Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 8 B 902/99
Tenor
1
G r ü n d e :
2Der Senat läßt die Beschwerde gemäß § 146 Abs. 4, § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu und sieht von einer weiteren Begründung gemäß § 146 Abs. 6 Satz 2, 1. Halbsatz, § 124 a Abs. 2 Satz 2 VwGO ab.
3Die auch im übrigen zulässige Beschwerde ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zu Unrecht abgelehnt.
4Der wörtlich gestellte Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung (§ 123 VwGO) ist allerdings nach dem erkennbaren Rechtsschutzziel des Antragstellers (§ 88 VwGO) als Rechtsschutzgesuch nach § 80 Abs. 5 VwGO aufzufassen,
5vgl. dazu: Schoch, in: Schoch/Schmidt- Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand: März 1999, Rdnr. 104 zu § 123; vgl. Bay. VGH, Beschluß vom 25. Juli 1994 - 25 CE 94.2402 -, BayVBl. 1995, S. 308; Beschluß vom 27. August 1987 - Nr. 25 CE 87.01911 -, BayVBl. 1988, S. 17 (18); VGH Bad- Württ., Beschluß vom 14. Januar 1991 - 3 S 3127/90 -, VBl.BW 1991, S. 219 (220),
6weil mit der Entlassungsverfügung vom 27. Oktober 1998 ein Verwaltungsakt angegriffen wird, gegen den im Wege der Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 VwGO) vorzugehen ist und deshalb vorläufiger Rechtsschutz grundsätzlich über § 80 Abs. 5 VwGO zu erlangen ist (§ 123 Abs. 5 VwGO).
7Der in diesem Antrag enthaltene
8vgl. dazu: Bay. VGH, Beschluß vom 1. April 1999 - 2 CS 98.2646 -, Bay.VBl. 1999, S. 467
9und vom Antragsteller auch mit Schriftsatz vom 11. Januar 1999 (GA Bl. 80) und seinem Antrag auf Zulassung der Beschwerde vom 26. April 1999 (GA Bl. 118) ausdrücklich erhobene Antrag auf Feststellung, daß seine Klage gegen die Entlassungsverfügung der Antragsgegnerin vom 27. Oktober 1998 und den Widerspruchsbescheid vom 12. Januar 1999 aufschiebende Wirkung hat, hat Erfolg.
10Die Antragsgegnerin geht erkennbar davon aus, daß ihre Entlassungsverfügung vom 27. Oktober 1998 ungeachtet des hiergegen eingelegten Widerspruchs des Antragstellers und seiner zwischenzeitlich erhobenen Klage sofort vollziehbar ist. Darauf deutet nicht nur der Wortlaut der Verfügung vom 27. Oktober 1998 hin, in dem es - entsprechend § 10 Abs. 2 der Verordnung über die Mitwirkung der Helfer im Technischen Hilfswerk vom 7. November 1991 (BGBl. I S. 2064) - THW-MitwirkVO - und § 17 Abs. 7 Satz 1 und 2 der Richtlinie über die Mitwirkung der Helfer im Technischen Hilfswerk vom 1. Dezember 1991 (THW-Rundverfügung vom 22. November 1991, abgedruckt in: Roeber/Goeckel, Katastrophenschutzgesetz, Kommentar, Stand: Juni 1996, Band 3, Anlage 33.1) - THW-HelferRiLi - heißt: "Nach Zustellung des Entlassungsbescheides haben Sie an den angeordneten Dienstveranstaltungen nicht mehr teilzunehmen. Ihr Dienstverhältnis ruht bis zum Abschluß des Rechtsbehelfsverfahrens durch den bestandskräftigen Entlassungs- oder einen Widerspruchsbescheid oder durch ein rechtskräftiges Urteil.". Dies ergibt sich auch ausdrücklich aus den Stellungnahmen der Antragsgegnerin im hier anhängigen Verfahren (z.B. S. 3 der Antragserwiderung vom 4. Dezember 1998, GA Bl. 38 und Stellungnahme vom 9. August 1999 zur gerichtlichen Verfügung vom 26. Juli 1999, GA Bl. 139 f.).
