeindliche Handlung als Tatbestandsmerkmal angeknüpft wird (endgültige Herstellung oder Möglichkeit des Anschlusses), während als Ausnahme von diesem Grundsatz Satz 2 der Vorschrift für das Anschlußbeitragsrecht nur noch eine datumsmäßige Verschiebung des Entstehens der Beitragspflicht nach dem Willen der Gemeinde durch späteres Inkraftsetzen einer Beitragssatzung oder ausdrückliche Satzungsregelung erlaubt.
51Ein solches Verständnis des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG NRW ist mit dem Wortlaut des Gesetzes ohne weiteres vereinbar. Unter dem Begriff des Inkrafttretens wird der zeitliche Beginn der Wirksamkeit eines Gesetzes verstanden.
52Vgl. BVerfG, Urteil vom 8. Juli 1976 - 1 BvL 19 und 20/75, 1 BvR 148/75, BVerfGE 42, 263 (283); Sachs/Lücke, Grundgesetz, 2. Aufl., Art. 82 Rdnr. 18; von Münch/Bryde, Grundgesetz-Kommentar, Bd. 3, 3. Aufl, Art. 82 Rdnr. 15.
53Das ermöglicht einerseits ein materielles Verständnis, so daß das Merkmal erst erfüllt ist, wenn neben den Umständen, die in der Inkrafttretensregelung vorgesehen sind, auch die sonstigen Voraussetzungen für die Wirksamkeit einer Norm vorliegen, etwa die Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht. Der Begriff kann andererseits auch verstanden werden als das Inkraftsetzen einer Norm, also als die tatbestandlichen Voraussetzungen, die nach der Inkrafttretensregelung erfüllt sein müssen, um die Rechtsfolge des zeitlichen Beginns der Wirksamkeit herbeizuführen. In dieser Richtung versteht § 93 Abs. 3 BVerfGG den Begriff des Inkrafttretens, der auch ein Inkrafttreten nichtiger Gesetze (§ 95 Abs. 3 Satz 1 BVerfGG) kennt.
54Diese Auslegung ist aus teleologischen Gründen geboten. Dem Gesetzgeber kam es auf die Einräumung eines Bestimmungsrechts der Gemeinde für das Entstehen der Beitragspflicht an, und er hat als ein Merkmal der Ausübung dieses Bestimmungsrechts das - vom Willen der Gemeinde abhängige - Inkrafttreten einer Beitragssatzung gewählt. Dabei hat er sich am satzungsgeberischen Regelfall orientiert, daß das von der Gemeinde gewollte Wirksamwerden der Satzung auch rechtlich eintritt, und den Fall des Scheiterns nicht bedacht, obwohl in einer solchen Situation der bezweckte gesetzgeberische Schutz der Gemeinde vor ungewolltem Entstehen von Beitragspflichten nicht mehr nötig ist. Ein materielles Verständnis des Begriffs Inkrafttreten würde dem durch § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG NRW zusätzlich zum Merkmal der Anschlußmöglichkeit hinzugefügten Erfordernis des Inkrafttretens einer Satzung eine nicht mehr bezweckte Weite der eng zu verstehenden Übergangsregelung beimessen.
55Mit diesem Verständnis des Begriffs Inkrafttreten wird einer nichtigen Satzung keine Wirksamkeit in dem Sinn beigelegt, daß sie den Lauf der Festsetzungsverjährungsfrist in Gang setzte. Die nichtige Beitragssatzung führt nicht zum Ingangsetzen der Festsetzungsverjährungsfrist, denn nur eine wirksame Beitragssatzung kann zur Entstehung der Beitragspflicht (§ 2 Abs. 1 Satz 1 KAG NRW) und damit zum Beginn der Festsetzungsverjährungsfrist (§ 12 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b KAG NRW i.V.m. § 170 Abs. 1 AO) führen. Das Inkraftsetzen einer sich später als nichtig erweisenden Beitragssatzung, die die Beitragspflicht zum Entstehen hat bringen sollen, führt allein dazu, daß die zur Entstehung notwendige wirksame Satzung gemäß § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG NRW in diesem Zeitpunkt - gegebenenfalls durch Rückwirkung - wirksam sein muß. Auch wird durch die hier dargelegte Auslegung das Entstehen der Beitragspflicht nicht an zur Rechtsunsicherheit führende Umstände angeknüpft. Das Gegenteil ist der Fall: Wann die Gemeinde eine Satzung in Kraft setzen wollte, die die Beitragspflicht zum Entstehen bringen sollte, läßt sich einfach feststellen. Das bisherige Verständnis, das auf ein Wirksamwerden einer in jeder Hinsicht gültigen Satzung abstellte, führte zur Rechtsunsicherheit, weil die Frage der Wirksamkeit von Satzungen mit erheblichen Unsicherheiten belastet ist, wie gerade das wechselnde Vorbringen des Beklagten bezüglich der Wirksamkeit seiner Satzung im vorliegenden Verfahren zeigt.
56Soweit § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG NRW in der Rechtsprechung des erkennenden Gerichts dahin verstanden worden ist, daß die Beitragspflicht erst mit dem Inkrafttreten der ersten gültigen Satzung entstand, also vorherige Beitragssatzungen, die an zur Unwirksamkeit führenden Mängeln litten, für die Frage des Zeitpunkts des Entstehens der Beitragspflicht unerheblich sein sollten,
57vgl. OVG NRW, Urteil vom 6. April 1976 - II A 121/76 -, OVGE 32, 41 (42); Urteil vom 31. Oktober 1984 - 2 A 1156/84 -, OVGE 37, 188 (192); Urteil vom 7. September 1993 - 2 A 169/91 -, StuGR 1994, 57 (60 f.); Urteil vom 29. September 1995 - 15 A 1009/92 -, S. 9 des amtlichen Umdrucks; Beschluß vom 27. November 1996 - 15 B 2222/96 -, S. 2 f. des amtlichen Umdrucks,
58hält das Gericht an dieser Auslegung aus den vorstehend genannten Gründen nicht mehr fest.
59Nach dem so gefundenen Auslegungsergebnis ist die Beitragspflicht noch nicht entstanden. Die Beitragssatzungsregelungen, die nach der Beitrags- und Gebührensatzung vom 24. März 1986 erlassen wurden, weisen nicht die erforderliche Rückwirkung auf den 1. Januar 1983 auf, um die Beitragspflicht zum Entstehen bringen zu können. Täten sie es im übrigen, würde sofort Verjährung eintreten.
60III. Nicht zu prüfen ist schließlich, ob möglicherweise eine Beitragssatzung die vor der vom 24. März 1986 erlassen wurde, bereits nach dem Willen der Gemeinde eine Beitragspflicht hat zur Entstehung bringen sollen und möglicherweise zur Entstehung gebracht hat. In diesem Falle wäre - die Wirksamkeit einer solchen Satzung unterstellt - Festsetzungsverjährung schon früher eingetreten, oder es müßte - bei Unwirksamkeit einer solchen Satzung - eine wirksame Beitragssatzung Rückwirkung auf den Zeitpunkt des damaligen Inkraftsetzens haben mit der Folge, daß bei Inkrafttreten einer solchen neuen rückwirkenden Satzung wiederum sofort Festsetzungsverjährung einträte.
61Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Satz 1, 713 ZPO.
62Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.
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