Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 22 B 1068/99
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 10.000,-- DM festgesetzt.
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Gründe:
2Der Antrag ist unbegründet. Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor bzw. sind nicht ordnungsgemäß dargelegt.
3I. Die Ausführungen des Antragstellers ergeben keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts (§§ 146 Abs. 4, 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
41. Soweit der Antragsteller geltend macht, das Verwaltungsgericht habe verkannt, daß die Widersprüche im Bearbeitervermerk der Klausur - jedenfalls bis zur ersten Klarstellung um 9.15 Uhr - zu effektiven Zeitverlusten geführt hätten, stellt dies die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts zur Geeignetheit der Aufgabenstellung nicht in Frage.
5Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen und hat dies ausführlich begründet, daß die die Anfertigung eines wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen betreffenden Widersprüche im Bearbeitervermerk vom Prüfling aufgrund einfacher Auslegung hätten geklärt werden können und die Aufgabe deshalb zu Prüfungszwecken objektiv geeignet gewesen sei. Dem wird im Zulassungsantrag nichts Konkretes entgegengesetzt. Insbesondere wird mit dem Vortrag auf S. 4 der Antragsschrift, die Ausführungen des Verwaltungsgerichts "verwunderten", nicht substantiiert in Zweifel gezogen, daß durch einfache Auslegung des Bearbeitervermerkes vom Antragsteller festgestellt werden konnte, daß ein wesentliches Ergebnis der Ermittlungen nicht zu fertigen war. Die Erwägungen, die im Zulassungsantrag zu den Folgen angestellt werden, die "von einer widersprüchlichen und damit nicht zu bewältigenden Aufgabenstellung" ausgehen können, verfehlen deshalb die Begründung des Verwaltungsgerichts, denn dieses geht gerade von einer zu bewältigenden Aufgabe aus.
6War durch einfache Auslegung des Bearbeitervermerks der Inhalt der Aufgabe zweifelsfrei zu erkennen, so ist, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, eine Verzögerung, die darauf zurückzuführen ist, daß dem Antragsteller diese Auslegung nicht ohne Klarstellung seitens der Klausuraufsicht gelungen ist, nicht dem Prüfungsamt, sondern ihm selbst zuzurechnen.
7Die Ausführungen des Verwaltungsgerichts von S. 5 unten bis S. 7 oben der Beschlußausfertigung zu der Frage, ob der Bearbeitervermerk in seiner Ursprungsfassung "bei dem Antragsteller dennoch die von ihm vorgetragenen Zweifel über den Inhalt der Aufgabenstellung hat aufkommen lassen dürfen und tatsächlich auch hervorgerufen hat", sind demnach Hilfsüberlegungen für den Fall, daß man die Auffassung des Gerichts über die einfache Auslegbarkeit der Aufgabenstellung und die daraus folgenden rechtlichen Schlüsse über die Zurechnung eventuell bei einem Kandidaten verbleibender Fehlvorstellungen nicht teilt. Der Vortrag im Zulassungsantrag, der sich zum Zeitpunkt und zum Umfang der Klarstellungen durch die Aufsicht verhält und der sich allein gegen diese Hilfserwägungen, nicht aber gegen die tragende Begründung wendet, ist deshalb nicht geeignet, ernstliche Zweifel hinsichtlich der Richtigkeit der Annahme des Verwaltungsgerichts zu begründen, die Widersprüchlichkeit des Bearbeitervermerks habe die Bearbeitung der Klausur "weder gehindert noch in einer zu kompensierenden Weise erschwert".
82. Auch soweit der Antragsteller ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts dahin geltend macht, daß dieses die Relevanz der Störungen durch die mit der Klarstellung des Bearbeitervermerks verbundenen Vorgänge (Rückfragen seitens der Prüflinge, Telefonate, Aufsuchen des Prüfungsraumes durch Dritte, die Streichungsanweisungen des Aufsichtsführenden und die mit alledem verbundene Unruhe) verkannt habe, kann ihm nicht gefolgt werden.
9Das Verwaltungsgericht hat die Relevanz dieser Störungen einschließlich des Umstandes, daß der Antragsteller auf einem Platz in der ersten Reihe zwischen dem Platz des Aufsichtsführenden und der Tür zum Prüfungsraum gesessen habe, letztlich deshalb verneint, weil der Antragsteller diese Störungen während der Anfertigung der Klausur nicht gerügt habe. Hiergegen wendet der Antragsteller ein, daß das Verlangen nach einer Rüge dieser Umstände zu weit gehe und daß er zudem mit der von ihm wegen der Unklarheit des Bearbeitervermerks erhobenen Rüge das Erforderliche getan habe, so daß eine weitere Rüge entbehrlich gewesen sei.