11Wird - wie hier - die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs nicht beachtet, so ist diese allerdings nicht gemäß § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen,
12so jedoch: OVG NRW, Beschluß vom 13. September 1974 - 1 B 649/74 -, OVGE 30, 46 (50 f.); Beschluß vom 29. August 1975 - II B 615/75 -, OVGE 31, 193 (194); Beschluß vom 2. April 1976 - XII B 1412/76 -, OVGE 32, 14 (16 f.); Beschluß vom 12. Februar 1981 - 18 B 392/81 -, VerwRspr. 32, Nr. 177, S. 871; Beschluß vom 22. November 1985 - 14 B 2406/85 -, NVwZ 1987, 334 (335),
13weil diese kraft Gesetzes besteht (§ 80 Abs. 1 VwGO), sondern es ist eine dahingehende Feststellung zu treffen, daß der Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung hat.
14Vgl. Finkelnburg/Jank, vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 4. Auflage, § 44 II, Rdnr. 905, 906, 908 m.w.N.; Kopp, VwGO, 11. Auflage, Rdnr. 181 zu § 80; Schmidt, Eyermann/Fröhler, VwGO, 10. Auflage, Rdnr. 109 zu § 80; BVerwG, Beschluß vom 17. Dezember 1965 - 2 C 32.65 -, Buchholz 232, § 44 BBG Nr. 8, S. 21; OVG Bremen, Beschluß vom 19. März 1990 - 1 B 9/90 -, DÖV 1991, 473 (nur Leitsatz); OVG Hamburg, Beschluß vom 2. Oktober 1981 - Bs V 117/81 -, NVwZ 1982, S. 323 (324); OVG Lüneburg, Beschluß vom 13. Juni 1990 - 5 M 22/90 -, NVwZ 1990, S. 1194; OVG NRW, Beschluß vom 3. September 1992 - 14 B 684/92 -, NVwZ-RR 1993, 269; Bay. VGH, Beschluß vom 1. April 1999 - 2 CS 98.2646 -, Bay.VBl. 1999, S. 467; Beschluß vom 16. Juli 1980 - 7 CS 90.1090 -, NVwZ-RR 1990, S. 639 m.w.N.
15Der Klage des Antragstellers gegen die Entlassungsverfügung vom 27. Oktober 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Januar 1999 kommt aufschiebende Wirkung zu (§ 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
16Die Voraussetzungen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, wonach die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage u.a. in anderen durch Bundesgesetz vorgeschriebenen Fällen entfällt, sind nicht erfüllt. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, 1. Alt. VwGO setzt ein formelles Bundesgesetz voraus, wozu eine Rechtsverordnung (Art. 80 GG), die nicht in einem verfassungsrechtlich geregelten Gesetzgebungsverfahren zustandegekommen ist, nicht gehört.
17Vgl. Maunz, in: Maunz/Dürig/Herzog/ Scholz, GG, Stand: Juni 1998, Rdnr. 14 zu Art. 80.
18Eine Rechtsverordnung - wie hier § 10 Abs. 2 THW-MitwirkVO - reicht deshalb als Rechtsgrundlage für den bundesgesetzlichen Ausschluß der aufschiebenden Wirkung im Sinne des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO nicht aus.
19Vgl. Schoch, in: Schoch/Schmidt- Aßmann/Pietzner, a.a.O., Rdnr. 126 zu § 80; Redeker/von Oertzen, VwGO, 12. Auflage, Rdnr. 18 zu § 80 und 8 und § 68; Schmidt, in: Eyermann/Fröhler, a.a.O., Rdnr. 28 zu § 80; Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, Stand: Juli 1998, Rdnr. 71 zu § 80; Kopp, VwGO, a.a.O., Rdnr. 39 zu § 80; Finkelnburg/Jank, a.a.O., Rdnr. 701.
