Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 14 A 1838/98.A
Tenor
1
G r ü n d e :
2Der Antrag hat keinen Erfolg.
3Die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung, § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG, kommt der Sache nicht (mehr) zu. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Asylsache dann, wenn mit ihr eine bisher höchstrichterlich und obergerichtlich nicht beantwortete Rechtsfrage oder eine bisher obergerichtlich nicht geklärte tatsächliche Frage mit verallgemeinerungsfähigem Gehalt aufgeworfen wird, die sich in dem erstrebten Berufungsverfahren stellen würde und im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts berufungsgerichtlicher Klärung bedarf. Eine solche Frage läßt sich dem Zulassungsantrag - unabhängig davon, ob die Erfordernisse des Darlegungsgebots, § 78 Abs. 4 S. 4 AsylVfG, gewahrt worden sind, - nicht entnehmen.
4Auf die aufgeworfene Frage, ob wegen des Vorgehens militärischer und polizeilicher Kräfte der serbisch dominierten jugoslawischen Bundesrepublik und der serbischen Republik im Kosovo seit Februar/März 1998 eine Gruppenverfolgung der albanischen Bewohner des Kosovo wegen ihrer Volkszugehörigkeit anzunehmen sei und eine inländische Fluchtalternative nicht bestehe, kommt es bei einer Entscheidung in einem Berufungsverfahren nicht mehr an.
5Für die Beurteilung des Zulassungsgrundes ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag auf Zulassung maßgeblich.
6Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 24. Juni 1999 - 14 A 2788/94.A -, m.w.N., und 5. Juli 1999 - 13 A 1856/98.A -; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 20. Oktober 1992 - 9 C 77.91 -, BVerwGE 94, 104.
7Seit Stellung des Zulassungsantrages haben sich die tatsächlichen Verhältnisse in der Bundesrepublik Jugoslawien grundlegend verändert und auch die Erkenntnislage hat sich gewandelt. Die Entwicklung der tatsächlichen Verhältnisse während des Jahres 1999 rechtfertigt nunmehr - erneut - die Prognose, daß albanischen Volkszugehörigen derzeit und in absehbarer Zeit eine unmittelbare oder mittelbare staatliche Verfolgung wegen ihrer Volkszugehörigkeit im Kosovo nicht droht.
8Ende Februar/Anfang März 1999
9vgl. Urteile vom 24. Februar 1999 - 14 A 3840/94.A - und 11. März 1999 - 13 A 3894/94.A -
10hatten die beiden zuständigen Senate des Gerichts aufgrund der damaligen Erkenntnislage die Auffassung vertreten, daß den albanischen Bewohnern des Kosovo eine Gruppenverfolgung wegen ihrer Volkszugehörigkeit nicht drohte.
11Ende Februar 1999 begann allerdings die serbisch dominierte Staatsmacht durch Militär, Sonderpolizei und paramilitärische Einheiten eine - wohl unter dem Codenamen "Operation Hufeisen" seit langem geplante - Aktion zur systematischen Vertreibung möglichst vieler albanischstämmiger Staatsangehöriger aus dem Kosovo, in deren Verlauf seit Mitte März 1999 Tausende von albanischen Volkszugehörigen getötet und Hunderttausende mißhandelt, verletzt und vertrieben wurden und Eigentum albanischer Volkszugehöriger im großen Umfang geplündert oder vernichtet wurde. Ganze Landstriche sollen entvölkert und zerstört worden sein. Das ergibt sich aus der dichten Presseberichterstattung und aus öffentlichen Äußerungen u.a. der Generalsekretäre von UNO und NATO, von Mitgliedern der Bundesregierung und anderen Regierungen von NATO- Mitgliedsstaaten und von den Flüchtlingsbeauftragten der UNO und der EU.
12Vgl. bereits Senatsbeschluß vom 24. Juni 1999 - 14 A 2788/94.A -.
13Dennoch bedarf es nicht der Entscheidung, ob es sich bei diesem Vorgehen um eine regionale
14vgl. dazu OVG NRW, Beschluß vom 5. Juli 1999 - 13 A 1856/98.A - und VG Düsseldorf, Urteil vom 23. Juli 1999 - 1 K 7776/98.A -
15oder eine örtlich begrenzte, auf die im Kosovo ansässigen albanischen Volkszugehörigen beschränkte Gruppenverfolgung handelte
16vgl. zur Abgrenzung BVerwG, Urteile vom 30. April 1996 - 9 C 171.95 -, BVerwGE 101, 135, 139 ff., und vom 9. September 1997 - 9 C 43.46 -, DVBl. 1998, 247,
17und ob die militärischen und polizeilichen Kräfte bereits seit Anfang 1998 im Kosovo zur Umsetzung eines Verfolgungsprogramms gegen Albaner vorgegangen sind. Denn inzwischen hat die serbisch dominierte jugoslawische Staatsführung und die Führung der serbischen Republik nach schweren Luftangriffen von zweieinhalb Monaten Dauer durch Streitkräfte der NATO auf Ziele in der gesamten Bundesrepublik Jugoslawien, die zuvor für den Fall der Herbeiführung einer humanitären Katastrophe im Kosovo der Regierung in Belgrad angedroht worden waren, eingelenkt und nach der Annahme des sogenannten Petersberger Friedensplanes und dem Abschluß eines militärischen Rückzugsabkommens die militärischen, polizeilichen und paramilitärischen Kräfte aus dem Kosovo zurückgezogen. Aufgrund der Kosovo-Friedensresolution des UN- Sicherheitsrates vom 10. Juni 1999 (Resolution Nr. 1244)
18abgedruckt: EuGRZ 1999, 362
19ist - beginnend Mitte Juni 1999 - eine "internationale Sicherheitspräsenz" (Kfor) unter maßgeblicher Beteiligung starker NATO-Kräfte in das Kosovo eingerückt und hat die Region vollständig besetzt. Die serbische und die serbisch dominierte jugoslawische Regierung haben aufgrund dessen nicht mehr die Macht, ihre Herrschaft für das Gebiet des Kosovo effektiv auszuüben und ein etwa noch weiterbestehendes Verfolgungsprogramm zu verwirklichen. Die Provinz gehört zwar nach wie vor zur Bundesrepublik Jugoslawien und ihre Einwohner sind jugoslawische Staatsangehörige. Sowohl dem jugoslawischen Gesamtstaat als auch dem serbischen Teilstaat fehlt aber für diesen Teil des Territoriums die effektive Gebietsgewalt, d. h. die Staatsgewalt im Sinne wirksamer hoheitlicher Überlegenheit, die eine politische Verfolgung der dort lebenden Bevölkerung ermöglichen würde.