10Diese Angriffe gegen die Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts greifen nicht durch. Der rechtliche Ansatz, von dem aus das Verwaltungsgericht die Relevanz der Störungen im Prüfungsablauf beurteilt hat, entspricht der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Danach ist bei Störungen des Prüfungsablaufes zwischen zwei Falltypen zu unterscheiden. In Fällen, in denen die Störung nach Art und Ausmaß "ohne jeden Zweifel" die Chancengleichheit der Prüflinge verletzt, muß das Prüfungsamt von Amts wegen die erforderlichen Maßnahmen der Abhilfe oder des Ausgleichs der Störung treffen, so daß es keiner Rüge des Prüflings bedarf. Davon abzugrenzen sind die Fälle, in denen es zweifelhaft ist, ob die fragliche Störung vom Durchschnittsprüfling als derart erheblich empfunden wird, daß er deshalb in seiner Chancengleichheit verletzt ist, und in denen deshalb die Prüfungsbehörde zur Behebung dieser Zweifel auf die Mitwirkung der Prüflinge in der Form von förmlichen Rügen angewiesen ist.
11Vgl. BVerwG, Beschluß vom 10. August 1994 - 6 B 60.93 -, DVBl 1994, 1364 -; Urteil vom 11. August 1993 - 6 C 2.93 -, NJW 1994, 2633 = DVBl 1994, 158 = BVerwGE 94, 64 = Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 317.
12Daß es sich bei den angeführten Vorgängen, die mit der Klärung des Bearbeitervermerks verbunden waren, und den dadurch verursachten Störungen um solche handelte, bei denen die - die Chancengleichheit verletzende - Erheblichkeit für die Prüfungsaufsicht zweifelsfrei erkennbar war, ist dem Vorbringen des Antragstellers nicht zu entnehmen. Störungen im Prüfungsraum sind Dinge, die regelmäßig auftreten. Sie gehören, wie auch das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 11. August 1993, aaO., anmerkt, in der Mehrzahl zu denjenigen, bei denen die Relevanz für die Prüflinge zweifelhaft ist und die gerügt werden müssen, damit sie Berücksichtigung finden können. Zu solchen typischen Störungen gehört etwa, daß Personen den Prüfungsraum betreten oder verlassen, wobei die dadurch entstehende Unruhe, weil durch das Prüfungsverfahren vorgegeben, in den meisten Fällen auch auf eine Rüge hin nicht einmal als erhebliche Störung anerkannt werden kann. So gehört etwa die bei Klausuren entstehende Unruhe durch Kandidaten, die den Raum verlassen und zurückkehren, zu den normalen, von den anderen Prüflingen hinzunehmenden Störungen. Ähnliches dürfte für einen Wechsel der Aufsichtsperson oder für Besuche von Dritten, die der Aufsichtsperson etwas ausrichten oder ihr etwas bringen, gelten, sofern keine Besonderheiten vorliegen, durch die die Schwelle der Erheblichkeit überschritten wird. Selbst wenn man hier unterstellt, daß sich aus dem Vortrag des Antragstellers und den von ihm vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen zweier Mitprüflinge ergebe, die von ihm angeführten Störungen hätten ein Maß erreicht, durch das er sich in seiner Chancengleichheit verletzt fühlen durfte, so folgt daraus nicht, daß von Amts wegen zum Ausgleich eine Schreibzeitverlängerung hätte eingeräumt werden müssen. Dazu wäre nach der angeführten Rechtsprechung nämlich erforderlich gewesen, daß für die Klausuraufsicht ohne jeden Zweifel feststand, daß die Störungen wegen ihrer Erheblichkeit die Chancengleichheit verletzten. Die in den Verwaltungsvorgängen in einem Vermerk festgehaltene telefonische Aussage des Aufsichtsführenden, daß es zu keiner Zeit zu nennenswerten Störungen oder zu einer Unruhe unter den Prüflingen gekommen sei, spricht dafür, daß die geschilderten Vorgänge, auch wenn sie vom Antragsteller und anderen Prüflingen zu Recht als erheblich störend empfunden worden sein mögen, jedenfalls für den Aufsichtsführenden nicht "zweifelsfrei" einen die Chancengleichheit beeinträchtigenden Charakter hatten. Dafür, daß die Einschätzung des Aufsichtsführenden über den geringen Grad der Störungen völlig unvertretbar gewesen ist, er vielmehr von einer zweifelsfrei vorliegenden erheblichen Störung der Kandidaten - mit den entsprechenden von Amts wegen zu ziehenden Konsequenzen - hätte ausgehen müssen, enthält das Zulassungsvorbringen jedoch nicht Konkretes.
