Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 7 B 909/99
Tenor
Der angefochtene Beschluß wird mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert.
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragsteller vom 26. Februar 1999 gegen die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 11. Februar 1999 zum Neubau eines Einfamilienwohnhauses auf dem Grundstück Gemarkung H. , Flur 23, Flurstück 453 wird angeordnet.
Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die nicht erstattungsfähig sind, trägt der Antragsgegner. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen der Antragsgegner und die Beigeladenen, diese als Gesamtschuldner, je zur Hälfte.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 5.000,- DM festgesetzt.
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G r ü n d e :
2Die vom Senat zugelassene Beschwerde ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag der Antragsteller auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 11. Februar 1999 zu Unrecht abgelehnt.
3Die im Verfahren nach §§ 80 a, 80 Abs. 5 VwGO gebotene Abwägung der gegenläufigen Interessen führt zu dem Ergebnis, daß dem Aufschubinteresse der Antragsteller gegenüber dem Vollzugsinteresse der Beigeladenen der Vorrang gebührt, da bei summarischer Prüfung davon auszugehen ist, daß den Antragstellern ein nachbarliches Abwehrrecht gegen das genehmigte Vorhaben zusteht.
4Das Vorhaben der Beigeladenen verletzt die Antragsteller in ihren Nachbarrechten, weil es gegen die nachbarschützende Vorschrift des § 6 BauO NW verstößt. Es nimmt entgegen § 6 Abs. 6 Satz 1 BauO NW vor mehr als zwei Außenwänden das Schmalseitenprivileg in Anspruch.
5Ausweislich der dem Bauantrag der Beigeladenen vom 21. Januar 1999 als "Anlage" beigefügten Abstandflächenberechnung (vgl. Bl. 55 der Beiakte Heft 2 a), gegen die Bedenken weder vorgetragen noch sonst ersichtlich sind, benötigen die Beigeladenen für ihr Vorhaben das Schmalseitenprivileg sowohl vor der nordwestlichen, zum Grundstück der Antragsteller weisenden Außenwand (Abstandflächen H6 und H7) als auch vor den zum Flurstück 343 weisenden, südöstlichen Außenwänden (Abstandflächen H2 und H4). Für letztere kann entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts nicht von einer (gegliederten) Außenwand i.S.d. § 6 Abs. 6 Satz 3 BauO NW ausgegangen werden. Es handelt sich bei diesen Wandbereichen nicht um eine einheitliche, durch einen Vor- bzw. Rücksprung gegliederte Wand, sondern um zwei im Sinne des Schmalseitenprivilegs eigenständig zu beurteilende Außenwände. Maßgebend für diese Bewertung, bei der auf eine natürliche Betrachtungsweise abzustellen ist,
6vgl. OVG NW, Beschlüsse vom 17. Dezem-ber 1998 - 10 B 2308/98 - und vom 26. April 1995 - 7 B 487/95 -,
7sind folgende Erwägungen: Das genehmigte Vorhaben tritt für den Betrachter der südöstlichen Gebäudeseite nicht als ein in diese Richtung durch eine einheitliche Wandfläche abgegrenzter Baukörper in Erscheinung. Bei dem L-förmigen Gebäude wirken die beiden Arme des "L" vielmehr als gesonderte Gebäudetrakte, die zwar ohne Zweifel zu einem einheitlichen Gebäude gehören, aber in ihrer architektonischen Wertigkeit (bewußt) mit Eigenständigkeit ausgestattet sind. Dies ergibt sich bereits daraus, daß das Gebäude selbst, trotz des Vorsprungs des südöstlichen Traktes von nur rund 3 m, schon als L-förmig empfunden wird. Der letztgenannte Gebäudeteil hat dabei ein gegenüber dem giebelseitig in Südwestrichtung zeigenden Trakt ein in jeder Hinsicht gleichartiges optisches und funktionales Gewicht. Er umschließt den hier eigenständig untergebrachten Küchen- und Eßbereich, besitzt einen die architektonische Selbständigkeit des Gebäudeteils deutlich betonenden Giebel, während der andere Trakt nach Südosten hin nur eine Traufseite aufweist und hebt sich durch den Giebel auch in der Höhe auffällig von dem in der Wandfläche niedriger wirkenden anderen Trakt ab. Nach allem treten die beiden Trakte in der architektonischen Wertigkeit annähernd gleichgewichtig, jedenfalls aber als gesonderte, eigenständige Elemente des Hauses in Erscheinung. Im Zusammenwirken mit dem Umstand, daß die Giebelwand des Eß- und Küchentraktes gegenüber der Traufwand des Wohnzimmertraktes um 3 m weiter südöstlich verläuft und der Bereich im Winkel zwischen den Gebäudetrakten zudem noch durch eine Terasse mit entsprechendem Zugang in Anspruch genommen ist, bedeutet dies, daß die beiden in Rede stehenden Wandbereiche nicht andeutungsweise in einer Beziehung zueinander stehen, die sie als einheitliche Wand erscheinen ließe.
8Kann nach alledem bei der hier fraglichen Wand nicht mehr von einer (gegliederten) Außenwand im Sinne des § 6 Abs. 6 Satz 3 BauO NW gesprochen werden, nehmen die Beigeladenen für ihr Vorhaben das Schmalseitenprivileg unzulässigerweise vor insgesamt drei Außenwänden in Anspruch. Auf diesen Verstoß gegen die Vorschrift des § 6 Abs. 6 Satz 1 BauO NW kann sich jeder betroffene Nachbar, an dessen Grundstücksgrenze die an sich nach § 6 Abs. 4 und 5 BauO NW vorgeschriebene Abstandfläche nicht eingehalten wird, so auch hier die Antragsteller, berufen.
9Vgl. OVG NW, Beschlüsse vom 17. Dezem-ber 1998 - 10 B 2308/98 - und vom 24. März 1998 - 7 B 328/98 - jeweils m.w.N.
10Daher war dem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs der Antragsteller schon aus diesem Grund stattzugeben. Eine Prüfung, ob weitere nachbarschützende Vorschriften durch die streitige Baugenehmigung verletzt werden, erübrigt sich damit.
11Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 und 3, 159 und 162 Abs. 3 VwGO und berücksichtigt, daß die Beigeladenen, anders als im Beschwerdeverfahren, im erstinstanzlichen Verfahren keinen Antrag gestellt haben und ihnen insoweit Kosten nicht auferlegt werden können (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO).
12Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.
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