20Vgl. dazu BVerfG, Beschluß vom 10. Juli 1989 - 2 BvR 502, 1000, 961/86 -, BVerfGE 80, 315, 334 ff., und BVerwG, Urteil vom 22. März 1994 - 9 C 443/93 -, NVwZ 1994, 1112.
21Die internationale Sicherheitspräsenz und eine im Aufbau befindliche "internationale zivile Präsenz" sind zunächst für ein Jahr eingerichtet worden mit der Maßgabe, daß dieser Zeitraum verlängert wird, wenn der UN-Sicherheitsrat nichts anderes beschließt. Eine Übergangsverwaltung der UN soll eine substantielle Autonomie der Bevölkerung des Kosovo gewährleisten und u. a. ein sicheres Umfeld für alle Menschen im Kosovo schaffen, die zivile öffentliche Ordnung aufrechterhalten, die Menschenrechte schützen und fördern und die sichere und ungehinderte Rückkehr aller Flüchtlinge und Vertriebenen in ihre Heimat im Kosovo gewährleisten. Nur einige hundert jugoslawische und serbische Staatsbedienstete werden in das Kosovo zurückkehren dürfen, um sachlich und örtlich begrenzte Aufgaben bei den UN-Institutionen, bei der Markierung und Räumung von Minenfeldern, bei Stätten des serbischen Kulturerbes und an wichtigen Grenzübergängen wahrzunehmen. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, daß die Kfor und die internationale zivile Präsenz den Kosovo vorzeitig verlassen und serbischen oder serbisch dominierten jugoslawischen Kräften eine Wiederholung vergleichbarer Verfolgungen der albanischen Bevölkerung im Kosovo ermöglichen würden.
22Ebenso OVG NRW, Beschluß vom 5. Juli 1999 - 13 A 1856/98.A -.
23Diese inzwischen eingetretenen grundlegenden Veränderungen der Lage im Kosovo sind aufgrund der breiten aktuellen Berichterstattung allgemeinkundig und bedürfen deshalb keiner weiteren Klärung in einem Berufungsverfahren.
24Vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 20. Oktober 1992 - 9 C 77.91 -, a.a.O.; GK-AsylVfG 1992 Stand Dezember 1998 § 78 Rdnr. 137 ff.
25Die weiter aufgeworfene Frage, ob die Lage im Kosovo - nur insoweit könnte der Sache überhaupt grundsätzliche Bedeutung zukommen - einen Anspruch auf Gewährung von Abschiebungsschutz gemäß § 53 Abs. 6 AuslG begründet, ist in der Rechtsprechung der beiden zuständigen Senate des Gerichts - verneinend - geklärt.
26Vgl. Beschlüsse vom 16. November 1998 - 13 A 4113/98.A -, InfAuslR 1999, 124 = NVwZ-Beil. 1999, 35, und vom 17. Februar 1999 - 14 A 1066/98 -.
27An der für die genannten Entscheidungen maßgeblichen Rechtslage hat sich nichts geändert. Das Abkommen über die Rückführung und Rückübernahme von ausreisepflichtigen deutschen und jugoslawischen Staatsangehörigen ist weder von der Bundesrepublik Deutschland noch von der Bundesrepublik Jugoslawien bisher gekündigt worden. Das EU-Flugverbot für die nationale jugoslawische Fluglinie JAT besteht nach wie vor.
28Ergänzend weist der Senat darauf hin, daß - wie den Erlassen des Innenministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen vom 4. und 10. August 1999, I B 5/6.2.1, zu entnehmen ist - der Flughafen Pristina seit dem 2. August 1999 für humanitäre Charterflüge geöffnet ist und inzwischen die freiwillige Rückkehr von Flüchtlingen aus der Bundesrepublik Deutschland in das Kosovo durch die Internationale Organisation für Migration (IOM) betreut wird.
29Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2 VwGO, 83 b AsylVfG.
30Dieser Beschluß ist unanfechtbar.
31
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