13Eine demnach erforderliche Rüge ist nicht erfolgt. Das Verwaltungsgericht hat bereits darauf hingewiesen, daß die vom Antragsteller behauptete und auch in den vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen angeführte Rüge sich auf den Inhalt der Aufgabe, nämlich auf die Unklarheiten des Bearbeitervermerks, bezog und nicht auf Fehler im Verfahren, nämlich auf Störungen bei der Bearbeitung der Aufgabe. Da das eine mit dem anderen nicht zusammenhängt, machte die erhobene, auf die Aufgabe bezogene Rüge es nicht entbehrlich, die zusätzlich aufgetretenen Störungen während der Klausur als leistungsbehindernd geltend zu machen. Dies ist jedoch unstreitig nicht geschehen. Daß die Störungen vier Tage nach der Klausur im Schreiben der AG F-85 beim LG Essen vom 29. Mai 1998 als erheblich moniert wurden, ist unerheblich, denn diese Rüge hätte während der Klausur erfolgen müssen, um der Behörde die Möglichkeit zur Prüfung zu geben, ob die Rüge berechtigt und ob ggf. durch eine Schreibzeitverlängerung die Störung auszugleichen war.
14II. Auch der geltend gemachte Zulassungsgrund der besonderen tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten (§§ 146 Abs. 4, 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) liegt nicht vor.
151. Besondere tatsächliche Schwierigkeiten sieht der Antragsteller in der Notwendigkeit, Details des Prüfungsverlaufs aufzuklären. Selbst wenn man davon ausgeht, daß solche tatsächlichen Schwierigkeiten in einem Eilverfahren, in dem es regelmäßig allein auf die Glaubhaftmachung der maßgeblichen Fakten durch die Beteiligten ankommt, überhaupt als Zulassungsgrund in Betracht kommen, greift dieser Zulassungsgrund hier nicht ein, weil aus den unter I. genannten Gründen der Faktenvortrag des Antragstellers als richtig unterstellt werden kann, ohne daß deshalb ein Anordnungsanspruch gegeben wäre.
162. Auch die vom Antragsteller behaupteten rechtlichen Schwierigkeiten bestehen nicht, selbst wenn man einmal davon absieht, daß in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes schwierige Rechtsfragen ohnehin regelmäßig nicht geklärt werden.
17Der Antragsteller sieht als schwierig zunächst die Frage an, "welches Ausmaß an Unklarheit bzw. Unkorrektheit man einem Prüfling bei einer Examensklausur bzw. einer berufseröffnenden Prüfung 'bei verständiger Würdigung und aufgrund einfacher Auslegung der Prüfungsfragen' zumuten will". Eine solche Frage würde sich in einem Beschwerdeverfahren nicht stellen, da einmal durch die Rechtsprechung geklärt ist, daß der Prüfling Auslegungen der Prüfungsaufgaben vorzunehmen hat,
18vgl. außer den dazu vom Verwaltungsgericht angeführten Entscheidungen ferner: BVerwG, Urteil vom 26. März 1997 - BVerwG 6 C 8.96 -; OVG NW, Urteil vom 18. Juli 1996 - 22 A 4203/93 -, beide n.v.,
19und zum anderen das Verwaltungsgericht nachvollziehbar ausgeführt hat, daß eine über die Unklarheiten des Bearbeitervermerks hinweghelfende Auslegung hier unschwer möglich war. Dem ist seitens des Antragstellers, wie bereits ausgeführt, nichts Konkretes entgegen gehalten worden.
20Die weitere vom Antragsteller angesprochene Frage nach dem Umfang der Rügepflichten des Prüflings bei Störungen im Prüfungsablauf ist nicht schwierig, da sie durch die angeführte Rechtsprechung geklärt ist.
21Auch die dritte der vom Antragsteller als schwierig bezeichneten Fragen, nämlich ob bei einem Verfahrensfehler bei einer der Klausuren nur diese Klausur oder der ganze Klausurblock zu wiederholen ist, würde sich in einem Beschwerdeverfahren nicht stellen, da für einen relevanten Verfahrensfehler nach dem Ausgeführten nichts ersichtlich ist.
22III. Der dritte geltend gemachte Zulassungsgrund nach §§ 146 Abs. 4, 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO, nämlich das Vorliegen eines Verfahrensfehlers, auf dem die Entscheidung beruhen kann, ist nicht hinreichend dargetan. Der Antragsteller hat nämlich nicht dargelegt, daß die Entscheidung auf den von ihm behaupteten Aufklärungsmängeln beruhen kann. Soweit er fehlende Aufklärung zum Ablauf der "Nachbesserungen" während der Klausur bemängelt, verkennt er, daß es wegen der vom Verwaltungsgericht angenommenen Möglichkeit einer "einfachen Auslegung" auf die Klarstellungen zum Bearbeitervermerk für die Entscheidung ohnehin nicht ankam. Soweit er die Unterlassung weiterer Aufklärung zum Umfang der Störungen rügt, verkennt er, daß es auch darauf vom zutreffenden Rechtsstandpunkt des Verwaltungsgerichts, diese Störungen seien wegen fehlender Rüge während der Klausur unerheblich, nicht ankam.
23Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Wertfestsetzung auf §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.
24Dieser Beschluß ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).
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