20Der Ausschluß der aufschiebenden Wirkung in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 VwGO stellt eine Ausnahme zu der Regel des § 80 Abs. 1 VwGO dar, wonach Widerspruch und Anfechtungsklage grundsätzlich aufschiebende Wirkung zukommt. Der durch einen Verwaltungsakt Betroffene hat regelmäßig einen Anspruch darauf, daß dessen Rechtmäßigkeit (und im Vorverfahren zusätzlich die Zweckmäßigkeit, § 68 Abs. 1 VwGO) in dem dafür vorgesehenen Verfahren umfassend geprüft wird, bevor der Verwaltungsakt vollzogen werden kann. Die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs ist deshalb für die Wirksamkeit des zu erlangenden Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) von wesentlicher Bedeutung. Der Ausschluß der aufschiebenden Wirkung führt zu einer Verkürzung des Rechtsschutzes, weil das vorläufige Rechtsschutzverfahren lediglich eine summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage im Rahmen einer Interessenabwägung gebietet.
21vgl. dazu auch: Clausing, Strukturveränderungen in der Verwaltungsgerichtsbarkeit?, NVwZ 1992, S. 717 (720).
22Eine einschränkende Anwendung des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO ist mit Rücksicht auf die Bedeutung der aufschiebenden Wirkung für die Rechtsschutzgarantie gemäß Art. 19 Abs. 4 GG und das Regel-Ausnahme-Verhältnis der Bestimmung, das auf den Willen des Gesetzgebers schließen läßt, nur in beschränkten, auf besonderen Gründen beruhenden Fällen die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage auszuschließen, geboten.
23Vgl. Finkelnburg/Jank, a.a.O., Rdnr. 700; im Ergebnis auch: Schoch, in: Schoch/Schmidt- Aßmann/Pietzner, a.a.O., Rdnr. 127 zu § 80 unter Verneinung eines möglichen Verstoßes gegen Art. 19 Abs. 4 GG; vgl. auch Kopp, a.a.O., Rdnr. 39 zu § 80.
24Die von der Antragsgegnerin angeführte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 17. April 1991
25- 1 BvR 419/81, 213/83 -, NJW 1991, 2005 (2006); so auch BVerwG, Urteil vom 15. Dezember 1966 - VIII C 111.64 -, BVerwGE 25, 348 (349 f.) zu § 68 VwGO
26bezieht sich auf § 68 Abs. 1 Satz 2 VwGO, wonach es einer Nachprüfung des Verwaltungsakts in einem Vorverfahren nicht bedarf, wenn ein Gesetz dies für besondere Fälle bestimmt. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist aus den dargelegten Gründen nicht auf den Anwendungsbereich des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO übertragbar. Der Ausschluß des Vorverfahrens führt nicht in gleichem Umfang zur Rechtsschutzverkürzung wie der Ausschluß der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs, der gerichtlichen Rechtsschutz wegen der Verfahrensdauer gänzlich hinfällig werden lassen kann. Mit der Vollziehung eines Verwaltungsakts werden nämlich häufig vollendete Tatsachen geschaffen, gegen die dann wirksamer Rechtsschutz nicht mehr zu erreichen ist.
27Ein Ausschluß der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs durch § 17 Abs. 7 THW-Helferrichtlinie kommt erst recht nicht in Betracht, da es nicht einmal um eine Rechtsverordnung, sondern lediglich um Verwaltungsvorschriften handelt.
28Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
29Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 13 Abs. 1 Satz 2, 20 Abs. 3 GKG, wobei der gesetzliche Auffangwert wegen des vorläufigen Charakters der begehrten Entscheidung um die Hälfte gekürzt worden ist (Ziff. I 7. des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 1996, NVwZ 1996, 563).
30Dieser Beschluß ist gemäß § 152 Abs. 1, § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG unanfechtbar.
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